56
»Mr. Patrick Lambert.« Domino Taylors Stimme dröhnte laut, aber angenehm aus Patricks Handy.
»Wie geht’s, mein Freund?«, fragte Patrick.
»Alles beim Alten. Ich hatte befürchtet, dass du anrufst.«
Patrick zog ein neugieriges Gesicht, als er vor dem Hotelzimmer auf einem Stuhl Platz nahm. »Befürchtet?«
»Ich habe gehört, was passiert ist. Klingt, als hätte euer Knabe professionelle Hilfe gehabt – drei tote Polizisten, rein und raus, keine Zeugen.«
»Woher zum Teufel weißt du das alles schon?«
»Ich bitte dich«, sagte er in dem tiefen schleppenden Südstaaten-Tonfall, den er gegenüber engen Freunden anschlug.
Patrick nickte. »Okay, mein Fehler. Ich hätte es wissen müssen.«
»Wie geht’s Amy?«
»Sie hat Angst.«
»Das kann ich mir vorstellen. Sag einfach, wann, mein Freund.«
»Kannst du? Ich meine – du bist einsatzbereit?«, fragte Patrick.
»Ich bin immer einsatzbereit.«
»Ich hätte vielleicht besser verfügbar sagen sollen.«
»Für dich jederzeit.«
Patrick schwieg einen Moment, sammelte sich und sagte: »Danke, Mann.«
»Hast du mich gegenüber dem FBI erwähnt?«
»Ja – die hielten es für keine gute Idee.«
Er kicherte. »Das wäre ja nichts Neues. Wir sind gut darin, ihnen aus dem Weg zu gehen und sie ihr Ding durchziehen zu lassen. Normalerweise gibt das keinen Ärger. Ich erinnere sie daran, dass sie die Jäger und wir nur dafür da sind, das Lager zu sichern. Das gefällt ihnen anscheinend.«
»Prächtig«, sagte Patrick. »Wie geht es also jetzt weiter?«
»Nochmals: Sag einfach wann, Bruder.«
»Wann«, sagte Patrick. »Wir sind noch in Pittsburgh und brechen in ein paar Stunden auf. Wir sollten heute Abend gegen acht oder neun wieder in Valley Forge sein, denke ich.«
»Dann werden wir ebenfalls dort sein. Wie geht’s den Kindern?«
»Carrie ist seit der Sache vom Crescent Lake komplett durcheinander. Von dem ganzen Scheiß, der seitdem geschehen ist, gar nicht zu reden. Ich werd’s dir später erzählen. Caleb scheint in Ordnung zu sein, aber unter diesen Umständen …« Patrick fühlte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte, und unverzüglich spülte eine Schamwelle über ihn hinweg, weil er sich bei jemandem wie Domino eine solche Gefühlsaufwallung erlaubt hatte. Er räusperte sich schnell. »Tut mir leid.«
»Muss dir nicht leidtun, mein Freund. Wenn das hier erledigt ist, kaufe ich Carrie ein Rieseneis und spiele eine Runde Football mit Caleb, so wie ich es damals versprochen habe. Ich kann’s kaum erwarten, den kleinen Kerl kennenzulernen.«
Patrick malte sich Dominos Szenario aus und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Das wäre schön«, sagte er. Doch das Lächeln hielt nicht lange. Nicht angesichts der jüngsten Ereignisse. »Dieser Kerl ist gefährlich, Mann. Böse. Ich gehe davon aus, dass seine Freunde genauso übel drauf sind.«
»Das sind sie alle, Patrick. Wenigstens glauben sie das – bis sie mich treffen. Halt einfach die Ohren steif, Bruder. Grüß Amy herzlichst von mir. Wir sehen uns heute Abend.«
»Danke, Mann.«
Patrick klappte sein Mobiltelefon zu. Einen Moment später erschien Amy im Flur.
»Und?«, fragte sie.
»Er meint, dass er uns erwartet, wenn wir heimkommen.«
Amy schlug sich eine Hand vor die Brust. »Gott sei Dank.«
Patrick wandte den Blick ab. Ein dunkler Gedanke war schon den gesamten Morgen über am Rande seines Bewusstseins entlanggekrochen, und dennoch hatte er ihn unerklärlicherweise verdrängt. Jetzt, nach dem Anruf bei Domino, drängte sich dieser Gedanke in den Vordergrund und verlangte Aufmerksamkeit.
»Was ist?«, fragte Amy. Sie zog einen Stuhl neben seinen und ließ sich nieder.
Patrick hob den Kopf. »Er ist einer meiner besten Freunde.«
»Und?«
»Was, wenn er wegen mir getötet wird?«
Amy lachte. Dann stand sie auf, und bevor sie sich auf den Rückweg Richtung Zimmer machte, sagte sie: »Liebling, Domino benutzt jemanden wie Arty als Zahnstocher.«
Aber was ist mit Artys neuen Freunden, wollte er ihr nachrufen. Die, von denen die Bundesbeamten sagen, sie wären bestens ausgebildet? Niemand wusste auch nur den geringsten Scheißdreck über sie.
Patrick war aufrichtig an Dominos Hilfe gelegen. Wenn jemand seine Familie beschützen konnte, dann er. Domino, der hochdekorierte Soldat. Domino, der Sicherheitsexperte für die Wichtigen und Prominenten. Domino, das menschliche Nashorn, das auf dem Football-Feld Rekorde und Knochen gebrochen hatte, nur um dann sämtliche College-Scouts kollektiv in Tränen ausbrechen zu lassen, als er sich gegen den Ball und für das Marinekorps entschied.
Patrick ging einen Schritt weiter und dachte an Domino, den Freund.
Ja, Domino war gut in dem, was er tat, und ja, Domino hatte dem Allerschlimmsten ins Angesicht gesehen und den Sieg davongetragen. Aber für jeden Menschen kommt irgendwann der Tag, an dem er seinen Meister findet. Was, wenn er seinen geliebten Freund soeben in ein Kräftemessen mit einem ebenso rätselhaften wie tödlichen Gegner geschickt hatte? Einem Gegner, der ihm ebenbürtig war … oder mehr als das?
John Brooks stand in einem heruntergekommenen Motel in West Virginia vor dem Badezimmerspiegel. Monica und Arty waren unterwegs, um etwas zum Mittagessen zu besorgen. John fixierte intensiv sein Spiegelbild, den Kiefer verkrampft, die Zähne zusammengebissen, mit vor konzentrierter Wut beinahe vibrierenden schwarzen Augen. Sehr bald würde er diese Wut freisetzen. Er riss sich sein Hemd vom Leib, und seine atemberaubende Muskulatur schwoll mit jedem Atemzug gewaltig an. Er fuhr sich mit einer Hand bedächtig über den Rumpf, betastete jede einzelne Narbe: Einschusslöcher, Schnitte, Stichwunden – Andenken und Erinnerungen daran, wie schwer er zu erlegen war und, nicht zu vergessen, was mit den bedauernswerten Hurensöhnen geschehen war, die es versucht hatten.
Sein Grinsen war das des Teufels höchstpersönlich. Versucht’s nur, ihr Wichser.