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Die ersten Bilder der Präsentation zeigten das, was Patrick erwartet hatte, und seine Kommentare fielen dementsprechend perfekt aus:

Megablast spricht Sportler und Normalverbraucher gleichermaßen an …

Verführerisches visuelles Material der »naturreinen« Ingredienzen, durch welche Megablast die Konkurrenz im Energiegetränkesektor weit hinter sich lässt …

Und dann:

Eine Frau, die von hinten gefickt wird, während sie den Schwanz eines Mannes, der vor ihr kniet, im Mund hat …

Ein Knäuel von Frauen, die sich gegenseitig lecken …

Ein erigierter Penis in Großaufnahme …

Nach dem ersten dieser Bilder hatten die Anwesenden kollektiv nach Luft geschnappt. Nachdem sich sein erster Schock gelegt hatte, hatte sich Patrick die Fernbedienung des Projektors geschnappt und fieberhaft deren Knöpfe gedrückt, sich an die unwirkliche Hoffnung klammernd, das Löschen der Bilder würde auch die kollektive Erinnerung seiner potenziellen Kunden löschen.

Als Patricks hektisches Fummeln zu nichts geführt hatte, war Jonathan Miles aus dem Stuhl gesprungen, hatte sich den Projektor gegriffen, ihn auf dem Boden zerschmettert und war auf den Einzelteilen herumgetrampelt, obwohl die Bilder nicht mehr über die Leinwand flimmerten.

Die versammelte potenzielle Kundschaft war eiligst aufgesprungen und aus der Tür des Konferenzraumes gestürmt. Patrick und Miles waren ihnen hinterhergerannt und hatten den Leuten versichert, dass es sich um ein fürchterliches Missverständnis, einen schrecklichen Irrtum handelte.

Die entsetzte Megablast-Sippe hatte nichts erwidert, sondern war stumm den Aufzügen entgegengehastet, als würden sie vor dem Angriff eines verfeindeten Stammes Reißaus nehmen. In seiner Verzweiflung hatte Patrick versucht, das Schließen der Fahrstuhltüren zu verhindern, indem er eine Hand dazwischengehalten hatte. Eine Kundin hatte sie weggewischt und ihn ein widerliches Schwein genannt.

Patrick hatte seinen Arm eingezogen, als hätte er plötzlich auf eine heiße Herdplatte gepackt, und dann hilflos zusehen müssen, wie sich die Metalltüren schlossen und seine Kunden offiziell verloren waren. Er wandte sich um und glotzte Miles mit weit aufgerissenen Augen an.

»In mein Büro – sofort«, sagte Miles.

Patrick saß zusammengesackt vor Miles’ Schreibtisch, den gesenkten Kopf in beide Hände gelegt. Miles tobte über zwanzig Minuten lang:

»Niemals in den 35 Jahren, die ich in diesem Geschäft bin …«

»Was, verdammt noch mal, ist los mit dir …?!«

»Du hast es geschafft, du Scheißkerl! Du bist erledigt, und dank dir bin ICH erledigt! Weißt du, was uns blüht, wenn sich das rumspricht?!«

Als Miles seine Tirade beendete – Patrick hatte es nicht gewagt, währenddessen auch nur einmal das Wort zu erheben –, traten die Sehnen in seinem violett verfärbten Gesicht und an seinem Hals hervor. »Was hast du dazu zu sagen?«

Patrick hob den Kopf, und eine seltsame Ruhe überkam ihn. Er war natürlich nach wie vor erschüttert, natürlich nach wie vor verwirrt, aber … er trug keine Schuld. Das war eine Tatsache. Und durch diese unleugbare Wahrheit fühlte er eine Woge der Rechtschaffenheit in sich anbranden.

»Ich war es nicht«, sagte Patrick.

Miles kniff wiederholt die Augen zu. »Wie war das?«

»Ich war es nicht.«

Miles ließ sich wieder in seinen Bürosessel fallen und warf die Hände in die Luft. »Na dann, halleluja! Das erklärt alles.« Er griff zum Telefon. »Gestatte mir, sie kurz anzurufen und ihnen mitzuteilen, dass der verfluchte Porno, den sie bei deiner Präsentation gesehen haben, nichts mit dir zu tun hatte. Lass mich das aufklären, und alles ist wieder in bester Ordnung.« Er knallte das Telefon zurück auf den Tisch.

Patrick schien äußerlich ruhig zu bleiben, während sein Verstand hektisch Vermutungen in alle möglichen Richtungen anstellte. »Da steckt jemand anders dahinter«, sagte er. »Irgendwer hat mir das angetan. Ich weiß nicht, wer, und ich weiß auch nicht, wie, aber irgendjemand …«

Als Miles und Patrick Miles’ Büro betreten hatten, hatte Miles das Rouleau mit solcher Wucht zugezogen, dass eine der Lamellen sich verhakt hatte und nun einen schmalen diagonalen Streifen Blick auf den Empfangsbereich freigab. Und wie ein von Gott gesandtes lebendes Indiz spazierte in diesem Augenblick Steve Lucas vor Patricks Augen vorbei.

Dieser Blick von vorhin. Was hatte dieser Blick zu bedeuten? Was hatte der Blick dieses Mistkerls zu bedeuten???

Patrick sprang mit einem Satz aus dem Stuhl und riss Miles’ Tür auf. Mit zwei großen Schritte war er bei Steve Lucas und packte dessen Arm, als wollte er einen flüchtigen Ladendieb aufhalten.

»Hey!«, rief Lucas aus. »Was zum …«

Patrick zerrte Lucas in Miles’ Büro, trat mit der Ferse die Tür zu und schubste Lucas in eine Ecke des Raumes.

»Er«, sagte Patrick und zielte mit seinem Zeigefinger wie mit einer feuerbereiten Pistole auf Lucas. »Er steckt dahinter.«

»Was zum Teufel ist …«, stotterte Lucas.

»Halt die Klappe!«, schrie Patrick ihn nieder. Er drehte sich zu Miles um und hielt dabei den Finger auf Lucas gerichtet. »Er hat das große Software-Projekt versaut, und jetzt versaut er mir meines! Er rächt sich, weil ich weiß, was er getan hat.«

Lucas erbleichte. »Sir, ich habe keine Ahnung, wovon er spricht. Ich …«

»Schwachsinn!«, fauchte Patrick ihn an. Er wandte sich wieder an Miles. »Weißt du, warum er diese Softwaresache vermasselt hat, Boss? Weil er schwer damit beschäftigt war, sich volllaufen zu lassen und eine Frau zu vermöbeln. Darum. Keiner außer mir weiß davon, und das kann der kleine Pisser nicht ertragen.« Er schnellte zu Lucas herum. »Ist es nicht so? Du kannst nicht ertragen, dass ich etwas gegen dich in der Hand habe. Also zapfst du meine Dateien an und versuchst, mich zu ruinieren!«

»STOPP!«, rief Miles laut dazwischen. »Sendepause.« Er schüttelte seufzend den Kopf. »Ich weiß nicht, was für ein Streit zwischen euch läuft, und das ist mir, ehrlich gesagt, auch egal – wer für mich arbeitet, gibt so einen Scheiß an der Garderobe ab. Mit dem Finger auf andere zeigen wird das von heute Morgen nicht ungeschehen machen, Patrick.«

Patrick nickte heftig. »Sicher, das ist mir klar. Aber ich werde meine Unschuld beweisen. Dieser Auftrag hat mir alles bedeutet.« Wieder hob er den Finger Richtung Lucas. »Und er wusste das. Er trägt die Verantwortung für das, was passiert ist.«

Miles ließ den Kopf hängen, atmete lautstark aus und wandte sich schließlich an Lucas. »Steve?«

Lucas sah völlig entsetzt aus. »Was?«

Miles legte die Spitzen seiner gespreizten Finger aneinander. »Hast du irgendwas zu sagen?«

»Nein. Ich habe nicht den geringsten Schimmer, was eigentlich los ist!«

»Irgendwer hat Patricks Präsentation sabotiert. In die automatische Slideshow wurden pornografische Bilder geschmuggelt. Der Auftrag ist futsch.«

Patrick studierte Lucas’ Reaktion genauestens. Trotz seiner immensen Wut konnte er nicht leugnen, dass Lucas aufrichtig schockiert aussah. Er war ein Schwächling – Konfrontationen waren nichts für seinesgleichen. Die Annahme, er würde in dieser Situation derart überzeugend schauspielern und lügen, war schwerlich zu akzeptieren.

War es möglicherweise ein anderer Mitarbeiter gewesen? Vielleicht. Entgegen den überraschenden Wendungen, für die Hollywood eine solche Vorliebe hatte, ist im wirklichen Leben der am meisten verdächtige Kandidat üblicherweise tatsächlich der Schuldige, dachte Patrick.

»Er war es«, sagte Patrick. »Es kann gar nicht anders sein. Wer sonst hätte sich Zutritt zu meinem Büro verschaffen können?«

»Patrick, ich schwöre …«

»Halt’s Maul«, sagte Patrick, ohne die Augen von Miles abzuwenden.

Miles stieß ein abermaliges Seufzen aus und bedachte beide Männer mit einem leicht verächtlichen Blick. Dann nahm er das Telefon und wählte. »Stan? Jon Miles hier. Du musst für mich sämtliche Sicherheitscodes checken, die in den letzten – warte mal …« Miles legte eine Hand über die Sprechmuschel. »Wann hast du die Präsentationsdatei zum letzten Mal kontrolliert, Patrick?«

»Gestern Abend, kurz bevor ich ging. Irgendwann nach sechs«, sagte Patrick ohne das geringste Zögern.

Miles nahm die Hand vom Hörer. »Bist du noch dran, Stan? Überprüf bitte, ob gestern nach sechs noch jemand reingekommen ist.«

»Ich bin um fünf gegangen«, protestierte Lucas. »Mein Bruder und seine Kinder sind zu Besuch!«

Die anderen beiden ignorierten ihn – sie warteten auf die unumstößliche Wahrheit vom anderen Ende der Leitung.

»Ich versichere euch, ich …«, jammerte Lucas verzweifelt.

Miles brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen. »Ja, Stan, ich höre … aha.« Sein harter Blick fiel auf Lucas. »Danke.« Miles legte auf. »Steve, laut Sicherheitssystem hast du das Gebäude gestern Nacht um genau Viertel nach zwölf betreten. Die Wachleute haben ihre Schicht um zwölf beendet. Die Überwachungsdaten sagen, dass du die Karte beim Rausgehen um genau drei Uhr siebenundvierzig am frühen Morgen durchgezogen hast. Würde es dir was ausmachen, mir zu verraten, was du …«

Patrick wirbelte herum, hämmerte Lucas die Faust ins Gesicht und schlug ihm die Nase zu Brei. Lucas stürzte gegen die Wand und sackte benommen zusammen.

»Du Drecksau!«, brüllte Patrick und grub seinen Fuß schwungvoll in Lucas’ Rippen. Der Mann schrie auf, ächzte und krümmte sich auf dem Boden zusammen.

Patrick trat ihm gegen die Wirbelsäule.

Er trat ihm gegen den Hinterkopf.

Dann erneut gegen die Wirbelsäule.

Miles eilte hinter seinem Tisch hervor und nahm Patrick von hinten in den Klammergriff. Patrick schüttelte ihn problemlos ab und trat weiter auf Lucas ein. Miles gab auf, fuhr herum und riss die Tür auf. »Ruft den Sicherheitsdienst!«

Eine Bestie, von der Patrick angenommen hatte, sie sei seit langer Zeit tot – eine Bestie, von der kaum glauben konnte, dass sie einst in ihm gesteckt hatte –, war erneut zum Leben erweckt worden, und als die Wachleute ins Zimmer hasteten und ihn zu bändigen versuchten, entfuhr ihm wirklich und wahrhaftig ein tierisches Brüllen.

Vier Sicherheitsbeamte konnten ihn schließlich mit vereinten Kräften überwältigen.