20
Monica verließ Gilley’s Tavern und zündete sich eine Zigarette an. Sie schob sich das Filterende zwischen ihre vollen Lippen und schlug mit beiden Händen ihren Mantelkragen hoch, um ihren Hals vor der Kälte zu schützen.
Zehn Meter entfernt wartete John Brooks unruhig in dem neuen, im Leerlauf befindlichen BMW seiner Tochter. In dieser Umgebung wäre der jüngst erworbene Dodge Dakota, der aussah, als wäre er einen Berghang hinuntergestürzt, weit unauffälliger gewesen, doch die Aktion des heutigen Abends verlangte nach dem funkelnagelneuen BMW: Er sollte die bedeutende Rolle des Köders spielen.
John drückte auf die Hupe. Sie nickte Richtung Auto, nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette und schnippte sie auf den Boden, wo sie orange aufglühte und dann verglomm. Sie schlenderte entspannt zum Wagen und stieg ein.
»Er hat mir einen Drink spendiert«, sagte sie, nachdem sie die Tür zugezogen hatte.
»Ach ja?«
Sie feixte und machte eine verächtliche Geste. »Der alte Lustmolch.«
»Wie lange geht das Spiel noch?«
»Nicht mehr lange. Er ist bereits ziemlich abgefüllt. Wenn er danach noch ein paar kippt …«
»Das wird er – besonders dann, wenn die Bears gewinnen.«
»Schätze, die können nicht mehr verlieren. Als ich gerade rausgegangen bin, hatten sie Adirondack ohne Gegentreffer bereits sechs Tore eingeschenkt.«
John gestattete sich ein schmales Lächeln. »Perfekt.«
Kurz nach Mitternacht torkelte Bob Corcoran endlich aus Gilley’s Tavern. John stieß seine Tochter an. Monica setzte sich auf, augenblicklich hellwach.
»Wird auch langsam Zeit, verflucht«, sagte sie.
Vater und Tochter beobachteten ihr vollgetanktes Zielobjekt dabei, wie es sich schlingernd seinen Weg zu einem blauen Ford Taurus bahnte. Bob kramte nach seinen Schlüsseln, ließ sie fallen, bückte sich und kippte beinahe vornüber, als er sie aufklaubte.
»Stockbesoffen«, sagte Monica.
John nickte, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Sie brauchten mindestens zwei Minuten Vorsprung, um die Vorbereitungen zu treffen.
Monica sah ihren Vater aus dem Augenwinkel neckisch an. »Wollen wir nur hoffen, dass er die Woodmere nimmt, der alte Mann.«
John konterte mit einem giftigen Seitenblick. Er kannte Typen wie Bob Corcoran nur zu gut – Alkohol und Autofahren waren für einen solchen Mann kein Widerspruch. Und er hätte auch nicht im Traum daran gedacht, gelegentlich ein nullprozentiges Getränk dazwischenzuschieben. Es war, wie es war: Man soff, weil man eben soff, und irgendwann musste man nach Hause. Wer fährt, bleibt nüchtern? Leckt mich. Ich komme sehr gut alleine klar, heißesten Dank.
Man durfte ruhig betrunken sein, solange man nicht dämlich war und den schnellsten Heimweg über die Hauptstraße mit Dutzenden von Straßenlaternen und einem Bullen hinter jeder Kurve nahm, der scharf darauf war, seine Quote zu erfüllen. Der clevere Trinker wählte die längere Strecke die Woodmere Road runter … wie Bob es schon letzten Abend mit seinem Schwiegersohn geplant hatte.
Unmittelbar nach seinem Aufenthalt im Gilley’s hatte John einen Gutteil der vorigen Nacht damit verbracht, sich mit der Woodmere vertraut zu machen. Er hatte schnell herausgefunden, dass der Reiz, den die Straße auf betrunkene Fahrer ausübte, ein geradezu klassisches Beispiel für ein Paradoxon darstellte: Sie war eng, holprig und von schroffen, bewaldeten Böschungen gesäumt, und auch mit Fernlicht entsprach die Fahrt einer Höhlenwanderung mit nichts als ein paar Streichhölzern. John Brooks waren bei seinen fünfzehn Testfahrten exakt null Autos begegnet, und schon gar keine Verkehrspolizei. Kein Streifenwagen, der sich in einer dunklen Ecke versteckte. Und das ergab auch durchaus Sinn: Warum sollte man in einem fischfreien See angeln wollen?
Um wirklich auf Nummer sicher zu gehen, hatte er heute zehn weitere Durchläufe absolviert. Dabei hatte er lediglich zwei Autos überholt, die beide am helllichten Tag das Tempolimit um gute zehn Stundenkilometer unterboten hatten.
Daher hoffte er nicht, wie seine Tochter gescherzt hatte, dass Bob Corcoran die Woodmere nahm. Er war sich dessen absolut sicher.
»Wie traurig es ist, wenn der größenwahnsinnige Lehrling meint, den Lehrmeister überflügelt zu haben«, sagte er zu ihr.
»Nicht annähernd so traurig wie der hoffnungslos altmodische Lehrmeister, der die Tatsache nicht akzeptieren kann, dass der Setzling letztendlich denjenigen überragen wird, der ihn gepflanzt hat«, entgegnete sie schlagfertig.
»Träum weiter, kleiner Setzling.«
Sie grinste ihn an.
Er trat das Gaspedal durch und konnte sich seinerseits ein Grinsen nicht verkneifen. Es war wie Weihnachten.