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Auf der Fahrt nach Hause gab es nicht viel zu bereden. Alle Fakten lagen auf dem Tisch, und Patrick verspürte nicht das geringste Bedürfnis, Amy über die Gefahren von Alkohol am Steuer zu belehren – schließlich wollte er mit dem nächsten Sex keinesfalls bis nach seinem vierzigsten Geburtstag warten. Außerdem verschloss sich Amy bei aller Trauer nicht der Wahrheit; sie wusste, dass die Schuld einzig bei ihrem Vater lag.
Patrick hatte leichten Groll bei Amy gespürt, als kurz vor ihrer Abfahrt ihr Bruder Eric aus Akron eingetroffen war. Bei Eric hatte er Ähnliches gewittert. Nichts von dem, was die beiden Geschwister empfanden, wurde offen angesprochen; sie hatten ihren Zorn in Form von gelegentlichen Seitenblicken oder passiv-aggressiven Kommentaren, die sie mit Absicht für ihre Mutter unverständlich formuliert hatten, geteilt. Für einen aufmerksamen Beteiligten wie Patrick war diese Wut so präsent wie ein rotleuchtendes Warnblinklicht, und die Botschaft, die er empfing, war eindeutig: Ihre Mutter war schwach. Es war die Verantwortung ihres Vaters gewesen, sich um sie zu kümmern, und durch seinen Leichtsinn hatte er sich sinnloserweise das Leben genommen und Mom alleine zurückgelassen. Und sie waren wütend und traurig und sauer.
Patrick warf während der Fahrt in regelmäßigen Abständen einen unauffälligen Blick auf Amy, musterte ihre Gesichtszüge und versuchte abzuschätzen, ob er richtiglag. Im Moment las er nichts als Kummer und Schmerz. Er fragte sich, wann die Wut – diesmal lautstark – in Erscheinung treten würde. Könnte es danach eine dritte Phase geben? Vielleicht eine der Akzeptanz? Nein. Amy war stark. Jesus, stark war eine regelrechte Beleidigung. Seine Frau war eine gottverdammte Eiche. Er war sich einigermaßen sicher, dass sie den Tod ihres Vaters akzeptiert hatte, unmittelbar nachdem er ihr von Sergeant Bennett bei dessen Rückruf am früheren Nachmittag bestätigt worden war. Eventuell waren Wut und Trauer die einzigen beiden Phasen, die sie je nach Tagesform durchlebte.
Er legte ihr eine Hand auf den Oberschenkel. »Wie geht’s dir, Schatz?«
Sie hielt den Blick stur geradeaus gerichtet, während sie sprach. Ihre Stimme klang weder zornig noch traurig. Ihr Tonfall war beinahe verträumt, gedehnt, ermattet, so wie man nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag redete.
»Keine Ahnung«, sagte sie. »Ganz normal, schätze ich.«
»Normal?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Nun, wie geht es Leuten normalerweise, wenn ein Elternteil stirbt?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass das bei jedem anders ist.«
Ihre Schultern hoben sich erneut. »Mag sein.«
»Wie also geht es dir?«, fragte er.
Sie sah ihn an. »Ich weiß es nicht.« Ihre Stimme klang noch immer tonlos und unbeteiligt. »Was willst du von mir hören?«
Um ehrlich zu sein, wusste Patrick das nicht so genau. Für gewöhnlich musste man Amy nicht drängen, wenn es darum ging, ihre Ängste zu artikulieren. Er rieb ihr sanft das Bein und sagte sehr leise: »Du musst gar nichts sagen, wenn du nicht willst. Ich wollte nur mal nachfragen, weil es mir nicht egal ist, wie es dir geht. Das ist alles.«
Sie drehte sich nach links und legte ihre Wange an die Kopfstütze. »Ich bin einfach furchtbar erschöpft.« Sie schloss die Augen. »Wir haben so viel durchgemacht …«
Patrick streichelte erneut ihren Oberschenkel. »Ich weiß.«
Den Rest des Heimwegs über schwiegen sie.