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»Geht es auf Schiffsreise?«, wurde Patrick von seinem Kollegen Steve Lucas gefragt, als er am nächsten Morgen die Büroküche betrat, um sich seine dritte Tasse Kaffee zu holen.
Patrick sah zu Lucas hinüber, während er seinen Zucker einrührte. »Hä?«
Lucas deutete mit dem Zeigefinger auf seine eigenen Augen und dann auf Patricks. »Sieht aus, als hättest du zwei zusätzliche Seesäcke dabei«, sagte er und ließ seinem höchst mittelprächtigen Joke ein dämliches Grinsen folgen.
Patrick kam gut mit Steve Lucas klar. Der Typ konnte einem mitunter leicht auf die Nerven gehen, war aber alles in allem erträglich. Dennoch überkam ihn – mit wenigen Stunden Schlaf hinter und einem gigantischen Berg Arbeit vor sich – spontan der Drang, dem Mann den dampfend heißen Kaffee ins Gesicht zu schütten.
»Hab nicht besonders gut geschlafen«, sagte Patrick.
»Bist du hinter dem Zeitplan?«
Patrick warf das hölzerne Rührstäbchen in den Abfalleimer. »Nein, damit hat’s nichts zu tun.« Er nahm einen Schluck Kaffee. »Ich hab einfach nur schlecht geschlafen.«
»Vielleicht brauchst du statt Kaffee einen Megablast.« Ein weiteres breites Grinsen. »Hast du das Zeug schon mal probiert?«
Patrick schüttelte den Kopf und nippte erneut an seinem Kaffee. »Nein. Kürzlich sind Amy und ich mit einem jüngeren Pärchen zusammen ausgegangen, und die beiden haben uns einen Red-Bull-Wodka nach dem anderen bestellt. Wir haben beide ungefähr eine Woche lang nicht geschlafen.«
Lucas griente beharrlich weiter. »Demnach betreibst du Propaganda für ein Produkt, das du selber niemals anrühren würdest?«
Patrick stellte sich aufs Neue vor, ihn mit Kaffee zu verbrühen. Das harmlose Grinsen verwandelte sich in das einer gönnerhaften Arschgeige. »Das nennt man Werbung, Steve. Wir sind nicht gezwungen, das Produkt gut zu finden – wir müssen es lediglich anpreisen.«
Lucas gluckste, öffnete den Kühlschrank, nahm eine kleine Flasche Orangensaft heraus und schüttelte sie. »Tja, dann hoff ich mal, dass du dich irgendwann ein wenig ausruhen kannst. Und es könnte gewiss nicht schaden, das Zeug vor dem großen Tag zumindest ein einziges Mal probiert zu haben. Wäre sicher hilfreich. Ich an deiner Stelle würde während der Präsentation eine ganze Flasche von dem Mist saufen.«
Wäre Steve Lucas nicht bis zur vollen Auslastung mit seinem Job für einen ihrer neuen Auftraggeber – eine ausländische Software-Firma – beschäftigt gewesen, hätte Patrick wahrscheinlich angenommen, sein Kollege wolle sich ein Stück des riesigen Kuchens abschneiden, den ein Kunde wie Megablast darstellte: der allererste naturreine und Kraft für einen vollen Tag spendende Energy-Drink, quasi der jederzeit abrufbare, auf eine Halbliterblechdose gezogene Allzweck-Herzanfall. Patrick hatte Steve angelogen. Er hatte selbstverständlich eine Dose probiert. Und sich nach ungefähr zwanzig Minuten, als er seinen Pulsschlag in den Zähnen zu spüren glaubte, ernsthaft gefragt, ob Kokain nicht die harmlosere Alternative war – und bei acht Dollar und fünfundneunzig Cent pro Dose auch die billigere.
Doch in diesem Metier waren solche Argumente bedeutungslos. Patricks Job bestand darin, Marketingkampagnen für sämtlichen Kram zu entwickeln, der auf seinem Schreibtisch landete. Wen kümmerte es, ob er selbst damit etwas anfangen konnte oder nicht? Seine Aufgabe war es, der jeweiligen Sache unwiderstehlichen Glanz zu verleihen, und er kam seiner Arbeit gerne nach. Tatsächlich waren es, wie er zugeben musste, gerade diejenigen Produkte, die ihn nicht im Geringsten ansprachen, deren Vermarktung ihm den größten Spaß bereitete. Sie stellten die größte Herausforderung dar. Und Megablast war in der Tat eine Herausforderung, nicht zuletzt aufgrund der Unmenge an Energiegetränken, von denen der Markt bereits überflutet war. Das Schlüsselverkaufsargument von Megablast lautete »naturrein« – was immer das heißen mochte. Patrick wusste um die Inhaltsstoffe von Megablast sehr genau Bescheid und war außerdem ehrlich genug, um zugeben zu können, dass er zwei Drittel davon weder kannte noch überhaupt korrekt aussprechen konnte. »Naturrein« war in diesem Marktsegment offensichtlich ein äußerst dehnbarer Begriff. Doch an genau diesem Punkt setzte er – neben einigen anderen – wesentlich an, und er war fest entschlossen, diesem Zeug ein Image zu verpassen, als wäre es direkt aus dem Heiligen Gral gezapft worden. Im Falle eines Erfolges würde sich seine ohnehin vielversprechende Stellung innerhalb des Unternehmens massiv festigen.
Allerdings gab es noch eine Menge zu tun. Seine Präsentation ähnelte in ihrem jetzigen Zustand einem nur an den Rändern zusammengefügten Puzzlespiel – der Umriss des Bildes war bereits zu erkennen, aber in der Mitte mussten noch etliche Stücke so zusammengefügt werden, damit etwas Ansehnliches dabei herauskam.
Und es handelt sich um ein verdammt großes Puzzle, dachte er, als er in seinen Bürostuhl sank und ein Dokument auf dem PC öffnete. Ein verdammt großes.
Patrick schlürfte seinen Kaffee, gähnte und machte sich an die Arbeit.