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Christopher Allan und Amy Lambert warteten auf grünes Licht von Dan Briggs, der den Parkplatz und die umliegenden Areale kontrollierte.

»Sieht gut aus«, erklang Briggs’ Stimme in Allans Ohrstöpsel. »Ich werde mich allerdings noch ein bisschen hier umsehen.«

Allan zog das Kinn an die Brust und sprach in seinen Kragen. »Alles klar. Wir werden eine Weile bleiben – wahrscheinlich so um die zwei Stunden. Gib Bescheid, wenn du zurückfährst.«

»Mache ich.«

Allan öffnete die Eingangstür und trat als Erster hinein. Er und Amy gingen zum Empfang.

»Hi, Amy, wie geht’s dir?«

»Nicht schlecht, Julie. Ich freue mich schrecklich auf die Massage.«

Julies Augen schwirrten zwischen Amy und Allan hin und her. »Tja, Lana müsste jeden Moment bereit für dich sein, du kannst schon mal nach hinten, wenn … äh … Gehört ihr zusammen?« Ihr Blick blieb auf Allan gerichtet. »Haben Sie auch einen Termin vereinbart?«

Amy schüttelte den Kopf. »Nein, er ist ein Freund meines Mannes – Besuch von außerhalb.« Amy kam die Lüge ohne Zögern oder Schuldempfinden über die Lippen, aber dennoch fühlte sie sich mit der als kessen Witz getarnten Wahrheit, die dann folgte, leicht unwohl. »Er ist heute mein Leibwächter.« Sie lächelte breit, und es fühlte sich komplett falsch an, als wären ihre Zähne plötzlich krumm und schief geworden.

Zum Glück reagierte Julie mit einem aufrichtigen Lächeln, schaute Allan an und wies geradeaus zu den Stühlen des Empfangsbereiches. »Sie können dort Platz nehmen, Sir. Möchten Sie Tee oder …«

»Wasser, bitte«, sagte Allan. »Bringen Sie es mir erst, wenn wir unsere Sachen abgelegt haben. Vielen Dank.« Allan sprach mit einer derartigen Bestimmtheit, dass Julie auf der Stelle zu nicken begann, als hätte man ihr einen Befehl erteilt, statt eine Bitte zu äußern.

»Kein Problem«, sagte Julie. »Wenn ihr zwei nach hinten geht, bringe ich sofort das Wasser.«

»Danke, Julie«, sagte Amy.

Allan verlieh seinem Dank mit einem knappen Nicken Ausdruck und geleitete Amy dann zu ihrer Massage.

Amy und Allan betraten das Wartezimmer. Der Raum war leer, weshalb Allan die Gelegenheit nutzte, um seine Pistole hervorzuholen und einer raschen Kontrolle zu unterziehen. Amy beobachtete den Mann mit verzagtem Blick, als er sich die Waffe zurück in den Hosenbund schob und anschließend in seinen Kragen flüsterte.

»Wir sind drin, Briggs. Hörst du?«

»Verstanden. Wird sie massiert?«

»Noch nicht. Ich werde erst den Massageraum sichern. Genau davor liegt ein Wartezimmer. Dort werde ich Wache schieben. Ich melde mich, sobald ich den Massageraum überprüft habe und sie auf dem Tisch liegt.«

»Ich warte.«

Die Tür zum Massageraum ging auf, und eine kleine Frau in einem dunkelblauen Kittel trat heraus. Sie hatte blondes Haar und hellblaue Augen. Obgleich sie über fünfzig war, verunzierten nur wenige und nicht besonders tiefe Falten ihre milchige Haut.

»Hallo, Amy«, sagte sie mit schwerem russischem Akzent, der aber eher exotisch als unverständlich klang; ihr Englisch war mehr als solide. »Schön, dich zu sehen.«

»Hi Lana, ich freue mich auch, dich zu sehen.« Amy sah zu Allan, dann zu Lana. »Das hier ist Christopher, ein Freund meines Mannes.«

Lana streckte die Hand aus, und Allan schüttelte sie. Ihr Händedruck war kräftig. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Christopher. Interessieren Sie sich für Massage?«

»Das tue ich tatsächlich. Hätten Sie was dagegen, wenn ich mal einen Blick riskiere?«, sagte Allan.

Lana lächelte. »Nicht das Geringste.«

Alle drei betraten den Raum. Er wirkte anheimelnd, aber auch eindeutig zweckgerichtet. In der Mitte stand ein von Laken und Decken überzogener Massagetisch. Brennende Kerzen in drei der vier Raumecken bildeten die einzige Lichtquelle. Eine Stereoanlage beschallte das Szenario mit einer dezenten Mischung aus entspannten Beats und Wellenrauschen, und auf einer rechteckigen Kommode in der vierten Ecke stand ein Aufgebot diverser Öle und Cremes. Alles war gut einsehbar – unter dem Massagetisch war nichts, was die Sicht verstellte, und in die Schubladen der Kommode hätte nicht einmal ein kleiner Hund, geschweige denn ein Mensch gepasst. Es gab nur ein einziges Element mit Risikopotenzial: eine weitere Tür am gegenüberliegenden Ende des Raumes. Allan zeigte darauf.

»Wo geht es da hin?«, fragte er.

»Duschraum«, sagte Lana. »Meine Kundinnen und Kunden mögen manchmal vor oder nach Massage duschen.«

Allan blinzelte. »Davor?«

Lana nickte bloß.

»Was ist, wenn Sie schon mit einer anderen Kundin beschäftigt sind?«, fragte er.

»Es gibt weiteren Ausgang zu Wartebereich.«

»War das die zweite Tür, die ich gesehen habe?«

Wieder nickte Lana stumm.

»Wenn also jemand wollte, könnte er oder sie diesen Raum durch jene zweite Tür betreten?«

»Wenn ich bei einer Kundin bin? Nein – ich schließe ab.«

»Ist gegenwärtig jemand in der Dusche?«

»Ja – meine letzte Kundin.« Lana musterte Allan eindringlich. Ein winziges Lächeln zog ihre Mundwinkel in die Höhe. Sie wandte sich ab und richtete ihre weiteren Worte an Amy. »Du musst nicht dieses ›Er-ist-ein-Freund-meines-Mannes‹-Spiel mit mir spielen, Amy. Ich dich kennen. Du bist eine gute, treue Kundin. Ich weiß, was dir passiert ist. Und ich weiß, was hier passiert.« Lana sah zu Allan, sprach aber noch immer zu Amy. »Er ist deine Leibwache, bis der böse Mann gefangen ist, ja? Ist in Ordnung, macht mir nichts. Ich habe keine Angst.«

Amys Blick streifte Allan und richtete sich dann auf Lana. »Ja«, sagte sie. »Ja, er ist mein Beschützer.«

»Na gut«, sagte Lana. »Und ich nehme an, Sie wollen jetzt Dusche sehen?«

»Ja«, antwortete Allan.

»Okay. Nur eine Minute. Ich gehe rein und spreche mit Kundin. Dann kommen Sie und schauen.«

»Haben Sie vielen Dank«, sagte Allan.

Lana ging durch die Verbindungstür in den Duschraum.

Lana schritt an einer Reihe von Spinden vorbei, bis sie Fliesenboden unter den Füßen hatte. Die Duschkabinen lagen genau vor ihr. Die linke und rechte waren leer, bei beiden waren die Vorhänge zur Seite gezogen. Der Vorhang der mittleren Duschkabine war geschlossen. Das Wasser lief.

Lana näherte sich und erhob ihre Stimme Richtung Vorhang. »Elizabeth?«

»Ja?«

»Hier kommt gleich ein Mann rein.« Sie wollte die Wahrheit für sich behalten, um ihre Kundin nicht zu erschrecken. »Er schaut nach dem Ring seiner Frau. Hat sie vielleicht hier vergessen. Sind Sie bald fertig?«

»Nein, leider noch nicht. Ich bin gerade erst rein. Er kann gerne reinkommen und sich umsehen, ich bleibe einfach hier drin.«

»Sind Sie sicher?«

»Ja. Sagen Sie mir einfach, wenn er wieder weg ist.«

»Okay, werde ich.«

Lana kehrte in den Massageraum zurück.

»In Ordnung, meine Kundin duscht«, setzte Lana an. »Ich habe ihr erzählt, Sie suchen verlorenen Ring Ihrer Ehefrau. Meine Kundin sagt, sie wird unter Dusche bleiben, solange Sie suchen, und ich sage ihr, wenn Sie gehen.«

Allan war einverstanden und folgte Lana in den Duschraum.

Monica war erfreut, dass Lana nicht an ihrer Identität als Elizabeth gezweifelt hatte, als sie durch den Duschvorhang hindurch miteinander gesprochen hatten. Wie erwartet, hatten das laufende Wasser und eine hohle Hand über dem Mund die Fein- und Eigenheiten ihrer Stimme gedämpft.

Nicht Monica befand sich unter dem Duschstrahl, sondern Elizabeths Leiche. Monica stand seitlich davon im Trockenen. Auch ihre Pistole, die auf einer der Porzellanablagen ruhte, hatte keinen Spritzer abbekommen. Die anderen unverzichtbaren Gerätschaften waren sicher in einem der Schließfächer verstaut. Als sie Amys Bewacher eintreten und einige der Schließfachtüren öffnen und schließen hörte, war sie für einen Moment in Sorge, aber das metallische Echo seiner Inspektion belegte, dass diese eher willkürlich als akkurat durchgeführt wurde – er trat Steine um, obwohl er wusste, dass nichts Wertvolles unter ihnen zu finden war.

Als die Schritte des Leibwächters näher kamen, nahm Monica lautlos ihre Waffe von der Porzellanablage und brachte sie in Anschlag. Als sich seine Silhouette – lang und hager – vor dem Vorhang abzeichnete, zielte sie auf den Kopf.

Einen Herzschlag lang stand die Silhouette dort. Monica hielt den Atem an. Ihr Finger strich über den Abzug. Sie war bereit, auf die kleinste plötzliche Bewegung zu reagieren. Endlich entfernte sich die Silhouette zur nächsten Kabine, überprüfte sie, wandte sich um und lief ohne stehen zu bleiben an ihr vorbei.

Ein Augenblick der Stille folgte. Wartete er? Darauf, dass sie vielleicht den Kopf rausstreckte? Das hätte sie an seiner Stelle jedenfalls getan – und bislang hatten diese Typen sich als ziemlich fähig erwiesen. Sie rührte sich nicht.

Schließlich öffnete sich die Verbindungstür zum Massageraum. Monica hörte Lana in ihrem russischen Akzent fragen, ob alles in Ordnung sei. Die tiefe Stimme des Bewachers antwortete, aber die Einzelheiten wurden vom Zuschlagen der Tür übertönt. Sie war wieder alleine – von Elizabeth zu ihren Füßen natürlich abgesehen.

»Scheint alles im Lack zu sein«, sagte Allan bei seiner Rückkehr. »Ich bin dann draußen im Wartezimmer. Wie viel Verkehr herrscht an diesem Notausgang?«, fragte er Lana.

»Verkehr?«, wollte sie wissen.

»Wie oft wird er benutzt? Von Angestellten? Muss ich damit rechnen, dass jemand hier reinkommt?«

Lana lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein – ich gehe manchmal raus, frische Luft schnappen. Aber rein kommt keiner.«

»Okay«, sagte Allan. Er schaute zu Amy. »Genießen Sie Ihre Massage.«

Er ging.

»Schön«, sagte Lana zu Amy. »Du kannst dich ausziehen und unters Laken schlüpfen. Ich denke, heute machen wir von Gesicht an abwärts.« Lana deutete auf das Ende des Tisches, wo sich eine Gesichtsmulde befand, dank derer die Kundinnen und Kunden ohne Halsverrenkungen bequem mit dem ganzen Gesicht nach unten auf dem Bauch liegen konnten. »Ich gehe und sage Elizabeth Bescheid, dass der Mann weg ist und sie aus Dusche kommen kann.«