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Die Eingangstür zum Haus der Lamberts öffnete sich, und Carrie und Caleb stürmten herein und zum Fernseher. Christopher Allan und Dan Briggs folgten unmittelbar danach.
Domino trat auf sie zu. »Alles in Ordnung?«
»Alles in Ordnung«, gab Briggs zur Antwort.
Domino wandte sich um. Amy stand hinter ihm und griente wie eine Jugendliche, die um die Autoschlüssel bat.
Domino gab ihr sein Mobiltelefon. »Nur zu – ruf an.«
»Ich kann mein Telefon nehmen«, sagte sie. »Die Nummer des Wellnesssalons ist unter meinen Kontakten gespeichert.«
»Du nimmst mein Handy«, sagte er. »Jeder, der hier mitzuhören versucht, vernimmt ein Kauderwelsch, das wie eine Mischung aus Chinesisch und Latein klingt.«
»Oha«, sagte Amy leise, als sie sein Handy entgegennahm. »Nun, ich muss trotzdem auf meinem nach der Nummer suchen.«
»Mach das. Aber gewählt wird mit meinem Telefon, verstanden?«
Amy nickte und eilte Richtung Küche.
Allan schlug Domino auf die Schulter. »Was geht ab?«
Domino behielt den Blick auf Amy in der Küche gerichtet. »Sage ich dir in einer Minute.«
Monica musste sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, dass die beiden Kerle – wer auch immer sie waren – merkten, dass sie verfolgt wurden. Sie war nämlich vor ihnen am Haus der Lamberts.
Sie saß in ihrem zwei Blocks weiter geparkten Wagen. Ihre Ausrüstung lag auf dem Armaturenbrett und dem Nebensitz neben ihrer Canon. Ein Bulle hätte das Ganze als Observierung bezeichnet, aber im Gegensatz zu einem Bullen hatte Monica Zugang zu Technik, bei der jeder Bulle oder FBI-Agent eine Beule in der Hose bekommen hätte. Unglücklicherweise lag das Problem bei dieser speziellen Sorte Überwachung darin, dass man mitunter stundenlang auf einen Treffer lauerte. Es ging nicht ums Beobachten, sondern ums Lauschen. Man wartete auf irgendeine Kommunikation, sei es via Telefon, Radio, Internet oder was auch immer. Das konnte verdammt langweilig werden. Sie entsann sich einer Zielperson, die sie vor ein paar Jahren zu liquidieren hatte. Der Hauptkontakt der Zielperson war süchtig nach Internet-Pornografie. Monica hatte vor der Wohnung der Kontaktperson Tausende von Stunden lang falschem Stöhnen zuhören müssen, bis der Penner endlich eine Pause einlegte und das Zielobjekt anrief, was Monica die erwünschte Adresse einbrachte. Sie jagte ihrem Primärziel sechs Kugeln in den Kopf. Dann kehrte sie zu dem Porno-Vogel zurück und schoss ebenfalls sechs Kugeln auf ihn ab – alle zwischen die Beine.
Monica zündete eine Zigarette an und kurbelte die Scheibe einen Spaltbreit herunter. Sie wappnete sich für einen langen Tag, vielleicht sogar eine lange Nacht. Doch stattdessen erwartete sie eine freudige Überraschung. Aus dem Haus der Lamberts kam ein Signal. Ein ausgehendes Telefonat. Sie schnippte die Zigarette durch den Fensterspalt und drückte unverzüglich ein paar Tasten auf ihrem Laptop. Das metallische Piepsen eines läutenden Telefons füllte den Wagen aus. Sie wartete auf das Klicken, das »Hallo«. Das Klicken kam, aber kein »Hallo«, sondern lediglich ein unablässiger Strom von Wortsalat. Das Signal war verschlüsselt.
»Scheiße!«, rief sie laut. Sie drückte weitere Tasten, versuchte die Nummer zurückzuverfolgen. Doch sie erhielt nur zehn kryptische Symbole.
Das war unmöglich. Wer verdammt noch mal sind diese Kerle?
Sie tippte hektisch auf ihrem Laptop herum, drehte an zwei Knöpfen eines anderen Instrumentes, regulierte Frequenzen.
Immer noch Kauderwelsch.
»Scheiße!«, schrie sie erneut.
Monica schnappte sich ihr eigenes Handy und wählte eine Kurzwahlnummer.
»Kennwort«, meldete sich eine Männerstimme.
»Neco. 8122765.«
»Sprachauthentifizierung läuft … identifiziert. Was gibt’s?«
»Ich brauche eine sofortige Zurückverfolgung«, forderte sie ungeduldig. »Schicke jetzt das Signal.«
Monica wusste, dass das Telefonat enden würde, bevor sie die richtige Frequenz knacken und mithören konnte, aber wenigstens hatte sie so die Gewissheit, wenigstens die Nummer zu erhalten.
»Ich hab’s«, sagte die Männerstimme. »Augenblick …«
Monica steckte sich eine neue Zigarette an und inhalierte tief. Ihre Ausrüstung war unschlagbar. Es gab nichts Besseres. Dergleichen war noch nie, niemals zuvor passiert. Wer verdammt noch mal sind diese Ker…
»Okay«, sagte die Stimme. »Geschafft. Die Nummer wird Ihnen jetzt zugesandt.«
Monica legte auf, ohne sich zu bedanken. Sie warf ihre zweite nicht aufgerauchte Zigarette aus dem Fenster. Das Kauderwelsch hatte seit fast einer Minute aufgehört; das Telefonat war beendet. Sie wählte die empfangene Nummer.
»Wellnesssalon Image, was kann ich für Sie tun?«
Sie drückte das Gespräch weg. Ein Schönheitssalon? Ein verfickter Schönheitssalon? Warum um alles in der Welt sollte …
Dann fiel der Groschen:
Amy.
Ein weiterer Groschen fiel:
Die Männer im Park … die High-Tech-Ausrüstung, die ihrer eigenen ebenbürtig war …
Die Lamberts wurden beschützt. Professionell beschützt. Von Leuten wie ihr und ihrem Vater.
Die beiden Groschen klimperten aneinander:
Die Lamberts waren Gefangene im eigenen Haus. Amy fiel das Dach auf den Kopf. Wollte sich wenigstens einen Tag lang mal wieder richtig verwöhnen lassen. Dafür hatte Monica weiß Gott Verständnis.
Sie hob ihre Canon vors Gesicht. Justierte das Objektiv. Sah aus über hundert Metern Entfernung durch das Küchenfenster der Lamberts, als stünde sie direkt davor. Sie sah Amy. Sie sah Patrick. Die beiden vom Park – den Dürren und den Kahlen. Und dann sah sie den dritten. Einen großen schwarzen Kerl, der seiner an alle in der Küche gerichteten Ansprache und Gestik nach zu urteilen die Befehle gab.
Meine liebe süße Amy, du hast dich wieder einmal tapfer für mich eingesetzt. Und Dad bekommt den Lieferwagen noch heute. Es scheint, als wird es doch früher als später.
Monica lächelte und wählte erneut den Anschluss des Schönheitssalons.
»Wellnesssalon Image, was kann ich für Sie tun?«
»Hi«, sagte Monica, »Amy Lambert hier. Ich habe gerade einen Termin vereinbart, aber vergessen, ihn zu notieren.« Sie gab ein albernes Gackern von sich. »Könnten Sie mir noch mal sagen, wann ich dran bin?«
»Heute Nachmittag um vier, Mrs. Lambert.«
»Klasse, und zwar mit …?«
»Einer Neunzig-Minuten-Massage von Lana.«
»Richtig. Ich wusste nicht mehr, ob ich sechzig oder neunzig gebucht hatte. Auf die dreißig Extraminuten hätte ich nur ungern verzichtet.«
Die Rezeptionistin lachte.
Monica sah auf die Armbanduhr; es war halb elf. »Dann bis vier«, sagte sie.
»Bis dann.«
Monica legte auf, gab den Namen des Wellnesssalons in ihren Laptop ein und erhielt die Adresse. Dann wählte sie die Nummer von vor einigen Minuten.
»Kennwort.«
»Neco. 8122765.«
»Identifizierung läuft … schießen Sie los.«
»Ich brauche einen Grundriss. Schicke jetzt die Adresse.«
Monica entzündete eine dritte Zigarette. Diese würde sie genießen und aufrauchen. Danach würde sie ihre Fotos entwickeln lassen und sich dann vergewissern, dass ihr Vater den Wagen besorgt hatte. Und dann irgendwo ein nettes Mittagsmahl. Vielleicht gegrillten Lachs. Danach? Also bitte, danach ging es selbstverständlich in den Wellnesssalon.