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Seit dem Vorfall, den Patrick und Amy – wenn überhaupt – als »diesen Abend« bezeichneten, war eine Woche vergangen. Es hatte nicht gleich wieder eitel Sonnenschein geherrscht – Bob Corcoran war schließlich so tot wie zuvor, und Amy trauerte noch immer –, aber es lief ganz gut, und ganz gut war für die Lamberts ein sehr vertrauter Zustand. Nach allem, was sie im vergangenen Jahr durchgemacht hatten, war ganz gut die Silbermedaille der Lageberichte. Gut war das begehrte Gold. Großartig? Sporadische Gut-Momente hatten sie seit Crescent Lake durchaus erlebt, aber das schier unerreichbare Großartig wurde allmählich zu einer bloßen Erinnerung. Einer Erinnerung, die seit Kurzem mehr Melancholie als Hoffnung mit sich brachte.

Patrick goss Kaffee in seinen Reisebecher, als Amy hinter ihn trat und ihm die Arme um die Hüften schlang. Er sah über die Schulter. »Morgen, Schatz.«

Sie schmiegte die Wange an seinen Rücken und murmelte einen Morgengruß zurück.

Er drehte sich zu ihr um. Er war sauber, frisch, adrett und steckte in seinem Arbeitsoutfit, sie trug ein labberiges T-Shirt plus Jogginghose und hatte zerzaustes Haar und verquollene Augen. Er setzte zu einem Kuss an.

Sie wandte sich ab und bedeckte mit der Hand ihren Mund. »Hab meine Zähne noch nicht geputzt.«

»Ach, Quatsch.« Er umklammerte mit Daumen und Zeigefinger ihr Kinn und drückte seine Lippen auf ihre. Sie fügte sich, aber nur schnell und flüchtig.

»Hast du für mich auch welchen mitgekocht?«, fragte sie und spähte um ihn herum nach der Kaffeemaschine.

»Ja, aber nicht deinen Hippie-Scheiß. Es ist eine dunkle Röstung.«

Amy löste sich von Patricks Taille, öffnete den Schrank und nahm die Packung mit dem kräftigen Kaffee hervor. »Wann hast du den gekauft?«

»Vor ein paar Tagen. Ich muss jeden erdenklichen Vorteil nutzen, wenn ich diesen Megablast-Bericht bis nächsten Monat eintüten will.«

»Warum trinkst du nicht einfach Megablast?«

»Sehr witzig.«

Sie grinste. Sie wusste, wie widerlich das Zeug war. Amy steckte den Kopf tiefer in das Schränkchen. »Wo hast du meinen Hippie-Scheiße hingetan?«

Er legte ihr die flache Hand auf den Scheitel und drehte ihren Kopf weg vom Schrank Richtung Arbeitsfläche, wo ein Beutel mit Bio-Kaffee stand.

»Wie dumm von mir«, sagte sie. »Im Kaffeeschränkchen nach Kaffee zu suchen.«

»Ich habe ihn für dich rausgeholt, damit du nicht im Schrank suchen musst

»Wenn du dich für einen solchen Heiligen hältst, hättest du den Rest von deiner Plörre ausschütten und mir eine frische Kanne von meinem Stoff kochen können.«

Patrick küsste sie auf den Hinterkopf und kniff sie dann in den Hintern. Amy sprang hoch, fuhr herum und wollte ihm eine Ohrfeige verpassen. Er duckte sich weg, lachte und hastete mit Kaffee und Aktentasche zur Dreckschleuse.

Es war fünf Uhr nachmittags. Patrick hatte vor, bis mindestens um sieben zu bleiben. Sein Nacken tat weh, seine Augen brannten, und er war hungrig. Eine kurze Ablenkung von seinem PC wäre jetzt genau das Richtige.

Steve Lucas klopfte gegen Patricks Bürofenster und steckte ungebeten seinen Kopf hindurch. Patrick musste an die Sitcom Laverne & Shirley denken. Wann immer Laverne oder Shirley gerade etwas Schräges, Schleimiges, Ekelhaftes oder schlicht Saublödes von sich gegeben hatten, flog ihre Wohnungstür auf, hinter der die zwei liebenswerten Volltrottel Lenny und Squiggy zum Vorschein kamen und wie aus einem Mund ihr nasales verbales Markenzeichen blökten: »Hallo!«

Nur war Steve Lucas kein liebenswerter Volltrottel. Er war einfach nur ein Volltrottel.

»Alles im Lack, Großer?«, fragte Lucas.

Patrick atmete tief ein, blies die Luft langsam durch die Nase wieder aus und zwang sich zu einem Lächeln. »Läuft prima, danke der Nachfrage.« Er machte Anstalten, sich wieder seinem Rechner zuzuwenden, in der Hoffnung, Lucas möge den Wink verstehen.

Das tat er nicht. Er zeigte mit dem Finger auf Patrick. »Du …« Er zeigte auf sich. »Ich …« Er griente. »Happy Hour. Jetzt sofort. Was hältst du davon?«

Die reine Erwähnung des Begriffs »Happy Hour« erinnerte Patrick an den Vorfall mit Amy, was ihn nur noch gereizter machte. »Nein, lass mal lieber«, antwortete er.

Lucas baute sich vor Patricks Schreibtisch auf. »Ach, komm schon, Mann. Geht auf meine Rechnung, okay? Außerdem musst du unbedingt dieses Mädchen treffen, das ich kennengelernt habe. Schärfer als Chili.« Er senkte die Stimme und runzelte die Stirn wie ein Autoverkäufer, der kurz davor stand, seinem Kunden ein unschlagbares Angebot zuzuflüstern. »Geht noch dazu im Bett ab wie eine Rakete. Du machst dir keine Vorstellung.«

Patrick nahm einen neuerlichen tiefen Atemzug. »Ganz toll für dich, Steve.« Er wies mit dem Daumen über seine Schulter Richtung PC. »Ich hab einfach noch zu viel zu erledigen.«

»Looooos … es ist Freitag. Ruf Amy an, sie kann auch kommen.«

Patricks Gereiztheit erklomm die nächste Stufe. »Lieber nicht.«

Steve legte neugierig den Kopf schief. »Alles in Ordnung?«

Patrick nickte knapp. »Prima.«

Steve stemmte die Arme auf Patricks Tisch und beugte sich vor. »Hör mal, wenn du und Amy Probleme habt, könnte ich schauen, ob mein neues Mädchen eine Freundin hat …«

Patrick war sich der Natur des Blickes, den er Steve Lucas daraufhin zuwarf, nicht wirklich bewusst, aber als dieser mit erhobenen Händen den Rückwärtsgang einlegte, als wäre eine Pistole auf ihn gerichtet, wurde Patrick klar, dass die Flammen des Vulkans, der in seinen Eingeweiden brodelte, offenbar bis zu seinem Gesicht emporgezüngelt waren – mit rauchenden Nüstern, rot glühenden Augen und allem, was dazugehörte.

»Nur die Ruhe, Mann«, sagte Lucas mit nach wie vor abwehrend erhobenen Händen. »Vergiss es einfach.« Er schlich ohne ein weiteres Wort aus Patricks Büro.

Die Wut auf Steve Lucas erlosch auf nachgerade erfreuliche Weise, als Patrick sah, wie der Typ auf Hasenfüßen aus seinem Büro huschte, als hätte er sich in die Hose geschissen. Patrick gestattete sich ein kurzes Lächeln, bevor er sich wieder an die Arbeit machte.