»Die Entwicklung der Kultur und Industrie überhaupt hat sich von jeher so tätig in der Zerstörung der Waldungen gezeigt, dass dagegen alles, was sie umgekehrt zu deren Erhaltung und Produktion getan hat, eine vollständig verschwindende Größe ist.«

Karl Marx, Das Kapital, Band 2

IV.  DAS SCHMIERENTHEATER

Wie Industrie und NGOs die Waldvernichtung für Palmöl zum Umweltschutz verklären

Schwarz. Alles kohlschwarz. So weit man schauen kann. In weiter Ferne ragen noch Baumstämme aus dem verbrannten Boden in den Himmel. Zwischen ihnen hängt dichter Dunst. Sie sehen unwirklich aus, als hätte jemand mit Kohlestift dunkle Striche an den grauen Horizont geworfen. Drückendes Schweigen, beinahe vollkommene Stille umfängt uns. Nur unsere Schritte knacken und knirschen, wenn verkohlte Baumstümpfe, Wurzeln und Äste unter ihrer Berührung zu Staub und Asche zerfallen. Wir sind in der Provinz Jambi auf der Insel Sumatra. Kurz vor unseren Dreharbeiten hat es hier lichterloh gebrannt. Im Herbst 2015 tobten in Indonesien die schlimmsten Waldbrände in der Geschichte des Landes. Die Flammen haben Land und Wald auf einer mehr als doppelt so großen Fläche wie die griechische Insel Kreta vernichtet. Zwanzig Menschen erstickten, als Erste Babys, Kinder, Alte. Zwanzig ist die offizielle Zahl. Forscher der Universitäten von Harvard und Columbia glauben, dass der aus den Feuern entstandene Smog hunderttausend Menschen in Indonesien, Malaysia und Singapur umgebracht hat. Allein in Indonesien sollen es 90 000 Tote gewesen sein.57 Eine halbe Million Menschen musste wegen Rauchgasvergiftungen im Krankenhaus behandelt werden, Vögel fielen tot vom Himmel, mindestens tausend vom Aussterben bedrohte Orang-Utans und ungezählte weitere Tiere sind in Flammen und Rauch gestorben. Zehn Prozent der Feuer brannten in Nationalparks. Dort löste sich der Lebensraum seltener Arten in Rauch auf: der von Waldelefanten, Nashörnern, Tigern.

Monatelang wüteten die Brände, vor allem auf Borneo und Sumatra. Zehntausende Feuerwehrleute, Soldaten und Polizisten konnten die Brände nicht löschen, auch nicht mit Hubschraubern und Flugzeugen. Der Rauch war so dicht, dass sie die Brandherde nicht fanden. Wo sich Torfböden entzündet hatten, breitete sich das Feuer unter der Erde aus – großflächig. Dazu kam, dass das Wetterphänomen El Niño in diesem Jahr besonders extrem ausfiel. Alle zwei bis sieben Jahre erwärmt sich das Meer an der südamerikanischen Westküste. Das führt in Kalifornien, Südamerika und im Süden der USA zu Orkanen, Überschwemmungen und sintflutartigen Regengüssen. In Australien, Süd- und Südostasien wiederum sorgt El Niño für Dürren und Hitzewellen. Dieser »Super- El-Niño« tat in Indonesien also das Seinige zur Katastrophe und sorgte dafür, dass der Monsunregen lange auf sich warten ließ. Erst als Anfang November die ersten Tropfen fielen, erloschen mählich die Feuer.

Das Stück kaputte Welt, auf dem wir stehen, ist drei Mal so groß wie der Wannsee in Berlin. Hier wuchs vor kurzem Torfsumpfregenwald. Feri Irawan hat uns hierhergeführt, er leitet die kleine NGO Perkumpulan Hijau (Grüne Bewegung) in der Provinzhauptstadt Jambi. Unser Weg in die anthrazitfarbene Apokalypse war mühsam. Immer wieder blieben unsere Jeeps in der Asche stecken und mussten sich gegenseitig befreien. Die Luft heiß und trocken, Aschepartikel im Wind; die Katastrophe juckt auf der Haut und brennt in den Augen. Allein in Jambi sind 60 000 Menschen krank geworden. »Wir haben das Gefühl, dass die Welt, die das Palmöl verspeist, Menschen und Natur in Jambi aufgegeben hat«, sagt Feri.

Fette Beute

Palmöl ist mit rund 60 Millionen Tonnen pro Jahr das meistverwendete Pflanzenfett der Welt, denn es ist auch das billigste. Es steckt in jedem zweiten Supermarktprodukt: in Tütensuppen und Tiefkühlpizza, in Eis und Schokoriegeln und Margarine, in Teelichtern, Kosmetik und Reinigungsmitteln. Die EU importiert es für Biodiesel. Der Verbrauch des Öls hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren mehr als verdoppelt. Indonesien ist der größte Palmölproduzent der Welt. Die Hälfte des Öls kommt von hier.

Die Regenwälder Indonesiens gehören auf der anderen Seite zu den wichtigsten der Welt. Sie beherbergen 15 Prozent aller Arten von Pflanzen, Säugetieren und Vögeln der Erde. Doch seit 1990 hat Indonesien durch Abholzung und Brände eine Waldfläche verloren, deren Größe an die der Bundesrepublik Deutschland heranreicht: 310 000 Quadratkilometer. Die Hälfte davon ist nun mit Ölpalmen bepflanzt. Waren 1990 noch zwei Drittel des Inselstaates mit Wald bedeckt, ist es 2015 schon nur noch die Hälfte. Und nur 50 Prozent davon sind noch intakte Urwälder. Die Waldgebiete Borneos, die einst 95 Prozent der Insel umfassten, haben sich halbiert. Auf Sumatra hat die Papier-, Zellstoff- und Palmölindustrie bereits vor den Feuern fast drei Viertel der Wälder vernichtet. In Feris Heimat Jambi ist die Hälfte des Regenwaldes verschwunden; Ölpalmen wachsen hier auf einer Fläche, die mehr als doppelt so groß ist wie Kanareninsel Teneriffa.58

Als wir auf unserem Flug von Jakarta nach Jambi aus dem Fenster schauen, sehen wir unter uns eine endlose, gleichförmige grüne Fläche, durchzogen von waag- und senkrechten Sandpisten. Palmölplantagen.

Der Verlust, die Trauer, die Leere, die wir in diesem Ozean aus Asche spüren, ist niederschmetternd. Auch dieses Massaker hat mit dem billigen Rohstoff zu tun, nach dem die Welt giert: Der abgebrannte Wald liegt im Konzessionsgebiet der Palmölfirma PT Ricky Kurniawan Kertapersada (RKK). Auf unserem Weg hatten wir ein Schild mit dem Firmennamen passiert, unweit davon lagen schon Setzlinge für Ölpalmen bereit. Feri hat hier einen Benzinkanister gefunden und die Firma PT RKK wegen Brandstiftung angezeigt. Die Polizei ermittelte, ein Manager des Unternehmens wurde festgenommen. »Das, was ihr hier seht«, sagt Feri trocken, »ist aber nur das Werk von nur einem einzigen Unternehmen.« Der Anblick dieses einen Aschefeldes ist schon kaum zu ertragen – wie riesig die Zerstörung insgesamt sein muss, ist schlicht unvorstellbar.

Wald niederzubrennen, um das Konzessionsgebiet illegal zu erweitern, ist einfach und billig. Doch meist ist es schwer, wo nicht unmöglich, nachzuweisen, wer das Feuer gelegt hat. Satellitenbilder vom Jahresbeginn 2015 zeigen bis Ende Oktober knapp 130 000 (!) Brandherde. Darunter 31 825 Waldbrände mit hoher Intensität, die auf Brandrodung schließen lassen. Die Initiative Global Forest Watch hatte nach den Bränden Satellitenbilder und Karten ausgewertet: 41 Prozent der Brandflächen befanden sich in Konzessionsgebieten von Papier- und Zellstofffirmen, 54 Prozent in jenen von Palmölunternehmen.59 Noch während es brannte, ermittelte die Polizei gegen zwei Dutzend Firmen und mehr als 120 Personen. Doch im Regierungsbericht wurden 100 Unternehmen mit den Bränden in Verbindung gebracht. Sie blieben anonym, weil die Regierung nur Initialen nannte.

Die indonesische NGO Walhi hat ebenfalls Satellitendaten und Konzessionskarten ausgewertet. Sie fand Feuer bei 19 Firmen von Sinar Mas und 27 Firmen der Wilmar-Gruppe.60 Wilmar International ist der größte Palmölkonzern der Welt. Ihm gehören die meisten Plantagen in Indonesien. Etwa die Hälfte des weltweit gehandelten Palmöls stammt von diesem Konzern mit Sitz in Singapur, der das Pflanzenfett an globale Konsumgüterkonzerne wie Nestlé, Procter & Gamble und Unilever verkauft. Auch sie sind verantwortlich für diese menschengemachte Umweltkatastrophe, sagt Feri. Er fordert ein Transparenzgesetz, das dafür sorgt, dass Firmen, die indonesisches Palmöl verwenden, für Verbrechen in der Lieferkette haften müssen. Aber ein solches Gesetz ist so wenig in Sicht wie ein Ende des Palmölbooms.

Der palmölindustrielle Komplex

Eine bunt beleuchtete Bühne. Balinesische Tänzerinnen in glitzernden Kostümen schwingen große künstliche Palmwedel. Ihr »Palmöltanz« eröffnet die indonesische Palmölkonferenz GAPKI. Im Feuerjahr 2015 trifft sich die Palmölindustrie in Nusa Dua im Süden der Touristeninsel Bali, wo sich riesige Luxushotels, Malls und Spas um einen gigantischen Golfplatz drängen. Exklusiv, ja klandestin ist auch das Treffen der Industrie: Gepanzerte Polizeifahrzeuge drehen auf dem Parkplatz vor dem Nusa Dusa Convention Center ihre Runden. Trotz Akkreditierung müssen wir bangen, als Filmteam nicht eingelassen zu werden. Erst nachdem wir die Veranstalter getroffen haben, die uns einschärfen, kritische Fragen seien unerwünscht, dürfen Werner Boote und ich die Konferenz besuchen.

Gesponsert wird sie von den großen Palmölkonzernen, darunter Musim Mas, Bumitama Gunajaya Agro, Wilmar und die Sinar-Mas-Tochter Smart. Sie alle stehen seit Jahren wegen illegaler Regenwaldrodung, Landraub und Menschenrechtsverletzungen am Pranger. Einige von ihnen werden auch mit den Bränden in Verbindung gebracht. Aber die Palmölindustrie gefällt sich viel besser in der Opferrolle und beklagt: Die Feuer hätten dreißig Prozent der Ernte vernichtet. Das sei doch unlogisch, wenn sich Palmölfirmen selbst schädigten, ruft der Vorsitzende der indonesischen Palmölkonferenz GAPKI, Joko Supriyono, in den Applaus des vollen Konferenzsaals. Die Industrie sei nicht schuld, sie habe sich doch bemüht, gemeinsam mit der Bevölkerung die Feuer zu löschen. Der Bevölkerung, für die man Millionen Arbeitsplätze geschaffen habe!

El Niño sei verantwortlich für die Katastrophe – und wenn wer gezündelt habe, dann die Kleinbauern, so die beklatschte Meinung. Dabei muss jedem hier im Saal bewusst sein, dass sich die Hitzewelle niemals so drastisch ausgewirkt hätte, wäre das Land nicht mit Palmölplantagen übersät. Die massive Abholzung und die Drainage der Böden für die Plantagen haben das Land erst ausgetrocknet. Das Feuer konnte sich auch deshalb so gut ausbreiten, weil es kaum mehr zusammenhängende intakte Wälder gibt. Zum anderen gehören die beschuldigten Kleinbauern zum Sklavenheer der Palmölindustrie. Als solches dienen sie auch als moralische Verschiebemasse: Gern heben die Konzerne hervor, wie sehr ihnen die Kleinbauern am Herz liegen, bewirtschaften sie doch ein Drittel der Plantagen. Allerdings arbeiten sie im sogenannten Nukleus-Plasma-System. Dahinter verbirgt sich wenig mehr als legalisierter Landraub, der in Ausbeutung mündet: Kleinbauern werden dazu überredet, ihre Gewohnheitsrechte auf ihr Land an die Palmölfirma abzutreten, die ihnen im Gegenzug das Landrecht für zwei Hektar mit Ölpalmen am Rand (Plasma) der Plantage (Nukleus) plus einen halben Hektar für Haus und Garten abgibt. So sollen sie sich selbst versorgen und mit der Bewirtschaftung der Miniplantage Geld verdienen. Doch in den drei bis vier Jahren, die die Palmen wachsen müssen, bis sie Früchte tragen, sind die Kleinbauern auf Kredite angewiesen. Die gewährt ihnen die Firma – zu horrenden Zinsen. Außerdem müssen sie Dünger und Herbizide selbst bezahlen, oft auch die Palmensetzlinge. Die meisten Kleinbauern enden in der Schuldenfalle und bleiben ihr Leben lang abhängig von der Palmölfirma, an die sie per Vertrag und zu miserablen Preisen liefern müssen. Von ihrer harten Arbeit können sie nicht leben: Sie verdienen nur etwa 500 Dollar im Jahr.61 Und die sollen jetzt verantwortlich für die Jahrhundertkatastrophe sein?

Der Industrie am nächsten stehen, bei der indonesischen Palmölkonfrenz GAPKI nicht anders wie in den Ländern des Nordens, ranghohe Politiker. Indonesische Regierung und Palmölindustrie sind eng miteinander verbandelt: Palmöl gehört zu den wichtigsten Exportprodukten und bringt Devisen ins Land. Einige der Politiker sind sogar selbst im Palmölbusiness aktiv. Wie Indonesiens Vizepräsident Jusuf Kalla, der als Eröffnungsredner geladen ist. Sein Konzern, die Kalla Group, besaß bis 2003 eine eigene Palmölplantage in Sulawesi. Kallas Schwager gehört der Bosowa Konzern, Bosowa Agro Industries ist im Palmölgeschäft. Kalla gehört zu den reichsten Männern des Landes und war einst Vorsitzender von Golkar, der Regierungspartei unter dem Militärregime des Diktators Suharto. Ursprünglich war an Kallas Stelle der ein Jahr zuvor vereidigte neue Präsident Joko Widodo als Redner vorgesehen. Allerdings dürfte das auf wenig Begeisterung bei der Industrie gestoßen sein: Noch während der Brände hatte Widodo ein Moratorium für neue Palmölkonzessionen angekündigt. Er hatte gegen Palmölfirmen ermitteln lassen und verboten, dass auf den abgebrannten Flächen Palmöl angebaut wird.

Im März hatte Kalla die Nachbarstaaten Malaysia und Singapur, die sich über den wiederkehrenden Smog der jährlich brennenden Wälder beschwerten, arrogant abgebügelt: »Elf Monate lang genießen sie die gute Luft von Indonesien, aber dafür haben sie sich nie bedankt.« Er wiederholte seine zynische Aussage in der philippinischen Hauptstadt Manila, wohin im Herbst die Giftwolken gezogen waren: »Ein Problem ist der Wind. Den können wir nicht kontrollieren. Zehn Monate im Jahr bringt er unseren Nachbarländern unser gutes indonesisches Wetter. Und dafür verlangen wir ja auch kein Geld.«62 Natürlich versichert Kalla in seiner Rede die Unschuld der Palmölindustrie: Niemand habe absichtlich Plantagen niedergebrannt. Er hoffe, dass die Palmölindustrie einen noch größeren Beitrag für die Bevölkerung leisten werde.

»Indonesien macht heute vieles, was besser für unsere Zukunft ist. Meiner Ansicht nach ist der Beitrag der Palmölindustrie außergewöhnlich. Zwanzig Milliarden Dollar! Das ist nicht wenig, das ist viel Geld! Indonesien muss geschlossen auftreten. Wollen die NGOs uns etwa Vorschriften machen?«, poltert jetzt Innenminister63 Luhut Binsar Pandjaitan von der Bühne. »NGOs machen sich Sorgen um Schimpansen. Aber wie ist das mit uns Affen mit dem schwarzen Kopf?«

Der Saal lacht schallend, fast gibt es Standing Ovations für den ehemaligen Vier-Sterne-General. Man weiß nicht, ob sie sich über seine Ignoranz freuen (in Indonesien gibt es keine Schimpansen, sondern Orang-Utans, die wegen des Palmöls vom Aussterben bedroht sind) oder über seine Aggression gegen Umweltschützer. »Für die ist das hier eine Welt voll von Affen aller Arten. Wir haben zwanzig Millionen Arbeiter, und es gibt zwei oder dreißig Affen, die viel Lärm machen. Das heißt nicht, dass wir uns nicht auch um sie sorgen. Aber uns liegt der Wohlstand der Indonesier am Herzen. Das muss klar sein.« Sonnenklar! Schließlich gehören zum Firmenimperium PT Toba Sejahtra,64 dem Pandjaitan vorsteht, auch Palmölplantagen.

Die GAPKI-Konferenz ist eine Demonstration der Macht des palmölindustriellen Komplexes. So bezeichnet Oliver Pye vom Institut für Südostasienwissenschaften der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn die engen Verflechtungen zwischen großen Palmölkonzernen und Regierungen. Der Sektor wird von wenigen, aber mächtigen Konzerngruppen aus Malaysia, Indonesien und Singapur dominiert. Unterstützt mit Staatskapital, den Investitionen internationaler Banken und auch mit Krediten der Weltbank, agieren diese Firmen vor allem in Indonesien. Militär und Polizei sichern das Geschäft, indem sie mit Gewalt gegen Indigene, Aktivisten und Landbesetzer vorgehen, die sich den Plantagen in den Weg stellen oder um ihr gestohlenes Land kämpfen. Mindestens fünftausend ungelöste Landkonflikte gibt es in Indonesien.

Zu welcher Brutalität die Palmölindustrie und ihre Schergen fähig sind, habe ich bei meinen Recherchen in Jambi erlebt. Für mein Buch Aus kontrolliertem Raubbau hatte ich ein Jahr zuvor auf Borneo und Sumatra die verheerenden Auswirkungen des Palmölanbaus untersucht. Im März 2014 hatten Polizisten, Militärs und Security den widerständigen Bauern Puji mit Gewehrkolben totgeschlagen. Sieben weitere Männer wurden krankenhausreif geprügelt. Feri Irawan hat Puijis Leichnam aus dem Krankenhaus geborgen, damit die Palmölfirma PT Asiatic Persada ihn nicht verschwinden lassen konnte. Er sammelte Beweise, zeigte das Verbrechen an und befand sich zusammen mit den Augenzeugen tagelang auf der Flucht. Der Mord an Puji war der Tiefpunkt eines dreißig Jahre andauernden brutalen Landkonflikts der Palmölfirma mit der indigenen Gemeinschaft der Suku Anak Dalam in Bungku. Ihr Wald wurde illegal abgeholzt, um Platz für eine Palmölplantage von der Größe Münchens zu schaffen. Zu den Verantwortlichen gehört Wilmar International. Alleine dieser Konzern ist in mehr als hundert Landkonflikte verwickelt. Bis 2013 war PT Asiatic Persada seine Tochterfirma. Als der Konflikt eskalierte, verkaufte Wilmar-Gründer Martua Sitorus PT Asiatic Persada an die Firma seines Bruders – mitten in einem Schlichtungsprozess bei der Weltbank, für den NGOs lange gekämpft hatten. Nie werde ich die Begegnungen von damals vergessen: Pujis verarmte Witwe mit ihren fünf Kindern, die vertriebenen Indigenen, die unter furchtbaren Bedingungen in der Plantage kampierten, weil ihnen PT Asiatic Persada den Zugang zu ihren Dörfern abgeschnitten hatte.

»Dieses Land«, sagt Feri, »schützt die Palmölfirmen und ihre Söldner, nicht die Opfer.« Der unerschrockene Kämpfer schwebt selbst dauernd in Gefahr, er wird vom Geheimdienst beobachtet. Drei Wochen nach unseren Dreharbeiten wird sein Büro überfallen. Als Feri die Einbrecher überrascht, schießen die maskierten Männer auf ihn. Er bleibt zum Glück unverletzt. Erst im Mai war Jopi Peranginangin von der NGO Sawit Watch! von einem Soldaten erstochen worden. Jopi, den ich bei meinen Recherchen 2014 kennengelernt hatte, hatte gerade ein Buch über Korruption im Palmölgeschäft geschrieben.

Werner und ich wandeln durch die Hallen des Konferenzgebäudes. Im asiatischen Stil erbaut, wirkt es wie ein überdimensionierter Tempel. Es überkommt mich ein ähnlich beklemmendes Gefühl, wie ich es auf dem verbrannten Feld in Jambi hatte. Auch dieser Ort ist auf Leid gebaut. In den antikommunistischen Massakern, die General Suharto 1965 initiierte, wurden auf Bali 100 000 Menschen ermordet. Landlose Bauern hatten dort mit Unterstützung der Kommunistischen Partei für eine Landreform gekämpft. Als die Linken und vermeintlich Linken ausgelöscht waren, war der Weg für den Umbau zur Massentouristeninsel frei.65 In Nusa Dua wurden Anfang der neunziger Jahre Menschen vertrieben, um riesige Hotelanlagen zu bauen. Alte und für Balinesen bedeutsame Tempel wurden zerstört oder sind für sie nicht mehr zugänglich. Heute gibt es wieder Proteste, weil balinesische und chinesische Investoren in der Bucht von Benoa eine künstliche Insel aufschütten und darauf ein gigantisches Urlaubsressort für Reiche bauen möchten.66 Außerdem sorgt der Tourismus auf der Insel dafür, dass fast die Hälfte der Balinesen keinen Zugang zu sauberem Wasser hat. Brunnen trocknen aus, weil Hotels und Golfplätze irrsinnige Mengen Wasser verschwenden – im Namen des Geldes. Etwa der Bali National Golf Club, auf dem sich die Palmölmillionäre am Tag vor der Eröffnung der Konferenz bei ihrem traditionellen GAPKI-Golfturnier vergnügten.

Die Erfindung des nachhaltigen Palmöls

In der Eingangshalle treffen wir auf Frans Claassen. Der Niederländer ist Vorsitzender der europäischen Palmöllobbyorganisation European Palmoil Alliance (EPOA). Die EPOA will die »Debatte um Palmöl und Ernährung in ein Gleichgewicht bringen«. Sprich: den Leuten einreden, dass Palmöl eine tolle Sache ist, und nachhaltig obendrein. Die EPOA ist auch Mitglied am Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO). »In den Medien gibt es eine Menge Informationen, die Palmöl ein negatives Image geben«, sagt Claassen. »Aber die Firmen, die vom Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl zertifiziert sind, haben sich dazu verpflichtet, nicht brandzuroden.« Das in den Niederlanden verwendete Palmöl sei zu hundert Prozent nachhaltig zertifiziert, erklärt Claasen stolz, weltweit seien es schon zwanzig Prozent.

Gegründet wurde der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl 2004 von Unilever, die mit 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr am meisten Palmöl von allen Konsumgüterkonzernen der Welt verbrauchen, dem WWF und der Palmölindustrie selbst. Damit reagierte die Industrie auf die Kritik an den zerstörerischen Folgen des Palmölbooms. Doch hinter der »Multi-Stakeholder-Initiative«, die es sich unter dem wohlklingenden Motto »People, Planet, Profit« zur freiwilligen Aufgabe gemacht hat, »Wachstum und Verwendung nachhaltigen Palmöls entlang der Wertschöpfungskette« zu fördern, verbirgt sich ein Industrieclub, der seine Profite schützt und sich dafür grün wäscht. Die 1 561 Vollmitglieder aus aller Welt setzen sich aus 727 Konsumgüterfirmen, 174 Palmölproduzenten, 529 Palmölverarbeitern, 65 Handelskonzernen sowie 14 Banken und Investmentgesellschaften zusammen.67 Darunter Aldi, BASF, Bayer, Cargill, Commerzbank, Credit Suisse, Ferrero, Mars, McDonald’s, Procter&Gamble, Rewe, Unilever und Walmart sowie hoch umstrittene Palmölkonzerne wie Bumitama Agri und Wilmar International. Ihnen sitzen nur 52 Umweltschutz- und Entwicklungsorganisation gegenüber. Die meisten davon sind zoologische Gesellschaften oder große westliche Naturschutzorganisationen wie Rainforest Alliance und WWF, die wegen ihrer Zusammenarbeit mit Konzernen kritisiert werden.

Kleine lokale NGOs wie Feri Irawans Perkumpulan Hijau, die die Palmölmonokulturen ablehnen, Indigene oder Gewerkschaften sitzen nicht mit am Tisch. Die Dominanz der Industrie setzt sich in der Vorstandsetage fort, wo zwölf Angehörige der Industrie vier NGO-Mitgliedern gegenübersitzen. Die Präsidentschaft des RSPO teilen sich Unilever-Manager Biswaranjan Sen und Carl Bek-Nielsen, Geschäftsführer der Palmölfirma United Plantations. Da ist es wenig überraschend, dass die Kriterien und Standards des RSPO, an die sich die Mitglieder freiwillig halten sollen, extrem lasch sind. Nicht einmal der Anbau auf Torfböden ist verboten, sondern soll lediglich vermieden oder besser »gemanagt« werden. Gefährliche und hochgefährliche Pestizide wie Paraquat sind ebenfalls nicht verboten. Ihr Gebrauch soll gemindert und irgendwann – freiwillig! – abgeschafft werden. Abholzung ist erlaubt, nur die der schützenswerten Wälder ist verboten. Wurden die aber bereits vor 2005 gerodet, darf Palmöl angebaut und zertifiziert werden. Da trifft es sich gut, dass der Großteil der Wälder schon vor diesem Datum zerstört worden war. 2015 wurde selbst diese Auflage noch einmal aufgeweicht: Mit den Remediation and Compensation Procedures (Sanierungs- und Kompensationsprozessen) sollen Firmen selbst dann zertifiziert werden, wenn sie nach 2007 schützenswerte Flächen abgeholzt haben, dafür aber einen »Kompensationsplan« vorlegen.68

256 Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen aus aller Welt hatten bereits 2008 den RSPO als Greenwashing abgelehnt. Denn nachhaltiges Palmöl, vor allem in derart wachsenden Mengen, wie sie von den RSPO-Mitgliedern produziert und verarbeitet werden, kann es gar nicht geben.

Der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl hat in den dreizehn Jahren seines Bestehens die massive Zerstörung von Wald nicht nennenswert eindämmen können. Er hat ihr nur ein grünes Mäntelchen umgehängt. Laut Global Forest Watch ist die Entwaldung in Indonesien seit der RSPO-Gründung gestiegen und lag 2015 mit 7 350 Quadratkilometer Fläche um ein Viertel höher als 2004 (knapp 5 000 Quadratkilometer). 2012 wurden fast 10 000 Quadratkilometer abgeholzt.69 Obwohl die Regierung 2011 ein Moratorium verabschiedet hat, das die Rodung von Primär- und Torfwäldern verbietet.

Regelmäßig weisen NGOs wie Friends of the Earth, Greenpeace, Sawit Watch!, Walhi und kleine Organisationen wie Perkumpulan Hijau und Save our Borneo nach, dass die Mitgliedsfirmen des Runden Tisches gegen die Standards und selbst gegen geltendes Recht verstoßen: durch illegale Abholzung, Menschenrechtsverletzungen und Kinderarbeit auf den Plantagen.

Als Udin von Save our Borneo und ich im Mai 2014 den Nationalpark Tanjung Puting in Zentralkalimantan besuchten, erwischten wir den Konzern Bumitama Agri sogar auf frischer Tat: Am Rand des Nationalparks war dieser gerade dabei, Wald abzuholzen. Im Nationalpark selbst fanden wir Flächen, die Bumitama Agri illegal zerstört hatte. Abholzen in und um Nationalparks ist verboten. Die Firma, die die Gesetze ignoriert, ist Mitglied am Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl. Über Jahre hat Bumitama Agri illegal Wald gerodet. Als NGOs beim RSPO Beschwerde einreichten, forderte dieser die Firma auf, alle Aktivitäten einzustellen, bis der Fall geklärt sei. Doch Bumitama Agri holzte weiter illegal ab. Konsequenzen hatte das für den Konzern bislang nicht. Sanktionen gibt es innerhalb des RSPO so gut wie keine. Man bestraft sich doch nicht selbst! In dreizehn Jahren wurden nur drei Konzerne aus dem RSPO ausgeschlossen. Im April 2016 entzog der RSPO nach einem jahrelangen Beschwerdeverfahren der IOI Group die Zertifizierung. Wieder und wieder hatte der malaysische Konzern in West-Kalimantan wertvolle Wälder vernichtet und die Rechte der lokalen Bevölkerung massiv verletzt. Jetzt klagt IOI gegen den RSPO. In der Folge des Skandals hatten Kunden wie Mars, Nestlé und Unilever ihre Geschäftsbeziehungen zu IOI abgebrochen. Würde der RSPO gegen alle Firmen vorgehen, die so zerstörerisch arbeiten, könnte er eigentlich dichtmachen: »Ich habe die Arbeitsweise vieler Palmölproduzenten überprüft, zum Beispiel von Wilmar. Ich habe festgestellt, dass niemand nachhaltig produziert«, sagt Feri, »der RSPO existiert nur, um den Konsumenten in Europa zu vermitteln, dass hier alles gesetzeskonform ist. Deshalb verändert das nichts.«

Als wir Frans Claassen bei der GAPKI auf die Wirkungslosigkeit des RSPO ansprechen, antwortet er: »Nachhaltigkeit ist kein starres Kriterium, sondern ein fortlaufender Prozess von kontinuierlichen Verbesserungen. Es sind kleine Schritte auf einem langen Weg – und bei keinem anderen Rohstoff hat es so viele Fortschritte wie beim Palmöl gegeben.«

Wenn ich solche Floskeln höre, überfällt mich bleierne Müdigkeit. Best-of-Boss-Bullshit-Bingo. Hohle Phrasen, zigfach gehört, wenn ich mit Unternehmern über den tiefen Graben zwischen Ökoversprechen und tatsächlichem Handeln gesprochen habe. Meine Palmölrecherchen sind da nur ein Beispiel. Ich frage mich oft: Glauben Unternehmer selbst den Unsinn, den sie verzapfen? Oder beruhigen sie sich mit diesem stupiden Mantra, damit sie nachts schlafen können?

In mir steigt Wut hoch. »Es gibt keinen Beleg dafür, dass es dieses nachhaltige Palmöl gibt«, sage ich, »niemand hat mir bisher überhaupt nur erklären können, was das eigentlich ist. Was soll das sein? Erklären Sie es uns bitte.« Ein bisschen kommt Claassen ins Straucheln. Dann haut er uns die nächsten PR-Sätze um die Ohren: »Nachhaltiges Palmöl ist mit Respekt für die Natur und ohne Brandrodung produziert. Produzenten sind fair zu den Leuten, bieten ihnen Unterkünfte und medizinische Versorgung. Es geht auch um Profit und darum, dass die Menschen, die in den Plantagen arbeiten, ein anständiges Einkommen haben.«

Ich muss fast lachen, denn ich erinnere mich an die Zustände auf einer der Plantagen, die Claassen beschreibt. Bei meinen Buchrecherchen im Jahr zuvor hatte mich der Aktivist Herwin Nasution in Nordsumatra in eine solche Plantage der Firma PT Rimba Mujur Mahkota geschleust. Diese wurde gerade mit dem RSPO-Siegel zertifiziert.70

Tief drinnen in der Monokultur besuchten wir die Arbeiterslums: armselige Baracken aus Holz, dahinter eine offene Kloake. Dort gab es weder Toiletten noch sauberes Wasser. Wenige Tage zuvor waren zwei Frauen, die sich im Fluss hinter den Hütten wuschen, von einem Krokodil getötet worden. Die Arbeiterinnen, die dort leben, bringen in den Plantagen Gift aus, um das Unkraut an den Stämmen der Ölpalmen zu vernichten. Bis zu 90 Kilo Pestizide, darunter hochgefährliche wie Paraquat, sprühen die Frauen jeden Tag und schleppen die schweren Kanister auf dem Rücken – für drei Euro pro Tag. Viele der Frauen sagten, sie seien krank, hätten Atembeschwerden und Ausschläge. Die »medizinische Versorgung« gibt es in einer Hütte, in der eine Krankenschwester und eine Hebamme arbeiten. Mindestens eine Stunde Fußweg ist sie von den Arbeiterslums entfernt. Als wir sie nachmittags um vier Uhr aufsuchten, war sie bereits zu. Vielleicht hatten sich die Zertifizierer lieber nicht allzu tief in die Plantage verirrt, bevor sie dieser trotz aller Missstände das Nachhaltigkeitssiegel verliehen? Herwin hat später herausgefunden, dass diese Prüfer nicht mit Arbeitern, sondern nur mit der unternehmenseigenen Gelben Gewerkschaft gesprochen haben sollen.71 Sonst wäre wohl auch die ausbeuterische und gefährliche Kinderarbeit entdeckt worden, die wir gesehen haben.

So sind wir wieder beim Thema. »Kinderarbeit? Nein, ich kenne keinen Beweis für Kinderarbeit auf Palmölplantagen. Es hat in den vergangenen 15 Jahren keinen Report gegeben, der Kinderarbeit dort nachweist. Im Kakaoanbau, ja, da gibt es viel Kinderarbeit. Aber nicht beim Palmöl. Ich bin mir absolut sicher«, sagt Frans Claassen. Doch selbstverständlich gibt es diese Belege. 2013 hatte die indonesische NGO Sawit Watch! zusammen mit dem International Labor Rights Forum in Washington einen Bericht vorgelegt, der Kinder- und Zwangsarbeit sowie Menschenhandel auf RSPO-zertifizierten Plantagen nachweist.72 Ich erzähle ihm davon. »Nein«, beharrt der Palmöllobbyist, »den Bericht kenne ich nicht, ich glaube auch nicht, dass es den gibt.« Vielleicht würden die Kleinbauern ihre Kinder benutzen, »aber auf den großen Plantagen gibt es das nicht«. Na klar! Die bösen, bösen Kleinbauern. Mal wieder.

Fakt ist: Würden die Arbeiter und Bauern nicht so gnadenlos ausgebeutet, wäre Palmöl nicht das billigste und begehrteste Fett der Welt. Laut Brot für die Welt sind die Einkommen der Arbeiter heute sogar noch niedriger als zu Kolonialzeiten.73 Diese extrem niedrigen Löhne ermöglichen es den Firmen, schnell zu expandieren und für ihre Investitionen in kurzer Zeit exorbitante Profite einzufahren. Dass das Palmöl den Menschen Wohlstand und Arbeitsplätze beschere und die Armut abschaffen könne, ist die größte Lüge in diesem schmierigen Geschäft. Das Palmölbusiness bringt Armut nicht nur hervor, es lebt von ihr. Armut ist seine wichtigste nachwachsende Ressource.74

Die Erntearbeiter, die Herwin und ich im Schutz eines Privathauses außerhalb der Plantage getroffen hatten, erzählten, dass sie umgerechnet etwa hundert Euro im Monat verdienen. Aber selbst dieser Hungerlohn ist ihnen nicht sicher. Das Unternehmen setzt ihnen ein Tagesziel für die Ernte. Wenn sie das nicht erreichen, wird der Lohn gekürzt. »Sechzig Früchte am Tag« lautet zum Beispiel die Vorgabe. Das kann niemand alleine schaffen. Palmölfrüchte wiegen bis zu fünfzig Kilo, zusammengerechnet können das bis zu drei Tonnen sein. Deshalb müssen die Erntearbeiter ihre Frauen und Kinder zu Hilfe holen. Unbezahlt, versteht sich. Dieses perfide System der Zwangsarbeit ist auf Palmölplantagen üblich. Ja, auf dem Papier gibt es diese »freiwillige« Kinderarbeit nicht. Dass sie systemimmanent ist, bestätigte im November 2016 eine Studie von Amnesty International über Ausbeutung, Menschenrechtsverletzung, Kinder- und Zwangsarbeit auf Palmölplantagen in Indonesien – unter anderem beim RSPO-Mitglied Wilmar International.75

Abholzen für den Klimaschutz

In kaum einem anderen Industriezweig sind die grünen Lügen so fest im System verankert wie bei der angeblich nachhaltigen Palmölproduktion. Daran schuld ist auch: der europäische Klimaschutz. 2003 brachte das Europäische Parlament eine Richtlinie zu Biokraftstoffen auf den Weg, die 2009 in der Erneuerbare-Energie-Richtlinie aufging. Diese schreibt für den Verkehrssektor vor, dass bis 2020 ein Zehntel des Kraftstoffverbrauchs aus erneuerbaren Quellen stammen muss. Mit der Verwendung von Biosprit sollte gemäß dem Kyoto-Protokoll der CO2-Ausstoß gesenkt werden. 2006 beschloss die EU eine verpflichtende Beimischung von fünf Prozent Biosprit. Damit wollte die EU – hoch subventioniert – die europäische Landwirtschaft ankurbeln. Doch der Plan, sich mit Benzin vom heimischen Acker zu versorgen, ging nicht auf: Selbst für die Beimischung von fünf Prozent gibt es in ganz Europa nicht genug Land, das man mit Mais, Raps oder Rüben für den Tank bepflanzen könnte. So wich man auf Importe aus den Ländern des Südens aus. In der Folge ist die EU der drittgrößte Importeur von Palmöl.76 Laut einer Studie vom Naturschutzbund Deutschland und der NGO Trade & Environment hat sich die Beimischung von Palmöl in Biosprit in der EU zwischen 2010 und 2014 versiebenfacht: von 456 000 auf 3,2 Millionen Tonnen.77

Bei der Verbrennung von Pflanzenkraftstoff gelange nur so viel CO2 in die Luft, wie die Pflanze vorher gebunden habe, so die simple Idee.

Leider eine Milchmädchenrechnung. Rechnet man den Klimaschaden in Anbauländern ein, der durch die Zerstörung von Wäldern und Torfböden entsteht, produziert Biodiesel aus Pflanzenöl 80 Prozent mehr Emissionen als fossiler Diesel. Palmölbasierter Kraftstoff ist sogar drei Mal so klimaschädlich. Das belegt die Globiom-Studie, die die EU 2013 in Auftrag gab, deren Ergebnisse sie aber offenbar monatelang unter Verschluss hielt.

So geht das Greenwashing von Palmöl Hand in Hand mit der fatalen Biosprit-Politik der EU, die damit wiederum den wachsenden Individualverkehr grünwäscht.

Die Vernichtung von Wald und Torfböden hatte Indonesien bereits in der Vergangenheit zum größten CO2-Emittenten der Welt gemacht.78 Bei den Waldbränden im Herbst 2015 gelangten 1,7 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Das ist fast doppelt so viel, wie Deutschland im Jahr ausstößt. An 26 Tagen überstiegen die täglichen Treibhausgasemissionen des Inselstaats sogar die der USA. Wenn Torfmoorwälder und -böden brennen, werden 50-mal mehr Emissionen freigesetzt als beim Brand von Vegetation. Dann wird nicht nur eine riesige Menge CO2 in die Luft geblasen, sondern auch Methan, das 25-mal klimaschädlicher ist als Kohlendioxid.

Die Fläche, auf der Palmöl für europäischen Biodiesel wächst, ist sechseinhalbmal so groß wie die Ferieninsel Mallorca.79 Die EU selbst hatte die Waldvernichtung in Indonesien vorangetrieben: »Alleine die Ankündigung der gesetzlichen Beimischungsquote hat in Indonesien für einen Expansionsboom der Palmölplantagen gesorgt«, sagt Marianne Klute von Rettet den Regenwald. Mitte der achtziger Jahre wurden in Indonesien 5 000 Quadratkilometer mit Palmöl bebaut. Heute sind die Monokulturen mit 157 000 Quadratkilometern mehr als dreißigmal so groß.

Zwar schreibt die EU Nachhaltigkeitskriterien für importierte nachwachsende Rohstoffe vor. Als Nachweis für deren Einhaltung akzeptiert die EU unter anderem das Siegel des Runden Tisches für nachhaltiges Palmöl. Für die EU wurde RSPO-RED entwickelt. Das ist ein ergänzender Anforderungskatalog für Palmölproduzenten und -verarbeiter innerhalb der Lieferkette, der die Prinzipien und Kriterien des RSPO entsprechend der Nachhaltigkeitsanforderungen der EU-Richtlinie für Erneuerbare Energie ergänzt. Nach RSPO RED darf das Palmöl nicht von Plantagen stammen, für die nach 2008 Wald gerodet beziehungsweise Moor- oder Feuchtgebiete entwässert wurden. Damit soll ausgeschlossen werden, dass wertvolle Biodiversität für europäischen Biosprit zerstört wird. Allerdings war 2008 der größte Teil der Palmölplantagen, von denen Palmöl schon damals nach Europa geliefert wurde, bereits in Betrieb. Klimaschaden, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen, die vor 2008 entstanden sind, werden damit nicht nur ignoriert. Indem sie das RSPO-Siegel anerkennt, legitimiert die EU diese Zerstörung.

Unilevers grünes Tütensuppenwunder

»36 Fußballfelder Wald werden jede Minute zerstört.« Ein alter Baum löst sich aus der Erde seiner Regenwald-Heimat und läuft in die Stadt. Über sentimentale Musik spricht dieser Baum mit Pathos in der Stimme: »Niemals in meinen 170 Jahren hätte ich gedacht, dass es so weit kommen würde. Das mag ironisch klingen, aber ich glaube, ich bin in der Stadt sicherer als im Regenwald. Ihr seid die einzigen Lebewesen, die mir helfen können. Und wenn ich eure Gesichter sehe, weiß ich, das werdet ihr.«

So sieht Werbung für den britisch-niederländischen Lebensmittelmulti Unilever aus. Am Ende des Spots erscheint der berühmte Panda des WWF. Die Werbung ist Teil eines gemeinsamen Projekts zum Schutz der Regenwälder. Sie verspricht, Regierungsprogramme in Brasilien und Indonesien zu unterstützen und Millionen Bäume zu retten. Darüber hinaus wolle man Konsumenten dazu bewegen, »ihre Stimme zu erheben« gegen die Waldvernichtung. Konsumenten wohlgemerkt, denen Unilever noch mehr überflüssige Dinge wie Rama Margarine, Knorr Tütensuppen, Du-darfst-Diätquatsch und Lenor Weichspüler verkaufen will.

Unilever ist einer der größten Konsumgüterkonzerne der Welt. 170 Milliarden Produkte von vierhundert Marken verkauft Unilever jedes Jahr und machte damit zuletzt einen Umsatz von 53,3 Milliarden Euro. 2,5 Milliarden Menschen in 190 Ländern nutzten täglich ein Unilever-Produkt, heißt es auf der Homepage. Mindestens acht Millionen Tonnen landwirtschaftliche Rohstoffe kauft Unilever dafür jedes Jahr ein. Den größten Anteil daran haben Palmöl, Soja und Rindfleisch. Allein dafür wird rund die Hälfte der globalen Wälder vernichtet.80 Unilever verbraucht am meisten Palmöl von allen Konsumgüterkonzernen der Welt: 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Das sind 2,6 Prozent der globalen Ernte.81

»Es gibt keine Geschäftsstrategie, die Armut oder den Klimawandel rechtfertigt.«

»Der Klimawandel spielt eine große Rolle, denn es sind die Armen, die an den Temperaturveränderung leiden.«

»Eine Firma muss einen positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten. Wozu sollte sie sonst existieren? Warum sollten die Menschen sonst zulassen, dass es sie gibt? Wenn eine Firma nicht erklären kann, was sie tut, um anderen zu helfen, sollte sie sich als Erstes fragen, wofür sie da ist.«

Diese Sätze stehen nicht in der Umweltenzyklika von Papst Franziskus. Sie stammen vom Messias persönlich. Als solchen feierte jedenfalls die Branche Unilever-Boss Paul Polman bei seinem Antritt 2010 einhellig. Denn Polman versprach ein grünes Wunder: den Unilever Sustainable Living Plan. Ihm zufolge wolle der Konzern bis 2020 den Abfall, Wasserverbrauch und Treibhausgasausstoß halbieren, die Einhaltung der Menschenrechte in der Lieferkette verbessern und alle landwirtschaftlichen Produkte bis 2020 zu hundert Prozent »nachhaltig« einkaufen.82 Im selben Zeitraum wolle man den eigenen Umsatz auf achtzig Milliarden Euro verdoppeln. Um diesen Spagat für möglich zu halten, braucht man wirklich einen sehr starken Glauben. Denn um den Umsatz zu verdoppeln, muss Unilever noch mehr Produkte verkaufen – und verbraucht dann zwangsläufig sehr viel mehr von diesen problematischen Rohstoffen. Deshalb verfolgt Unilever eine besonders elaborierte Strategie, die über klassisches Greenwashing weit hinaus geht.

Unilever schaltete den zynischen Spot mit dem traurigen Baum zum UN-Klimagipfel 2015 in Paris. Zuvor hatte sich der Tütensuppenkonzern schon in New York engagiert. Im September 2014 hatte der unternehmerfreundliche UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zum Klima-Sondergipfel nach New York eingeladen. Zwei Tage zuvor nahmen 300 000 Menschen am People’s Climate March teil. Auch Unilever: Mindestens hundert Konzernmitarbeiter gingen auf die Straße. Darunter Unilevers Nachhaltigkeitschef Jeff Seabright, sowie Jonathan Atwood, Vizepräsident der Konzernkommunikation und des Sustainable Living Program. Sie trugen Schilder, auf denen der Slogan »Bright Future« prangte, mit dem Unilever Kloreiniger und Waschpulver als Entwicklungshilfe bewirbt.83 Damit inszenierte sich der Weltkonzern als Bürger- und Klimaschutz-Aktivist – eine Täter-Opfer-Umkehr. Ben&Jerry’s Gründer Jerry Greenfeld marschierte in einem Block von Mitarbeitern, die eine gigantische Eistüte schleppten, auf der der Globus als Eiskugel schmolz. »If it’s melted, it’s ruined« lautete Ben&Jerry’s Spruch auf Bannern, die die Mitarbeiter trugen – uniformiert mit T-Shirts, die mit dem Eistüten-Motiv und dem Slogan bedruckt waren. Ben&Jerry’s ist das grüne Feigenblatt von Unilever: Der Eishersteller bezieht Fairtrade-Schokolade und hat Palmöl weitgehend aus seinen Produkten verbannt.

Nicht nur Unilever machte den Protest zum PR-Event: Auch Peter Agnefjäll nahm teil, der damalige (inzwischen von Jesper Brodin abgelöste) Chef des Wegwerfmöbelimperiums Ikea, das immer wieder wegen Kahlschlags von Wäldern kritisiert wird. Verschiedene CSR- und Lobby-Initiaven riefen Konsumenten wie Unternehmen zur angeblich größten Klimademonstration auf und nahmen selbst daran teil: darunter We Mean Business, die Business-NGO Ceres und die Climate Group. »Ich war noch nie bei einem Protestmarsch, der in der New Yorker U-Bahn beworben wurde. Bei dem 220 000 Dollar für Poster ausgegeben wurden, die Wall-Street-Banker einladen, an dem Marsch teilzunehmen, um den Planeten zu retten«, staunte der Al Jazeera- und Guardian-Autor Arun Gupta im US-Online-Magazin Counterpunch.

Der People’s Climate March enthielt keine politischen Forderung – außer dem banalen Aufruf, dass »die da oben« was gegen den Klimawandel unternehmen sollen. Aber »die da oben« nahmen selbst an dem Spektakel teil: Ban Ki-moon spazierte an der Seite der damaligen UN-Klimaschutzchefin Christiana Figueres. Es gab keine Reden, keinen Feind und keine Blockaden – die Demonstration bewegte sich nicht einmal in die Nähe des UN-Hauptquartiers.

Ein Protest, auf den sich alle einigen können und der niemandem weh tut, ist keiner. Er übt aber Verrat am Widerstand. Zur Blockade »Flood Wallstreet« kamen am nächsten Tag nur dreitausend Menschen. Unter dem Aufruf »Stop Capitalism. End Climate Crisis« besetzten sie den Finanzdistrikt, hundert Demonstranten wurden festgenommen.

»Astroturfing« nennt man es, wenn Unternehmen selbst Protest in Szene setzen, um ihre eigenen Interessen als öffentliche auszugeben. Der Begriff ist ein Wortspiel und steht für das Gegenteil von Graswurzelbewegungen – Astroturf ist ein Markenname für Kunstrasen. Zwar hatten am entpolitisierten People’s Climate March auch Umweltgruppen und antikapitalistische Aktivisten teilgenommen. Sie wurden vereinnahmt, um genau die Propaganda zu stärken, die von Industrie und Politik verbreitet wird: Konsumenten, Konzerne und Politik seien »im Kampf« gegen den Klimawandel vereint und zögen »an einem Strang«, um das Klima zu retten. So lautete in New York auch der Demo-Slogan des WWF: »To change everything we need everyone.«

Und so öffnen auch die Vereinten Nationen ihre Tore für Konzerne, vor deren Vernichtungswerk sie die Welt beschützen sollten. Für den New Yorker Klima-Sondergipfel hatte die Calderón-Kommission im Auftrag der UN eine Art Masterplan für »klimafreundliches« Wirtschaftswachstum vorgelegt. Die Kommission wurde von Mexikos Expräsident Felipe Calderón und dem ehemaligen Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern geleitet und gelangte wenig überraschend zu dem Ergebnis, Wirtschaftswachstum und Klimaschutz seien kein Widerspruch, sondern bedingten sich gegenseitig. Nichts hören die Bürger der westlichen kapitalistischen Gesellschaften lieber. Entsprechend groß war der Jubel über den Bericht in den Mainstream-Medien. Business as usual mit grünem Anstrich – hurra! Zu dem »Expertenteam« gehörte neben den Großbanken Deutsche Bank und HSBC, die ihrerseits in Palmölkonzerne investieren,84 auch Paul Polman von Unilever. Der Lebensmittel-Multi gehört auch zu den Unterzeichnern der New Yorker Waldschutzerklärung. Auf Ban Ki-moons Sondergipfel hatten sich die »World Leader« auf diesem Papier dazu verpflichtet, »den Verlust der natürlichen Wälder bis 2020 zu halbieren und sich zu bemühen, diesen bis 2030 zu beenden«.85 Anders herum klingt es auch viel weniger gut: Bis 2030 darf weiter abgeholzt werden. Zur Unterschrift von Unilever gesellten sich die der schlimmsten Waldzerstörer: Asian Pulp&Paper (PT APP), Cargill, Deutsche Bank, McDonald’s, Nestlé, Procter&Gamble, Walmart und die der Palmölkonzerne Asian Agri, Musim Mas und Wilmar International. Während in Indonesien die Wälder brannten, erkor die UN die Palmölindustrie und ihre Abnehmer zu Waldrettern. Die hatten ja freiwillige »No Deforestation«-Versprechen abgegeben.

»Zusammengenommen ist der Anteil von Palmöl, das unter der Selbstverpflichtung zu null Entwaldung gewonnen wird, im vergangenen Jahr um sechzig Prozent gestiegen. Diese Plantagen bedecken eine Fläche von der Größe Portugals. Der Wert dieses Palmöls beträgt dreißig Milliarden Dollar innerhalb einer 50-Milliarden-Dollar-Industrie. Das reduziert geschätzte 400 bis 450 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr und insgesamt zwei Milliarden Tonnen bis 2020«, heißt es in der Erklärung. Eine reine Fantasierechnung, schließlich handelt es sich ja nur um Versprechen, die, nur zum Beispiel, von Wilmar immer wieder gebrochen wurden.86 Und von Wilmar, dem Hauptlieferanten von Unilever, stammt auch die krude Rechnung aus der UN-Waldschutzerklärung.

Tütensuppenheiland Polman war sogar an der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) beteiligt. Unilever gehört neben mehr als vierhundert anderen Großkonzernen – darunter Airbus, BASF, Bayer, Coca Cola, Ikea, Mars, McDonald’s, Nestlé, Rio Tinto, RWE, Siemens und Dow Chemical – der UN-Initiative Caring for Climate Business Forum an.87 Zu deren Partnern gehört das World Business Council for Sustainable Development, eine Industrieinitiative, die Stephan Schmidheiny 1995 gründete. Der Schweizer Unternehmer war 1992 Hauptberater für Wirtschaft und Industrie beim Rio-Gipfel der UN zu Umwelt und Entwicklung. Bekannt ist Schmidheiny vor allem dafür, dass in seinen italienischen Eternit-Fabiken mehr als 2 000 Arbeiter und Anwohner an Asbestvergiftung starben, weil die Sicherheitsvorkehrungen völlig unzureichend waren. Schmidheiny war es immer wieder gelungen, das Urteil der Staatsanwaltschaft Turin über 90 Millionen Euro Schadensersatz und 18 Jahre Haft anzufechten. Diesem feinen Forum, das jetzt die Welt retten will, steht Paul Polman vor. Polman, der vor seiner Zeit bei Unilever für Nestlé und Procter&Gamble arbeitete, war sogar an der Entwicklung der Post-2015 Development Agenda beteiligt, aus der die Sustainable Developement Goals (SDG) hervorgingen. Die nachhaltigen Entwicklungsziele der UN lösten 2015 die gescheiterten Millennium Developement Goals ab. Polman gehört zur Gruppe der SDG-Advokaten, die die UN dabei unterstützen wollen, die Ziele bis 2030 zu erreichen.88 So wie Unilever, die ihr Kerngeschäft nun angeblich nur noch zur Umsetzung der Entwicklungsziele betreiben.89 Unter anderem dafür hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) den Tütensuppenfabrikanten 2015 zum »Champion of the Earth« gemacht. Greenwashing ist also eine Erfolg versprechende Form des Lobbyismus: Das beworbene Engagement in den Ländern des Südens hilft Unilever, von dort unbehelligt problematische Rohstoffe zu beziehen und gleichzeitig seine Märkte zu erweitern. Mehr als die Hälfte seines Umsatzes macht der Lebensmittelmulti nämlich in sogenannten Schwellenländern. Und zwar, indem er unter dem Deckmäntelchen der »Entwicklungshilfe« seine überflüssigen Produkte in kleinen Größen günstig an Arme verkauft. Was wiederum zu einem riesigen Müllproblem in diesen Ländern führt: Im September 2017 sammelten philippinische Greenpeace-Aktivisten an einem Strand nahe der Hauptstadt Manila mehr als 54 000 Plastikabfälle ein. Die meisten stammten von Nestlé, Unilever und Procter & Gamble.

Unilever wirbt damit, hundert Prozent nachhaltiges Palmöl zu kaufen. Trotzdem kann der Konzern nicht ausschließen, dass in seinen Produkten blutiges und illegales Palmöl steckt. Denn Unilever bezieht drei Viertel des Rohstoffs über das sogenannte Book & Claim-System.90 Darüber kaufen Firmen lediglich Zertifikate für die von ihnen benötigten Mengen Palmöls mit Nachhaltigkeitssiegel. Sie können so nur garantieren, dass irgendwo auf der Welt die entsprechende Menge nachhaltig gesiegelten Palmöls in den Mengen produziert wurde, für die sie Zertifikate gekauft haben. Nur dreißig Prozent des Palmöls, das Unilever verwendet, ist überhaupt zertifiziert. Den größten Teil davon wiederum bezieht Unilever über das Massenbilanzsystem, das aber in den Tanks mit nicht zertifiziertem Palmöl gemischt wird. Nur ein winzig kleiner Teil ist Palmöl, das in der Lieferkette von nichtzertifiziertem Fett getrennt wird (RSPO Segregated). Vom meisten Palmöl also, das Unilever bezieht, kann das Unternehmen nicht wissen, woher es wirklich kommt. Wie aber das rückverfolgbare Palmöl tatsächlich hergestellt wurde, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

NGOs als grüne Helfer der Industrie

Eine besondere Rolle bei der Erfindung des nachhaltigen Palmöls spielt der WWF. Nach Meinung vieler NGOs, insbesondere lokaler Aktivisten wie Feri, ist es der Mitbegründer WWF, der dem Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl grüne Glaubwürdigkeit verleiht. Mit einem Kapital von mehr als 300 Millionen Dollar,91 5 000 Mitarbeitern und fünf Millionen Spendern ist er eine der größten Naturschutzorganisationen der Welt. Vier Prozent der Einnahmen des WWF International stammen von Unternehmen. »Durch strategische Kooperationen mit wichtigen Wirtschaftsträgern nimmt der WWF Einfluss auf die Förderung von ökologisch nachhaltigem wirtschaftlichem Handeln. Wir arbeiten mit Unternehmen zusammen, um sie zu verändern. Die Wirtschaft schätzt den WWF als kompetenten, verlässlichen, aber unabhängigen Partner, weil er wichtige Probleme anspricht und innovative Lösungswege aufzeigt.« So erklärt der WWF seine Kooperation mit der Industrie.92

Der WWF ist keine Organisation, die aus der Zivilgesellschaft heraus entstand. Er wurde 1961 von Adligen, Großwildjägern, Industriellen und Millionären gegründet, um für genau diese Klientel vermeintlich unberührte Naturparadiese zu schützen. Nationalparks einzurichten, aus denen dann Indigene vertrieben werden – das gehört zur unrühmlichen Geschichte der Organisation, die, trotz Aufarbeitung, noch heute ideologisch nachzuwirken scheint. Zwar erkannte der WWF 1996 in einer Grundsatzerklärung die Rechte indigener Völker an.93 Darin steht aber auch dieser bemerkenswerte Satz: »Der WWF behält sich vor, Aktivitäten, die seiner Ansicht nach für Arten oder Ökosysteme nicht nachhaltig oder nicht mit der Politik des WWF für gefährdete oder bedrohte Arten (…) zu vereinbaren sind, nicht zu unterstützen bzw. diese abzulehnen, selbst dann, wenn sie von indigenen Gemeinschaften betrieben werden.«94

So ist das mit den Eingeborenen: Verhalten sie sich nicht nach den Vorstellungen des WWF, sind sie schlecht fürs ökologische Gleichgewicht. Aber natürlich werden 99,9 Prozent aller »nicht nachhaltigen Aktivitäten« von Papier-, Holz-, Soja-, Fleisch- und Palmölkonzernen begangen, auch solchen, mit denen der WWF an Runden Tischen sitzt. Mit der Kriminalisierung Indigener und Bauern demonstriert der reiche Westen abermals seine Dominanz. Dazu gehört auch die Deutungshoheit darüber, wie viel Natur wo, von wem und für wen geschützt werden soll. So geht grüner Kolonialismus.

Im Januar 2017 reichte die NGO Survival International bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Beschwerde gegen den WWF ein.95 Der hatte die Regierung Kameruns angeregt, im Südosten Kameruns Wildschutzzonen einzurichten. Offenbar gegen den Willen des Pygmäenvolks der Baka. Vom WWF ausgebildete und mitfinanzierte Wildhüter, sogenannte Eco Guards, sollen laut Survival International das Jagdverbot, das in den Reservaten herrscht, gewalttätig durchsetzen. Die Baka würden geschlagen, bestohlen und ihre Hütten dem Erdboden gleichgemacht. Zum ersten Mal steht nun eine gemeinnützige Organisation vor dem Schiedsgericht, das die OECD für multinationale Konzerne eingerichtet hat. Interessant ist die Begründung der OECD: Zwar sei das Geschäft des WWF nicht per se kommerzieller Natur. Doch seine vielfältigen wirtschaftlichen Tätigkeiten sprächen dafür, die Beschwerde zuzulassen.

»Wie Marken helfen können, die Artenvielfalt zu erhalten«, lautete ein TED Talk,96 den Jason Clay 2010 hielt. Er ist beim WWF International für Ernährung, Landwirtschaft und globale Märkte zuständig. Könnte man hundert wichtige Firmen überzeugen, nachhaltig zu werden, würden sich die internationalen Märkte so verändern, dass der Planet, »dem unser Konsum bereits entwachsen ist«, beschützt würde, sagt Clay. Also wolle der WWF sie »umarmen«.

Es ist eine neoliberale Ideologie, nach der die Mithilfe und nicht etwa die Abschaffung der Großkonzerne genauso alternativlos ist wie das neokoloniale Cash-Crop-Regime, wenn es um die Rettung des Planeten geht. Dieses grüne TINA-Prinzip findet seine praktische Umsetzung an den Runden Tischen, die den systematischen Raubbau an der Natur als nachhaltig zertifizieren. Der WWF hat dieses Konzept quasi erfunden und gemeinsam mit der Industrie neben dem RSPO eine Reihe Siegelinitiativen für hochproblematische Rohstoffe mitgegründet: das Forest Stewartship Council mit dem FSC-Siegel für nachhaltige Forstwirtschaft, das Marine Stewardship Council, das nachhaltige Fischerei mit dem MSC-Siegel zertifiziert, des Aquaculture Stewardship Council mit dem ASC-Siegel für Fische und Shrimps aus Zuchtbecken sowie Runde Tische für Rindfleisch (Global Roundtable on Sustainable Beef – GRSB) und Soja (Roundtable on responsible Soy – RTRS) sowie die Initiative für bessere Baumwolle (Better Cotton Initiative – BCI).

Sie arbeiten nicht an einer Reduktion der Rohstoffe, sondern an der Produktionssteigerung. Sie stärken die Marken der Konzerne, bieten ihnen Rohstoffzugang, sichern deren Milliardengewinne und stärken damit ihre Macht. Deswegen ist auch jede dieser Initiativen in die Kritik geraten: Laut verschiedenen Studien des Kieler Geomar-Instituts stammt auch MSC-zertifizierter Fisch aus überfischten Beständen,97 Holz aus Kahlschlag und illegaler Rodung tragen das FSC-Siegel,98 der Runde Tisch für verantwortungsvolles Soja und die Better Cotton Initiative erlauben gentechnisch verändertes Saatgut.

Wilfried Huismann hat 2012 das Schwarzbuch WWF. Dunkle Geschäfte im Zeichen des Panda geschrieben und den Film Der Pakt mit dem Panda gedreht. Er bezeichnet den WWF als »Weltmacht der Green Economy«. Der WWF ging gegen Buch und Film juristisch vor, warf dem Autor sachliche Fehler vor und erreichte, dass zwanzig Passagen im Buch geschwärzt werden mussten. Die grundsätzlichen Vorwürfe aber konnte der WWF nicht widerlegen.

»Der WWF ist auf seine Art Teil eines globalen Steuerungssystems, mit dem die Weltagrarordnung durchgesetzt werden soll«, schreibt Huismann. So werden die Länder des Südens zu reinen Rohstofflieferanten degradiert; dass Konzerne sie erschließen und ausbeuten dürfen, erhält durch speziell eingerichtete »Schutzgebiete« den Anschein der Legitimität. Dreh- und Angelpunkte aber bleiben die Industrie und ihre Lieferketten, nicht die Interessen der lokalen Bevölkerung. Und das ist zutiefst antidemokratisch. »Es ist ein Ökosystem-Syndikat, das unsere Welt in Nationalparks und Plantagen aufteilt und das Volk einfach ignoriert«, kritisiert Feri Irawan.

1997 schloss sich der WWF mit der Weltbank zur »Allianz für den Erhalt und für nachhaltige Nutzung von Wäldern« (WWF-World Bank Alliance Global Collaboration for Forest Conservation and Sustainable Use) zusammen. Das formulierte Ziel: mindestens zehn Prozent der Wälder der Welt zu erhalten und dafür geschützte Gebiete einzurichten.99 Klar, dass dieses Ziel und dessen Umsetzung nicht mit denen ausgehandelt wurde, die in und von den Wäldern leben. Der grüne Kolonialismus ignoriert nicht nur die politischen Forderungen nach sozialer und ökologischer Gerechtigkeit der lokalen Gemeinden, er sabotiert so auch deren Kampf gegen die Palmölmafia.

»Kein Palmöl ist auch keine Lösung« – mit diesem Satz kündigte der WWF im August 2016 seine Studie Auf der Ölspur. Berechnungen zu einer palmölfreien Welt an.100 Würde man das Palmöl in den Produkten schlicht durch andere Öle austauschen, also etwa durch Kokos-, Soja-, Sonnenblumen- und Rapsöl, dann würde noch mehr Fläche verbraucht werden, der Ausstoß von Treibhausgasen würde ansteigen und noch mehr Biodiversität wäre gefährdet. Und zwar auch dann, wenn durch den (auch vom WWF geforderten) Ausstieg der EU aus dem Biosprit und ein geändertes Konsumverhalten der Verbrauch von Palmöl halbiert würde. Es stimmt, dass Ölpalmen, die nur in den Tropen angebaut werden können, ertragreicher sind als andere Ölpflanzen. Allerdings – und das ist der wirklich himmelschreiende Irrsinn – wird Palmöl vor allem für Produkte verwendet, die in Wahrheit kein Mensch braucht: für Biodiesel, der das Klima nicht schützt. Als Futter in der Massentierhaltung, die ihrerseits gigantisches Leid und Umweltschäden verursacht. Für Kosmetika. Und für industrielles Plastikessen, das dick und krank macht. Jüngsten Studien zufolge kann Palmöl in verarbeiteten Lebensmitteln sogar krebserregend sein.101

Doch die WWF-Studie – und vor allem die Berichterstattung darüber – lassen Palmöl als »kleineres Übel«, ja, gar als umweltfreundlichere Alternative erscheinen und den Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl als Lösung. Die Industrie nahm die Botschaft »ohne Palmöl geht es nicht« dankbar auf. Zum Beispiel Unilever: Die massenhafte Verwendung von Palmöl rechtfertigt der Konzern seitdem mit der WWF-Studie und bewirbt damit sein Nachhaltigkeitsengagement.102

Greenpeace in der Pragmatismusfalle

»Man muss aufhören, Nutella zu essen.« Das Medienecho war riesig, als die französische Umweltministerin Ségolène Royal im Juni 2015 zum Boykott der Nuss-Nougat-Creme von Ferrero aufrief. Der Brotaufstrich enthalte immens viel Palmöl, für dessen Verwendung große Waldflächen vernichtet würden. Nur zwei Tage später entschuldigte sich die Ministerin und zog den Boykottaufruf zurück. Was war geschehen?

Die italienische Regierung hatte sich lautstark über ihre Initiative beschwert, Ferrero hatte ebenfalls Alarm geschlagen. Und der Süßwarenkonzern erhielt ausgerechnet von Greenpeace Schützenhilfe: Ein Boykott, so ließ die NGO verlauten, würde die Probleme nicht lösen. Außerdem verfolge Ferrero eine ambitionierte Strategie, um ausschließlich zertifiziertes Palmöl zu beziehen.

Eine erstaunliche Reaktion. Seit seiner Gründung hat Greenpeace den Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl kritisiert. Über die Verstöße der Mitglieder und die komplizierten Verwicklungen von Banken, Palmöl- und Konsumgüterfirmen hat Greenpeace zahlreiche Studien verfasst und Konzerne an den Pranger gestellt, auch Ferrero.

»Name and Shame« ist ein Kampagnenkonzept von Greenpeace. Die NGO weist Markenfirmen Vergehen nach und nutzt die Empörung, um sie an den Verhandlungstisch zu bringen. »Das schmutzige Geheimnis von Procter&Gamble«, hieß die Greenpeace-Kampagne gegen den Wilmar-Kunden, die 400 000 Leute mit einer Protestmail an Procter&Gamble unterstützten. Der Konzern reagierte, präsentierte eine eigene Waldschutzrichtlinie und kündigte an, bis 2020 »schmutziges Palmöl aus den Produkten zu verbannen«. 250 Konsumgüterkonzerne wollte Greenpeace 2013 zu einer »besseren« Palmölbeschaffung bewegen. Neben Procter&Gamble haben auch Ferrero, Mars, Nestlé und Unilever ähnlich wohlklingende Palmöl-Strategien veröffentlicht.103 Greenpeace hat mit der Palmöl-Kampagne nicht nur Konsumgüterkonzerne, sondern auch umstrittene Papier- und Palmölkonzerne in Indonesien zu öffentlichen »Null Abholzung«-Statements bewegt. Darin kooperierte Greenpeace Indonesia mit dem Papier- und Zellstoffkonzern Asia Pulp and Paper (PT APP) des Palmöl-Giganten Sinar Mas, der allein 20 000 Quadratkilometer Tropenwald vernichtet haben soll, und Golden Agri Ressources, ebenfalls eine Sinar-Mas-Tochter. Im Dezember 2013 veröffentlicht auch der Wilmar-Konzern seinen »No deforestation. No peat.104 No exploitation«-Plan. »You did it!«, jauchzte Greenpeace International daraufhin, »das könnte ein riesiger Gewinn für Indonesiens Wälder sein.«

»Wenn eine Firma sagt, wir verpflichten uns, schmutziges Palmöl aus unseren Lieferketten zu verbannen, würdigen wir das im ersten Schritt. Im zweiten müssen wir sehen, dass sie das auch tatsächlich tun. Deshalb wollen wir in Zukunft viel stärker auf Rückverfolgbarkeit achten und herausfinden, wo die Konzessionen liegen und wem sie gehören. Sodass man klar sehen kann, was da passiert und wer verantwortlich ist«, sagt Greenpeace-Waldexpertin Gesche Jürgens.

Denn Greenpeace hat, auf Basis des RSPO, 2013 mit der Industrie selbst eine Art Runden Tisch gegründet, die Palmoil Innovation Group. Der gehören Ferrero, Danone und L’Oréal an, die Palmölkonzerne Musim Mas, Agropalma und Daabon, sowie, abermals, der WWF.

»Die POIG wird beweisen, dass die Industrie die Verbindung zwischen Entwaldung, Menschen-, Land- und Arbeitsrechtsverletzung und Palmölproduktion kappen kann, indem sie anspruchsvolle Standards aufstellt und umsetzt«105, heißt es in der Satzung. Tatsächlich sind die weiterentwickelten RSPO-Standards der POIG sehr viel strenger – aber sie sind ebenfalls freiwillig. Damit ist ja schon der RSPO gescheitert. Wieso sollten Palmölkonzerne, die selbst gegen die Minimalstandards des RSPO notorisch verstoßen, freiwillig noch strengere Standards einhalten?

»Wir halten es für illusorisch, zu glauben, Palmöl würde verschwinden, wenn wir das sagen. Wir sind nicht gegen Palmöl, sondern suchen nach Möglichkeiten, wie man den Wald und die Torfböden, die noch da sind, erhalten kann«, sagt Waldexpertin Jürgens. Das klingt nicht so anders als beim WWF. Gut möglich, dass der WWF mit seinem Engagement für »nachhaltiges Palmöl« die NGO-Konkurrenz unter Druck setzt, »Erfolge« vorzuweisen. Das mag auch damit zu tun haben, dass viele der Spender, die Greenpeace zum Global Player gemacht haben, zur gut verdienenden Mittelschicht gehören, die für pragmatische und technologische Lösungen besonders aufgeschlossen ist.

Als Beispiel, dass die nachhaltige Produktion von Palmöl möglich ist, dient Greenpeace eine winzige Plantage im Dorf Dosan. Auch der RSPO bewirbt diese als Vorzeigeprojekt in der Provinz Riau in Südsumatra. Dort betreibt die Kooperative Bungo Tanjung sieben Quadratkilometer Plantage. Laut Greenpeace wird dort kein Wald für die Expansion der Plantage abgeholzt, die Bauern würden mit fortschrittlichen Anbaumethoden die Produktivität in der bereits bestehenden verbessern, außerdem hätten sie der Brandrodung abgeschworen. Für die massenhafte Nachfrage sind solche kleinformatigen Projekte allerdings kein Modell, selbst dann nicht, wenn die EU aus dem Biosprit aussteigt (wofür auch Greenpeace schon lange kämpft). Denn alleine der Palmölhunger von Unilever verschlingt eine Fläche von viertausend Quadratkilometern Plantagen. Das ist mehr als 570-mal größer als der Acker in Dosan und beinahe zehn Prozent der Fläche Deutschlands. Selbst wenn es der Kooperative gelänge, doppelt so viel Öl auf derselben Fläche herzustellen, würde der Ertrag noch immer nicht für ein einziges Unternehmen wie Unilever reichen.

Die Geschichte des heutigen Vorzeigeprojekts ist allerdings genauso brutal wie jede andere im Palmölland: Dosan war einst von wertvollem Torfwald- und Moorgebiet umgeben. In den achtziger Jahren hat die indonesische Regierung die Gegend »erschlossen« – durch massive Abholzung und Trockenlegung der Torfböden. Irgendwann wurden darauf Palmölmonokulturen angelegt. Die Dorfgemeinde verarmte, weil sie keinen Reis mehr pflanzen und keine Fische mehr essen konnte, denn Boden und Wasser waren schnell vergiftet. Im Jahr 2000 überließ die Regionalregierung dem Dorf für ein »Kleinbauern-Palmölprojekt« das degradierte Land. NGOs und selbst die Umweltorganisation der Vereinten Nationen (UNEP) unterstützen den Palmölanbau darauf.106 Die Bauern, die einst von den Wäldern lebten, hatten also kaum eine andere Wahl, als Palmöl zu produzieren. Ist das dann wirklich nachhaltiges Palmöl – oder nur eine grüne Variante von Katastrophenkapitalismus?

»Die transnationalen NGOs verfolgen eine Abkürzungsstrategie: Sie haben keinen Einfluss auf die Politik vor Ort, also versuchen sie, über die Lieferketten etwas zu ändern. Die Idee, dass man kritische Käufer und damit die Unternehmen unter Druck setzt, damit sie irgendwelche Standards umsetzen, das führt dann zu genau solchen Sachen wie dem RSPO«, kritisiert der Südostasienwissenschaftler Oliver Pye. »Diese Vorstellung, man könne von innen heraus etwas ändern, entsteht aus Machtlosigkeit. Aber aus Sicht der NGOs ist das super: Die sitzen am Tisch mit denen, die die Macht haben, und können ihr Anliegen einbringen. Eigentlich steht in den RSPO-Prinzipien ja alles drin, was NGOs haben wollen.« Pye hält diesen Ansatz für falsch. »Es ist kein Widerstand, sondern eine Top-down-Strategie. Man redet mit Managern, damit sie ihre Ausbeutungspraxis verändern. Aber das sind nicht die Strategien der transnationalen und lokalen sozialen Bewegungen.« Diese kämpfen vielmehr für den Erhalt ihrer Wälder und für Landrechte. Indem sie diese auch vor Gericht nachweisen, haben sie erreicht, dass auf vielen Konzessionen nicht abgeholzt wurde. Damit konnten sie tatsächlich schon Wald retten. Möglicherweise sogar mehr als alle großen NGOs zusammen.

Auch Feri Irawan ist ein solcher Coup gelungen: Der Waldbauernsohn, gelernter Bauingenieur und Landvermesser, hat gemeinsam mit seinem Dorf Karang Mendapo auf Sumatra Land zurückerobert, das der Konzern Sinar Mas ihnen 2003 geraubt hatte. An einem einzigen Tag holzte der Palmölkonzern den Wald darauf ab und legte Palmölmonokulturen an. Doch Feri und das Dorf wehrten sich: Jetzt wächst wieder Wald da, wo einst Ölpalmen standen – und auch die Tiger sind zurückgekehrt.

Grüne Feuerteufel

Werner und ich schlendern durch die Ausstellungshalle im Bali Nusa Dua Convention Center. Während der Palmölkonferenz GAPKI präsentieren sich dort Palmölfirmen, Landmaschinenhersteller und Produzenten von Dünger und Pestiziden wie Dow Chemical. Am Eingang fällt ein Stand besonders auf: Er ist riesig und mit Holzschnitzereien verziert und soll an ein traditionelles indonesisches Langhaus erinnern. Auf einem kleinen Podest tanzt eine alte Dayak-Frau in Tracht mit Kindern, die Federschmuck auf dem Kopf tragen. Ein Musiker spielt indigene Klänge auf einem bemalten Saiteninstrument. Vom Band ertönen Vogelgezwitscher und Urwaldgeräusche. An den Wänden hängen Fotos von Orang-Utans, schönen Wäldern und glücklich lächelnden Eingeborenen. »Poverty to Prosperity« steht unter den Bildern. Es sieht aus wie die Präsentation einer größeren NGO. An den Wänden prangt das Emblem mit dem grünen Frosch der US-amerikanischen Siegelorganisation Rainforest Alliance. Wir stehen am Stand des Palmölkonzerns Makin Group. Es ist die Abkürzung für Matahari Kahuripan Indonesia, Matahari heißt Sonne. »Die Makin Group, wo Menschlichkeit, Produktivität und Umwelt harmonisch zusammenwirken, wurde mit dem Traum gegründet, ein besseres Leben für die Menschen zu schaffen.« Mit Palmöl, was sonst. Die Makin Group gehört zu den Sponsoren der indonesischen Palmölkonferenz GAPKI.

Chris Ichsan schwärmt uns von der »Balance« und »Harmonie« vor, bis Werner den Sprecher der Makin Group schließlich unterbricht: »Wie war das denn bei den Waldbränden. Hatte Ihre Firma irgend etwas damit zu tun?«

»Nein. Wir haben nichts mit Waldbränden zu tun. Niemals!«

»Vielleicht erzählen Sie mir hier was über Harmonie, aber womöglich zeigen Sie ein Pokerface?«

»Wenn Sie das herausfinden wollen, müssen Sie die Dörfer und Plantagen besuchen. Sie müssen ins Gelände gehen.«

Genau da, aber das verraten wir dem guten Mann natürlich in diesem Moment nicht, waren wir schon. In Jambi, auf dem Aschefeld. Die Firma PT Ricky Kurniawan Kertapersada (PT RKK), die Feri Irawan dort der Brandstiftung überführt und deren Manager ins Gefängnis gebracht hatte, ist eine Tochterfirma der Makin Group. Makin Group und PT RKK liefern Palmöl an Wilmar.

Wilmar liefert Palmöl an Unilever. Und Unilever verkauft seine Produkte mit dem Versprechen, hundert Prozent nachhaltiges Palmöl zu verwenden.