The Hunting Company
»Anderson, hör endlich auf, aus dem Fenster zu glotzen, und komm an den Tisch. Wir haben was zu besprechen!«
»Nur kein Stress, Butch. Wir haben ne ziemlich heiße Spur, der wir leicht folgen können, da kommt es auf ne Stunde mehr oder weniger nicht an. Hetzen wir uns ab, fangen wir an, Fehler zu machen, und das will doch keiner, oder?« Anderson strich sich über seinen roten Bart. «… Unsere Beute ist selbstsicher geworden und das macht sie unvorsichtig. Ich denke, das wird eine schnelle Jagd dieses Mal« Anderson zog den Vorhang zu. Draußen gab es sowieso nichts zu sehen. Auf dem sandigen Parkplatz des Motels standen nur ihre beiden Fahrzeuge und der Wagen des Kerls, der die Rezeption machte. Kein Wunder, denn hierher verirrte sich nur selten ein Reisender. Das Motel lag mitten im Wald an der Parish Road, die entlang des Bayou La Rose verlief und eher einer Schotterpiste als einer Straße glich. Wer sich hier ein Zimmer nahm, hatte ein dunkles Geheimnis, führte nichts Gutes im Schilde. In dem maroden Bau aus den Siebzigern gab es weder Internet noch Telefone auf den Zimmern. Für Außenkontakte jeglicher Art musste man sich schon zur Rezeption bewegen, wo dieser ungewaschene Kerl von Hotelier den ganzen Tag auf seinem faulen Arsch saß, in der Nase bohrte und auf einem verstaubten Röhrengerät uralte schwarzweiße Cartoons ansah. Er stellte keine Fragen und nahm Bargeld anstelle von Kreditkarten. Das Hunters Inn war schlichtweg der ideale Ort, für jeden, der keine Lust hatte, unangenehme Fragen zu beantworten.
»Sei nicht so selbstgefällig und komm her«, beschwerte sich Butch. »Es gibt einiges zu besprechen … Ich will, dass jeder genügend Magazine dabei hat. Und ihr verwendet ausschließlich unsere besondere Munition, habt ihr verstanden?«
Anderson grunzte etwas Unverständliches in seinen roten, dichten Bart. Er streckte seine breiten Schultern, bis die Knochen in den Gelenken knackten. Neben ihm und dem schlechtgelaunten Butch hielten sich vier weitere Männer in dem Motelzimmer auf: Der rattengesichtige Hawk, sowie Miller und Perkins und natürlich den stillen, in sich gekehrten Hendershot, dem man besser nicht auf die Eier ging. Auf den ersten Blick typische Jäger, wie man sie jedes Wochenende in den Wäldern der Vereinigten Staaten antreffen konnte. Männer, die unter der Woche einem normalen Job nachgingen, jedoch am Wochenende die Familienkutsche gegen den Truck eintauschten, sich das Duck-Tarn anzogen und die Gewehre aus den Waffenschränken holten. Ihre Haare waren lang, die Bärte wild und struppig.
Doch wenn man genauer hinsah, unterschieden sie sich in vielerlei Hinsicht von den Hobbyjägern, die wahllos in der Gegend herumballerten und zumeist nicht einmal ein Scheunentor trafen, wenn es direkt vor ihrer Nase stand. Es waren die Details, die sie von der Masse abhoben. Allein, wie die Männer ihre Waffen anfassten, zeugte von einer tödlichen Präzision, wie sie nur ausgebildete Schützen hatten. Es waren zärtliche Berührungen, die man den groben Händen nicht zutrauen mochte. Sie kannten sich alle von ihrer gemeinsamen Zeit bei den Navy Seals und hatten schon hundert Mal zusammen in der Scheiße gesessen. Schon damals waren sie in ihrer spärlichen Freizeit auf die Jagd gegangen, wohin sie der Einsatz auch verschlug. Es war wie eine Sucht, die um jeden Preis befriedigt werden wollte.
Dann war ihre Dienstzeit plötzlich zu Ende gewesen und sie standen auf der Straße. Es gab eine Verabschiedung, eine ansehnliche Rente und eine zusammengefaltete Flagge, die sie in die Schubladen ihrer Schlafzimmerschränke legten. Mit dem Schließen dieser Schubladen war ihr Leben zu Ende, es hatte seinen Sinn verloren. Die Armee hatte für sie gesorgt und ihnen die alltäglichen Dinge vom Leib gehalten, doch am Ende mussten sie jüngeren Männern Platz machen – und waren Fremde im eigenen Land.
Anderson hatte schließlich die Idee gehabt, um die Männer, vor allem aber sich selbst, aus dem Abgrund zu holen. Er gründete die Hunting Company und führte zusammen mit dem alten Team reiche Angeber in die Wildnis, damit sie ihren ersten eigenen Bock schießen konnten. Die Idee brachte ihnen jede Menge Geld, aber keine Befriedigung. Es fehlte der Kick, die Gefahr, in der sie schweben mussten. Oder es war das falsche Wild, hinter dem sie herjagten.
Anderson fing an, Aufträge abzulehnen. Nur die Gefährlichsten kamen in Frage. Aufträge, bei denen sie superreiche Russen in Krisengebiete führten, um besonders seltene Tiere abzuschießen oder gewisse Geschäfte abzuwickeln. Dazwischen verkrochen sie sich in den heruntergekommenen Spelunken französischer Hafenstädte und ertränkten ihren Lebensfrust in Alkohol. Die Armee hatte sie ausgespuckt und niemand war da, um sie aufzuwischen. Sie lagen am Boden und trockneten aus, bis nichts mehr an sie erinnern würde, als ein alter, dunkler Fleck.
Eines Tages tauchte Butch auf. Er betrat die Absteige in Le Havre, die zu ihrer temporären Heimat geworden war, und setzte sich zu ihnen an den Tisch, ohne um einen Platz zu bitten. Butch war ein alter und verdammt zäher Knochen, ein Jäger aus Leidenschaft. Er begriff schnell, wie es um die Hunting Company stand und was für Männer das waren. Vor allem zwischen Anderson und Butch stimmte die Chemie sofort. Butch war an einer großen Sache dran und brauchte ein Team, auf das er sich hundertprozentig verlassen konnte. Er suchte Profis, die nicht zögerten, abzudrücken, und die keine Fragen stellen würden, schlichtweg Männer, die vor Mord nicht zurückschreckten.
Als seine Männer von ihm während einer Probejagd erfuhren, um was es dem alten Mann wirklich ging, sagten sie auf der Stelle zu. Für die Männer war es ein eherner Auftrag, der sich nicht nur finanziell lohnte, sondern durch den sie etwas bewirken konnten, was einen Sinn ergab. Sie konnten die Welt von Menschen befreien, die es nicht verdient hatten, diese zu bevölkern. Butch benutzte dafür den Begriff Bereinigung und bezog sich gerne auf die sieben Todsünden, die ihren Zielpersonen wie Scheiße am Schuh klebten. Die Welt war auf einmal wieder in Ordnung.
Fünf volle Jahre hetzten sie nun schon ihrer Beute hinterher. Was es mit Butch auf sich hatte, erfuhren sie erst viel später. Eins war von Anfang an jedoch klar: Butch hätte der Teufel persönlich sein können und dennoch wären sie ihm blind gefolgt. Sie sahen in ihm den gefallenen Engel, der zur Waffe griff, um sich selbst zu helfen, weil ihm der Himmel jede Unterstützung versagte.
Anderson setzte sich zu dem grauhaarigen Butch und nahm sich eine der handgemachten Patronen vom Tisch. »Verdammt, hier drin stinkt es wie in nem Pumakäfig.« Die Patrone glänzte silbern zwischen seinen Fingern. Das Metall fühlte sich glatt an. Glatt, kalt und absolut tödlich. »Hast dieses Mal ne ganze Menge mehr von den Dingern gemacht, hm?«
Butchs Mund verzog sich zu einem grimmigen Grinsen, das jedoch seine Augen nicht erreichte. »Wir haben jahrelang auf diesen einen Augenblick hingearbeitet … und jetzt, so kurz vor dem Ziel, da will ich sichergehen, dass alles läuft, wie wir uns das vorstellen … sie dürfen nicht die geringste Chance haben!« Butch war der Älteste der Gruppe. Sein zerfurchtes Gesicht zeugte von einem langen, harten Leben. Über seine linke Wange verlief eine tiefe Narbe, die sich vom Kinn ausgehend über sein Auge bis zum Haaransatz fortsetzte. Wer genauer hinsah, bemerkte, dass das Auge nicht echt war. Mit rauer, tiefer Stimme sprach er weiter. »Wir werden in den nächsten Nächten auf die Jagd nach einem ganz besonderen Wild gehen … und dieses Wild ist gefährlich, wird sich nicht leicht geschlagen geben … denn wenn wir es gestellt haben, wird es um sein Leben kämpfen! … hier hat alles angefangen und hier werden wir es zu Ende bringen!« Butch sah sich um. »Das sollte jedem von euch klar sein. Leisten wir uns den kleinsten Fehler oder entkommt uns die Beute, werden wir schnell selbst zu den Gejagten!«
Anderson schob die Patrone in das Magazin seines Bushmaster ACR Sturmgewehrs. »Du machst dir zu viele Gedanken. Wir sind vermutlich die einzigen echten Profis, die in den Bayous um diese Zeit auf die Jagd gehen. Wir werden der Spur folgen und am Ende erfolgreich sein, so wird die Sache laufen und nicht anders … So läuft die Sache immer!« Er stand auf und winkte die anderen zu sich. »Kommt her, Männer! Trinken wir darauf, zur Hölle! Trinken wir auf das Blut, das wir heute Nacht vergießen werden!« Anderson nahm sein Glas vom Tisch, leerte es mit einem Zug und schmetterte es zu Boden. Alle taten es ihm gleich. Sie lachten, umarmten sich und rammten die Magazine in ihre Waffen. Er war wieder erwacht, der Geist des Krieges.
Nur Butch war nicht nach Lachen zumute. »Werft mir am Ende nicht vor, ich hätte euch nicht gewarnt …«