»Mein Gott, das gibt’s doch nicht!«
Nina wich einen Schritt zurück und nahm die Hände vor den Mund. »Das ist … das ist …«
»Ein Mädchen, ja verdammt … ein Mädchen! Und ich hab es angefahren.« Eric kniete und hatte ihren Kopf mit einer Hand angehoben. Seine Haare waren vom Regen durchnässt, Wasser tropfte von seinem Gesicht auf das des fremden Mädchens.
»Hey, Miss … Hey, machen Sie die Augen auf, bitte!« Eric tätschelte dem Mädchen vorsichtig die Wange. Unabhängig von seiner Angst um das junge Ding sah er sich schon im Schlund der amerikanischen Justiz, die ihn als Ausländer auseinandernehmen würde.
Nina ging jetzt ebenfalls in die Hocke und sah sich das Mädchen genauer an. Es hatte kastanienbraunes, gelocktes Haar, das ihr nass und schmutzig bis zu den Hüften reichte. Ihre Haut hatte einen kupfernen Teint und sie trug ein leichtes, geblümtes Sommerkleid. Der Stoff war voller Wasser und klebte an den Konturen ihres schlanken Körpers. Und sie trug keine Schuhe.
Nina berührte ihren Arm und spürte eine fiebrige Hitze, die von dem Mädchen ausging. Ihr Brustkorb hob und senkte sich hektisch. »Ihre Haut ist ganz heiß, als hätte sie Fieber …«
Urplötzlich schlug das Mädchen die Augen auf. Nina schrie auf und zog erschrocken ihre Hand zurück. Blinzelnd sah die Verletzte erst Nina und dann Eric an. »Ich … sie … was ist passiert? … Wo … sind die Anderen?«
Eric nahm ihre Hand. »Hier sind nur Nina und ich … und … ich heiße Eric.« Er beugte sich zu ihr nach unten. »Geht es Ihnen gut … ich meine, sind Sie verletzt?« Er räusperte sich verlegen und suchte einen Ausweg aus dieser unangenehmen Situation. »Es tut mir leid, aber ich konnte nicht mehr reagieren. Die Büsche sind hier unglaublich dicht und, nun ja, Sie waren plötzlich da und dann …«
Du redest Schwachsinn daher, natürlich hast du sie gesehen, hast nur gepennt
, dachte er verwirrt.
Du konntest nicht schnell genug reagieren, weil du übermüdet bist. Hättest längst rechts ranfahren sollen.
Das Mädchen war um die dreiundzwanzig, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt und vollkommen durchnässt.
Wie zur Hölle kommt sie überhaupt hierher?
Nina schob Eric zur Seite und versuchte sich in einem Lächeln. »Tut Ihnen etwas weh?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein, nein … bin in Ordnung, es geht mir gut … bin nur ausgerutscht. Hab mich erschrocken, das ist alles …«
Nina runzelte die Stirn. Ihr kam das Mädchen komisch vor. Sie musste nach dem Aufprall doch Schmerzen haben, zumindest aber Blessuren. »Sie sprachen von den Anderen … waren das Leute, mit denen Sie unterwegs waren? Freunde von Ihnen?«
Das Mädchen blinzelte mehrmals hintereinander, als hätte sie eine Fliege im Auge, die sie massiv störte. »Nein … ja, das war … heute Mittag. Ich bin im Moment hauptsächlich verwirrt, verstehen Sie?«
Eric stand auf und wischte sich das Regenwasser aus dem Gesicht. »Hauptsache, Ihnen ist nichts geschehen. Wir sollten einsteigen, bevor wir noch ganz aufweichen.« Auffordernd reichte er dem Mädchen seine Hand, die sie mit einem scheuen Lächeln ergriff. Ihre Augen hatten die gleiche Farbe wie ihr Haar.
»Danke … Ah, verdammt …« Sie belastete ihr rechtes Bein und verzog das Gesicht. »Hab mir wohl doch wehgetan.« Sie hielt sich an Erics Arme fest und beugte sich nach unten, um ihr Bein im Scheinwerferlicht zu begutachten. Blut war keines zu sehen, aber ihr Knie war angeschwollen.
Eric nickte dem Mädchen zu »Wir bringen Sie zu einem Arzt!«
»Nein, nein, das ist nicht nötig, es geht gleich wieder, muss nur etwas ausschnaufen«, antwortete sie hastig.
»Ich lasse Sie auf keinen Fall allein in den Bayous zurück. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.« Eric lächelte verkniffen. Immerhin nickte sie und stieg ein.
Kurz darauf saßen alle drei im Wagen und Eric ließ den Motor an. »Sie möchten sicher nach Butte la Rose … das Problem ist nur … wir haben nicht die geringste Ahnung, wo wir sind.«
»Da kann ich helfen«, antwortete das Mädchen und sah ihn über den Rückspiegel an. »Allerdings möchte ich nicht nach Butte la Rose, nur in die Nähe dieses … netten gottverdammten Dreckskaffs …« Die Kleine streckte ihre Hand nach vorne und lächelte. »Ich heiße übrigens Yuna … Yuna Lafayette«