Ist das etwa der ganz große Wurf?
Mason hatte in dieser Nacht kein Auge mehr zugemacht. Er war in sein Zimmer zurückgekehrt, hatte sich unter die Dusche gestellt, das heiße Wasser aufgedreht und es sich an die Wand gestützt über den Rücken laufen lassen, um nachzudenken.
Danach zog er frische Klamotten an, bereitete sich mit der verkalkten Kaffeemaschine auf der Kommode einen Kaffee zu und setzte sich aufs Bett. Der Kaffee schmeckte widerlich, vertrieb aber wenigstens die Müdigkeit. Das Warten war einer der Aspekte, die er an seinem Beruf überhaupt nicht mochte. Oft bedeutete dies, stunden- oder gar tagelang in einer unbequemen Pose dazusitzen und sich mit Kaffee wachzuhalten, bis etwas passierte. So auch in diesem Fall. Er wartete darauf, dass sich die Männer auf die Spur ihrer Beute begeben würden.
Es war dunkel, als Mason aufschreckte. Er saß an die Wand gelehnt am Kopfende des Bettes und blinzelte sich die Müdigkeit aus den Augen. Den widerlichen Geschmack nach altem Kaffee im Mund ignorierend, stand er mit knackenden Knien auf und ging zum Fenster. Draußen trampelten schwere Stiefel über das Holz der Veranda. Mason sah auf seine Armbanduhr: 04:56.
Durch den Vorhang konnte er beobachten, wie die Männer in ihre Fahrzeuge einstiegen. Sie waren schwer bewaffnet und trugen gefleckte Tarnkleidung.
Endlich geht’s los, dachte Mason. Die Waffen brachten ihn allerdings darüber ins Grübeln, ob die Sache nicht eine Nummer zu groß für ihn war. Schließlich verwarf er seine Bedenken wieder, denn das hier war seine große Chance und die musste er nutzen.
Bald erwachte der neue Tag. Über den Wipfeln zeichnete sich bereits das zarte Blau im wolkenlosen Himmel ab. Mason kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Ein älterer Mann mit grauem Pferdeschwanz und dichtem Bart öffnete die Fahrertür des dreckverkrusteten Ford F350 Trucks. Fast beiläufig warf er eine lange Nylontasche auf die Ladefläche. Plötzlich stockte er mitten in der Bewegung und fuhr herum. Seine stahlgrauen Augen trafen für einen winzigen Augenblick die von Mason, der erschrocken zurückzuckte und sich neben dem Fenster gegen die Wand presste. Schwere Schritte näherten sich dem Fenster. Mason hielt die Luft an und biss die Zähne zusammen. Er hatte das Gefühl, das ihn allein sein Puls verraten könnte, so laut wie sein Herz gegen seine Brust hämmerte.
»Hey Butch, warum bleibst du stehen?«
Die Schritte stockten direkt vor Masons Fenster. »Bin mir nicht sicher, Anderson. aber ich dachte, ich hätte was gesehen«, antwortete die tiefe Stimme, die er letzte Nacht schon gehört hatte. »War so’n Gefühl, als würde uns einer beobachten.«
»Ein Schnüffler?«, wollte der andere wissen.
»Glaub ich nicht. Aber du kennst das ja, dieses Kribbeln, wenn was nicht stimmt.«
»Kenn ich nur zu gut, Butch, aber da ist keiner. Außerdem … die Sonne geht bald auf, wir sollten uns beeilen … denk an die magische Stunde, Chief!« Der Mann klang ungeduldig.
»Die magische Stunde, right. Die lass ich auf keinen Fall ungenutzt verstreichen. Hol die anderen, wir brechen sofort au!.« Die schweren Stiefelschritte entfernten sich, kurz darauf wurden Autotüren zugeschlagen, und die kraftvollen Motoren der Geländewagen erwachten zum Leben.
»Scheiße, verdammte«, fluchte Mason und hastete durch das Zimmer. Jetzt kam es darauf an, schnell zu sein, um nicht den Anschluss zu verlieren, aber dennoch genügend Distanz zu wahren, damit er nicht entdeckt wurde. Eilig zog er sich seine Jacke an und packte die Kamera ein. Nicht besonders hilfreich, wenn die mich damit erwischen, ging es ihm durch den Kopf, doch wie sollte er sonst für die Öffentlichkeit festhalten, was immer er vorfinden würde?
Die breiten Reifen schmatzten über den feuchten Sand. Mason musste sich beeilen. Er rannte wieder zum Fenster und sah, wie der letzte Wagen nach rechts in die Parish Road einbog.
Direkt hinein in die Bayous, dachte er und trat ins Freie. Die frische Luft roch nach nassem Laub, in den Bäumen rief ein Vogel und flatterte mit den Flügeln. Mason überquerte den Parkplatz, kletterte in seinen Honda Civic und startete den Motor, der im Verhältnis zu den großen V8 der Geländewagen geradezu kläglich wimmerte.
Es war jetzt hell genug, um ohne Licht zu fahren. Als er auf die Straße fuhr, sah er, wie die Bremslichter des hinteren Wagens aufleuchteten, der nach links abbog. Dort gab es eine alte Holzbohlenbrücke, die über den Bayou la Rose führte. Mason knirschte mit den Zähnen und ließ seinen Wagen langsam zur Brücke rollen. Er benutzte die Handbremse, damit ihn das rote Leuchten nicht verraten würde. Auf der anderen Seite führte eine Schotterpiste an einem breiteren Bayou entlang. Er nickte zufrieden, als er die beiden Geländewagen der Jäger wieder vor sich sah.
Wie früher, als wir mit der Polizei Katz und Maus gespielt haben
, dachte Mason und erinnerte sich grinsend an seine Collegezeit und die dämlichen Campuscops. Das hier war zugegeben eine vollkommen andere Hausnummer. Die Campuscops waren Lachnummern gewesen, doch diese Jäger machten einen ziemlich bedrohlichen Eindruck auf ihn.
Die Piste war voller Schlaglöcher und Mason hatte Mühe, seinen Honda auf einer Spur zu halten, die ihm nicht den Auspuff abriss. Bremslichter flammten auf und die Jäger bogen in einen schmalen Waldweg ein. Dorthin konnte ihnen Mason nicht folgen. Er ließ den Honda an dem Weg vorbeirollen und lenkte ihn zwischen einigen Büschen an den Straßenrand. Mason musste sich beeilen. Er hängte sich die Kamera um den Hals und kam sich lächerlich vor. Eine Kamera gegen großkalibrige Waffen, das waren keine guten Aussichten.
Er schlich den gleichen Waldweg entlang, den auch die Jäger genommen hatten. Etwa hundert Meter weiter fand er die beiden Geländewagen. Mason duckte sich ins Unterholz, kroch näher. Was er sah, ließ ihn an seinem Vorhaben zweifeln. Die Männer standen um die Ladefläche des Trucks herum und legten ihre Ausrüstung an. Sie hatten automatische Waffen mit Schalldämpfern, einer baute sogar ein Scharfschützengewehr zusammen. Niemand redete. Sie machten weder Scherze, noch tranken sie den klassischen letzten Whiskey, wie es Jäger normalerweise taten, von ihren Waffen mal ganz abgesehen. Mason fand, dass sie sich eher wie Soldaten verhielten, bei denen jeder Handgriff saß und sich einer auf den anderen blind verlassen konnte, auch wenn Mason solche Leute nur aus Filmen kannte.
Hollywood griff in den letzten Jahren gerne auf echte Armeeeinheiten zurück, also wird was dran sein
, dachte er und leckte sich nervös über die Lippen. Zuletzt montierten sie sich rote Lampen auf die Gewehrläufe und schmierten sich schwarze Farbe in die Gesichter.
Es gab zudem eine weitere Sache, die Mason irritierte. Er sah es erst, als sich die Männer in den Wald aufmachten. Ihre Bewegungen waren seltsam steif. Sie trugen Körperpanzerungen, wie er sie bei Cops gesehen hatte, wenn sie gegen Demonstranten vorgingen. Einige hatten sich sogar Macheten umgeschnallt. Mason rieb sich übers Gesicht und dachte nach. Was zur Hölle hatten sie vor? Eine normale Jagd war das keinesfalls.
Er wartete, bis die Männer zwischen den Bäumen verschwunden waren und lief geduckt zu den Fahrzeugen. Die Motorhauben tickten in der kühlen Luft, der Geruch nach feuchtem Waldboden war durchsetzt vom Dieselgeruch der V8-Maschinen. Auf der Ladefläche des Trucks lagen schwarze Nylontaschen. Mason öffnete eine und fand geladene Magazine darin. Er zückte die Kamera und machte Bilder. Plötzlich knackten am Waldrand Zweige. Er verharrte in der Bewegung, hielt den Atem an.
Die kommen nicht zurück
, dachte er.
Das können sie nicht sein!
Ein kleines Tier kreischte und entfernte sich raschelnd durchs Laub. Mason atmete erleichtert auf.
Wenn diese Typen mich bei ihren Fahrzeugen erwischen, legen die mich um.
Die Bilder von den Waffen waren zwar gut, doch sie reichten nicht aus, um seinen Verdacht zu belegen. Was er brauchte, war ein stichhaltiger Beweis. Fotos, welche die Killer direkt bei der Tat zeigten. Der Jackpot eines aufstrebenden Reporters, der kaltblütig genug war, die Sache durchzuziehen.
Es gab nur einen Weg, um an diese Fotos zu kommen. Mason straffte seinen Schultern und ging auf die Stelle zu, an der die Männer im Wald verschwunden waren. Er wusste, dass es leichtsinnig war, höchstwahrscheinlich sogar lebensgefährlich, aber es gab keine andere Möglichkeit. Das Problem war nur, dass sich Mason in den Bayous kein bisschen auskannte. Nur ein einziges Mal war er überhaupt auf die Jagd gegangen, vor vielen Jahren mit seinem Dad und dessen Bruder Karl, in den Bergen Wisconsins, aber das war etwas vollkommen anderes gewesen. Damals hatte er ein Gewehr gehabt und das größte Abenteuer des Ausflugs bestand darin, sich in der Jagdhütte zu übergeben, nachdem sie ungezählte Paletten mit Bierdosen geleert hatten.
Anfangs konnte er der Spur der Jäger leicht folgen. Das Licht des erwachenden Tages flutete durch das Laub der Bäume und offenbarte ihm die Abdrücke der profilierten Stiefelsohlen auf dem weichen Waldboden. Mit dem Licht erwachte die Tierwelt. Vögel zwitscherten in den Baumkronen und überdeckten die unvorsichtigen Schritte Masons, der sich bei weitem nicht so lautlos bewegen konnte, wie es in dieser Situation angebracht gewesen wäre. Eine Stechmücke bohrte ihren Saugrüssel in seinen Nacken. Mason zerquetschte sie mit der flachen Hand und verfluchte diese moskitoverseuchten Sumpfwälder. Der Boden wurde nachgiebiger und nass. Wasser lief ihm in die Schuhe. Wo zur Hölle stecken diese Penner denn nur …
Plötzlich lichtete sich der Wald und Mason stand vor einem Wasserlauf. Die dunkle Brühe roch nach Moder und erstreckte sich, soweit er das sehen konnte, zwischen den Bäumen. Mason überkam das Gefühl, dass er nicht mehr wusste, wo er sich befand. War er nicht geradeaus gelaufen?
Der bloße Gedanke daran, nicht nur die Spur der Jäger verloren, sondern sich in diesem nach faulem Laub stinkenden Dickicht verlaufen zu haben, trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Er drehte sich um, doch das Waldstück hinter ihm sah abgesehen vom Wasser genauso aus wie das vor ihm oder die Areale zu den Seiten. Mason hatte Geschichten von Leuten gehört, die sich in den Sümpfen verirrt hatten und nie wieder aufgetaucht waren. Langsam wurde er nervös.
Ist doch kinderleicht, du musst nur deiner eigenen Spur zurück folgen, das ist alles …
Mason ging los, suchte abgebrochene Äste oder Fußspuren, fand jedoch nichts. Er bog Büsche auseinander und schlüpfte zwischen dornigen Zweigen hindurch. Immer wieder sah er Stellen, die ihm bekannt vorkamen. Mason bemerkte dabei nicht, dass er schneller wurde. Als er am Rand des nächsten Wasserlaufs stand, stolperte er einige Schritte in die Brühe hinein, bis er seinen Lauf stoppen konnte. War das etwa derselbe Tümpel, den er zu Anfang gesehen hatte?
Es lag auf der Hand, er hatte die Orientierung verloren. Mason drehte sich einige Male im Kreis und setzte mehrmals an, in eine bestimmte Richtung zu laufen. Am Ende hockte er sich resigniert auf einen Baumstamm und schüttelte den Kopf.
Niemand wird mich suchen, denn keiner weiß, dass ich hier bin. Selbst dem Typ im Hotel wird es egal sein, wenn ich nicht mehr auftauche. Er wird meine Sachen in einen Koffer stopfen und alles an den erstbesten Penner verkaufen.
Die einzige Chance bestand darin, dass jemand seinen Honda Civic am Wegesrand finden würde, aber selbst das könnte Tage dauern. Die Schotterpisten im Atchafalaya National Wildlife Refuge waren nicht die Fifth Avenue. Die Sonne heizte den Wald erbarmungslos auf, sodass der vom Regen aufgeweichte Boden dampfte. Der Nebel stieg in die Baumkronen, kondensierte an den Blättern und tropfte wieder hinab. Das Wasser funkelte in den Strahlen der Sonne.
Mason erschlug die Moskitos, die sein Schweiß angezogen hatte, und verrieb damit auf seiner Haut das Blut, welches sie bereits gesaugt hatten. Der süße Geruch lockte noch mehr dieser Mistviecher an und Mason hatte bald das Gefühl, sich in einer Spirale aus Stechmücken zu befinden.
Ein Schuss peitschte und Vögel stoben auf. Mason riss die Augen auf und schnellte hoch. Dann knallte es nochmal und er duckte sich hinter einen Busch, wohl wissend, dass ihm das Laub kaum Schutz bot. Er versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung die Schüsse gefallen waren, und lauschte mit angehaltenem Atem. Nach einigen Minuten folgte ein weiterer Knall, der in einem lauten, schmerzerfüllten Schrei endete. Dieses Mal war sich Mason sicher, woher der Schuss kam: Von jenseits des Wasserlaufs, an dem er in Deckung saß. Der Getroffene hatte jedoch auf seiner Seite des Wassers geschrien, direkt am Ufer. Mason sprang auf und pirschte vorwärts. Das Geballere konnte nur mit den vermeintlichen Jägern zusammenhängen. Er war wieder an der Sache dran. Es war nicht nur die Spur, die er verloren hatte, sondern vielmehr sein Ticket, um aus diesem verdammten Sumpf herauszukommen. Er musste sich dazu nur an die Fersen derer heften, die geschossen hatten. Mason hatte etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als es im Wasser laut platschte. Er duckte sich hinter eine dicke Baumwurzel und lauschte erneut. Masons Herz pumpte erbarmungslos schnell, skodass seine Erschöpfung wie weggeblasen war. Er musste sehen, was dort vorne vor sich ging.
Wenn ich hier sitzen bleibe, gehen die mir wieder durch die Lappen!
Langsam schob er seinen Kopf nach oben und spähte über die Wurzel. Zwei Männer wateten durch das schwarze Wasser auf die Stelle zu, an der er den Schrei ausgemacht hatte. Die anderen tauchten aus dem Dickicht des Waldes auf, ihre Gewehre im Anschlag und offensichtlich bereit, jederzeit abzudrücken.
Sie trafen am Ufer aufeinander, kaum dreißig Meter von ihm entfernt, wenn nicht weniger. Einer bückte sich und zog etwas Großes aus dem Wasser. Dort lag ein Mensch am Boden und wand sich im Dreck, stöhnte. Der Alte mit den grauen Haaren, Butch, lachte rau.
Mason schwitzte jetzt wie ein Schwein. Die Aufregung drückte ihm das Wasser regelrecht aus den Poren. Er spürte die dicke Ader in seinem Hals hart schlagen. Dennoch veränderte er seine Position, um besser sehen zu können. Ein trockener Zweig brach unter seinem Schuh. Mason tauchte ab.
Er schloss die Augen, hielt die Luft an und wartete auf das Unvermeidliche.
Leiche des vermissten Journalisten nach wochenlanger Suche endlich gefunden, von Kugel durchsiebt!
Das war nicht die Schlagzeile, die er sich erhofft hatte.
Schwere Stiefel bewegten sich auf ihn zu, einige noch im Wasser, andere durch das Unterholz. Mason knirschte mit den Zähnen und dachte darüber nach, aufzuspringen und davonzulaufen, doch dann hätte er eine perfekte Zielscheibe abgegeben. Ihm wurde bewusst, dass er aus der Sache nicht mehr rauskam. Gleich würden sie bei ihm sein.
Plötzlich peitschte in der Nähe ein Schuss durch den Wald. Jemand stieß einen schrillen Pfiff aus. Kurz darauf entfernten sich die Schritte, dieses Mal schneller. Etwas geschah an der Stelle, wo der Mann am Boden gelegen hatte, aber Mason traute sich nicht, den Kopf zu heben und über die Wurzel zu schauen. Er stellte sich vor, dass auf der anderen Seite einer der Jäger stand und mit vorgehaltenem Gewehr nur darauf wartete, dass er sich zeigte.
Als sich die Schritte entfernt hatten und es ruhiger wurde, wagte Mason einen zögerlichen Blick. Niemand lauerte jenseits seines Verstecks auf ihn, er war allein. Mason kletterte über die Wurzel und lief zu der Stelle, an der sich die Jäger um ihre Beute versammelt hatten. Die Vertiefung im Boden des Ufers war deutlich zu erkennen. Außerdem waren die Blätter eines großen Farns mit Blut beschmiert. Ein aufgerissenes Verbandspäckchen zeugte davon, dass die Jäger den Mann versorgt hatten. Mason wusste nicht, was er denken sollte. Erst schossen sie einen an, dann verarzteten sie ihn notdürftig und schleppten ihn weg.
Es sei denn, sie hatten vor, den Verletzten zu befragen …
Zugegeben, das klang wie im Film, doch nichts von dem, was er an diesem Tag gesehen hatte, konnte er mit seiner Realität in Einklang bringen. Sein Blick folgte der Spur, die sich wie eine Schneise durchs Unterholz zog. Mason wusste, dass es idiotisch war, aber er musste dieser Spur folgen. Nicht wegen des angeschossenen Fremden, sondern weil es der einzige Weg war, um aus diesem verdammten Sumpf rauszukommen. Die Männer würden früher oder später zu ihren Fahrzeugen zurückkehren. Er schoss ein paar Fotos und machte sich auf den Weg.
Eine halbe Stunde später …
Mason ekelte sich vor sich selbst. Seine Kleidung war verdreckt, nass und stank nach Schweiß. Aber das war jetzt Nebensache, genau wie die Moskitos, die ihn plagten. Nach den ersten Stunden im Sumpf hatte er es nicht für möglich gehalten, dass sie ihn noch schlimmer penetrieren konnten, aber die Biester hatten ihn eines Besseren belehrt. Er lag hinter ein paar Büschen auf dem Bauch und beobachtete eine alte Hütte am Rand einer Lichtung. Unter tief herabhängenden Ästen stand sie beinahe verborgen zwischen den Ruinen einiger rußgeschwärzter Mauern. Dorthin hatten sich die Jäger mit ihrer Beute verkrochen. Diese Beute war ein Mann von schätzungsweise fünfundzwanzig Jahren, den sie an den gefesselten Händen an einem Baum nach oben gezogen hatten. So weit, dass nur noch seine Fußspitzen den Boden berühren konnten. Er trug eine dunkle, verdreckte Hose, sonst nichts. Sein Körper war sehnig und durchtrainiert. Das war gewiss einer, den man nicht unterschätzen sollte. Schwarze halblange Haare ragten verklebt unter einem Sack hervor, den man ihm über den Kopf gestülpt hatte.
Nur der grauhaarige Alte war zu sehen. Er stand direkt vor seiner Jagdbeute und fuchtelte mit einem langen, gezackten Messer herum. »Dein Leben hängt an nem seidenen Faden … aber du hast noch ne Chance, dein Leben wenigstens halbwegs würdig zu beenden«.
Der Körper des Gefangenen bäumte sich auf. Er zerrte an den Fesseln, dass der Ast, an dem sie befestigt waren, laut ächzte. In seinen Bemühungen lag eine verzweifelte Kraft, die ans Übermenschliche grenzte.
»Ja, zerr du nur an deinen Fesseln, ändern wird es nichts. Sie sind zu stark, als dass du sie zerreißen könntest … oder denkst du, dass wir all die Jahre nichts dazu gelernt haben. Dass wir uns nicht für diese eine, finale Jagd vorbereitet hätten? … Denkst du das wirklich, hä?« Um seine Worte zu unterstreichen, versetzte der Mann seinem Gefangenen einen harten Fausthieb in die Magengrube. »Wir haben für das hier einen verdammt hohen Preis bezahlt und du wurdest uns als Vorspeise geschenkt …« Der Jäger fuchtelte mit einem großen Messer vor dem Gesicht des gebundenen Mannes herum, als würde der durch die schwarze Kapuze sehen, was vor sich ging. »Der Sumpf ist nicht mehr dein Freund. Er hat dich ausgespuckt, direkt vor unsere verdammten Füße!«
Mason befürchtete, in den nächsten Minuten Zeuge einer Hinrichtung zu werden, hielt sich aber dennoch die Kamera vors Auge und betätigte den Auslöser. Insgeheim verfluchte er sich dafür, aber er konnte nicht anders. Er dachte dabei an brennende Kreuze, an Männer, die ihre Gesichter hinter schwarzen Kapuzen versteckten und mit sonoren Stimmen das Böse beschworen.
Nichts dergleichen geschah, stattdessen traten jetzt die anderen Männer aus der Hütte und versammelten sich mit Bierdosen in den Händen um ihre Beute.
Mit einem brutalen Ruck zog der Graue dem Gefangenen den Sack vom Kopf. »Siehst du, wir haben nichts zu verbergen … einige der Männer hier kommen dir bestimmt bekannt vor, hm? Kannst du dich an sie erinnern?«
Der Mann hustete trocken, spuckte aus und hob den Kopf. Mason erschauerte, als er das scharf geschnittene Gesicht sah, in dem die Augen kaum mehr als dunkle Schlitze waren. Wie ein Tier sog der Fremde Luft durch seine bebenden Nasenflügel ein. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er drehte den Kopf, bis er dem Grauhaarigen ins Gesicht sehen konnte. Sein Mund verzog sich zu einem boshaften Grinsen. »Butch … Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns wiedersehen, alter Mann … wärst besser zuhause geblieben!«
Mason schluckte. Diese Typen hatten einem Kerl nachgestellt, den sie kannten?
Das warf ein vollkommen anderes Licht auf die Sache. Es war eine Wandlung, bei der sich Mason nicht sicher war, ob sie ihm gefiel. Das passte kein bisschen zu den Interstate-Morden. Gleichzeitig erwuchs in ihm ein Verdacht.
Will man mit der Interstate-Geschichte die eigentliche Tat vertuschen?
Er hatte von solchen Fällen gehört. Einmal erschoss ein Killer in New York an einem Samstagnachmittag zehn Menschen. Es hatte den Anschein gehabt, als hätte er sich die Opfer wahllos ausgesucht. Niemand stand in einem Verhältnis zum anderen. Die einzige Gemeinsamkeit lag darin, dass sie zur gleichen Zeit im selben Park waren. Durch einen lausigen Zufall hatte man herausgefunden, dass es im Grunde um einen Börsenmakler ging, der Mafiagelder veruntreut hatte. Um ihn zu beseitigen, mussten neun unschuldige Menschen sterben. Die Frage war nur, was an dem gefesselten Mann so besonders war. Mason war sich sicher, dass er es bald herausfinden würde.
Inzwischen war der Tag vollends erwacht. Das warme Sonnenlicht fiel durch die Blätter der Bäume und heizte den nassen Boden auf. Die Luftfeuchtigkeit stieg auf ein schier unerträgliches Level. Mason schwitzte und hatte Durst, doch jetzt war nicht der Augenblick, um seinen Posten zu verlassen. Er spürte, dass hier etwas im Gange war, das weit über die Morde auf der Interstate 10 hinausging.
Was macht den Kerl für diese Männer so wichtig?
In seinem Kopf liefen verschiedene Szenarien ab. Bankräuber, die nach vielen Jahren aus dem Knast entlassen wurden und nun den einen jagten, der sie verraten hatte. Was aufgrund des Altersunterschieds aber eher unwahrscheinlich war – auch so schien der Gefangene kaum etwas mit den Männern gemein zu haben. Hatte er vielleicht etwas, was die Jäger wollten?