Brüder, im Blut vereint!
»Du hättest nicht herkommen sollen!«, sagte der Gefangene und lachte rau.
Butch schlug wieder zu, ansatzlos und hart. Seine Faust bohrte sich tief in die Magengrube des Gefangenen, der laut aufstöhnte. »Na, wie schmeckt dir das, verdammter Bastard!« Den Worten folgten weitere Schläge. Erst bäumte sich der Körper seines Opfers unter der Gewalt auf, als versuchte er, dem nahenden Schmerz zu entkommen. Dann schrie, fluchte und spuckte der junge Mann, doch es half alles nichts. Erst als sein Körper erschlaffte, ließ Butch von ihm ab.
Der muss ihn inzwischen halb totgeprügelt haben, dachte Mason. Er hoffte inständig, niemals in die Gewalt dieses schrecklichen alten Mannes zu geraten. Vorsichtig zog er ein Tuch aus der Tasche und rieb das Objektiv seiner Kamera trocken, denn ohne Bilder war eine Story wie diese keinen Pfifferling wert.
Ich bin nicht besser als dieser Schweinehund dort vorne auf der Lichtung. Anstatt dem armen Kerl zu helfen, mache ich Bilder und die zu hartem Geld. Ich verdiene mein Auskommen mit den Schmerzen anderer Leute, die mich einen Scheißdreck scheren. Ein Kriegsreporter ohne Krieg.
Mason war im Zwiespalt seiner Gefühle gefangen, was in seinen oft sehr extremen Gemütsschwankungen zum Ausdruck kam. Er war nie ein besonders emphatischer Mensch gewesen. Ein Eizelgänger, der lieber beobachtete, anstatt mittendrin zu sein. Leztendlich hielt er den Menschen nur den ungeschönten Spiegel vor. Mason nahm die Kamera ans Auge, zögerte allerdings, denn er hatte Angst, dass ihn das Klicken verraten würde.
Butch baute sich unterdessen wieder vor seinem Gefangenen auf, spielte mit dem Messer und fuhr mit dessen Spitze über die nackte Brust des Mannes. Der sah ihn nur verächtlich an. »Selbst, wenn du mir dieses verdammte Messer bis zum Anschlag in die Brust rammst, wirst du nichts von mir erfahren! … Ich werde meine Familie nicht verraten! … Niemals!«, presste er mühsam hervor.
Butch lächelte. »Es spielt keine Rolle, ob du uns von deiner Familie erzählst. Dass wir dich haben, das wird sie wütend machen. Sie werden aus ihren Löchern kriechen, blind vor Wut nach uns suchen, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen … und wenn sie am wenigsten damit rechnen, werden wir zuschlagen, um …«
Der Gefangene lachte trocken. »Halt doch dein beschissenes Maul, Butch! … Ihr habt es damals nicht geschafft und heute scheitert ihr ein weiteres Mal. Nur mit dem Unterschied, dass ihr dieses Mal alle draufgehen werdet …« Er spuckte dem alten Mann vor die Füße. »Nichts wird von euch übrig bleiben, wenn wir mit euch fertig sind … Allein mein Bruder wäre in der Lage …«
»Jaro? … Du meinst diesen Jaro, der sich selbst nicht im Griff hat, hm?« Butch lachte höhnisch auf und strich sich die grauen Haare aus dem Gesicht. »Ich kenne euch alle … und glaub mir, ich weiß, wozu ihr fähig seid. Ich werde euch aus dieser Welt schneiden wie ein eitriges, entzündetes Geschwür!«
Masons Finger betätigte in schneller Folge den Auslöser, fing die Gesichter der beiden Männer ein, ihre Gesten, selbst die aggressive Stimmung glaubte er einzufangen. Nebenbei pflückte er sich die Stechmücken aus dem Gesicht, die ihn in penetranter Weise plagten. Sein Körper drängte ihn, sich davonzumachen, aber was sich hier abspielte, war zu dramatisch, um zu gehen, bevor der Vorhang fiel.
Nur einen Augenblick später bereute es Mason, überhaupt hierhergekommen zu sein. Butch umfasste das Genick seines Gefangenen und zog ihn wie einen Hund zu sich heran. Als er nah genug war, setzte er ihm das Messer an die Brust, etwa auf Höhe des Herzens. Er hielt den Mann fest und drückte die Klinge mit der Spitze voran in dessen Körper. Er tat dies langsam und schien dabei jeden einzelnen Millimeter zu genießen, den die Klinge eindrang. Der Gefangene bäumte sich ein weiteres Mal auf und versuchte sich dem Messer zu entziehen, doch Butchs Griff ließ ihn nicht entkommen. Seine Schreie zerrissen die schwüle Stille des Sumpflandes. Sie hatten nichts Menschliches mehr, da war nur noch Schmerz. Vögel stoben mit protestierendem Krächzen aus den Bäumen und trugen die Botschaft des Todes weit in den Sumpf hinein. Mason erstarrte, spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Das lag nicht nur an der sadistischen Freude, mit der Butch dem gefesselten Mann das Messer in den Leib gedrückt hatte, sondern vor allem an diesen animalischen Schreien , der sogar die Tiere in die Flucht trieb. Aus ihnen sprach Schmerz, aber auch eine Wut, die Mason Angst machte. Er sah das Blut, das aus der Wunde schoss, und ihm wurde schlecht. Es folgte dem Griff des Messers entlang und lief über Butchs Finger, wo es zu Boden tropfte. Masons Hände zitterten und dennoch betätigte er den Auslöser. Er fing die verschwitzten Körper ein, das schmerzverzerrte Gesicht, den weit aufgerissenen Mund, das dunkelrote Blut, das auf dem Boden eine schnell anwachsende Lache bildete. Das Dokumentieren dieser Abscheulichkeit schien ihm in dem Moment die einzige Aufgabe, die er bewältigen konnte. Er klammerte sich daran wie an einen Strohhalm – und hoffte, dem Abgrund damit zu entkommen.
Butch zog das Messer heraus und stieß erneut zu, dieses Mal schneller. Er rammte es gleich mehrmals hintereinander in den Bauch seines Opfers, das nur noch röchelte. Hustend öffnete der Mann den Mund, spuckte Blut, hustete, versuchte zu sprechen. Er wollte seinem Peiniger anscheinend etwas mitteilen. »Ich … ich will … ich will dir …«
»Was willst du? … Mir was sagen, hm? … Die berühmten letzten Worte? Ist es das?« Butch spie dem Mann die Worte förmlich ins Gesicht. »Du wirst an diesen Verletzungen nicht sterben, also hör auf zu jammern und sag, was du zu sagen hast!«
»Ich …«, krächzte der Mann und spuckte Blut.
Butch verdrehte die Augen und kam näher, drehte seinen Kopf, damit er den Mann verstehen konnte.
»Du wirst niemals … triumphieren«, presste der mühsam hervor. Mit der Geschwindigkeit einer zustoßenden Schlange schnellte sein weit geöffneter Mund nach vorne. Mit einem schrecklichen Knirschen gruben sich seine Zähne in die Wange des erschrocken aufschreienden Peinigers. Er zuckte zurück und riss sich dabei selbst ein großes Stück Haut aus dem Gesicht.
Wütend aufheulend presste sich Butch die Hand auf die klaffende Wunde. »Du verdammter Hurensohn …«
Der Hurensohn spuckte ihm den Hautfetzen ins Gesicht. Seine zitternden Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln. »Am Ende … sind wir … Brüder, im Blut vereint!«
»Niemals«, schrie Butch voller Wut. Sein Arm mit dem Messer beschrieb einen Bogen, durchtrennte den Hals des schwerverletzten Mannes. Er packte ihn an den dunklen Haaren und schnitt weiter, solange, bis er den Kopf vollends vom Rumpf getrennt hatte und ihn verächtlich zu Boden fallen ließ.
Masons Mund füllte sich mit bitterer Galle, die ihm den Hals verätzte. Wie von Sinnen kroch er zurück in den Schlamm und durch dornige Büsche, die ihn mit ihren Zweigen an der Flucht hindern wollten. Mason sprang wieder auf, taumelte. Er ließ alle Heimlichkeit fallen und stürmte weg von diesem schrecklichen Ort. Gedankenfetzen wirbelten durch seinen Kopf.
Du weißt genau, dass du an diesen Wunden nicht sterben wirst. Ein Stich hatte das Herz durchbohrt, unzählige weitere seinen Bauch verwüstet. Das konnte doch kein Mensch überleben … Kein Mensch!
Er erwartete die durch den Wald hallenden Rufe der Jäger, womöglich eine Kugel zwischen den Schulterblättern, aber nichts dergleichen geschah. Wie von Sinnen stürmte er durch den Wald, zerschnitt sich das Gesicht an den peitschenden Ästen, stürzte und rappelte sich erneut auf, doch niemand verfolgte ihn.
Mason wollte nur eins: Raus aus diesem verdammten Wald. Eine Weile hatte er das Gefühl, im Kreis zu laufen. Er glaubte, Bäume wiederzuerkennen, Büsche sogar oder Tümpel, in denen braunes Wasser stand. Das Gestrüpp teilte sich und er stolperte auf eine Straße. Schwer atmend hielt Mason inne und sah sich um. Auf der anderen Seite ein Fluss, das musste der Atchafalaya River sein, so breit wie er war. Er wandte sich nach links, dort musste entweder sein Wagen oder die Brücke über den Bayou La Rose sein, die ihn nach Butte La Rose führte. Genau dort wollte er hin. Schmutzig wie er war, würde er zu diesem selbstgefälligen Sheriff Carter gehen und dabei zusehen, wie ihm die Kinnlade nach unten klappte, wenn er ihm alles erzählte. Er würde ihm die Wahrheit auf einem silbernen Tablett servieren, all das, was in den Sümpfen vorgefallen war. Der Sheriff würde die Jäger verhaften und er selbst spätestens am Abend mit einer Hammerstory im Auto sitzen. Wenn das kein Stoff für die Titelseite war, wusste er auch nicht. Der fremde Mann war dafür gestorben, doch er hätte nichts daran ändern können. Hätte er es versucht, wäre er jetzt ebenfalls tot, das musste er sich einfach vor Augen führen.
Anderson ließ das Gewehr sinken, durch dessen Zielfernrohr er den verdreckten Mann beobachtet hatte, dem er quer durch die Sümpfe gefolgt war. »Um dich kümmern wir uns später …«, murmelte er in seinen wilden, roten Bart. Er drehte sich um und stapfte in den Wald zurück. Die anderen würden bereits ungeduldig auf ihn warten, denn sie hatten einen Job zu erledigen, der keinen Aufschub duldete.