Ich bin von meines Vaters Blut!
Die Tür zum Sheriffsoffice flog auf und die Klingel am Türrahmen kündigte den stürmischen Besucher mit einem lauten Schrillen an. Das rothaarige Mädchen hinter der Theke konnte einen überraschten Aufschrei nicht unterdrücken, als sie den verschwitzten, vor Dreck stehenden Mann sah, der mit großen Schritten auf sie zu eilte. Es war dieser Reporter, wegen dem Sheriff Carter so wütend gewesen war.
»Sir, Sie können nicht einfach …«, versuchte Peggy, den Mann aufzuhalten.
Mason baute sich vor der Theke auf, packte mit beiden Händen das Brett, als wollte er es herausreißen. »Ich muss auf der Stelle mit Sheriff Carter sprechen … ist er in seinem Büro?« Masons Gesicht brannte vor Aufregung. »Es geht um Leben und Tod!«
Er hatte nicht vor, auf eine Antwort zu warten und wollte bereits die Theke passieren, doch Peggy stellte sich ihm in den Weg. »Setzen Sie sich in den Wartebereich, Mister!«, sagte sie scharf, »… Wir sind hier nicht im verdammten Chicago, wo jeder macht, was er will!«
Mason stutzte, sah sie überrascht an. »Es …« Er hob beschwichtigend seine Hände. »Es ist wirklich wichtig … Es geht um den Interstate-Killer«, teilte er ihr mit mühsam beherrschter Stimme mit. »Ich weiß jetzt, wer er ist und vor allem, wo!«
»Krass«, antwortete Peggy sarkastisch und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus einem ihrer Zöpfe gelöst hatte. Die Nähe dieses Mannes und sein saurer Schweißgeruch waren ihr unangenehm. Dennoch hatte sie sich an die Vorschriften zu halten. Sie wusste, wie ungehalten Carter werden konnte, wenn sie eigenmächtig handelte, Mordserie hin oder her. »Ich werde ihn sofort informieren, bis dahin bitte ich Sie, etwas …«
»Ist okay, Peggy«, erklang Sheriff Carters raue Stimme vom Eingang. Dann, an Mason gewandt. »Wen haben wir denn da … den Schmierfink, hm? Habe ich richtig gehört? Sie haben ne Spur?«
Der Journalist nickte. »Sheriff …«
Carter erwiderte das Nicken. »Gehen wir in mein Büro, dort können wir reden … Peggy, sag den Deputys, dass sie sich bereithalten sollen, für alle Fälle!«
Peggy nickte erleichtert und verschwand wieder hinter ihrem Funkgerät »Mach ich sofort, Sheriff!«
Eine Minute später …
Carter saß hinter dem mächtigen Schreibtisch, umgeben von seinen Trophäen, und stellte zwei schwere Gläser auf die polierte Tischplatte. Die hatte er aus einer der Schubladen gefischt, zusammen mit einer halbvollen Flasche Bourbon Whiskey. »Trinken wir nen Schluck …«
Mason wunderte sich über die Abgebrühtheit dieses Paradebeispiels eines Dorfsheriffs und wollte erst ablehnen. Doch als er die goldbraune Flüssigkeit sah, die ihm das benötigte Maß an dumpfer Taubheit versprach, nickte er. »Ich könnte jetzt wirklich einen vertragen …«
Während sie tranken, schilderte Mason seine Erlebnisse im Sumpfwald. Der Sheriff hörte schweigend zu und unterbrach ihn nur selten, wenn er Fragen hatte. Bei der Beschreibung der Enthauptung des Gefangenen stockte Mason. Seine Füße vollführten auf dem Boden einen nervösen Tanz. Da war so viel, was raus wollte. Schließlich zog er die Kamera hervor, schaltete sie ein und hielt sie Carter vor die Nase. »Dieser Butch hat den Gefangenen ohne ersichtlichen Grund umgebracht. Er hat sein Scheißmesser genommen und ihm damit den Kopf abgeschnitten, wie so ’n beschissener Terrorist … Ich habe alles festgehalten, jede einzelne, verdammte Kleinigkeit. Hier können Sie es sehen, Sheriff!« Er schob Carter die Kamera zu. »Das ist der Beweis, den Sie brauchen, um zuzuschlagen, und das Schlimmste, was ich je gesehen habe!«
Der Sheriff beugte sich grunzend vor und sah sich die Bilder an, eins nach dem anderen. Nach dem letzten Bild legte er die Kamera zurück. Er füllte die beiden Gläser erneut, setzte seins an die Lippen und trank es mit einem Zug aus. »Verdammter Bullshit … Ich habe noch ein verfluchtes Jahr vor mir. Ein Jahr, das ich hier in Ruhe absitzen wollte … Ich hatte vor, das Ansehen als Sheriff noch etwas zu genießen und dann in den Ruhestand zu gehen …« Er sah Mason durchdringend an. »Das hier«, er deutete auf die Kamera, »ändert alles. Macht mir nen gehörigen Strich durch die Rechnung. Mit nem dicken, schwarzen Filzstift!« Der Sheriff beugte sich über den Tisch nach vorne, das Leder des Stuhls knarrte trocken unter seinem Gewicht. »Sie haben in ein Wespennest gestochen, Mason … Ich werde meine Deputys zusammentrommeln und rausfahren, in die Sümpfe … Was Sie betrifft, sie bleiben hier. Peggy wird Ihnen nen frischen Kaffee machen und noch ’n Sandwich, wenn Sie wollen. Einer der Deputys wird Sie abholen und ins Hunters Inn bringen.«
»Moment mal«, sagte Mason, »Ich werde mit raus fahren!« Er schlug sich auf die Wange, weil er dachte, dass dort eine Stechmücke saß. »Ohne mich hätten Sie doch keinen blassen Schimmer, was dort draußen vor sich geht!«
Scheiße, jetzt bin ich zu weit gegangen, dachte Mason.
Sheriff Carter fuhr sich mit der Hand über den Kopf, schob den Stuhl zurück und stand auf. Er nahm seinen Hut vom Haken und drehte ihn kurz in den Händen, bis der in der richtigen Position war, um ihn aufzusetzen. »Ich sage Ihnen, was Sie tun. Sie verlassen mein Büro, steigen in den Wagen meines Deputys, der draußen auf Sie wartet. Er bringt Sie zu dieser Absteige von Hotel, Sie packen Ihren Koffer, nehmen Ihr Auto und verlassen das County auf direktem Weg. Mein Deputy wird Ihnen bis zur Grenze folgen … Das werden Sie tun und nichts anderes!«
Mason spürte, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg. Das hier war seine Show und die würde er sich nicht so leicht stehlen lassen. »Einen verdammten Dreck werde ich tun, Sheriff! Hören Sie? Ich …«
Der Schlag traf sein Genick mit brutaler Härte. Unverhofft und von hinten. Von dort, wo sich die Tür befand. Sheriff Carter stand vor ihm und rückte sich seinen Hut zurecht. »Dass die verdammten Städter denken, dass sie uns Vorschriften machen könnten. Als wären es bessere Menschen, diese Wichser.«
Masons Blick wurde unscharf. Ihm wurde schwindlig. Er sackte auf dem Stuhl in sich zusammen, kam ins rutschen, und krachte wie ein Mehlsack auf die polierten Bretter. Ein Blitz schoss ihm durchs Gehirn und es wurde Nacht.
Einige Zeit später kam Mason langsam wieder zur Besinnung. Er lag auf der Rückbank eines Streifenwagens, seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Vorne saß ein Cop hinter dem Steuer, daneben das Mädchen aus dem Sheriffsoffice. Der Sheriff befand sich nicht in dem Wagen, der über eine unbefestigte Straße rumpelte. Über ihnen fiel das Licht der Nachmittagssonne durch ausladende Baumkronen.
»Peggy, ich mache mir nen Kopf um dich. Die Sache ist verdammt gefährlich … ich meine …«, sagte der Cop mit besorgter Stimme.
»Lass das meine Sorge sein, Timothy. Du weißt, dass es ne offene Rechnung mit diesen französischen Bastarden gibt!« Peggys Stimme klang jetzt härter, bestimmter. »Ich werde denen das nicht durchgehen lassen …«
»Ich weiß nicht …«, antwortete Timothy leise. Er lenkte den Wagen nach rechts auf einen Waldweg. Pfützen stoben unter den Reifen auseinander, feuchter Boden schmatzte.
»Red nicht so nen Blödsinn daher. Diese verfluchte Hexe hat meine Mutter auf dem Gewissen, dafür wird sie bezahlen. Dafür wird ihre ganze verdammte Familie bezahlen! … So einfach ist das.« Peggy knirschte vor Wut mit den Zähnen.
»Mein Gott Peggy, wo soll das alles um Himmelswillen nur enden, hm?«
Peggy lachte zynisch. »Entweder löschen wir die Lafayettes aus, oder sie uns … Jetzt, wo Vater wieder da ist, scheidet jedes andere Ende aus.«
Timothy schüttelte den Kopf. »Das ist Bullshit, Peggy. Das ist verdammter Bullshit! Die Zeiten der Blutfehden sind doch längst vorbei …« Er hielt den Wagen an und schlug aufs Lenkrad. »Wir sind genug Männer, um das zu regeln. Ich will nicht, dass du dich in Gefahr bringst!«
Peggy beugte sich zu ihm rüber und legte ihre Hand um seinen Nacken. »Ich bin von meines Vaters Blut!« Damit schnallte sie sich ab und stieg aus dem Wagen.
Kurz darauf wurde Mason von dem Deputy und einem anderen Mann vom Rücksitz gezerrt, über den feuchten Waldboden geschleppt und vor die schweren Stiefel eines weiteren Mannes geworfen. Er blinzelte in die flirrende Luft. Bei Luft holen rasselte seine Lunge wegen der vorherrschenden Feuchtigkeit. Er drehte den Kopf und spürte einen stechenden Schmerz an der Stelle, an der ihn der Hieb getroffen hatte. Mittlerweile war er überzeugt davon, dass sie ihn niedergeschlagen hatte. Ein seltsam vertrauter Geruch drang zu ihm vor. Es duftete hier intensiv nach diesen weißen Blüten, deren Namen er nicht kannte.
»Ist das der Kerl?« Eine dunkle, raue Stimme direkt über ihm. Sie musste zu den schweren Stiefeln gehören und sie kam ihm bekannt vor.
»Ja, Vater. Der Sheriff meinte, dass er für ne Zeitung arbeiten würde«, antwortete Peggy.
»Wir werden schnell herausfinden, ob er etwas mit den Lafayettes zu tun hat.« Wieder diese Stimme.
Masons Blick klärte sich. Er traute seinen Augen kaum. Das hier war die Lichtung, auf der die Jäger ihren Gefangenen getötet hatten! In Peggys Vater erkannte er den grauhaarigen Mörder.
»Butch …«, krächzte Masons. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, die Zusammenhänge zu verstehen. Aber vor allem, seine Angst zu überwinden, die ihm die Kehle zuschnürte. Er wollte, durfte einfach nicht so enden wie der Gefangene vor ihm.
Butch ging neben ihm in die Hocke und lächelte ein Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. »Ich denke, wir beide sollten uns mal ausgiebig unterhalten.«