Beim ersten Mal ist es immer schwer
Eric saß im Blockhaus vor dem Fenster und blinzelte verschlafen in die Sonne. Er hatte die ganze Nacht in Ninas Schlafzimmer gesessen. Als ihm in den frühen Morgenstunden die Augen zugefallen waren, hatten die Vögel angefangen, in den Bäumen zu lärmen, dementsprechend müde fühlte er sich jetzt. Erics Mund war trocken und er sehnte sich nach einer ausgiebigen heißen Dusche, doch dafür war jetzt nicht der richtige Moment.
Er hatte Nina bis auf die Unterwäsche ausgezogen und ins Bett gepackt. Die Wunde an ihrer Schulter war nicht sonderlich schlimm oder gar lebensbedrohlich, doch es hatte lang gedauert, bis die Blutung gestillt war. Also hatte er die Nacht an ihrem Bett sitzend verbracht und sie mit Handtüchern gesäubert. Eins der Tücher hatte er zerschnitten, um ihr einen frischen Verband zu machen. Das letzte saubere Handtuch lag mit Wasser getränkt auf Ninas Stirn, um ihr Linderung zu verschaffen, denn ihr Körper glühte regelrecht. Es schien, als konnte Nina dem Fieber ebenso wenig entkommen wie sie beide diesem Albtraum.
Eric stand auf und streckte sich ausgiebig. Sein Nacken schmerzte wie die Hölle. Er drehte den Kopf und versuchte so, seine Muskeln zu lockern. Als er dabei zum Bett blickte, erschrak er bis ins Mark. Nina war wach. Sie saß aufrecht in den Kissen und starrte ins Nichts.
»Uh, verdammt …« Mehr brachte Eric nicht heraus.
Nina gähnte ausgiebig und rieb sich die Augen. »Wow … ich fühle mich … total im Arsch«, murmelte sie eher zu sich selbst als zu Eric, der nicht wusste, was er sagen sollte. Sie sah an sich herunter, hob die Decke kurz an und runzelte die Stirn. »Sag mal … hast du mich etwa ausgezogen?«
Eric räusperte sich und trat von einem Bein aufs andere. Das waren genau die Fragen, die er gar nicht mochte. »Ich … Ich dachte, es wäre bequemer für dich … wegen deiner Wunde, die ich versorgen musste.«
Ja klar, die Wunde und nichts weiter
, dachte er angespannt. Natürlich hatte er sich ihren Körper angesehen, aber das würde er niemals zugeben.
Nina tastete zu ihrer Schulter und löste den provisorischen Verband. Ihre Haut war mit dem Blut der vergangenen Nacht beschmiert, doch die Wunde hatte sich bereits geschlossen. Die frischen Narben leuchteten in einem zarten Rosa. »Autsch … ah … ich erinnere mich!«
Eric setzte sich auf die Fensterbank und nickte. »Sag mal … was ist da eigentlich genau geschehen, hm?«
Nina strich sich ihr rotes Haar zurück und hob kurz die Schultern. »Es ging alles schrecklich schnell … ich saß mit Poebe auf der Veranda am Tisch, wir …« Nina stockte, ihr war das sichtlich peinlich. »Wir haben uns über mein Problem unterhalten …«
»Das mit dem Wasser?«, mutmaßte Eric. Ihm war zwar inzwischen klar, dass Nina ein Problem mit Wasser hatte, aber die Details kannte er nach wie vor nicht.
»Ähm … ja, ist egal. Wir saßen da, unterhielten uns und tranken den leckeren Rotwein, den wir auch gestern zum Essen hatten. Poebe ging kurz ins Haus, um eine weitere Flasche zu holen …«
Eric schüttelte den Kopf. »Während ich mit Chander in diesem verdammten Wald stand und ein ziemlich mulmiges Gefühl hatte.«
»Na ja, ich fühle mich hier auch nicht wohl … willst du nun wissen, was passiert ist, oder nicht?«
»Sorry … bitte erzähl weiter«, antwortete Eric bedrückt.
Nina rutschte nach vorne an den Rand und schlang sich die Arme um den Körper. »Da war ein Geräusch … es kam aus den Büschen, etwa aus der Richtung, aus der ihr später gekommen seid.«
Also habe ich mich doch nicht geirrt. Es war erst bei mir und Chander und ist dann weitergezogen, bis zum Haus
. Der Gedanke beunruhigte Eric, doch er sagte nichts.
»Ich stand auf und lief die Treppen von der Veranda nach unten, weil ich dachte, dass du zurückkommst«, fuhr Nina fort. »Es waren nur ein paar Zweige, die wackelten, kaum zu erkennen in der Dunkelheit. Zuerst dachte ich, es sei der Wind, doch dann bemerkte ich, dass die Frösche aufgehört hatten, zu quaken …« Nina stand auf und kam zu Eric ans Fenster, sah hinaus. Die Erinnerung ließ sie erschauern. »Plötzlich erzitterte das Buschwerk und teilte sich. Das, was da aus den Büschen brach, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren!«
Der Rougarou, ging es Eric durch den Kopf.
»Erst dachte ich, es wäre ein großer Hund, der sich mir mit gefletschten Zähnen entgegenstürzte. Ich warf mich herum und rannte zur Veranda zurück, kam aber nur bis zur ersten Stufe. Dort hat mich dieses … Tier …« Nina schluckte und lehnte sich an Erics Schulter, ohne es selbst zu merken. Sie roch nach dem Schweiß der vergangenen Nacht, seltsam animalisch, aber eher anziehend als abstoßend.
Eric überwand seine Scheu und nahm sie vorsichtig in die Arme. Sie fühlte sich zerbrechlich an, leicht.
»Ich knallte mit dem Gesicht voran auf die Stufen und wollte nach oben kriechen, aber das Ding hielt mich in seinen Klauen. Es packte mich an den Hüften, drehte mich um, damit es mir ins Gesicht sehen konnte. In diesem Augenblick wusste ich, dass es kein Hund war.«
»Der Rougarou«, mummelte Eric. Trotz der warmen Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen, wurde ihm kalt. Vielleicht hatte ihm Chander doch keinen Unsinn erzählt.
»Er starrte mich mit seinen gelben Augen an und ich dachte, ich würde gleich sterben.« Nina sah Eric an. »Aber er ließ von mir ab und verschwand in der Dunkelheit.«
»Das heißt, er hat dich gar nicht verletzt?«
»Nein. Es war Poebe, die mich an der Schulter packte und auf die Veranda zerrte …« Nina griff nach Erics Händen. »Wäre Yuna nicht gekommen, ich glaube, sie hätte mich … ich will gar nicht daran denken.«
Eric schluckte. Er drückte Ninas Hände fester, wollte sie nicht mehr loslassen. »Sah sie … anders aus? … so, hm, werwolfmäßig?« Ihm spukte die Geschichte von dem Marquis durch den Kopf, in dem die Rede von Bestien gewesen war, von Menschen, die sich in Monster verwandelten.
»Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich denke schon. Er verhielt sich auf seltsame Weise, hm, animalisch«, flüsterte Nina. »Yuna schrie ihre Mutter an … ich verstand nichts von dem, was sie sagten, ich glaube, es war Französisch.« Sie zögerte kurz, dann lehnte sie ihren Kopf an Erics Brust. »Was machen wir jetzt nur?«
»Keine Ahnung …«, gab Eric zu. »Wir kommen hier nicht weg. Yuna meinte, der einzig sichere Ort sei hier im Blockhaus. Wenn wir uns ruhig verhalten, haben wir ne Chance …« Ihm gefiel der Gedanke überhaupt nicht. Jetzt am Tag war es schon kaum erträglich, in der Nacht jedoch der blanke Horror.
»Was sollte die davon abhalten, hier reinzukommen?«, meldete Nina ihre berechtigten Zweifel an. Sie löste sich von Eric und lief zur Tür. »Ich hab schrecklichen Durst, muss trinken …«
»Warte Nina … ich werde zu Yuna gehen, sie ist die Einzige, die uns helfen kann …« Er war bei Nina, bevor sie den Raum verlassen konnte. »Es ist seltsam, aber ich vertraue ihr.«
»Du vertraust ihr?«, antwortete Nina schnippisch. »Der Frau, wegen der wir überhaupt in diese Lage gekommen sind? … deren Familie uns umbringen will?« Sie schüttelte den Kopf. »Du bist sowas von naiv!« Nina schob sich an ihm vorbei und verließ den Raum.
Eric sah ihr hinterher, bis sie in dem kleinen Badezimmer verschwunden war. Ich bin keineswegs naiv, Yuna ist schlichtweg die letzte Hoffnung, die uns geblieben ist.
Eins irritierte ihn allerdings doch. Kaum, dass er Yuna erwähnt hatte, wurde Nina schnippisch. Er wollte sich nicht vorstellen, dass sie eifersüchtig war, aber es war trotz der schrecklichen Situation, in der sie steckten, ein schöner Gedanke.
Etwas später …
Von der Familie war weit und breit nichts zu sehen. Eric ging über die Wiese und um das Herrenhaus herum. Es war ein seltsames Gefühl. Die Vögel zwitscherten in den Bäumen, die Sonne stand am wolkenlosen, tiefblauen Himmel, der Wind strich sanft durch die Blätter und dennoch verbarg sich eine tödliche Bedrohung unter der Oberfläche.
Als er die Veranda sah, sog er nervös die heiße Sommerluft durch die Nase. Hier hatte die Bestien Nina angefallen. Allein der Gedanke daran war unerträglich. Die schwüle Hitze trieb Eric den Schweiß aus allen Poren. Vorsichtig stieg er die Stufen hinauf und lief zur Tür. Ein Glockenspiel klimperte leise im Wind. Eric atmete ein letztes Mal tief durch und betrat das Haus.
Er durchquerte das Kaminzimmer und ging weiter in die Küche. Schmutziges Geschirr stand auf der Anrichte, daneben der Holzblock mit den großen Messern. Erst zögerte er, dann zog er die beiden längsten heraus und wog sie unschlüssig in der Hand.
»Was willst du denn damit?«, erklang eine Stimme direkt hinter ihm.
Eric fuhr herum. Gott sei Dank, es war Yuna. Kein Wunder, dass er sie nicht gehört hatte, barfuß war es ein leichtes, sich anzuschleifen. »Yuna!«
»Das solltest du besser weglegen, bevor du dir noch weh tust …«, stellte sie spöttisch fest und sah auf seine Hand mit dem Messer, dessen Spitze auf sie zeigte.
Eric ließ die Klinge sinken und kam sich auf der Stelle albern vor. »Sorry, ich … nicht dass du denkst ich … ich wollte nur …«
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Hör auf zu plappern, es ist okay.« Mit der anderen Hand drückte sie seine Hand mit dem Messer zur Seite. Sie war ihm jetzt sehr nahe.
Yuna roch betörend animalisch. Eric leckte sich über die Lippen, schluckte. Ihm war nicht wohl dabei, dass sie so nah bei ihm stand. »«Yuna … wir müssen reden!« Ein kümmerlicher Versuch, sich ihrer Präsenz zu erwehren.
»Reden?«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Worüber willst du denn reden, Süßer?« Ihr Verhalten hatte sich seit gestern grundlegend verändert. Sie strahlte eine Überlegenheit aus, eine Gier, die schwer in Worte zu fassen war. Die Dominanz eines Alphaweibchens.
Eric räusperte sich und trat einen Schritt von ihr weg. »Nicht, Yuna, bitte!« Er legte das Messer auf die Arbeitsplatte und hob beschwichtigend die Hände. »Ich muss etwas von dir wissen …«
Yuna legte den Kopf zur Seite und lächelte ihn mitleidig an. »Ist es wegen dem dünnen Mädchen im Blockhaus? … Weist du mich wegen ihr ab? … hm?« Mit einer geschmeidigen Bewegung zog sie sich auf die Arbeitsplatte und ließ die Beine baumeln. Ihr dünnes Sommerkleid schmiegte sich eng um ihren perfekt geformten Körper. Feiner Schweiß ließ ihre Haut glänzen.
»Nein … ja … versteh mich nicht falsch, aber …« Eric machte eine hilflose Geste.
Yuna glitt von der Arbeitsplatte und ging an Eric vorbei zum Kühlschrank. Ihre Hüfte streifte dabei ungewollt gewollt die seine. »Heute ist eine wichtige Nacht«, stellte sie fest, während sie sich eine mit einem Tuch abgedeckte Schüssel aus dem Kühlschrank holte und auf den Tisch stellte. »Alles ist möglich!«
Eric lehnte sich an die Küchenzeile. »Das kann man wohl sagen.« Er beobachtete Yuna, wie sie sich auf die Tischplatte setzte und mit einem Zipfel des Tuches spielte, das die Schüssel bedeckte. Plötzlich war da ein strenger, metallischer Geruch. »Wo stecken denn die anderen?«
»Sind ein Stück den Fluss runter, sich auf das vorbereiten, was kommt«, erklärte Yuna, fischte sich etwas aus der Schüssel und steckte es sich in den Mund, so schnell, dass Eric nicht sah, was es war. Auf ihren Fingern glänzten rote Tropfen. Ihr Blick haftete auf Eric, taxierte den Bereich zwischen Augen und Brust.
»Yuna … was wird heute Nacht geschehen? Deine Worte gestern haben mich verunsichert.« Eric sah auf seine Hände, nur um Yuna nicht ansehen zu müssen. Er versuchte, das Rot auf ihren Fingern zu vergessen.
»Du bist nicht nur verunsichert«, erwiderte sie kauend, »Du hast Angst … Todesangst sogar und die solltest du auch haben.« Sie steckte sich ein weiteres Stück in den Mund und kaute ausgiebig darauf herum. »Wie bei Beutetieren, die zitternd mit angelegten Ohren und geschlossenen Augen im Unterholz kauern.«
»Ich glaube nicht, dass ich sowas jetzt hören will. Sag schon, was geschieht heute Nacht? … Du musst es uns sagen, das bist du uns schuldig!«
»Nen Scheiß muss ich … ihr hattet die Wahl und habt es verbockt. Hättet weiterfahren sollen, mich liegen lassen. Aber nein, ihr musstet mich ja sogar nach Hause bringen.« Sie leckte sich ihre roten Lippen sauber und lächelte ihn an. »Selber Schuld, Honey.«
Eric spürte, wie sein Herz das Blut schneller durch die Adern pumpte. »Wer … Was bist du, Yuna!« Das war die eine Frage, die über Leben und Tod entscheiden würde. Und Eric kannte die Antwort, bevor sie Yuna aussprach.
»Ich bin meiner Eltern Tochter … das Monster, das dich im Dunkeln erschrickt, dir auflauert, das bin ich und nichts sonst!« Mit einem Ruck zog sie das Tuch von der Schüssel und offenbarte rohes, im eigenen Blut schwimmendes Fleisch.
Eric stieg es heiß die Kehle hinauf, nur mit Mühe konnte er unterdrücken, dass Schlimmeres geschah. Angewidert wich er vor dem Tisch, der Schüssel und vor Yuna zurück. »Das ist Bullshit, Yuna! … Verdammter Bullshit, hörst du?« Während er sprach, taumelte er weiter zurück. Er hatte genug von alldem, wollte nichts mehr sehen oder hören.
Ein derber Stoß trieb ihn jedoch wieder in die Küche. Eric schnaufte laut auf, prallte gegen den Tisch und drehte sich um.
Es war Jaro, der breit grinsend und mit nacktem Oberkörper in der Tür stand. »Wo willst du denn hin, Bürschchen?« Er trat einen Schritt auf Eric zu, dessen Hände sich in die Tischplatte krampften. »Bleib doch und iss mit uns …«
Eric suchte nach der anderen Tür, die in den Flur führte. »Ich muss zu Nina, sie …«
»Setz dich auf deinen knochigen Arsch und halt’s Maul!«, fuhr ihn Jaro mit schneidender Stimme an. Seine mächtigen Muskeln spannten sich, wie um die Worte zu unterstreichen.
Eric sackte auf dem Stuhl neben Yuna zusammen. Die Angst ließ ihn schwitzen. Er versteckte seine Hände unter dem Tisch, damit die Geschwister nicht merkten, wie sie zitterten. »Ihr … ihr müsst das nicht tun«, flehte er Yuna an.
»Und wie wir es tun werden«, antwortete sie mit der Zunge schnalzend und schob ihm die Schüssel zu. »Iss!«
Das Fleisch hatte eine dunklere Farbe als das Blut, das inzwischen stockte. Die Stücke waren mager und sauber geschnitten, dennoch konnte er sich nicht vorstellen, auch nur den kleinsten Bissen davon zu nehmen. Hilflos schloss er die Augen und wünschte sich an einen anderen, schöneren Ort.
»Du willst doch nicht etwa unsere großzügige Gastfreundschaft mit Füßen treten?«, raunte ihm Jaro ins Ohr. »Also mach dein verdammtes Maul auf und tu, was dir meine Schwester befiehlt!«
»Es ist zart und frisch … vor allem aber gesund. Wir würden dir niemals etwas Schlechtes anbieten«, sagte Yuna und fischte sich ein weiteres Stück aus der Schüssel. Als sie es abhob, bildete sich ein dünner, roter Faden, der riss, als sie es sich in den Mund steckte.
Erst Jaros schwere Hand auf seiner Schulter konnte Eric dazu bewegen, die Finger in die Schüssel zu senken und sich selbst ein Stück Fleisch zu nehmen. Es war kalt, weich und feucht, wollte ihm aus den Fingern gleiten.
»Sei keine Pussy«, knurrte Jaro, »ich weiß, beim ersten Mal ist es schwer … bring es einfach hinter dich, zeig, dass du ein Mann bist!« Der Spott in Jaros Stimme war kaum zu überhören.
Eric hielt die Luft an und steckte sich das Fleisch in den Mund. Es war zu groß, um es am Stück hinunterzuschlucken. Er musste es zerkauen. Blut lief aus den weichen Fasern, füllte seinen Mund mit dem Geschmack von flüssigem Metall und Ekel. Eric kaute auf dem zähen Bissen herum und würgte ihn hinunter. Was blieb, war der Geschmack nach rohem Fleisch auf seiner Zunge.
Yuna nahm Eric nur noch durch einen Schleier wahr. Jaro stand nach wie vor hinter ihm »War doch halb so schlimm, hm? … Iss weiter!«
Eric sah Yuna flehend an, die nur mit den Schultern zuckte. »Anfangs taten wir das nur an bestimmten, besonderen Tagen …« Sie schenkte ihrem Bruder ein inniges Lächeln. »Wir fanden Gefallen daran, sodass wir es bald jeden verdammten Tag wollten.« Sie schob die Schüssel ein wenig näher an Eric heran. »Also gehen wir auf die Jagd, sobald es dunkel wird, und holen uns, was wir brauchen … Eric, wir sind die Kreaturen der Wildnis, dass Reinste und Ursprünglichste, was du dir vorstellen kannst!
Eric schob die Schüssel von sich, so weit es nur ging. »Ihr … ihr tötet Menschen! … Ist es nicht so? … Wir haben diese Grube gefunden, dort hinten, im Wald, am Zaun!«
»Scheiße, ja!«, lachte Jaro. Bevor Eric etwas entgegnen konnte, wurde er am Genick gepackt und mit dem Kopf auf die Tischplatte gestoßen. Der Schmerz explodierte in seinem Schädel und Eric schrie gellend auf. »Halt’s Maul«, brüllte ihn Jaro an. »Und jetzt friss das verdammte Fleisch!«. Er griff mit der Hand in die Schüssel und presste den bluttriefenden Inhalt mit aller Gewalt auf Erics Mund, der ihn, wenn er nicht ersticken wollte, irgendwann öffnen musste, da er nicht durch die Nase atmen konnte.
Das Fleisch füllte seinen gesamten Mund, es blieb kaum Platz, um zubeißen.
Jaro drückte die Hand fester in Eric Nacken. »Kau das verdammte Zeug und schluck es runter!«
Die Angst, hier und jetzt zu sterben, erwuchs zu einem übermächtigen Monster. Eric kaute. Das Fleisch knirschte zwischen den Zähnen, verwandelte sich in eine faserige Masse, die ihm stoßweise die Speiseröhre hinabglitt und seinen Bauch mit Hitze erfüllte. Erst als Eric den letzten Bissen geschluckt hatte, ließ Jaro von ihm ab. Eric rutschte vom Stuhl und sank als wimmerndes Häufchen Elend auf den Fußboden.
»Sieh ihn dir an«, höhnte Jaro, »ich hätte erwartet, dass du was Besseres anschleppst als diesen Jammerlappen und das dürre Mädchen!«
Yuna schnaubte und stand auf. »Hättest es ja selber machen können! … Stattdessen rennst du mit Luan diesem Drecksack Butch in die Arme. Sag mir, nennst du das etwa besser? …« Voller Wut ballte sie die Fäuste.
»Wenigstens wissen wir jetzt, wie viele es sind und was sie vorhaben«, erwiderte Jaro.
»Ja. Und Luan ist tot.«
Eric kroch auf die Tür zu, deren heller Rahmen mit gleißendem Licht erfüllt schien. Sein Mund füllte sich bereits mit bitterer Magensäure.
»He Freundchen, wo willst du denn so eilig hin, hm?« Jaro packte Eric am Bein und hob ihn an wie eine Spielzeugpuppe.
»Nicht, Jaro!«, fuhr ihn Yuna mit harter Stimme an, »Nicht jetzt … lass ihn gehen!«
»Wie du willst, kleine Schwester …«, knurrte Jaro und zerrte Eric hinter sich her, als er nach draußen ging. Eric schlug sich dabei mehrmals Kopf und Schultern an. Kaum, dass Jaro die Veranda betreten hatte, hob er Eric an und schleuderte ihn nach unten ins feuchte Gras. Der Aufprall war hart und trieb Eric alle Luft aus den Lungen. Was sich in seinem Magen befand, schoss in einem heißen Strahl nach oben.
Später …
Eric stand auf das Waschbecken gestützt im Badezimmer des Blockhauses und musterte sein blasses Gesicht im Spiegel. Zwei tiefe Schrammen zogen sich über seine Stirn und sein Shirt war voller roter Flecken. Dort, wo ihn Jaro getreten hatte, bildete sich ein mächtiger, dunkler Bluterguss, der Eric glauben machte, dass womöglich eine Rippe gebrochen sein könnte. Vorsichtig tastete er über die Schwellung und zischte schmerzerfüllt auf.
»Und sie haben dich wirklich gezwungen, dieses … dieses Zeug zu essen?« Nina stand neben ihm und schnitt ein Bettlaken in lange Streifen, um damit Erics Rippen zu stabilisieren.
»Wenn ich’s doch sage, ja verdammt …«, presste Eric mühsam hervor, als Nina anfing, ihn einzuwickeln.
»Jammer nicht rum, das muss so fest sein.«
Als Nina fertig war, setzte sich Eric auf den Badewannenrand und versuchte sich an einem Lächeln. »Danke …«
Nina zuckte mit den Schultern. »Und jetzt?«
»Keine Ahnung …«, sagte Eric. Er musterte Ninas besorgtes Gesicht. »Ich hätte dieses verdammte Mädchen niemals mitnehmen sollen, ich …«
»Schhhhh!« Nina legte ihm zwei Finger auf die Lippen. »Du konntest es nicht wissen … niemand konnte das!« Sie setzte sich neben ihn. »Wir sollten hier verschwinden, solange es noch hell ist!«
Eric musste nicht über Ninas Vorschlag nachdenken. Ihm gefiel es überhaupt nicht, erneut in den Wald zu gehen, doch es blieb ihnen wohl keine andere Wahl. Er war sich sicher, sobald die Nacht anbrach, würden die Lafayettes sie holen. Was dann geschehen würde, lag nach dem Vorfall in der Küche auf der Hand. »Dann los … hauen wir von hier ab!«