Tiere fressen kein krankes Fleisch
Mason zuckte in seinem Versteck zusammen, als die Schüsse knallten. Nur Sheriff Carter war bei ihm. Hendershot war mit dem langen Scharfschützengewehr in der Dunkelheit verschwunden und seither nicht mehr aufgetaucht.
»Jetzt geht's los«, flüsterte Carter und lud sein Gewehr durch. »Ich hoffe, Anderson reißt den Drecksviechern den Arsch auf!«
Die Schreie, die selbst das Tosen des Sturms übertönten, ließen anderes vermuten. Mason packte Carter am Arm. »Was, wenn die Männer draufgehen? Was, wenn wir die anderen nicht mehr finden?« Noch immer klang seine Stimme wegen dem Bruch nasal.
»Nimm deine Pfoten von mir«, zischte Carter wütend. »Ich garantier dir, das wird nicht geschehen!«
»Bin da anderer Meinung … Wir sollten abhauen, solange es noch geht!« Mason sprang auf und wollte davonlaufen, doch Carter hebelte ihm mit dem Gewehr die Beine weg. Mason fand sich auf dem Boden wieder, Carters schmutzigen Stiefel im Genick.
»Hör zu, Schmierfink. Du erinnerst dich doch an unser erstes Gespräch, ja? Da hatte ich dir prophezeit, dass du mich kennenlernst, wenn du Schwierigkeiten machst.« Carter spuckte neben Masons Kopf ins Gras.
»Sheriff, hören Sie … wir kommen klar miteinander … bleiben Sie meinetwegen hier, ich haue ab und Sie sehen mich nie wieder.«
Sheriff Carters Stiefel lastete schwerer auf Masons Genick. Eine Windbö wirbelte Blätter auf und fuhr pfeifend durch die Bäume. »Butch ist der Ansicht, dass du alles sehen sollst, damit du es begreifst. Willst du wissen, was ich denke?«
»Sheriff, Sie sollten sich …«, winselte Mason.
Carter drückte den Lauf seines Gewehrs an Masons Schläfe. »Ich denke, dass ich abdrücken sollte, um dein scheiß Schmierfinkengehirn auf der Wiese zu verteilen … ja, genau das denke ich!«
»Scheiße, verdammt, da ist etwas … hinter ihnen!«
Carter zog erst eine Augenbraue nach oben, als hätte Mason eben einen Scherz gemacht, dann wich ihm die Farbe aus dem Gesicht. Langsam hob er die Waffe und drehte sich um. Der Rougarou stand genau hinter ihm. Seine Haltung war geduckt und lauernd. Es war ein verdammt großes Tier mit dichtem, roten Fell. Ein tiefes Grollen klang aus dem geöffneten Maul. Die Augen des Rougarou folgten der Bewegung von Carters Hand, in der er sein Gewehr hielt. Mason erkannte, dass der Sheriff einen Fehler gemacht hatte. Einen ultimativ tödlichen Fehler sogar.
Mit einem wilden Aufschrei riss Carter den Arm mit der Waffe hoch, doch der Rougarou war schneller. Sein massiver Schädel schnellte vor, die Kiefer schnappten zu wie eine gespannte Bärenfalle. Es gab ein fürchterliches Knirschen, als der Rougarou Carter das Gesicht vom Schädel biss. Mason sah Blut spritzen und kroch wimmernd davon. Was von Carter übrig war, kippte zur Seite und blieb zuckend im Dreck liegen. Der Rougarou brüllte triumphierend und stellte sich auf die Hinterbeine. Das war wiederum sein Fehler.
Das großkalibrige Projektil hieb ihm mit der Gewalt eines Titanen unterhalb der rechten Schulter in den Brustkorb und holte das Monster von den Beinen.
Mason schrie überrascht auf. Wenn es eine Chance gab, diesem Chaos lebend zu entfliehen, dann jetzt. Während sich der Rougarou brüllend im Dreck wälzte, sprang Mason auf und griff sich das Gewehr des Sheriffs. Erst wollte er weglaufen, doch er zögerte und kehrte zu dem Monster zurück. Es hatte sich aufgesetzt und suchte die Umgebung nach dem Schützen ab. Dabei drehte es ihm den Rücken zu. Der Rougarou presste sich die Pranke auf das klaffende Loch. Es war ein glatter Durchschuss, dessen Austrittsloch weit größer war als die Eintrittswunde.
Er musste unter allen Umständen verhindern, dass sich die Bestie erholte und sich auf seine Fährte setzte. Carters Waffe wog schwer und schien das richtige Kaliber dafür zu besitzen. Er hielt sie an den Hinterkopf des Rougarou und drückte ab. Mit lautem Donner entlud sich die Gewalt der Waffe in den Kopf des Monsters, stanzte ihm ein faustgroßes Loch in den Schädel und pulverisierte das Gesicht während des Austritts. Mason empfand keine Befriedigung, als er den mächtigen Körper fallen sah, sondern Scham, es hinterrücks getan zu haben. Jetzt lag eine weitere, gesichtslose Leiche am Boden. Es war Zeit, von hier zu verschwinden.
Während sich Mason davonstahl, ging eine Veränderung mit dem Leichnam des Rougarou vor. Das Fell bildete sich zurück, Knochen verformten sich ein letztes Mal. Der Körper nahm wieder seine ursprüngliche Form an. Die, in der er geboren worden war. Am Ende lag eine schlanke Frau mit wallenden, rotbraunen Haaren im nassen Gras, die Beine an den Körper gezogen, eng umschlungen.
Erst ging ein Raunen durch die Wälder, das nach einigen Augenblicken in ein Jaulen überging, das den schmerzvollen Verlust beklagte. Eine Seele war gewaltsam aus der Gemeinschaft der Rougarou herausgeschnitten worden. Das Wesen hielt einen Augenblick inne, um zu klagen. Es holte Luft, damit es Rache üben konnte an denen, die sich gegen das von einer uralten Kraft beseelte Wesen stellten. Für einen kurzen Moment klarte der Himmel auf. Zwischen wilden Wolken erstrahlte der riesenhafte, blutgetränkte Vollmond.
Nicht, dass Mason überhaupt wusste, wo er hinlaufen sollte, um diesem Chaos aus Schüssen, Gebrüll und Sturm zu entkommen. Er entschied sich blindlings für eine Richtung und rannte los. Dabei versuchte er, im plötzlich sichtbaren Licht des Mondes seine Umgebung zu erkennen, dennoch war es mehr ein Stolpern als ein Laufen. Eine letzte Wiese war zu überqueren und er würde im dichten Unterholz des Sumpfwaldes auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Etwas hieb ihm die Beine weg. Mason überschlug sich und landete in einem dornigen Gestrüpp aus abgestorbenen Büschen und Ästen, die der Sturm von den Bäumen gerissen hatte. Erst kroch er blindlings weiter, weil er dachte, dass es seine der Bestien war, die ihn angefallen hatte, doch der tödliche Biss blieb aus. Mason drehte sich zaghaft um. Es war kein Rougarou gewesen, es war der zerstörte Körper eines Menschen, der ihn von den Beinen geholt hatte. Aus der fleischigen Masse, die der Kopf war, hing langes, rotes Haar.
Anderson!
Sein Körper lag seltsam verrenkt zwischen dem Buschwerk. Der Fuß des rechten Beines fehlte. Mehrere Finger ebenfalls. Etwas hatte Andersons Körper bis zur Unkenntlichkeit zerfleischt, anders konnte man es nicht ausdrücken. Mason wollte sich bereits abwenden und davonlaufen, als der vermeintliche Tote ein pfeifendes Röcheln ausstieß. Ein Schauer durchlief den zerstörten Körper. Der Journalist konnte nicht glauben, dass Anderson lebte. Er ging auf den Mann zu, kniete sich sogar neben ihn, wagte es aber nicht, den blutigen Körper anzufassen.
In Andersons Gesicht öffnete sich ein Loch, das einst sein Mund gewesen war. »Flieh …«, blubberte es.
Mason stöhnte resignierend auf. »Wohin denn? Wo finde ich Schutz vor diesen Dingern! Wie sieht euer scheiß Rückzugsplan aus!«
»Es … es gibt keinen … Plan«, röchelte Anderson.
Das war genau das, was Mason hören wollte. Diese Irren waren hierhergekommen und davon ausgegangen, dass sie siegten. Jetzt war Carter tot und Anderson würde es ebenfalls gleich sein. Das lief alles andere als gut.
Jemand brach durchs Unterholz, bewegte sich direkt auf Mason zu. Es war Butch. Er stieß Mason grob zur Seite und beugte sich über seinen sterbenden Kameraden. Sie wechselten einige Worte, dann packte Butch den Kopf von Anderson und drehte ihn kräftig zur Seite, bis es laut knackte.
Mason wich entsetzt zurück. Ihm wurde elend ob der kaltblütigen Tat des alten Mannes.
Butch stand auf und knurrte Mason an. »War besser so …« In den Augen des Mannes brannte das lodernde Feuer des abgrundtiefen Hasses. »Dafür werden diese Schweine bezahlen!«
»Ich stehe dir zur uneingeschränkten Verfügung!«, erklang es direkt hinter Masons Rücken. Der Journalist stöhnte auf und taumelte erschrocken zur Seite. Er hielt zwar Carters Gewehr in der Hand, doch es verkümmerte zu einem nutzlosen Spielzeug.
Butchs Körper straffte sich ob des Anblicks des nackten Mannes, der zwischen den Bäumen stand. Langes Haar klebte nass an seinem muskulösen Körper. Butchs Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Chander! … Oder soll ich dich besser bei deinem echten Namen nennen, Marie-Joseph Motier, Marquis de Lafayette!« Anstatt zur Waffe zu greifen, schälte sich Butch aus seiner Kleidung, als würde er eine nicht mehr benötigte Haut abstreifen.
Das war zu viel für Mason. Nicht genug damit, dass es sich zu bewahrheiten schien, dass Butch niemand anderes als dieser letzte Überlebende war, von dem er erzählt hatte. Nein, jetzt stand er auch noch dessen Kontrahenten gegenüber. Männer, die längst tot sein sollten. Das alles lähmte ihn. Er war nicht imstande, davonzulaufen. Auch nicht, seine Waffe zu heben und auf diesen Chander zu feuern. Er wich lediglich ein paar Schritte zurück, um nicht zwischen die Fronten zu geraten.
Butch fletschte die Zähne. »Darauf habe ich ein Leben lang gewartet. Nur du und ich!«
Chander nickte. »Es ist an der Zeit, die Rechnung zu begleichen!«
Mason traute seinen Augen nicht. Die beiden Männer veränderten sich auf abstoßend faszinierende Weise. Es ging rasend schnell. Erst brachen sie zusammen und krümmten sich vor Schmerzen am Boden, dann fingen ihre Körper an, eine neue Gestalt anzunehmen. Jetzt sah Mason mit eigenen Augen, was Butch gemeint hatte, als er davon erzählte, was sich mit den uralten Rougarou im Fort zugetragen hatte. Fleisch knirschte, Knochen brachen und Haut zerriss, um sich in einem neuen Gefüge wieder zusammenzusetzen. Ihre Gesichter wurden länger, Schnauzen schoben sich hervor, gespickt mit rasiermesserscharfen Zähnen. Aus ihrer Haut wuchsen struppige Haare. Hände und Füße formten sich zu mörderisch gebogenen Krallen. Die Metamorphose war offenbar mit großen Schmerzen verbunden, denn schreckliche menschliche Schmerzenslaute wandelten sich in nicht minder beängstigendes tierisches Gebrüll.
Als sich die Bestien auf ihre Hinterläufe erhoben, zuckten Blitze vom Himmel, als bäumte sich die Natur gegen diese Monstrositäten auf. Beide Männer hatten an Masse gewonnen und überragten Mason bei weitem. Sie spreizten angriffslustig die Arme ab, beugten sich nach vorne und brüllten sich an, wie es Raubtiere taten, um den Gegner vor dem Kampf einzuschüchtern.
Das ohrenbetäubende Brüllen löste den Knoten, der Mason an Ort und Stelle hielt. Der Weg zum Wald blieb durch die Bestien versperrt, doch der zum Haus der Lafayettes schien frei zu sein. Von dort waren zwar ebenfalls Schüsse zu hören, aber beim Haus musste Peggy sein, die einzige Person, der er ein gewisses Maß an Vertrauen schenkte, auch wenn Mason nicht genau wusste, warum. Schließlich war Peggy die Tochter eines Monsters.
War Peggy am Ende ebenfalls ein Monster … ?
Die Vorderseite des Hauses wurde von dem in Flammen stehenden Wagen in ein flackerndes Licht getaucht. Der Baum auf der Rückseite brannte ebenfalls. Mason näherte sich von der Seite und passierte dabei den Leichnam Carters. Er stutzte. Neben der Leiche des Jägers sollte die Frau liegen, die er in Gestalt des Rougarou erschossen hatte. Jetzt zeugten nur noch ein großer blutiger Fleck und einige Haarbüschel von seiner Tat, doch der Leichnam war verschwunden.
Die Frau war definitiv tot. Jemand muss sie weggeschafft haben!
Mason erlaubte sich nicht, weitere Mutmaßungen anzustellen, er akzeptierte die Tatsache und näherte sich dem Haus von der Seite. Abgeschirmt von Weiden und Buschwerk war es hier recht dunkel, was Mason als angenehm empfand. Zwischen einem der dicken Stämme und der Wand ging er in die Hocke und atmete durch. Der Sturm legte eine Atempause ein und eine unwirkliche Stille senkte sich über das Sumpfland. Geschossen wurde gar nicht mehr. Selbst die Rougarou schienen für einen Moment Atem zu holen. Hier und da zuckten Wetterleuchten über den Himmel. Erst hatte er vor, nach Peggy zu rufen, doch dann entschied er sich dazu, über die Veranda in das Haus selbst einzudringen. Das Innere des Hauses war vermutlich der letzte Ort, an dem ihn die Bestien suchen würden. Er hoffte, auf dem Dachboden oder im Keller eine Nische zu finden, in der er sich verstecken konnte, bis das Schlimmste vorbei war.
Mason raffte sich auf, lief geduckt weiter und spähte um die Ecke. Die Veranda lag im Feuerschein des Baumes verlassen da. Einige Windspiele klimperten leise. Mason nahm einen Stein vom Boden auf und warf ihn auf die Veranda. Nachdem das Klackern ertönt war, wartete er darauf, das etwas geschah. Kein Schuss fiel, niemand stürmte aus dem Haus und keine Bestie sprang aus einem der umliegenden Büsche.
Scheiße, Mann. Geh rein, ne bessere Gelegenheit bekommst du nicht!
Mason schlich über Gras und Stufen zur Veranda hinauf. Das Holz knarrte unter seinen Schritten. Ohne zu zögern lief er zum Eingang und öffnete die Fliegengittertür. Das Geräusch der Angeln war kaum wahrzunehmen, dennoch kam es Mason vor, als wäre es ein lautes Kreischen. Wie ein Schatten schlüpfte er in die Dunkelheit des Hauses. Die Luft roch süß und schwer, wie nach Obst, das faulend in einer Schale lag und in der Hitze des Sommers pelzigen Schimmel bildete.
Wie Blut, wenn es dick wurde und trocknete.
Das kalte Licht des roten Mondes schien durch die Fenster, dennoch wartete Mason neben der Tür, bis sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten. Der Raum war im Stil eines Herrenzimmers eingerichtet. Dunkles Holz, Regale, in denen Bücher standen und große Sessel, die gemütlich aussahen. Die Einrichtung hatte Stil und entsprach nicht unbedingt dem, was er vom Zuhause der Monster erwartet hatte.
Mason wendete sich nach links. Dort gab es einen Durchgang zur Küche. Hier musste die Quelle des schweren Duftes sein, der das gesamte Haus zu erfüllen schien. Der Journalist leckte sich über seine trockenen Lippen. Draußen kam wieder Wind auf und rauschte durch die Bäume, doch hier drinnen war es still wie in einem Grab. Sobald sich die Äste bewegten, gaukelten ihm Schatten die Anwesenheit von gekrümmt lauernden Gestalten in den Ecken vor. Es fiel ihm schwer, zwischen Trugbildern und Realität zu unterscheiden. Seine Hände packten das Gewehr fester, als er in die Küche trat.
Zu Sträußen zusammengebundene Kräuter hingen vor dem Küchenfenster, davor der brennende Baum, wie ein Mahnmal, um ihn an seine kleine Lebensflamme zu erinnern, die in dieser grausamen Nacht nur allzu schnell erlöschen konnte. Inmitten des Raumes stand ein Holztisch, daneben Stühle. Ein großer Kühlschrank brummte leise. Auf dem Tisch stand eine mit einem Tuch abgedeckte Schüssel, aus der dieser süßlich schwere Geruch aufstieg. Das Tuch zeigte dunkle, von Fliegen umschwirrte Flecken, doch im Zwielicht gab es nur Schattierungen von Grau und so konnte Mason nur mutmaßen, welche Farbe die Flecken hatten. Er hatte nicht vor, nachzusehen, was sich in der Schüssel befand.
Mason lief zur rückwärtigen Tür, berührte das weiß lackierte Holz und atmete durch. Er hoffte, dahinter die Treppe zu finden. Entschlossen drückte er die Klinke nach unten. Er hatte mit einem lauten Knarren gerechnet, doch die Tür öffnete sich nahezu lautlos. Er zuckte zusammen, als draußen Schüsse fielen. Die Stille kehrte zurück, umbrandete ihn mit ihrem lautlosen Rauschen, vage durchbrochen von seinem schlagenden Herzen und einer Standuhr, die im Flur tickte. Die ersehnte Treppe lag direkt vor ihm. Sie führte in einem eleganten Bogen nach oben.
Gut, dann also auf den Dachboden!
Überrascht stellte er fest, dass in dem sonst sauberen Haus Treppe und Flur eine Ausnahme zu bilden schienen. Auf dem Boden lagen feuchte Dreckklumpen.
War einer der Jäger ins Haus eingedrungen, Peggy womöglich?
Es wäre gut, jemanden an der Seite zu haben. Mason nahm zwei Stufen auf einmal. Wind drückte gegen das alte Haus und ließ das Holz knarren. Wetterleuchten flackerten geisterhaft durch die Fenster. Hier oben roch es anders, nach Lavendel und frisch gebügelter Wäsche. Ihm wurde bewusst, dass er wie ein Schwein schwitzte, jetzt, wo das Regenwasser auf seiner Kleidung trocknete. Mason öffnete eine der Türen und fand sich in einem Schlafzimmer wieder. Das große Bett war von einem Fliegennetz umgeben und mit weißen Laken aus Leinen bezogen, die angenehm kühl wirkten. Der Gedanke, sich in die sauberen Laken zu legen und die Augen zu schließen, drängte sich auf, doch Mason lief weiter.
Sein Herz vollführte einen schmerzhaften Sprung. Direkt hinter ihm war ein Mann wie aus dem Nichts aufgetaucht und hielt ihm ein langes Küchenmesser an den Hals. »Keinen Laut …«, hauchte er ihm die unverhohlene Drohung entgegen. »Sonst …«
Mason versuchte sich in einem angedeuteten Nicken. Der Mann passte so gar nicht in das Erscheinungsbild der Leute, die er bisher gesehen hatte. Er war von normaler Größe, eher schmal und von oben bis unten verdreckt. Shirt und Hose klebten nass an seinem Körper. Schuhe trug er keine. Deswegen hatte er ihn wohl nicht gehört. Er war viel leichter als Mason, mit Sicherheit auch schwächer, aber in seinem Blick war eine grimmige Entschlossenheit, die Mason vorsichtig machte. Er war zu weit gekommen, um mit einer unbedachten Handlung sein Leben aufs Spiel zu setzen. »Okay, Mister …«, begann er leise, »Ich mache, was Sie wollen, aber …«
Der Kerl drückte ihm ein Messer an die Kehle. Seine Stimme klang nervös und irgendwie dünn. »Halt’s Maul und komm mit!« Mit diesen Worten schob er ihn durch den Flur und an dessen Ende in ein Mädchenzimmer. Dort erwartete Mason eine weitere Überraschung. Der Raum wurde von einer Nachttischlampe erhellt. Wenn sich der Mann bewegte, tat er es verkrampft, wie unter starken Schmerzen. Und er war nicht allein. Auf dem mit Borten verzierten Bett saß eine dünne Rothaarige, die erbärmlich zitterte. Sie war offensichtlich in einer noch schlechteren Verfassung als der Mann mit dem Messer. Ihr Unterarm war notdürftig mit schmutzigen Stoffstreifen verbunden. Blut lief zwischen den einzelnen Bahnen hervor und tropfte auf den flauschigen Teppich zu ihren Füßen. Mason blieb stehen und wartete auf weitere Anweisungen.
»Setz dich auf den verdammten Stuhl«, sagte der mit dem Messer nervös. »Leg das Gewehr aufs Bett … und keinen Scheiß, hörst du?« Das Messer haftete noch immer an seinem Hals und folgte jeder seiner Bewegungen.
»Mason … so heiß ich«, versuchte Mason, die Situation zu entspannen. Das Pflaster auf seiner Nase juckte wie verrückt, zwang ihn zum Kratzen, doch er konnte nicht. Er legte das Gewehr ab und setzte sich wie verlangt auf den mitten im Raum stehenden Stuhl.
Der Mann mit dem Messer, also Eric, nahm das Gewehr an sich.»Das interessiert mich nen Scheiß, Mann!«
Erics Verhalten war für Mason durchaus verständlich, denn er konnte für ihn alles sein. Killer und Bestie. Eric umrundete das Bett und drückte sanft die Schulter der rothaarigen Frau, die darauf saß. »Halt durch, wir kommen hier schon irgendwie raus. Ich versprech’s dir …«
Die stöhnte auf. Ihr Körper zitterte und sie klapperte mit den Zähnen, als hätte sie starkes Fieber. Eric … ich weiß nicht, was mit mir ist, ob ich’s schaffe …«
Eric löste sich von ihr und fing damit an, eine kleine Kommode zu durchwühlen.
Mason beobachtete ihn dabei. Eric machte auf ihn nicht den Eindruck, als wäre er jemand, der solche Situationen im Griff hatte. »Hören Sie, ich kann ihnen helfen …«
Eric war sofort bei ihm und drückte den Lauf des Gewehrs an Masons Schläfe. »Noch ein Wort und ich puste dir das Hirn aus dem Schädel!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, drückte er den Lauf der Waffe fester an Masons Kopf.
Er hob beschwichtigend die Hände. »Immer sachte, mein Freund … ich meins so, wie ich sage … stecke selbst in der Scheiße hier!« Masons Hand schnellte nach oben, packte den Lauf der Waffe und riss diese aus Erics Hand. Binnen eines Augenblicks blickte Eric in den schwarz glänzenden Lauf der Waffe. Das Blatt hatte sich gewendet. »Und wenn du ne Waffe auf jemanden richtest, solltest du sie vorher entsichern!« Mason hatte diesen Satz, den er schon tausendmal in irgendwelchen Krimis gehört hatte, schon immer einmal sagen. Nun war es soweit. Er nickte Eric zu und ließ den Lauf sinken, um zu zeigen, dass er keine Bedrohung darstellte.
Eric humpelte zu Nina zurück. »Wir wollen nur raus aus diesem Wahnsinn … nichts weiter.« Er sah zu Nina, die seine Worte mit einem Nicken unterstrich.
»Alles ist gut«, beruhigte ihn Mason, »Wir gehen das gemeinsam an, okay?«
Eric nickte zögerlich. Natürlich konnte das eine Falle sein, aber sie hatten keine andere Wahl, als Mason ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenzubringen. »Eric … Nina.«
»Was ist mit deiner Freundin? … und was ist mit dir?«, wollte Mason wissen.
»Nina wurde von einem dieser …«, Eric bereitete es anscheinend Mühe, das Folgende auszubrechen, »Rougarou angefallen.« Allein sich einzugestehen, dass es solche Wesen gab, war schwer zu akzeptieren. »Der Knochen ist an zwei Stellen gebrochen.«
»Wow«, stellte Mason sichtlich beeindruckt fest. »Darum sollten wir uns kümmern, bevor wir uns auf den Weg machen.« Er ging vor Nina in die Hocke. »Hast Fieber, ja?«
Nina nickte schwach. »Mein Körper steht in Flammen …«
Eric zog ein paar weiße Shirts aus der Kommode. »Wir könnten den Verband erneuern …«
Mason stand auf und ging zur Tür. »Das bringt nichts … ich check mal, ob es hier oben ein Badezimmer gibt … sicher haben die nen Arzneischrank oder was in der Art!«
»Am anderen Ende des Flurs«, antwortete Eric mit besorgtem Ton. Sicher schalt er sich gerade einen Narren, nicht selbst darauf gekommen zu sein.
Mason machte sich auf den Weg. Im Haus war es so dunkel und still wie zuvor, doch draußen gingen die Kämpfe mit unverminderter Härte weiter. Er vernahm ein schmerzerfülltes Brüllen wie von einem großen gequälten Tier. Schüsse peitschten, in weiter Entfernung schien jemand Befehle zu rufen.
Das Badezimmer hatte er mit wenigen, schnellen Schritten erreicht. Wie ein Schatten schlüpfte er durch die Tür. Erst nachdem er sie verriegelt hatte, sah Mason sich um. Es gab eine altmodische, auf Füßen stehende Badewanne, ein Waschbecken, Handtücher und ein kleines Schränkchen mit einem grünen Kreuz auf der Tür.
Na wer sagt’s denn!
Hastig durchsuchte Mason den Inhalt des Schränkchens. Neben allerlei Verbandszeug fand er ein starkes Schmerzmittel sowie ein Fläschchen Jod. Er nahm sich eins der Handtücher, knotete es zu einem provisorischen Sack zusammen, und stopfte alles Nützliche hinein.
Er war bereits im Begriff, das Badezimmer zu verlassen, als unten eine Fensterscheibe klirrte. Glasscherben vielen zu Boden, danach polterte es laut. Mason presste sein Ohr auf die Tür und lauschte. Er dachte, das Knarren der Stufen zu hören, doch dann war da nichts mehr als ein Grundrauschen in der Stille.
Im Mädchenzimmer ...
Eric und Nina hatten das Klirren ebenfalls gehört. Sie wechselten schweigend Blicke, aus denen pure Angst zu lesen war. Eric legte sich den Finger auf die Lippen und ging zur Tür. Nina rechnete mit dem Schlimmsten.
Für Nina war die ganze Situation von derart grauenvoller Natur, dass sie sich am liebsten unter dem Bett verkrochen, oder, was wesentlich fatalistischer war, sich Erics Messer genommen hätte, um sich selbst von diesem Wahnsinn zu erlösen. Es wäre leicht, sich mit der scharfen Klinge die Handgelenke aufzuschneiden, sich in das weiche Bett zu legen und auf das Ende zu warten. Eric hatte keine Ahnung von dem Kampf, der in ihr tobte. Ihr Innerstes schien in Flammen zu stehen, nur um Sekunden später zu Eis zu erstarren. Währenddessen wurden ihre Gedanken wirrer. Ihre Seele wollte leben und sterben zugleich. All die schaurigen Geschichten der letzten Tage beeinflussten ihren Geist. Es drängte sie, hinauszulaufen in die Dunkelheit, um wie ein wildes Tier in den Sümpfen zu verschwinden. Gleichzeitig wollte sie all dem ein Ende setzen, einen Schlussstrich ziehen.
Einzig Erics Beistand bewahrte sie davor, Dummheiten zu begehen. Es grenzte an ein Wunder, dass sie den jungen Deutschen überhaupt wiedergefunden hatte. Am Fluss hatte sie plötzlich die alte Angst überfallen und an Land getrieben, dann durch das Buschwerk hindurch. Sie hatte den Lichtschein gesehen und war darauf zugelaufen. Einmal sah sie eins der Monster. Es war kleiner als das, welches sie am Fluss angegriffen hatte, und hatte helles Fell. Der Rougarou war stehen geblieben, hatte sie mit glühenden Augen gemustert und war wieder im Unterholz verschwunden.
Tiere fressen kein krankes Fleisch.
Der brennende Baum wurde zu ihrem Leuchtfeuer, das sie am Ende zu Eric geführt hatte. Wie das Feuer, das in ihrem Körper tobte, erlosch es nicht.
Auf dem Flur ...
Eric schaltete die Lampe aus und öffnete die Tür. Mit angehaltenem Atem spähte er durch den Spalt. Der Mond schien durch die Fenster und hüllte alles in sein kaltes Licht. Im Flur hielt sich niemand auf, nichts hatte sich verändert. Bis auf das Knarren, das er schon einmal gehört hatte. Es kam von der Treppe. Zwischen jedem Geräusch vergingen einige Sekunden. Da schlich jemand die Stufen herauf. Oder etwas.
Am anderen Ende öffnete sich die Badezimmertür, Eric konnte Masons blasses Gesicht sehen und das schmutzige Pflaster, das sich über seiner Nase spannte. Der Mann legte einen Sack auf den Boden. Er nahm das Gewehr und trat auf den Flur hinaus.
Eric sah kurz zu Nina, die lethargisch auf dem Bett saß und den Boden vor ihren Füßen anstarrte. Sie reagierte nicht, als er ebenfalls das Zimmer verließ. Er und Mason verständigten sich mit Handzeichen. Während sich Eric an der Wand auf die Treppe zubewegte, ging Mason in die Hocke und legte das Gewehr an.
Wieder das Knarren. Dieses Mal glaubte Eric sogar, jemanden atmen zu hören. War da nicht auch das Rascheln von Kleidung?
Eric musste sich zusammenreißen, um nicht kehrtzumachen und sich im Zimmer bei Nina zu verstecken. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und schlich weiter, auch wenn sich alles in ihm sträubte, sich auf das, was die Treppe heraufkam, zuzubewegen. Egal was es war, ob Mensch oder Bestie, es war ihnen mit Sicherheit feindlich gesonnen.
Wo die Treppe auf den Flur mündete, fiel ein Schatten übernatürlich lang und schmal auf die Bodendielen. Eric atmete erleichtert auf. Das war sicher kein Monster und wenn doch, war es nicht groß. Er wagte einen weiteren Schritt nach vorne. Als er seinen Fuß auf das Holz setzte, knarrte es verräterisch.
Die Gestalt auf der Treppe machte einen schnellen Schritt zurück. Mason zögerte keine Sekunde. Er sprang auf und war mit zwei langen Sätzen bei ihr. »Keine Bewegung, verdammt!«
Eric wartete ab. Es war besser, wenn die Person nicht wusste, dass sich noch jemand hier oben verbarg.
Mason hob sein Gewehr ein wenig an, sodass Eric dachte, er würde feuern. »Beweg deinen Arsch hier hoch … und schön langsam!«
Eric traute seinen Augen nicht, als er sah, wer die Treppe hinaufkam.