11

Es war höllisch heiß in der Right Church of God and Fellowship, und LoLo juckte es fürchterlich an der Stelle, wo ihre Strümpfe in den oberen Teil ihrer Oberschenkel schnitten. Kein Herumrutschen oder Wedeln mit dem abgenutzten Pappfächer des Beerdigungsinstituts vor ihrem Gesicht und Hals verschaffte ihr Erleichterung. Das, so dachte sie, geschah ihr recht. Gott missfiel ihre besondere Form von Hässlichkeit. Er wollte, dass sie sich unbehaglich fühlte. Schließlich hatte sie ihren Tommy belogen – den einzigen Menschen, der sich ihr gegenüber anständig verhalten hatte, der sie liebte, der sagte, er würde alles auf dieser Welt für sie tun. Er war derjenige gewesen, für den sie auf die Knie gefallen und um den sie zu Emmanuel gebetet und um den sie gebeten hatte, wenn die Sonne in den Himmel stieg und wenn der Mond das Gleiche tat und so viele Male dazwischen. Die Gebete, sie waren bescheiden gewesen, aber spezifisch. Und von den Lippen eines Menschen gekommen, der eine Frau und Schwarz, daher also arm, machtlos und ohne Optionen war: Lord, ich weiß, du bist ein guter Gott, ein großzügiger Gott, der mich im Land der Lebenden beließ, als ich dachte, ich würde sicher sterben und das auch wollte. Ich komme zu dir, so bescheiden, wie ich es vermag, und bitte dich, mir einen Mann zu schicken. Einen guten, fleißigen, der mich vor allem Schmerz, vor Kummer und Gefahr schützt. Und der bereit ist, mich einige dieser Bürden hier ablegen zu lassen. Im Namen des süßen Jesuskinds. LoLo hatte so treu an diesem Ritual festgehalten, diesem Flehen zu Jesus, damit er ihr einen guten Mann bringen sollte, dass sie ihre lädierten Knie mit Vaseline hatte einschmieren müssen, damit sie nicht hart und schwarz wurden. Denn der Linoleumboden in ihrer winzigen Kammer im Keller einer guten, aber strengen christlichen Frau, die LoLo nach ihrer Flucht nach New York aufgenommen hatte, war schon ganz abgetreten. Die Gebete – das, worum sie bat – sollten verhindern, dass auch ihr Herz schwarz und hart würde. Dann hatte Er ein Einsehen.

Auf einmal hatte Thomas Lawrence vor ihr gestanden, mit seinem Ring, den regelmäßigen Lohnzetteln und seiner Liebe. Seinem Schutz. Er versprach ihr, dass sie bei ihm nie mehr Hunger leiden und sich nie mehr sorgen müsse, wohin sie ihren Kopf zum Schlafen betten sollte. Tommy versprach LoLo für immer, und sie glaubte ihm. Und danach, was tat sie? Was tat sie da? Keine sechs Monate später hatte sie gesagt: »Bis dass der Tod uns scheidet.«

LoLo hatte Tommy, ihrer Liebe, ihrem Ehemann direkt ins Gesicht gesehen und ihm Lügen erzählt. Dann stand sie am nächsten Morgen auf und ließ ihren Hintern auf die Kirchenbank plumpsen. So saß sie dann im Haus des Herrn, als hätte sie nicht die Saat des Teufels in ihren Knochen. Ein Vergehen und eine Schande.

LoLo strich sich mit dem Handrücken über die Stirn, wischte die Schweißperlen weg und starrte den weißen Jesus an, der auf die Schriftrolle an der Wand hinter der Kanzel gemalt war. Seine Hände waren ausgestreckt, und die blauen Augen bohrten sich direkt in ihre eigenen. Sie schaukelte und fächelte, schaukelte und fächelte, wischte sich die Stirn ab und starrte Jesus an. Nicht weinen, kleines Baby, sagte sie zu sich selbst. Nicht weinen. Verzeih mir, Lordy.

LoLo hatte ihre Gründe gehabt zu lügen. Gute Gründe. Sie musste Tommy halten. Schließlich hatte sie schon ihren Anteil an Beziehungskatastrophen hinter sich. Eine Reihe von Männern, die rasch ihre Zuneigung erklärt hatten und genauso rasch zu Zerrbildern geworden waren – Ausschneidepuppen von Männern mit kleinen Herzen, großen Fäusten, hübschen Gesichtern, hässlichem Charakter, schicken Anzügen, bei denen allerdings Geiz in die Taschen genäht war. Die null Verlangen hatten, Männer zu sein. Sich an den Deal zu halten, den Geschlechterrollen über Tausende von Jahren gemäß ihren Genitalien an die Fesseln der Menschen gekettet hatten: Er verdient, sie behütet. Wie sehr sie sich auch verbogen hatte, um ihrem Ideal sorgsam zu entsprechen – zu kochen, zu putzen, zu organisieren, zu arrangieren, zu bemuttern, das Ein und Alles zu sein –, keiner von ihnen war so beschaffen, um sich selbst als perfektes Kunstwerk in LoLos Rahmen einzufügen. Sie hatten ihr nicht mehr zu bieten als Lektionen: Männer nahmen gern, aber man konnte nicht drauf vertrauen, dass sie auch gaben, konnte nicht drauf zählen, dass sie ihren Teil des Handels einhielten. Am nächsten gewesen war sie der Chance, es aus jener ärmlichen Ein-Zimmer-Wohnung zu schaffen, in der sie nach Luft rang, seit sie aus dem Haus ihres Onkels geflohen und sich heimlich nach Norden gestohlen hatte, als sie »Ja« zu Sharpe Williams Antrag gesagt hatte. Doch selbst er, der Beste unter den vielen Männern, die sie auf der Suche nach ihrem Retter durchgegangen war, brachte es nicht über sich, sie von dem einzigen Aspekt dieser Abmachung freizustellen, den sie nicht erfüllen konnte.

»Wie meinst du das, dass du keine Babys bekommen kannst?«, hatte er sie gefragt und von seinem Schoß geschubst, als sie ihm die Nachricht zwanglos mitteilte.

»Ich … kann’s einfach nicht.«

»Woher weißt du das? Und warum erzählst du mir das erst jetzt?«, verlangte er zu erfahren. »Wir sollen in weniger als zwei Wochen heiraten, und du dachtest nicht, dass das etwas wäre, das ich im Vorhinein erfahren sollte?«

Dieses Gespräch – oder eher, diese Erklärung – hatte wie ein Gewicht über jeder ihrer Beziehungen gehangen. Es fühlte sich an, als würden ihre Liebsten es ihr auf den Kopf krachen lassen. Ihre Unfähigkeit, deren Samen zu pflanzen, deren Blumen zum Blühen zu bringen, wog zu schwer, als dass sie sie hätten ertragen können. Es war zu viel für ihre Männlichkeit, die ihren Körper – ihre Gebärmutter – verlangte, um eine Hinterlassenschaft zu garantieren.

»Baby, ich dachte einfach, das wäre keine allzu große Sache, weißt du? Du bist während des Kriegs so viel gereist und hast all die schönen Gegenden gesehen, die die meisten von uns im Leben nicht zu Gesicht bekommen.« LoLo hatte immer schneller gesprochen und sich zurück an die Stelle geschoben, von der er sie weggeschubst hatte. Ihr süßer Atem traf sein Gesicht. Sie senkte die Augen und klimperte langsam mit ihren Wimpern. Sie hoffte, ihn auf diese Weise dazu zu bringen, dass er sich allmählich damit abfand, anstatt schnell zu verschwinden, wie sie es all die anderen Male zuvor als Reaktion erlebt hatte. Sie wollte Sharpe nicht verlieren. Das konnte sie nicht. »Verstehst du denn nicht? Das ist ein Segen! Wir könnten zusammen an all diese und noch viel mehr Orte reisen. Wir werden uns nicht um Babys, Familie und Verpflichtungen sorgen müssen. Keine Kinder zu haben, das verleiht uns Flügel.«

»Du hast also vor mir gestanden, hast die ganze Zeit gelogen, obwohl du wusstest, dass du keine Babys kriegen kannst?«

»Ich … ich hab nicht gelogen, Honey, ich habe nur … diese Sache für mich behalten, das ist alles. Ich wollte es dir immer sagen, Sharpe. Das schwöre ich dir, Honey.«

»Aber du weißt, was Kinder für einen Mann bedeuten. Für mich. Du weißt, dass ich eine Familie will.«

»Ich bin deine Familie«, sagte LoLo. Sie richtete sich groß auf und nahm die Schultern zurück. »Bin ich etwa nicht genug?«

»Was zum Teufel redest du da, Weib?« Sie hatte Sharpes weiche Seite erlebt – seine Liebenswürdigkeit und seine Achtung vor allen, die er liebte. LoLo war auch schon Zeugin seines Zorns gewesen – hatte ihn gegen Wände schlagen, Tische und Bänke über den Haufen rennen gesehen, um sich diejenigen vorzuknöpfen, die sich auch nur die geringste Respektlosigkeit erlaubt hatten. Seine ohnehin schwarzen, stechenden Augen kriegten dann etwas Mitternächtliches – eine Düsterkeit. Sie sah es in seiner Iris lauern, während sie ihre Sache vorbrachte. Wachsam sträubten sich die feinen Härchen an ihren Unterarmen. Sie dachte, er würde sie schlagen. Er tat es nicht. Stattdessen verschwand er.

Kein Jahr danach hatte sie ihn zur Tür des Ladens an der Ecke eilen sehen. Die Hand auf dem unteren Rücken einer anderen Frau. – Hübsch und rund und strahlend watschelte sie über die Schwelle, während die Sonne ihren Ehering beiläufig aufblitzen ließ.

LoLo hatte sich geschworen, dass sie mit Tommy denselben Fehler nicht noch einmal machen würde. Er war ein Ladykiller, aber auch ein Gauner – verlässlich, schnell. Witzig. Anspruchsvoll. Letzteres konnte gelegentlich viel Mühe machen, aber es störte sie nicht, ihm genau das zu geben, was er wollte – eine warme Mahlzeit, saubere Unterhosen, sogar das Versprechen auf Sex. Denn relativ früh hatte sie ihm beigebracht sicherzustellen, dass sie immer bekam, was sie wollte: Einen Mann, der für sie sorgte und sie in einer Welt beschützte, die eine Schwarze Frau eher ans Kreuz schlagen würde, als sie in die Lage zu versetzen, dass sie selbst sich ernähren, eine Wohnung suchen, kleiden und anderweitig versorgen konnte. Es ging hier weniger um das Glück des anderen. Vielmehr war es die geltende Ordnung: verdienen und behüten. Das hatte LoLo Tommy schon klargemacht, als er sie das erste Mal enttäuschte. Damals war sie in sein Haus gestürmt, ohne sich auch nur im Geringsten darum zu kümmern, wer gerade bei ihm war. Dann machte sie ihn zur Schnecke, weil er sie versetzt hatte.

»Ich weiß ja nicht, für wen zur Hölle du dich hältst, aber eins kann ich dir sagen: Du bist nicht so besonders, wie du denkst«, hatte sie noch auf der Türschwelle gerufen, als die halb aus Metall, halb aus Fliegengitter bestehende Tür gegen ihren Hintern schlug. Aber sie hatte gar nicht die Absicht, sein kleines Haus zu betreten, also gab es keinen Grund, die Tür zuzumachen. Sie war fuchsteufelswild und hatte, noch bevor sie die Stufen am Eingang hinaufgestapft war, beschlossen, ihm die Meinung zu sagen und die Sache dann abzuhaken.

»Whoa, whoa, whoa!«, hatte Tommy gesagt. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Erstens weil das plötzliche Auftauchen eines Eindringlings ihn erschreckt hatte. Und zweitens vor Erregung, weil er sie da in seinem Haus stehen sah, diese große, hübsche, gesunde, zärtliche Frau, die er erst vor ein paar Tagen angequatscht hatte. Er war auf dem Weg zu The Corner gewesen, um fünfzig Cents auf 976 zu setzen – die Zahl, die er immer spielte, nachdem er vom Tod geträumt hatte. Er hatte gepfiffen, sie gelächelt. Er war stehen geblieben, sie auch. Er hatte etwas gesagt und sie zum Kichern gebracht. Kichernd hatte sie ihn mit diesen Augen angesehen. Er hatte sie um eine Verabredung gebeten. Sie war einverstanden. Er hatte versprochen, sie am Freitagabend um sieben abzuholen, damit sie es zum Halb-Acht-Zug in die Stadt schafften, wo sie sich eine Show ansehen wollten. Sie saß bis neun Uhr in ihrem die Hüfte betonenden schwarzen Kleid herum, das sie sich extra für den Anlass genäht hatte. Die Strumpfhose kratzte an ihren langen Beinen. Ihre Füße hatte sie, obwohl sie sonst Größe 42 trug, in 41er Pumps gequetscht, sodass ihre Ballen schmerzten. Von Minute zu Minute regte sie sich mehr darüber auf, dass dieser kleine Mann sie versetzt hatte. Anscheinend weil er sich für so toll und wichtig hielt, dass er sich eine Verabredung mit zwei Frauen leisten konnte, zwischen denen er dann aussuchte.

»Komm mir nicht mit Whoa! Lana hat mir erzählt, dass du ein Doppel-Date mit ihr, ihrem Mann und irgendeiner anderen Braut vorhast. Aber ich sag dir was«, hatte LoLo erklärt und dabei den Hals und ihren Zeigefinger gereckt, »so wahr ich Delores Whitney heiße, du wirst nicht in diesem Viertel rumlaufen und mich zum Narren halten! Du bist nichts Besonderes«, fauchte sie, während sie ihn von seinen bestrumpften Füßen über die Boxershorts und seine breite nackte Brust bis zu seinem markanten braunen Gesicht hinauf musterte.

»Naw, naw, lass mich’s erklären«, hatte Tommy insistiert.

»Du brauchst mir nicht irgendwelchen Mist erklären. Ich brauche einen Mann, der tut, was er gesagt hat. Den ganzen anderen Mist kannst du für dich behalten.«

»Ist schon abgemacht.«

»Boy, was ist abgemacht?«, hatte sie gefragt und die Arme verschränkt, was gut zu ihrer gerunzelten Stirn passte. Sie wollte ihm böse sein, aber er war so hübsch. Hübscher als sie ihn von dem Moment in Erinnerung hatte, als er gepfiffen und sie ihm Beachtung geschenkt hatte. Ihr Verstand beharrte darauf, dass sie sich auf seine Unverschämtheit konzentrierte, aber ihr Herz lachte.

»Du und ich.«

»Wie soll das mit dir und mir was werden, wenn du nicht mal deine Mädchen und einzelne Tage auseinanderhalten kannst? Ich bin nicht irgendeine Schlampe, die du dir nebenher warmhalten kannst, bis du mit der nächsten Braut fertig bist. Da bist du an die Falsche geraten.«

»Naw, du bist die Richtige«, hatte Tommy mit glänzenden Augen gesagt. Ihr Temperament gefiel ihm. Es verdrängte jedes Interesse, das er an all den anderen Frauen hatte, die ihn umschwirrten wie Bienen eine Honigwabe. Von nun an war alles, was an seinem Himmel strahlte, LoLo.

LoLo hatte an ihren Nägeln gezupft und die Lippen verzogen, während Tommy ganz schnell alles Mögliche erzählte, um sie in sein Auto zu kriegen. Die City kam nicht mehr infrage. Es war zu spät, um noch einen Platz in dem Jazzclub zu bekommen, wo er ursprünglich mit ihr hingewollt hatte. Und ihm war klar, dass die Hausparty nicht infrage kam, zu der er eigentlich gleich hatte aufbrechen wollen. Er brauchte jetzt nicht Billy und seiner vorlauten Freundin Lana begegnen, damit die sich in seine Angelegenheiten einmischte. »Wie wär’s, wenn wir ein bisschen rumfahren, nur du und ich?«, fragte er.

LoLo hatte gefallen, wie er »nur du und ich« sagte. Wie eine Bitte. Sie gab nach. Und an jenem warmen Abend, bei diesem absolut perfekten Ausflug nach Long Island, hielten sie in einer Nebenstraße, wo Moskitos und Glühwürmchen sich die Flügel an den Straßenlaternen versengten und die Grillen ihre Lieder zirpten. Sie gönnten sich Honey Buns, Coca-Cola und Kool-Zigaretten, erzählten sich ihre traurigen Geschichten und bedauerten ihr Schicksal.

»Meine Mama, sie hatte wirklich wunderschönes Haar, weil sie zum Teil indianisch war, weißt du. Ich kam mit der Bürste zu ihr gelaufen, und dann setzte sie sich auf den Boden, damit ich drankam und ihre Haare vom Ansatz bis zum Rücken hinunter bürsten konnte.« So hatte LoLo erzählt und dabei mit dem Finger über den Rand der Colaflasche gestrichen. Das war die Erinnerung, die sie auf Lager hatte für all jene, die ein bisschen Würze zu ihrer bewusst nüchternen Herkunftsgeschichte brauchten. Zu den Einzelheiten, warum sie South Carolina verlassen und wie sie es bis nach New York geschafft hatte. Mama starb, Verwandte nahmen mich auf. Wollte schon immer nach New York. Bei der Right Church haben sie im Keller Platz für mich gemacht – mich meinen Lebensunterhalt abarbeiten lassen. Hab auf ein eigenes Zimmer gespart. Ich bin Schneiderin. Kann für mich sorgen. Den Rest wollte sie nicht erzählen. Sie brachte es einfach nicht über sich. Geheimnisse, Scham – beides schnürte ihr mit einem festen Knoten die Kehle zu, so wie bei fast jedem anderen, dessen Augen und Körper das Unaussprechliche mitbezeugt hatten. Die Knoten hielten sie alle davon ab, es zu erzählen, noch mal zu durchleben und ein Risiko einzugehen.

Doch Tommy wollte mehr. Das konnte LoLo in seinen Augen sehen. Und daran, wie er ihr seinen ganzen Körper zuwandte und auf ihre Lippen schaute, wenn sie sprach. Als wäre sie ein Film, den er analysierte, weil ihn die Entscheidungen und Motivation der Schauspielerin interessierten. Ihr gefiel, dass er ihr wirklich zuhörte. Er grabschte nicht nach ihren weichen Stellen oder erzwang, wozu sie noch nicht bereit war, sondern er war ehrlich neugierig. Wo bisher Stahl in LoLo gewesen war, flatterten jetzt Schmetterlinge. LoLo breitete ihre Flügel aus – so flog sie für Tommy zurück in ihre Vergangenheit. An ein paar Plätze, zu denen sie nie zuvor einen anderen Mann mitgenommen hatte. »Mama starb, als ich sechs war, gleich nachdem mein kleiner Bruder Freddy geboren war. Mein Daddy, der war eigentlich kein Vater für mich. Tatsächlich für keinen von uns. Als Mama starb, ließ er uns einfach in dem Haus zurück. Ließ uns zum Sterben zurück. Meine drei großen Brüder, die taten, was sie konnten, aber sie waren noch Kids, verstehst du? Sie fanden sich irgendwelche Orte, wo sie unterkamen, aber ich und Freddy, wir blieben nach Mamas Beerdigung lange in dem Haus, kam mir vor. Mein Daddy, er hatte ein bisschen was zu essen, etwas Milchpulver für das Baby dagelassen. Aber die Tage, die wir allein dort verbrachten? Die schienen bis in alle Ewigkeit zu dauern, wenn Freddy anfing zu weinen. Ich vermute, dass meine Brüder die beste Freundin meiner Mama auftrieben. Sie war fast wie Familie für uns. Sie erfuhr, dass ich und Freddy ganz allein in dem Haus waren, und kam uns holen. Später wurde Freddy zu Verwandten irgendwo in Blacksburg, South Carolina, geschickt und ich schließlich zu irgendeinem Onkel in Columbia.« Rasch biss LoLo sich auf die Lippen, damit sie aufhörten zu zittern. Aber sie konnte es nicht verbergen. Nicht vor Tommy. Er griff nach ihrer Hand. Sie ließ es zu.

»Nachdem meine Mama gestorben war, machte mein Daddy das Gleiche wie deiner«, hatte Tommy erzählt. »Er schickte die Kleinen weg, aber uns Ältere behielt er da. Er schlug uns. Ließ uns alle Arbeit verrichten – das Dach reparieren, Holz hacken, seinen Truck fahren, für Lieferungen und so was. Zwang mich, die Schule abzubrechen und alles. Er war irgendwie kein Vater für mich.«

»Dein Daddy war nicht scheiße. Meiner auch nicht. Aber jetzt stehen wir eben da, was?«, sagte LoLo. Sie hatten den Knoten wieder fest zugezogen. »Aber immerhin stehen wir noch.« LoLo stieß mit ihrer inzwischen lauwarmen Cola an seine Flasche und nahm einen Schluck.

»Wir stehen noch«, hatte er bestätigt und an seiner eigenen Flasche genippt. Und dann leiser hinzugefügt: »Ich will mit meiner Sippe besser umgehen. Meine Brüder, die haben Kinder – zumindest die älteren. Und eine meiner kleinen Schwestern hat auch Kinder. Das will ich. Ich will eine eigene Familie. Eine Frau und ein paar Babys. Ich hab mir vorgenommen, der Vater und Ehemann zu sein, der mein Daddy nie sein konnte.«

»Du magst Kinder richtig gern, was?«, fragte LoLo zaghaft. Tommy schien LoLos Unbehagen nicht zu merken, während sie sich auf ihrem Sitz zurechtrückte.

»Liebe sie«, antwortete er rasch.

»Ist das dein Traum? Der Daddy von jemand sein?«

»Ich hab eine Menge Träume«, sagte er. »Aber keiner davon spielt ’ne Rolle, wenn ich ihn nicht mit Menschen teilen kann, die ich liebe.«

»Was bringt dich dazu zu glauben, dass du’s besser kannst? Denn ich denke, meine Mama und deine Mama dachten auch, sie hätten gute Männer gefunden. Und alles, was sie für ihre Mühe bekamen, waren ein Haufen Kinder und ein Ticket für einen frühen Tod.«

»Ich bin nicht mein Vater«, gab Tommy schroff zurück. Wie er LoLo dabei ansah, als könne er direkt in ihre Seele blicken, das ließ sie ein bisschen unruhig werden. Er meinte es so, das spürte sie. »Ich werd mich meiner Familie gegenüber anständig verhalten. Mich um meine Kinder kümmern. Es wie die weißen Leute machen, alles dafür tun, dass meine Frau und Kinder keine Not kennen. Das ist das Leben, das ich dir verspreche. Und ich halte meine Versprechen.«

»Ach? Deshalb hab ich dich in Unterhose angetroffen, während du deinen Anzug für das nächste Mädchen aufgebügelt hast?«

»Es gibt kein anderes Mädchen. Nur dich.«

Und so war es von da an. LoLo wusste zu schätzen, dass Tommy nicht so war wie andere. Er schlug sie nicht wie Cindys Mann das tat. Er gab ihr keinen Grund, wie Lana Mädchen aufzulauern, nachdem ihr Mann sie vor aller Augen betrogen hatte, was bewirkte, dass es dieses Negro*-Theater an Straßenecken und in Vorgärten überall in Amityville gab. Er brachte ihr den Müll raus, kaufte Milch und Zigaretten für sie. Als er sie in sein neues Zuhause führte, ließ er sie sich die Augen zuhalten und erst wieder öffnen, um ihr das kalte Stück Metall in die Hand zu schieben. Einen Schlüssel. Seinen Schlüssel. LoLo konzentrierte sich darauf, langsam zu atmen, damit ihr das Herz nicht bis in den Hals schlug und gleich auf ihrer Zunge landete. Ihr hatte er die Welt versprochen, sie den weiten Weg bis nach Midtown gebracht, um einen Ehering auszusuchen. Sie vertraute darauf, dass Tommy ein Mann war, dem es ernst damit war, sich ihr gegenüber anständig zu verhalten. Daher hatte sie vor, ihn mit aller Macht zu halten.

»Ich will, dass du morgen zur Arbeit gehst und direkt zu deinem Boss marschierst. Und dann sagst du ihm, dass er dich am Arsch lecken kann«, hatte er gesagt. »Sag ihm, dass ab jetzt dein Mann für dich sorgt. Sag ihm das einfach.« Und so machte sie es. Beim Friedensrichter war sie rausgeputzt mit einem figurbetonten Kleid erschienen, das sie sich nur für den Anlass genäht hatte – es war so eins wie Dorothy Dandridge sie zu tragen pflegte, wie eine Umarmung aus Satin für ihre Mahagonihaut. Dann hatte LoLo »Ja, ich will« gesagt und dabei so breit gestrahlt, dass noch die Sachbearbeiterin am Ende des Flurs ihre Backenzähne sehen konnte. Sie würden ein gutes Leben haben. Er versprach es. Sie glaubte es.

Im Gegenzug erlaubte LoLo Tommy, laut zu träumen. Und sie neckte ihn, wenn er sein Ziel etwas aus den Augen verlor. Er mochte das – ihre Unterstützung. Ihre Loyalität – und Hingabe. Oft versicherte er ihr, sie sei der Schlag seines Herzens. »Ohne eine gute Pumpe kannst du nix schaffen«, pflegte er zu sagen. Und so nannte er sie manchmal, Tick, nach ticker. LoLo fand, das war ein kleiner Preis für das, was Tommy zu bieten hatte.

Sie hatte nicht vor, diesen guten Mann an irgendwen zu verlieren – nicht an Lanas Freundin, die mit dem Hintern wackelte, und auch an keine andere Frau, nicht an die Straße oder an die miesen weißen Cops, die farbige* Männer aus Spaß hinter Gitter brachten. Aber vor allem wollte sie ihn nicht an ihren leeren Unterleib verlieren. Ihn auf Trab halten, aber ihm seinen Willen lassen – seiner Männlichkeit schmeicheln, das sollte ihre Strategie sein. Und zwar von dem Augenblick an, als dieser weiße Mann in der City Hall gesagt hatte: »Ich erkläre euch zu Mann und Frau«, bis zu ihrem letzten Atemzug.

Aber das hatte ihre Lüge erfordert. Es erforderte, dass sie sich ihm wieder und wieder hingab, Monat für Monat, und so tat, als würde ihr Körper diesmal empfangen. Dass endlich ein kleines Baby, sein Baby in ihrem Bauch entstehen und wachsen würde. Es war unerlässlich, dass sie vorgab, vom Ergebnis überrascht zu sein, das, was er nicht wusste, immer das gleiche sein würde. Immer das Gegenteil dessen, was er sich so verzweifelt wünschte. Ihr Bauch und er würden leer ausgehen. Es war ihr Blut, ihre monatliche Regel, die sie ihm als Beweis dafür präsentierte, dass er das Problem war, nicht sie.

»Woher weißt du das so sicher, LoLo? Woher weißt du, dass wir vielleicht einfach nicht genug versuchen, ein Baby zu machen?«, fragte er mit schwankender Stimme. Sie saßen in ihrem Wohnzimmer nebeneinander auf ihrem dreibeinigen erbsengrünen Plüschsofa. Das hatten sie zwei Blocks entfernt ergattert, weil sie den Müllmännern zuvorgekommen waren. Ein kleiner Schwarz-Weiß-Fernseher, der auf drei Milchkisten stand und dessen Antennen doppelt so lang waren wie das Ding selbst, lief auf voller Lautstärke direkt vor ihnen. Gerade war ein Werbespot zu sehen, in dem ein kleines weißes Mädchen in einer Wanne voller Badeschaum planschte und sich mit einem Waschlappen über ihre molligen Arme fuhr. Dazu erklärte eine Stimme, dass diese spezielle Seife auf Wasser schwamm und einen so cremigen Schaum produzierte, der sich sogar für Babyhaut eignete.

LoLo spielte mit den Händen in ihrem Schoß, den Blick auf die Falten in ihren Handflächen gerichtet. Diesen Part hatte sie geübt, aber sie konnte Tommy, diesem Mann der sich so verzweifelt Kinder wünschte, nicht in die Augen schauen, wenn sie es sagte. Sonst würde sie einknicken und ihre Liebe für immer verlieren. »Ich kriege meine Monatsblutung«, sagte sie leise. »Was ja bedeutet, dass mein Körper ganz normal funktioniert.« Und danach sagte sie kein einziges Wort mehr.

Tommy, dem es an brauchbaren Kenntnissen in Biologie und deren Einzelheiten fehlte, stützte den Kopf in die Hände. Er rieb sich die Augenbrauen, dann die Schläfen. Schließlich hatte er gemurmelt: »Tut mir leid, Tick. Es ist meine Schuld. Ich hab diesen Fluch zu tragen, und jetzt hab ich dich da mit reingezogen. Welcher Mann kann sich denn nicht darauf verlassen, dass Gott seine Frau mit einem Baby segnet? Was für ein …«

Tommy machte sich nicht die Mühe, den Satz zu beenden. Er sprang so rasch von dem Stuhl auf, auf den er sich eben erst hingesetzt hatte, dass der krachend auf den Holzboden umfiel. LoLo wäre am liebsten aus der Haut gefahren. Tommy war zur Wohnungstür hinausgestürmt. LoLo hatte ihn gelassen.

***

LoLo war dermaßen damit beschäftigt, den weißen Jesus hinter dem Pastor und seiner Kanzel anzustarren, dass sie beinah ihren Segen verpasst hätte. Sie wurde aufmerksam, als eine Frau, die in der Bank direkt hinter ihr saß, zum Lobpreis ihr Tamburin schüttelte. Die Mini-Zimbeln klirrten genau hinter LoLos rechtem Ohr. Sie setzte sich in ihrer eigenen Bank zurecht und wedelte noch wilder mit ihrem Fächer. Dabei spähte sie in alle Richtungen, um zu sehen, ob irgendwer aus der Gemeinde etwas von ihrem Stress mitbekommen hatte.

»Oh, wie die kleinen Kinder leiden!«, rief Pastor Wright, und seine Stimme klang in LoLos Ohren wie das Echo in einem Tunnel. Er lehnte sich vom Mikrofon zurück und genoss die geschüttelten Tamburine sowie die »Yassuhs!« und »Preach, preachers!«, die an seine schäbige, wackelige Kanzel brandeten. LoLo merkte auf. »Gott hat seine Liebe zu Kindern und unsere Christenpflicht ihnen gegenüber so klar geäußert«, fuhr der Pastor fort. »Buch der Sprüche, Kapitel 14, Vers 31: Derjenige, der die Armen unterdrückt, zeigt Verachtung … hör mich an, Kirche!«, rief er. »Ich sagte, derjenige, der die Armen unterdrückt, zeigt Verachtung … für seinen Schöpfer … aber … aber … alle, die guuuut zu den Bedürftigen sind … ehrt GOTT

LoLos Rücken prickelte. Sie richtete sich kerzengerade auf, was das labile Gleichgewicht aus ihrer Bibel, der Handtasche und dem Gebetstuch in Gefahr brachte, denn sie hatte alles auf ihren Knien und ihrem Schoß balanciert. Jetzt griff sie schnell mit ihren verschwitzten Händen nach den Sachen und lehnte sich, ihr linkes, gutes Ohr voraus, Richtung Kanzel. Nur um sicherzugehen, dass sie richtig hörte. Sie dachte, das ist bestimmt kein Zufall. Gerade als sie Sweet Jesus um Verzeihung dafür bat, dass sie ihren Mann angelogen und ihm verheimlicht hatte, dass sie nicht schwanger werden konnte, da kam Pastor Wright und benutzte Gottes heiliges Evangelium, um seine Herde zu ermutigen, dass sie Babys adoptieren sollte. LoLos Magen schlug einen Purzelbaum. »Gloray!«, schrie sie und balancierte ihr Hinterteil auf der Kante der Kirchenbank.

LoLo fasste die Predigt als eine Botschaft von Gott persönlich auf. Sie eilte aus dem Gottesdienst, ihre Kirchenschuhe mit den Absätzen in der Hand, und lief sich ein Loch in die Strümpfe, als sie mit ihrer ach so göttlichen Idee zurück zum Penny Drive 333 rannte. »Baby«, sagte sie, während sie sich schwer atmend behutsam auf der Couch niederließ. Sie sah ihren Mann an, der wiederum den Mets im Fernsehen zusah, wie sie einen »4 zu 0«-Vorsprung gegen die Astros vergeigten.

Der Fernseher und sein Bier. Die beiden waren Tommys einziger Trost tagein, tagaus, seit er sich selbst eine Realität eingebrockt hatte, der er nicht bereit war, sich zu stellen, und erst recht nicht bereit, darüber zu sprechen – nicht einmal mit seiner Frau. Er nippte weiter am einen und starrte auf den anderen.

»Baby, hör mich an«, hatte LoLo ihn beschworen, diesmal mit ihrer Hand auf seinem Knie. »Sieh mich an, bitte.«

Schließlich hatte Tommy seinen Blick losgerissen, tot und leer, und sich langsam umgedreht. Er sah jetzt seiner Frau in die Augen. Das war etwas, das er ab dem Moment vermieden hatte, als er endlich akzeptierte, dass sie nie ein eigenes Baby haben würden und wahrscheinlich er schuld daran war. Tommy schüttelte den Kopf und musterte LoLo aus leicht zusammengekniffenen Augen. »Was?«, fragte er tonlos.

»Lass mich dir von der Negro Children’s Society erzählen«, sagte sie und nahm seine freie Hand, die nicht sein drittes warmes Bier hielt, in ihre eigenen Hände.

Mit vor Aufregung großen Augen und ein bisschen Spucke auf ihren rauen Lippen, die von der heißen Luft auf dem eiligen Rückweg zu ihrem Mann trocken und rissig geworden waren, ließ LoLo all die treffenden Worte durch ihre Zahnlücke purzeln. Die Aussagen folgten so rasch aufeinander, dass sie an den leisen Stellen dazwischen regelrecht pfiff. Tommy hörte all die Schlüsselbegriffe wie vom Schicksal weniger begünstigt und Segen und Gottes Wille und Familie ist Familie, Blutsverwandtschaft spielt keine Rolle. Aber er war noch nicht bereit, sich die Idee anzueignen, auch wenn sie durchaus richtig klang. Welcher virile Mann mit Respekt vor sich selbst konnte kein Baby zeugen? Was für ein Mann konnte er überhaupt sein, wenn er unfähig war, seiner Frau ein Kind zu machen? Welcher Mann vermochte den Fluch zu ertragen, das sein eigenes Vermächtnis an der eigenen Türschwelle welkte und abstarb? Tommy war kein Mann des Gebets, aber das hier war ihm bei Gott wichtig. Doch all die Male, wenn Tommy Gott versprochen hatte, ein besserer Mann zu sein als sein eigener und LoLos Daddy, all die Male, wenn er dem Himmel seine Absicht erzählt hatte, ihr Haus mit Kindern zu füllen und diese mit der Leitung und Liebe großzuziehen, die er und seine Frau selbst nie erfahren hatten, dann war das vergebens gewesen. Dieser Gott hatte nicht mehr zu bieten als LoLos leeren Bauch und sein eigenes gebrochenes Herz. Das Argument dieses Schlangenölvertreters auf der Kanzel? Wollte er nicht hören.

Seine Verdrossenheit konnte es weder mit LoLos Begeisterung noch mit ihrer Überzeugungskraft aufnehmen. Sie bekam fast alles von ihrem Mann, und gerade das hier würde keine Ausnahme darstellen. Sie brauchten dieses Baby. Es würde kommen.

Einige Sonntage sollten vergehen, bevor Tommy bezüglich der Idee, zu adoptieren, einlenkte. LoLos Worte waren logisch gewesen, aber erst im Haus ihrer Freundin Sarah verlor er endgültig sein Herz. Pastor Wright war dort: in neuem Anzug, mit Schweiß auf der Stirn und die Brusttasche voller Geld dank des Sozialhilfeschecks, den er vom Child and Family Service erhalten hatte. Ein Sohn. »Ja, das hier ist mein Sohn Samuel«, sagte Pastor Wright. Er hatte ein Taschentuch aus der Tasche mit dem Geld gezogen und sich damit die Oberlippe abgewischt, während er zusah, wie sein vier Monate altes Kind von Arm zu Arm wanderte. »Ist schon etwas anderes, so einen neuen kleinen Segen im Haus zu haben. Gerade jetzt, wo meine Älteren praktisch schon mit einem Bein aus dem Haus sind.«

»Sind das ihre eigenen Kinder?«, hatte Tommy gefragt, als er sah, wie Sarah dem Baby auf die Wangen tippte und leise zu ihm sprach.

Der Pastor runzelte die Stirn. »Nun, meine Frau und ich haben zusammen zwei Söhne, und wir haben die Tochter ihrer Schwester aufgenommen, als diese verstarb. Samuel hier ist unser viertes Kind.«

»Dann sind also die beiden Älteren Ihr eigen Fleisch und Blut«, stellte Tommy fest.

LoLo, die sich gerade zu dem Baby beugte und seine Decke ein Stückchen wegzog, um sein Engelsgesicht besser sehen zu können, warf Tommy einen strengen Blick zu. Doch ihr Mann war zu beschäftigt damit, eine klare Antwort aus dem Pastor zu bekommen, um das Unbehagen seiner Frau zu bemerken.

»Die beiden Älteren habe ich selbst zur Welt gebracht, ja. Aber Samuel ist deshalb nicht weniger mein Kind«, erklärte die First Lady Wright. »Alle Babys sind ein Segen von Gott. Da spielt es nicht wirklich eine Rolle, auf welchem Weg sie in unsere Arme kommen.«

LoLo, die instinktiv spürte, dass Tommy gleich etwas Scharfes erwidern würde, griff nach dem Baby, bevor ihr Mann eine Anzüglichkeit von sich geben konnte. Sie bettete es in ihre linke Armbeuge und schaukelte es sanft, während sie seinen kleinen Po klopfte. So hatte sie es vor einem Lebensalter gelernt, als das Beruhigen und Trösten von Babys ihr die eigene Haut gerettet hatte. »WeristeinsüßesBaby? WeristeinsüßerBabyboy?«, gurrte sie und drückte ihre Nase an die Babywange. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Ja, dachte sie, ein Baby wie dieses hier, ein Sohn, den Tommy mit der Zeit seinen eigenen nennen konnte, der würde alles zwischen ihr und ihrem Mann in Ordnung bringen. So würden sie es bis in alle Ewigkeit schaffen. Sie würde ihn schon dazu bringen.

Später würde Tommy ihr sagen, es hätte etwas mit LoLos zierlichen Fingern zu tun gehabt. Damit, wie ihre durch die harte Arbeit auf den Baumwollfeldern als Kind etwas verformten Hände das Baby sanft an ihre Brust gedrückt hatten. Tommy sah, wie sie das Baby in ihren Armen wiegte, und war tatsächlich überzeugt.