Es war eine Stelle, direkt über Raes Knöchel, aber noch nicht an der Wade. Bei jedem Schritt fühlte es sich an, als würde eine Zange sich durch ihre Haut, vorbei an Adern und Venen bis in ihren Knochen bohren. Am Vorabend war es nur ein kurzer Krampf gewesen – ein dumpfer Schmerz, der sie zunehmend genervt hatte, während sie Roman beobachtete, der wiederum sie beobachtete. Beobachtete, wie sie eilig frittierten Fisch und Maisgrütze zum Abendessen auf den Tisch brachte, hinterher die Teller abkratzte, Skyes Kopfhaut einfettete, ihr Haar zu flachen Zöpfen drehte und unter eine Haube schob, sie dann in die Badewanne steckte und wieder rausholte, ihr zwei – nein, drei – Bilderbücher vorlas, anschließend unter dem Bett und im Schrank nach diesem Monster schaute, das nur fernblieb, wenn Mommy eine ganz spezielle Drohung aussprach, danach das Kind mindestens drei-, viermal neu zudeckte, nachdem sie Wasser gegen den schlimmen Durst geholt, ihr den Rücken gestreichelt hatte, weil sie sich nicht beruhigen konnte, die Haube gelockert hatte, weil sie sonst Kopfweh machte, und sich dann endlich hingesetzt hatte, um die Sendenotizen für die Aufzeichnung am folgenden Tag durchzugehen.
Es war gar nicht diese zweite Schicht, die sie absolvierte, die an ihren Nerven zerrte. Sondern es war Roman, der wieder direkt in das Muster zurückfiel, das die Paartherapie, zumindest für eine kurze Weile, unterbrochen hatte. »Baby«, flüsterte er, als sie sich endlich hinlegte und sich die Decke über die Schulter zog. Erst rieb er ihren Arm, dann presste er seinen Körper an ihren Rücken, sodass seine Erektion an der rundesten Stelle ihres Hinterns pulsierte. Der Kuss, den er für ihre Wange gedacht hatte, landete auf ihrem Ohr.
»Babe, ich bin erschöpft«, hatte sie gesagt.
Kuss, schmatz. Kuss, schmatz.
»Roman, nicht heute Abend, okay? Ich bin einfach …«
Kuss, schmatz. Kuss, schmatz. Er zog gerade so fest an ihrer Schulter, dass er ihren Körper auf den Rücken drehte. »Du musst überhaupt nichts machen, Baby. Lieg einfach da und entspann dich.«
Als er wieder zurück auf seine Seite des Betts gekippt war – verschwitzt, befriedigt, selbstvergessen – tappte Rae langsam ins Bad, wischte sich ab und massierte die wehe Stelle an ihrem Bein, bis ihre Gedanken endlich Ruhe gaben und der Schlaf zu seinem Recht kam.
Aber dieser gedämpfte Schmerz hatte begonnen, mit scharfer Präzision bei jedem Schritt zu pulsieren, den sie in Richtung von Skyes Vorschule machte. Dieser Gang war nach den ersten paar unsicheren Tagen leichter geworden, erfreulich, ein Sonnenstrahl noch an dem bewölktesten Himmel. Mutter und Tochter genossen schon bald die gemeinsame Zeit. Die Mutter gab der Tochter Binsenweisheiten und Tricks mit – »Du wirst das heute ganz toll machen!« oder »Du bist der Sonnenschein, ich der blaue Himmel, also wird das ein perfekter Tag!«. Und ihre Tochter machte Entdeckungen, die dafür sorgten, dass jeder Tag sich neu anfühlte. Aber heute gab es nur eine zitternde Unterlippe und beinah Tränen. »Ich will nicht hingehen, Mommy«, hatte Skye gesagt.
»Wie meinst du das, Baby? Wo willst du nicht hingehen?«
»Ich will nicht in Miss Careys Klasse.«
»Ach, komm, Skye Boogie, du liebst Miss Carey doch! Sie gibt dir morgens ein High Five und bringt dir Buchstaben bei. Magst du nicht üben, wie du deinen Namen schreibst? Und mit den Buntstiften malen und deine Freunde sehen?«
Skye schwieg und starrte auf ihre dunkelbraunen Mary Janes aus Lackleder. »Ich hab keine Freunde«, sagte sie schließlich.
»Wie, du hast keine Freunde? All die Kinder in deiner Klasse? Das sind sechzehn Freunde, die du jeden Tag siehst!«, sagte Rae und hatte die Verstimmung ihrer Tochter noch immer nicht richtig mitbekommen.
»Die haben mich gestern nicht bei sich sitzen lassen«, sagte sie. »Ich will heute nicht wieder ganz alleine sitzen.«
Jetzt war Rae alarmiert. »Was meinst du mit, du willst nicht wieder ganz alleine sitzen? Wann hast du alleine gesessen, Skye?« Rae verlangsamte ihre Schritte, um genau im gleichen Tempo wie ihre Tochter zu gehen. Erst gerade war ihr aufgefallen, dass sie sie bis dahin praktisch hinter sich hergezogen hatte, während das kleine Mädchen ihr mit schleppenden Schritten folgte.
Babygirl ließ den Kopf hängen und schob die Unterlippe langsam, aber unaufhaltsam über die Oberlippe. »Gestern.«
Rae blieb abrupt stehen, dann nahm sie beide Hände ihrer Tochter in die eigenen und ging auf Augenhöhe vor ihr in die Knie. Diese Stelle an ihrem Bein, die vom Krampf gestern Abend noch empfindlich war, begann dumpf zu pochen. »Erzähl Mommy, was passiert ist, Sweetheart.«
Rae nahm sich zusammen. Sie und Roman waren sich der Hürden für ein Schwarzes Kind in den Händen des amerikanischen Erziehungssystems bewusst. Deshalb hatten sie mit solcher Sorgfalt die richtige Schule und das richtige Klassenzimmer ausgesucht. Skye einfach in die Schule in der Nachbarschaft schicken und darauf vertrauen, dass Erwachsene schon richtig mit dem Kind umgehen würden – diesem hübschen, kleinen chocolate girl mit Wangen wie eine Putte und einem riesigen Afro-Puff oben auf dem Kopf – das war keine Option. Skye kannte schon Zahlen und Buchstaben und las schon von Cerealienpackungen und Ein Tag im Schnee oder die Bezeichnungen für einfache Sorten im Eisladen. Rae wollte sich nicht weitgehend aus den Schulangelegenheiten ihrer Tochter raushalten, wie ihre Eltern das getan hatten. Für Tommy und LoLo war die Schule in der Nachbarschaft, in diesem kleinen Stück Utopia im Norden, mehr als prima. Sie selbst hatten nur eine minimale Schulbildung erhalten, waren mit ihrer Arbeit ausgelastet, eingeschüchtert von den kleinen Stühlen und Lehrkräften mit ihren Klemmbrettern. Außerdem vertrauten sie vollkommen auf ein Bildungssystem, das einfach nicht die gleichen Herausforderungen aufwies wie das von Rassentrennung geprägte, mit dem sie zu kämpfen gehabt hatten.
Doch für Rae hatte es tägliche Qual bedeutet. Ständig wurde ihre Intelligenz infrage gestellt, wurde von Lehrern und Schullaufbahn-Beraterinnen herausgefordert, die sich noch an die Zeiten erinnerten, als kleine Nigger* ihren Platz kannten und bescheidenere Ziele hatten – Schreiner, Fabrikarbeiterin, vielleicht einen Job im Postamt. Für nichts davon brauchte man ausgezeichnete Noten, Kurse für Begabte, leitende Positionen in Schulclubs und Ähnliches, was ihnen die Türen zu prestigeträchtigen Colleges weit öffnete. Wozu hätte man einen Platz, der für weiße Schüler vorgesehen war, die Aussicht darauf hatten, es im Leben zu etwas zu bringen, Schwarzen überlassen sollen, die dazu in den Augen von Raes Lehrern und Collegeberaterinnen doch nie in der Lage wären. Es gab nur eine Gelegenheit, an die Rae sich erinnerte, bei der ihre Mutter sie retten kam. Damals weigerte sich die Beratungskraft Mrs McCarthy, für ein Stipendium, um das Rae sich beworben hatte, Raes Zeugnisse freizugeben und die Unterschrift des Direktors einzuholen. Es handelte sich um ein Vollstipendium an einem nahen College, das einen umfassenden Studiengang für TV-Produktion anbot, der auch über vier Jahre Praktika in den Produktionsstudios von NBC beinhaltete. Das würde den Unterschied bedeuten zwischen einem Abschluss und einem guten Job auf diesem Gebiet – oder dem Verpacken von Einkäufen der Kundschaft im Pathmark in der Nachbarschaft. »Deine Noten sind nicht wirklich gut genug, um dieses Stipendium zu gewinnen, Sweetie«, hatte Mrs McCarthy gesagt und auf Raes Bewerbung getippt – dreizehn Seiten handgeschriebener Aufsätze und Antworten auf Fragen nach ihren Kursen und Aktivitäten außerhalb des Lehrplans –, die ganz oben auf ihrem beladenen metallenen Schreibtisch lag. »Ich glaube nicht, dass du oder ich die Zeit des Direktors mit dieser Bewerbung vergeuden sollten. Warum füllst du nicht die Bewerbung fürs Suffolk Community College aus, wenn du schon unbedingt studieren willst? Ich bin mir sicher, da wirst du mit deinen Noten genommen.«
»Aber da möchte ich nicht hin«, hatte Rae gesagt. »Meine Eltern können sich die Studiengebühren ohnehin nicht leisten. Und ich habe ihnen versprochen, mein Bestes zu versuchen, um mir das Studium selbst zu finanzieren.«
»Nun, du bist ein hart arbeitendes Mädchen – tüchtig. Ich bin mir sicher, da findest du schon einen Weg«, sagte Mrs McCarthy nüchtern und hielt Rae ihre Unterlagen wieder hin.
Rae war verzweifelt aus dem Büro gelaufen. Dass sie sich auf den Schulstoff konzentrierte, worauf LoLo bestanden hatte, dass sie hart arbeitete, um es aufs College zu schaffen, worauf Tommy bestanden hatte, all das schien vergebens gewesen zu sein. Sie kramte ganz unten in ihrer Schultasche nach einem Vierteldollar und steckte ihn in das Münztelefon auf dem Flur gleich neben den Büros der Schulverwaltung. Keine Viertelstunde nach dem tränenreichen Anruf bei ihrer Mutter, die zufällig krankgeschrieben zu Hause war, rauschte LoLo ins Büro des Direktors. Sie erholte sich noch von einer schlimmen Episode ihrer rheumatischen Arthritis und war von den Schmerzmitteln etwas aufgeputscht. »Du bleibst hier sitzen und rührst dich nicht von der Stelle«, hatte sie Rae gesagt, als sie die Tür zum Büro öffnete. Bis zum heutigen Tag war Rae sich nicht sicher, was LoLo da drin gesagt hatte oder wem sie auf die Zehen getreten war. Sie wusste nur, dass LoLo mit Raes unterschriebener Bewerbung und den Zeugniskopien, alles ordentlich in einem vorfrankierten Kuvert von Fed-Ex, unter dem Arm wieder herauskam. »Geh zurück in den Unterricht«, sagte sie und umarmte ihre Tochter. »Ich werfe das nur schnell ein und lege mich dann wieder ins Bett.«
Es war das einzige Mal, an das Rae sich erinnern konnte, dass ihre Mutter in der Schule aufgetaucht, sich für sie starkgemacht und mit wem auch immer von den Verantwortlichen gesprochen hatte. LoLo verstand nichts davon, wie das System funktionierte, und es interessierte sie auch nicht. Aber sie verstand etwas von Geld. Sie verstand etwas von Fairness. Sie verstand, dass diese Dinge ihrer Tochter zustanden. Alles andere hatte Rae ganz allein für sich regeln müssen.
Rae würde Skye nicht die gleiche Last aufbürden. Das würde sie schlicht nicht tun.
»Miss Carey hat unsere Stühle vertauscht, damit wir neue Freunde finden sollen, und keiner hat mich ausgesucht, damit ich neben ihm sitzen soll. Deshalb habe ich allein am Tisch gesessen«, sagte Skye.
Rae schluckte schwer, blinzelte heftig und hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Damit sie nicht direkt auf der Straße und vor ihrer Tochter losfluchte. »Lass uns zur Schule gehen, Baby«, sagte sie. »Ich rede mit Miss Carey, okay? Du wirst nie mehr alleine sitzen, hörst du?«
Rae wackelte mit ihrem rechten Fuß, ließ ihn kreisen, um die Muskulatur zu lockern, die sich um die Problemstelle verkrampfte. Diese hatte sich zwar ein bisschen beruhigt gehabt, schien aber gerade wieder gähnend zum Leben zu erwachen.
Zehn Minuten später stand sie auf dem Flur Miss Carey gegenüber. Rae sah keine Kinder oder die Lehrkräfte die vorbeigingen. Sie sah nicht all die fröhlichen Farben und Buchstaben und Klebefiguren, die selbst gemalten Blumen, die die Wände schmückten. Sie sah nur das Gesicht von Lorraine Carey – vor allem ihre Lippen. Mit denen versuchte die Lehrerin zu erklären, warum Skye, das einzige kleine Schwarze Mädchen in ihrer Vorschulklasse, ganz allein gesessen hatte, als die Aufgabe lautete, sich mit jemand Neuem anzufreunden.
»Hören Sie«, unterbrach Rae Miss Careys gemurmelte Erklärung, die nicht wirklich eine Erklärung war. »Ich will nicht, dass meine Tochter jemals wieder allein in Ihrem Klassenzimmer sitzt. Offen gestanden, beunruhigt es mich zutiefst, dass die erwachsene Person im Raum die Optik nicht erkannt hat, als sie ein kleines Schwarzes Mädchen ganz allein sitzen ließ, geschweige denn begriffen hat, wie verletzend das für eine Fünfjährige sein musste.«
»Miss Lister, so war das nicht. Es gab an den Tischen keinen Platz mehr, und so saß sie am Ende alleine, weil es sonst nirgends mehr Platz gab«, sagte sie. »Ich – ich kann nicht glauben, dass Sie daraus jetzt so was wie eine rassistische Sache machen«, erwiderte Miss Carey schnell und laut.
»Ich habe daraus keine rassistische Sache gemacht. Es ist eine rassistische Sache, die Sie erzeugt haben, als sie meine Tochter allein sitzen gelassen haben. Mir ist egal, wie die Sitzordnung aussah. Sie hätten einfach Platz für meine Tochter schaffen müssen. Jetzt können wir eine von zwei Sachen tun: Ich kann das hier entweder eskalieren lassen und mich bei der Leitung beschweren, der ich Schulgebühren bezahle, um zu sehen, wie sich das mit den ›kindzentrierten Werten‹ verträgt, für die ich jährlich zwanzigtausend Dollar bezahle. Oder Sie entschuldigen sich bei meiner Tochter und setzen sie in die Mitte zwischen diese neuen Freunde, die sie finden soll, anstatt zuzulassen, dass sie von ihren Mitschülern ignoriert wird. Ich glaube, Letzteres ist nicht zu viel verlangt. Aber ich möchte Sie nur wissen lassen, dass ich auch zu Ersterem mehr als in der Lage bin.«
»Ich – ich verstehe«, sagte Miss Carey. »Es wird nicht wieder vorkommen.«
»Darauf vertraue ich«, sagte Rae. Der Lehrerin immer noch fest in die Augen sehend, rief sie Skyes Namen. Das Kind, das sich lauschend an der Tür herumgedrückt hatte, kam zu seiner Mutter gelaufen.
»Ja, Mommy?«
»Miss Carey wird dir heute deinen neuen Platz zwischen deinen neuen Freundinnen zeigen! Ist das nicht spannend?«
Skye kicherte und schlenkerte aufgeregt mit den Armen.
Rae schaute auf ihre Uhr und zuckte zusammen. Wenn sie das Gebäude in dieser Sekunde verließ und zur Subway rannte, bestand noch die Chance, dass sie den Express-Zug erwischte. Und wenn der wirklich wie ein Express fuhr, gelangte sie schnell zur Crosstown-Linie, die sie fünf Blocks vom Büro entfernt ausspucken würde. Wenn sie dann noch auf ihre tägliche Bestellung – Café und ein Zitronenmuffin mit Mohn drauf – verzichtete, schaffte sie es eventuell gerade noch rechtzeitig an ihren Arbeitsplatz, bevor ihrem Vorgesetzten die Verspätung auffiel. »Give me some sugar«, sagte sie und beugte sich zu ihrer Tochter, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken. »Mommy hat dich lieb. Und was wirst du heute sein?«
»Fabelhaft!«, sagte Skye.
»Und warum wirst du fabelhaft sein?«
»Weil warum soll ich’s nicht sein?«, erwiderte Skye und wiederholte in ihren Worten, wie sie einen Spruch von Marianne Williamson verstanden hatte, den ihre Mutter ihr allmorgendlich aufsagte.
»Ganz genau, Honey. Jetzt lauf rein und sei toll, damit du es mir heute Abend erzählen kannst, okay?«
»Okay, Mommy!«
Und damit rannte Skye in die gezeigte Richtung, und Rae humpelte in die andere.
***
Der kratzige rote Stoff ihres Schreibtischstuhls war noch nicht mal lauwarm geworden, und schon stand Jeremy neben Rae. Er wedelte wie mit einer Fahne mit den Notizen, die sie für die Aufzeichnungen in der nächsten Woche geschrieben hatte, vor ihrem Gesicht herum. »Heeeeey, Rae«, sagte er in diesem schleppenden Singsang, mit dem er seine Worte in die Länge zog. Das machte er, wenn er sich unbehaglich fühlte, was aus irgendeinem Grund immer dann der Fall war, wenn er mit Rae zu tun hatte. Dabei lag es gar nicht in Raes Absicht, bei ihm irgendetwas auszulösen. Eigentlich wollte sie nur ihre Arbeit erledigen, und zwar gut, dafür bezahlt werden und vielleicht ein bisschen Anerkennung bekommen, wenn sie einen besonders bemerkenswerten Job gemacht hatte. Eventuell sogar die Aussicht auf eine Beförderung. Rae fand das nicht zu viel verlangt. Aber hier saß sie jetzt, mit einem Bein, das pulsierte, als hätte es tatsächlich einen eigenen Herzschlag, und musste sich vor diesem White Boy rechtfertigen. Dabei war er fünf Jahre jünger als sie und hatte im Unterschied zu Raes neun Jahren erst ein paar Monate Erfahrung als Produzent. Aber er war für diese Position als ihr Vorgesetzter eingestellt worden. Er würde behaupten, dass er nur seinen Job machte, Drehbücher redigierte und dafür sorgte, dass die Worte, die Storys, die Haltung der Moderatorin locker über die Lippen kamen und via Bildschirm die Zuschauer erreichten. Doch Rae wusste es besser. Diese Verachtung, die Vorurteile, die Überzeugung, dass diese Schwarze Frau eine Stellung einnahm, die einem anderen, würdigeren, männlicheren, weißeren Bewerber zugestanden hätte, das war ein Gestank, der wie Mundgeruch jedes Mal von Jeremy ausging, wenn er das Wort an sie richtete. Und falls er überhaupt irgendetwas checkte, dann ihre Reaktion darauf.
Rae holte tief Luft, atmete aber geräuschlos aus. »Hey, Jeremy, was gibt’s?«, fragte sie und zwang sich zu einem Lächeln mit geschlossenen Lippen.
»Ich wollte mit dir nur dein Skript zu Jay-Z durchgehen«, sagte er und wedelte wieder mit den Papieren in seiner Hand. »Macht’s dir was aus, zu meinem Schreibtisch rüberzukommen?«
Diesmal ließ Rae sogar ihre Zähne aufblitzen. »Klar, gerne doch«, sagte sie, obwohl es ganz sicher nicht stimmte. Sie humpelte zu seinem Schreibtisch, während der Krampf in ihrem Bein sich anfühlte wie eine geballte Faust, kurz vor dem Zuschlagen. Er tippte auf einen klapprigen Stuhl, den er neben seinen gezogen hatte. Dort musste sie sich hinsetzen, als wäre sie ein Hündchen, dem er gleich einen Klaps mit der Zeitung geben würde, bevor er ihm einen neuen Trick beibrachte.
»Guter Job, dieses Skript – viel guuuuute Infooooos drin. Aber ich glaube, da ist noch ein bisschen was dran zu tuuuuuun«, sagte er. »Jay-Z ist ein faszinierender Typ, und du hast ein bisschen von seiner Maaaagic eingefangen, aber es gibt hier eine Menge irrelevanter Informationen, die das ganze versanden lassen. Ääääähm, du musst daran arbeiten, bei den Punkten, die du vermitteln willst, besser auf den Punkt zu kommen. Und diese Punkte umfassender zu machen.«
»Ich, äh, verstehe nicht«, sagte Rae leise, aber freundlich. Das Letzte, was ihr fehlte, war noch eine Bemerkung in ihrer Personalakte, sie könne nicht gut mit Kritik umgehen. Der Krampf setzte ihr mit einer Art Doppelschlag zu.
»Also, wie hier …«, sagte er und blätterte durch die Seiten, die er mit einem roten Filzstift verbessert hatte. »Da erwähnst du einen Sänger, von dem keiner je gehört hat.«
Rae beugte sich über die Seite und richtete den Blick auf den großen roten Kringel, auf den er zeigte. »Das ist Donny Hathaway«, sagte sie.
»Ich weiß, aaaaaber keiner weiß eigentlich, wer das issssssst.«
Rae legte den Kopf schräg und kniff die Augen ein bisschen zusammen. »Jeder weiß, wer Donny Hathaway ist«, sagte sie langsam.
»Nein, jeder nicht. Ich nicht.«
»A Song for You?‚ Little Ghetto Boy? Young, To Be Young, Gifted and Black?«
Jeremy schüttelte den Kopf und zuckte mit den Achseln.
»This Christmas! Du kennst This Christmas!«, sagte sie und schnippte mit den Fingern. Er reagierte nicht. Rae kniff wieder die Augen zusammen. »Komm schon, den Song kennst du, J! ›Hang all the mistletoe, dah dah dah dah dah … thiiisss Christmas …‹. Das ist der Weihnachtssong! Der kommt immer im Radio, und du solltest ihn mal besser auf deiner Liste haben!«, meinte sie und fügte noch ein kleines Lachen hinzu, um die Stimmung aufzulockern.
»Yeaaaah, ich kenne ihn aber niiiiicht«, erwiderte Jeremy achselzuckend. »Das nimmt der Sache die Wirkung. Dein Name-Dropping eines Künstlers, den das Publikum nicht kennen wird. Das hilft nicht dabei, die Story zu erzählen und den Zuschauern das Thema zu vermitteln.«
»Also, Jeremy, das ist eine Musiksendung. Und die musikalischen Einflüsse auf Jay-Z zu kennen ist wichtig für die Story.«
»Hab ich verstanden. Aber wir sollten bei den Einflüssen bleiben, von denen wir wissen, dass sie zählen.«
»Willst du damit sagen, dass Donny Hathaway nicht zählt?«, fragte Rae.
Jeremy lachte. »Ich meine, er ist nicht Jimmy Buffett oder Elvis.«
»Wer ist Jimmy Buffett?«, fragte Rae. Natürlich wusste sie es, aber wenn er respektlosen Mist über den Künstler von sich gab, dessen Stimme durch das Haus ihrer Eltern geschallt war, als sie jung und verliebt gewesen waren und sich bereitwillig von der Musik hatten mitreißen lassen, obwohl ihre Kinder ihnen beim Slowdance zusahen, dann konnte sie genauso gut irgendwelchen respektlosen Mist von sich geben.
»Rae. Jimmy Buffett? Dein Ernst?«
»Mein Ernst.«
»Er ist einer der größten Entertainer, den die Bühne je gesehen hat.«
»Das Gleiche würde ich von Stevie Wonder behaupten, der direkten Einfluss auf Donny Hathaway hatte und umgekehrt. Und definitiv in Elternhäusern wie dem von Jay-Z und mir geschätzt wurde. Und, oh, ich würde sagen, so ziemlich bei jedem, der am Donnerstag einschalten wird, um unser Porträt über seinen Lieblingsrapper zu sehen.«
»Schau, ich will jetzt nicht darüber streiten«, sagte Jeremy. »Du hast deine Ansichten, klar. Aber es ist mein Job zu tun, was das Beste für die Sendung ist. Donny Hathaway kommt raus. Ich hab noch ein paar weitere Anmerkungen ins Skript gemacht. Wäre toll, wenn du sie durchgehen und die Änderungen eingeben würdest. Ich brauche es in einer Stunde zurück.«
Kurzerhand rollte Jeremy seinen Stuhl zurück vor seinen Bildschirm, sodass Rae nur noch seine Rückseite sah. In ihrer Fantasie schnappte Rae sich die Schere von dem chaotischen Haufen auf seinem Schreibtisch und stach ihm damit ins Ohr, um in Ordnung zu bringen, was da drin anscheinend kaputt war. Denn er hatte offenbar keine Ahnung von guter Musik, obwohl er auf dem Posten eines leitenden Produzenten für eine Musiksendung saß. Im echten Leben stemmte Rae sich von dem Stuhl hoch und schleppte sich und ihr wehes Bein zurück an ihren eigenen Schreibtisch. Rasch korrigierte sie jede Spur von Farbe und Licht aus ihrem Skript und schickte es über das interne Computersystem an Jeremy. Jetzt war es eine langweilige Zusammenstellung von Kernpunkten für einen scheißlangweiligen leitenden Produzenten, der Schwarzsein in eine Junkfood-Mahlzeit verwandeln wollte, der es genauso an Salz, Pfeffer, Substanz und Schwung fehlte wie ihm selbst.
Rae hinkte gerade über den Flur Richtung Toilette, um die zwei Advil zu schlucken, die sie auf dem Boden ihrer Handtasche gefunden hatte, als Nimma aus ihrer Seite des Produktionsstudios geeilt kam. Sie verlangsamte ihre Schritte und blieb dann stehen, um auf Raes Bein zu starren. Die trat nur mit einem Fuß auf und zog den anderen nach.
»Whoa, was ist denn mit dir los?«, fragte Nimma und deutete mit dem Kinn auf Raes verkrampftes Bein.
»Oh, hey«, sagte Rae und humpelte weiter. »Nur wieder dieser Krampf, aber das ist nichts.«
»Sieht nicht nach nichts aus«, sagte Nimma und beeilte sich, Rae die Tür aufzuhalten.
»Das wird schon wieder. Ich nehm nur schnell diese Tabletten. Das wird den Krampf hoffentlich lösen.«
Lauf mir nicht hinterher, lauf mir nicht hinterher, lauf mir nicht hinterher, hätte Rae am liebsten geschrien. Sie brauchte eine Minute, um sich wieder zu fangen. Um die Sache mit der Vorschule und die mit Jeremy zu schlucken und um ihren Körper wieder ins Lot zu bringen, damit sie es durch den Rest des Tages schaffen würde.
Nimma folgte ihr.
»Wo genau ist denn der Schmerz in deinem Bein?«, fragte sie mit Blick auf Raes Hosenbein.
Rae zeigte auf die Stelle, zuckte zusammen und lehnte sich an ein Waschbecken.
»Was dagegen, wenn ich mal draufschaue?«
»Wie? Bist du jetzt Ärztin?«
Nimma hob grinsend die Hände. »Es ist deine Sache, Sis. Aber ich will nur sagen, ich hatte eine Cousine, die ist an einem Blutgerinnsel gestorben. Das fing mit einem Schmerz in ihrem Bein an, und im nächsten Moment war sie tot. Einfach so.«
Rae fiel die Kinnlade runter.
»Oh, oh – ich will damit nicht sagen, dass dir das passieren wird«, meinte Nimma. »Verdammt. Sorry. Ich will nur sagen, dass ich echt hellhörig geworden bin, was Beinschmerzen angeht. Du solltest das wirklich anschauen lassen.«
»Dafür hab ich eigentlich keine Zeit«, sagte Rae, drückte die Tabletten aus der Verpackung, drehte das Wasser auf und fing es in ihrer hohlen Hand auf.
»Es gibt hier eine Ärztin gleich um die Ecke – Dr. Wei. Ihre Mutter praktiziert traditionelle chinesische Medizin, das volle Programm, die Tochter westliche Medizin. Sie ist gut. Ich bin einmal notfallmäßig bei ihr gewesen, weil mein Hausarzt nicht verfügbar war und ich schnell jemand in der Nähe gebraucht habe. Dann war sie so gut, dass ich gewechselt habe. Ich kann sie anrufen, wenn du möchtest.«
»Du wirst mir ja sowieso keine Ruhe lassen, stimmt’s?«, fragte Rae.
»Nicht wenn du hier rumläufst wie jemand, der eine Amputation braucht«, sagte Nimma. »Außerdem bin ich Gewerkschaftsvertreterin der OSHA und dafür verantwortlich, dass wir Angestellten hier alle eine sichere Arbeitsumgebung haben und Gesundheitsschutz gewährleistet ist. Und persönlich wäre es mir auch lieber, wenn du hingehst und rausfindest, warum es wehtut. Geh los und kümmer dich darum.«
»Na gut«, sagte Rae.
***
Es waren nur drei Blocks bis zur Praxis der Ärztin – eine Kleinigkeit für den Durchschnitts-New-Yorker. Doch für Rae und ihr verkrampftes Bein war es ein schmerzhafter Weg, für den sie doppelt so lange brauchte. Die ganze Strecke über zuckte sie immer wieder zusammen und fragte sich, wie gut diese Ärztin sein konnte, die eine neue Patientin eine halbe Stunde nach einem Cold Call für einen Termin drannahm. Außerdem machte sie sich insgeheim ernsthaft Sorgen, als sie das Haus betrat und mit jeder Menge roter Farbe und Räucherstäbchenduft konfrontiert wurde. Ein riesiges, mit einem Pfeil versehenes Schild und Aufschriften in Englisch und Chinesisch verwies Patienten von Dr. Wei nach oben. Rae stand am Fuß der Treppe und bat Sweet Baby Jesus in der Krippe um die Kraft und den Willen, diese achtzehn Stufen zurückzulegen. Vor allem weil sie nicht überzeugt davon war, dass sie dort oben echte Hilfe erwartete, über eine Ärztin hinaus, die ihr ein paar Schmerzmittel gab und riet, das Bein zu schonen.
Doch sie betrat eine eher traditionelle amerikanische Arztpraxis – sterile weiße Wände, Stühle mit kratziger blauer Sitzfläche, Poster, die die Patienten ermahnten, regelmäßig ihren Blutdruck zu kontrollieren, sich gesünder zu ernähren und zu wissen, wie sie die Rechnungen für medizinische Leistungen bezahlen werden, bevor sie drankommen. Rae hatte nach der Anmeldung kaum Platz genommen, als die Arzthelferin ihren Namen schon aufrief und die Stimme in dem ansonsten leeren Wartezimmer widerhallte.
Sie hatte sich dann auch gerade erst mit Mühe auf die Untersuchungsliege gesetzt, als es so laut an der Tür klopfte, dass sie zusammenzuckte. Eine winzig kleine junge Frau im weißen Arztkittel kam herein. »Hallo, ich bin Dr. Wei«, sagte die Ärztin und überflog das Klemmbrett mit Raes Vitalwerten und ihrer Krankengeschichte. »Also, was bringt Sie heute hierher?«
»Keine große Sache. Nichts, was sich nicht mit ein bisschen Tylenol in Ordnung bringen ließe. Es ist nur ein übler Krampf in meinem Bein«, sagte Rae und bückte sich, um über die wehe Stelle zu streichen. »Meine Kollegin war besorgt und hat darauf bestanden, dass ich vorbeikomme und es ansehen lasse.«
»Mhmm. Wann hat der Schmerz begonnen?«, fragte sie.
»Äh, so seit ein paar Tagen – vielleicht seit Samstag? Aber so richtig weh tut es seit gestern und heute Morgen. Da fing es an mich so einzuschränken, dass ich nicht richtig laufen kann.«
»Aber ihre Kollegin musste sie überreden herzukommen.«
Rae sagte nichts.
»Erzählen Sie mir etwas von Ihrer medizinischen Vorgeschichte«, fuhr die Ärztin fort. »Sie habe keine der Fragen auf dem Formular für die Patientenaufnahme beantwortet.«
»Ich bin adoptiert, deshalb konnte ich da nicht wirklich etwas angeben«, sagte Rae knapp.
»Oh, ich verstehe. Also ich würde gerne ein paar Bluttests vornehmen, um Dinge auszuschließen, während sie hier sind.«
»Ich, äh … Mir geht’s gut. Ich habe nur den Schmerz in meinem Bein«, stammelte Rae. Sie hasste Nadeln, ungefähr genauso, wie sie es hasste, erklären zu müssen, warum sie nichts darüber wusste, was in ihrem Blut lauerte. Verwandte, die Fremde für sie waren, mochten ihre Krankheiten in Raes DNA gemischt haben. Sie konnte sich nur Sorgen darüber machen, woran sie letztlich erkranken, was sie dahinraffen würde. Ihre Wut über diesen Mangel an Information war besonders akut, wenn sie beim Kinderarzt stand und immer wieder bestätigen musste, dass auch ihre Tochter nur eine halbe medizinische Familiengeschichte vorweisen konnte – die ihres Vaters. Sie schämte sich dafür, ohne irgendwelche Aufzeichnungen geboren worden zu sein. Sie kam sich deshalb unvollständig und klein vor.
»Ja, ich weiß, aber wenn Sie nun schon mal da sind, können wir Sie doch gut eben durchchecken, um sicherzugehen, dass nichts Ernstes vorliegt. Es ist ohnehin gut, wenn Sie diese Ausgangswerte dann haben.«
Eine gefühlte Ewigkeit, aber in Wirklichkeit wohl nur ein paar Minuten lang drückte, presste, befühlte und betrachtete Dr. Wei Raes Bein. Zusammen mit ihrer Scham trieb das Rae Tränen in die Augen. Die Ärztin lächelte liebenswürdig, als sie sich zu ihrer Patientin beugte und ihre Hand nahm.
»Meine Mutter arbeitet im Erdgeschoss. In der Heimat ist sie eine angesehene Ärztin. Ich bin damit aufgewachsen, ihr zuzusehen und medizinische Traditionen zu lernen, die seit Generationen weitergegeben werden – uralte Praktiken. Es sind Traditionen des Ostens, aber viele davon haben auch den Weg in die westliche Medizin gefunden, obwohl ihre Ursprünge kaum anerkannt sind. Ich bin mir sicher, dass Sie das Gleiche über die Gesundheitspraktiken ihrer eigenen Kultur sagen können. Der amerikanische Süden war voller Weisheit, die aus uralten afrikanischen Kulturen weitergegeben wurde«, sagte sie, während sie Raes Hand tätschelte. »Alte Hebammen waren beispielsweise für ihre Zeit außerordentliche Heilerinnen, aber das Gesundheitssystem hat ihre Praktiken übergangen.«
Ein plötzlicher kalter Schauer ließ Rae heftig erzittern.
»Also«, fuhr die Ärztin fort, »ich werde Ihnen kein Medikament verschreiben und möchte, dass Sie von rezeptfreien Schmerzmitteln die Finger lassen. Ich werde Ihnen ein paar Übungen zeigen, die den Schmerz lindern und die Muskulatur lockern. Denn ich vermute, der Schmerz ist die Reaktion Ihres Muskels auf Stress.«
»Stress?«, fragte Rae. Eine Träne hing noch in ihrem rechten Augenwinkel. Sie wischte sie weg. »Kann Stress einen solchen Schmerz verursachen?«
»Oh, natürlich. Meine Mutter behandelt so etwas in ihrer Akupunkturpraxis, und ich habe das auch schon gesehen. Erzählen Sie mir, was in Ihrem Leben los ist. Sie haben erwähnt, dass sie in der Nähe arbeiten. In Vollzeit?«, fragte die Ärztin und drückte Rae sanft in Rückenlage, um ihr Bein zu massieren.
»Ja. Ich bin Produzentin einer Musiksendung fürs Fernsehen«, erzählte Rae, die immer wieder zusammenzuckte.
»Stressig?«
Rae schnaubte. »Das kann vorkommen, aber so ist eben der Job.« Sie fuhr erneut zusammen.
»Und was ist mit zu Hause? Haben Sie Kinder?«
Rae lächelte. »Ich habe eine Tochter, Skye. Sie ist fünf.«
»Oh, das kann bestimmt ganz schön anstrengend sein. Verheiratet?«
Rae presste die Lippen zusammen. »Ja.«
Die Ärztin ballte ihre Hand zur Faust und klopfte damit auf Raes Bein. »Ihr Nagellack ist hübsch. Machen Sie das selbst?«
Rae stieß einen Schmerzenslaut aus und verzog das Gesicht. »Nein, ich gehe in ein Nagelstudio nicht weit von hier.«
»Von Nagelsalons sollten Sie sich besser fernhalten. Die sind voller Keime. Vor allen in diesen Becken, in die man seine Füße stellt. Da wimmelt es von Bakterien.«
»Doc, Sie haben mir doch gerade gesagt, dieser Muskelkrampf wäre stressbedingt, oder?«
»Ja, durch Stress.«
»Mir meine Nägel machen zu lassen, das ist ungefähr das Einzige, was ich mir gönne, um Stress abzubauen. Und jetzt erklären Sie mir, das wäre schlecht?«
»Die Salons sind gefährlich. Das Lackieren an sich nicht.«
Rae runzelte die Stirn. Der Schmerz hatte nachgelassen. Die knotige Stelle war kaum noch zu spüren.
»Was ich nur damit sagen will: Sie sind jung, aber als afroamerikanische Frau auch anfällig für Krankheiten, die teilweise von Stress ausgelöst werden. Es ist einerseits eine Äußerlichkeit, aber es wirkt sich auch darauf aus, was in Ihrem Körper geschieht. Deshalb nehmen wir Ihnen heute auch Blut ab. Aber mein ärztlicher Rat für den Moment lautet, dass Sie Dinge tun, die Ihren Stress etwas mindern, und die Übungen machen, die ich Ihnen zeigen werde, damit Ihre Beinmuskeln sich nicht verkrampfen.«
»Das ist alles? Turnen und ein bisschen was für mich selbst tun? Das hindert mein Bein daran, ein einziger großer Knoten zu werden?«
»Stressabbau kann Ihnen im wahrsten Sinne des Wortes das Leben retten.«