6. KAPITEL

Chessie wurde vom Telefonklingeln aus dem Schlaf gerissen.

„Gefallen dir die Blumen?“ Es war Roccos warme, selbstsichere Stimme, die aus dem Hörer drang. Sie hatte die Nacht allein verbracht. Er war nicht gekommen!

„Wo warst du?“ Verschlafen rieb sie sich die Augen.

„Ich wollte deine Nachtruhe nicht stören.“

Bittere Enttäuschung stieg in ihr auf. „Ich habe auf dich gewartet. Ich dachte, wir würden …“ Verlegen unterbrach sie sich. „Wir haben die Nächte doch immer gemeinsam verbracht!“

„Du willst noch kein Kind haben, und ich respektiere deinen Wunsch“, erwiderte er gelassen. „Wenn du so weit bist, sag Bescheid. Dann bringen wir die Laken zum Glühen!“

Chessie, augenblicklich hellwach vor Zorn, setzte sich kerzengerade auf. „Du verzichtest darauf, die Nächte mit mir zu verbringen, solange wir kein Kind zeugen?“

„Francesca …“

„Ich dachte, du wärst ein Frauenkenner, aber du hast absolut keine Ahnung!“, rief sie, woraufhin betretenes Schweigen herrschte.

„Ich verstehe dich nicht“, meinte Rocco schließlich seufzend, und Francesca ließ sich resigniert ins Kissen zurücksinken.

„Die Blumen sind wunderschön“, meinte sie höflich. „Du hast keine Sorte ausgelassen!“

„Ich wusste nicht, welche Blumen du magst, also hat meine Assistentin einfach alle bestellt.“

Chessie schloss, aller Illusionen beraubt, die Augen. Er hatte sich nicht einmal selbst darum gekümmert! „Danke“, sagte sie matt.

„Meine Assistentin meint, ich soll dich nach deiner Lieblingssorte fragen.“

„Tollkirsche“, sagte sie leise. „Die mixe ich dir dann in den Drink.“

„Sprich lauter, ich versteh dich nicht!“

„Rosen.“

„Gut, ich richte es aus. Du siehst, ich kann auch romantisch sein! Übrigens, ich musste in einer dringenden geschäftlichen Angelegenheit gestern Abend noch abreisen. In einigen Tagen bin ich wieder da.“

„In Ordnung.“ Sie bekam ihn ja ohnehin nicht mehr zu Gesicht!

„Wenn du dir etwas kaufen möchtest, wende dich an Max, den Chef meines Sicherheitsdienstes. Er wird alles arrangieren. Gib so viel Geld aus, wie du willst.“

Wofür denn, dachte sie verbittert. „Ja, danke.“

„Wenn ich zurück bin, reden wir weiter.“

„Okay.“ Sie hätte ihn am liebsten angeschrien, ihm gesagt, dass sie keine Lust hatte, sein Geld auszugeben oder mit ihm zu reden. Wozu auch? Sie hatten einfach nicht dieselbe Wellenlänge! Sie sehnte sich nach Leidenschaft, nach heißem, innigem Sex mit einem Mann, der sie so stürmisch begehrte, dass er an nichts anderes mehr denken konnte, schon gar nicht an Geschäfte. Rocco aber fand sie offenbar überhaupt nicht sexy, und Romantik war für ihn ein Fremdwort.

„Wo bist du eigentlich?“

„In Florenz.“

Voller Neid dachte Chessie an all die Bücher über Florenz und seine Kunst, die sie so eifrig verschlungen hatte. „Du Glücklicher. Ich wollte schon immer nach Florenz! Wie lange bleibst du?“

„Nicht lange genug für eine Stadtbesichtigung. Ein andermal nehme ich dich mit, dann kannst du einen Einkaufsbummel machen.“

Chessie wäre nie auf die Idee gekommen, ihre Zeit in Florenz mit Einkaufen zu vertrödeln. Sie wollte die herrlichen Kunstwerke sehen, die berühmte Architektur!

Doch Rocco hatte natürlich keine Zeit, den Fremdenführer zu spielen.

Immerhin hatte er an sie gedacht. Wenn er wieder da war, würde sie ihm schon beweisen, dass sie auch Spaß miteinander haben konnten!

Nach dem Telefonat sprang sie auf, duschte, zog sich an und lief in die große, komfortable Küche hinunter, um zu frühstücken. Es war niemand da, aber auf dem Tisch stand eine halbvolle Tasse Kaffee. In der Ecke lief lautlos der Fernseher.

Sie griff nach der Kaffeekanne und erstarrte mitten in der Bewegung, als plötzlich Rocco auf dem Bildschirm erschien. Arm in Arm mit einer zierlichen Blondine im ultrakurzen Minirock verließ er offenbar gerade einen Nachtclub in Florenz.

Lorna war es nicht, wie Chessie bei näherem Hinsehen feststellte. Er hatte sich also eine neue Geliebte zugelegt. Die Sendung war brandaktuell, zeigte also eine Szene vom Vorabend. Als Rocco angeblich in Florenz seinen Geschäften nachging.

Fassungslos sank Chessie auf den nächsten Stuhl. Sie hatte es wieder getan! War wieder auf Rocco hereingefallen! Und während sie zu Hause saß und auf ihn wartete, amüsierte er sich mit irgendeiner sexy Blondine.

Sie biss die Zähne zusammen vor Wut. War er jemals mit ihr ausgegangen? Nein! Sein Vergnügen suchte er bei anderen Frauen. Er war wie ihr Vater, der ihre Mutter ständig betrogen und die Ehe nur als Deckmäntelchen benutzt hatte, um Kinder in die Welt zu setzen und sich gleichzeitig ungestört zu amüsieren.

Ehefrau und Geliebte, dachte sie resigniert – in seinen Augen zwei unvereinbare Rollen! Ihre bestand darin, zu Hause auf ihrem gut gepolsterten Hinterteil zu sitzen und Kinder zu hüten, während seine Geliebte für heiße Nächte zuständig war.

Es sei denn, es gelang ihr, ihn eines Besseren zu belehren.

Sie blickte an sich herab und versuchte, sich mit seinen Augen zu sehen. Unförmiger Rock, schlichtes Oberteil. Vielleicht war sie selbst nicht ganz schuldlos daran, dass er sie nicht für eine Sexbombe hielt. Wie hatte die Blondine an seiner Seite ausgesehen? Knapper Rock, hochhackige Pumps, verführerisches Dekolleté und kunstvoll zerzauste Locken … Nachdenklich stand Chessie auf und wanderte durch die kühlen Flure der Villa.

„Alles in Ordnung, signora? Sie sind sehr blass.“ Es war Max, der Chef des Sicherheitsdienstes. „Möchten Sie ein Glas Wasser?“

Ich brauche kein Wasser, sondern eine neue Garderobe, dachte sie. Und hatte eine spontane Eingebung. „Rocco meinte, Sie würden einen Einkaufsbummel für mich arrangieren, bevor ich mich in Florenz mit ihm treffe!“

„Sie reisen ihm nach, signora?“

„Ja, wir sind heute Abend in seinem bevorzugten Nachtclub verabredet, dem …“ Sie zögerte, als sei ihr der Name entfallen, und Max nannte ihn.

„Genau“, meinte Chessie strahlend.

„Soll ich den Flug nach Florenz für Sie buchen, signora?“

„Gern.“ Sie lächelte dankbar. „Und dort muss ich einige richtig exklusive Läden aufsuchen. Stellen Sie sich vor, ich habe gar nichts Passendes zum Anziehen!“ Sie versuchte, es möglichst beiläufig klingen zu lassen. „Können Sie mir einen guten Friseur empfehlen?“

„Selbstverständlich“, erwiderte er, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ich kümmere mich darum.“

Chessie wollte lieber nicht wissen, wie vielen Frauen er schon ähnliche Dienste erwiesen hatte. Sie war nahe daran, ihn zu fragen, welchen Frauentyp ihr Ehemann denn bevorzugte, konnte es sich aber gerade noch verkneifen.

„Ich werde veranlassen, dass sich jemand um Ihr Gepäck kümmert, signora.“

„Nicht nötig“, erwiderte sie freundlich. „Ich kleide mich ganz neu ein.“ Rocco hatte gesagt, Geld spiele keine Rolle.

Nun, dann stand ihm eine Überraschung bevor! Sie würde ihm eine Kostprobe ihres extravaganten Geschmacks liefern. Und ihm beweisen, dass eine Frau gleich mehrere Rollen spielen konnte – auch die der Ehefrau und Geliebten.

„Ist der Rock auch wirklich nicht zu kurz?“ Vier Stunden später betrachtete sich Chessie in einem Florentiner Modesalon kritisch von allen Seiten im Spiegel. Sie kam sich so nackt vor wie in der Unterwäsche. Gingen andere Frauen tatsächlich so auf die Straße?

„So manche Frau würde für Ihre Beine einen Mord begehen“, meinte lächelnd die Stylistin, die eifrig an ihr herumzupfte. „Warum wollen Sie sie verstecken? Sie können diesen Rock doch tragen! Und das Trägertop steht Ihnen ausgezeichnet. Es gibt ausreichend Halt, sieht aber umwerfend aus.“

Umwerfend? Zweifelnd neigte Chessie den Kopf mal nach rechts, mal nach links, während sie das silbrig schimmernde, tief ausgeschnittene Oberteil begutachtete. „Mein Vater wäre bei meinem Anblick in Ohnmacht gefallen …“

„Welcher Vater nicht?“ Augenzwinkernd streifte die Modefachfrau einige klimpernde Armreifen über Chessies schmales Handgelenk. „Dieses Outfit ist nicht für Väter gedacht, sondern für Liebhaber. Es ist sexy und verführerisch.“

Sexy und verführerisch – das war es doch, was sie sein wollte! Auf jeden Fall glich ihre Aufmachung nun haargenau der von Roccos überschlanken Freundinnen. Zögernd stellte Chessie die Frage, die ihr am meisten Sorge bereitete.

„Sehe ich nicht zu dick aus?“

„Dick?“ Die Stylistin sah sie erstaunt an. „Nun, Sie haben weibliche Rundungen, wenn Sie das meinen. Aber die sitzen genau an den richtigen Stellen, so wie Männer es mögen. Meine Liebe, Sie werden sich vor Annäherungsversuchen nicht retten können!“

Chessie runzelte die Stirn. Auf Annäherungsversuche von anderen Männern konnte sie verzichten. Sie wollte nur, dass Rocco von ihr Notiz nahm!

„Ich muss mir noch die Haare schneiden lassen“, überlegte sie laut, doch die Modeberaterin riet ihr energisch ab.

„Nein, die Länge ist wunderbar! Was Sie brauchen, sind Stufen im Deckhaar und Volumen im Ansatz!“

Chessie konnte sich nicht viel darunter vorstellen, begab sich aber vertrauensvoll in die Hände eines Coiffeurs. Als er sein Werk beendet hatte, umrahmten die schwarzen Locken wie ein seidiger Vorhang ihr Gesicht.

Während man ihr die Fingernägel lackierte und Make-up auftrug, warf sie immer wieder einen ungläubigen Blick in den Spiegel. Sie konnte nicht fassen, wie verändert sie aussah. Wenn Roccos Freundinnen immer so lange brauchten, um sich ausgehfertig zu machen, konnten sie wohl kaum einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen! Mittlerweile war es Abend geworden. Sich schön zu machen, stellte sie fest, war eine tagesfüllende Angelegenheit.

Fertig gestylt bestieg sie die wartende Limousine, doch schon während der Fahrt durch die Außenbezirke von Florenz kamen ihr gewisse Zweifel. Ein sexy Outfit war gut und schön, aber man musste es auch tragen können! Immer wieder zupfte sie nervös am Saum ihres Minirockes und überprüfte ängstlich, ob ihr Ausschnitt nicht zu gewagt war.

Keine Sorge, du siehst gut aus, sprach sie sich selber Mut zu. Wenn Rocco mich sieht, wird er begreifen, dass auch in mir eine heißblütige Verführerin steckt!

Als der Wagen vor dem Club hielt, in dem Rocco sich aller Voraussicht nach aufhielt, lagen ihre Nerven blank. Hoffentlich breche ich mir in diesen lächerlichen Stöckelschuhen nicht das Genick, dachte sie, griff nach ihrer Handtasche und teilte dem Chauffeur mit, er brauche nicht auf sie zu warten.

Dann schritt sie auf ihren hohen Absätzen am Türsteher vorbei und die Marmorstufen hinunter, die in den schummerig beleuchteten Nachtclub führten. Zuckende Lichter und stampfende Rhythmen schlugen ihr entgegen.

Überwältigt von der energiegeladenen Atmosphäre, blieb sie am Eingang stehen, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. In dem recht großen Club gab es eine zentrale Tanzfläche, umgeben von Sitzgelegenheiten, und eine ultramoderne Bar aus Glas und Chrom.

Die mitreißende Energie der Tanzenden faszinierte Chessie. Bewundernd und nicht ohne Neid beobachtete sie, wie eine der Frauen die Arme hob und provozierend vor ihrem Partner die Hüften schwenkte. Wie mochte es sich anfühlen, so hemmungslos aus sich herauszugehen? Ihr war schleierhaft, wie man auf so hohen Absätzen überhaupt tanzen konnte.

„Lust mitzumachen? Ich weiß zwar nicht, weshalb eine schöne Frau wie Sie keinen Partner hat, aber ich stelle mich liebend gern zur Verfügung“, raunte ihr jemand ins Ohr. Sie drehte den Kopf und sah einen großen, gut aussehenden Italiener dicht neben sich stehen.

„Oh, nein danke.“ Als sie merkte, wie er ihr aufs Dekolleté starrte, konnte sie sich nur mühsam beherrschen, nicht schützend die Hand darüber zu legen. „Ich bin in Begleitung.“

„Und er hat Sie allein gelassen?“ Der Fremde rückte noch näher an sie heran. „Wie dumm von ihm!“

„Ich … nun, er …“ Chessie suchte verzweifelt mit den Augen die Menge ab. Plötzlich entdeckte sie Rocco, der gerade auf die Tanzfläche zuging. Doch ihre Erleichterung schlug in herbe Enttäuschung um, als sie sah, dass er den Arm um die Taille einer bildschönen Blondine gelegt hatte. Es war seine Begleiterin vom Vorabend, nur in einem anderen Outfit.

„Da ist er ja!“ Zornig klemmte sie sich die Handtasche unter den Arm, marschierte auf die überfüllte Tanzfläche und bahnte sich energisch einen Weg zu Rocco, der gerade lächelnd in die betörend blauen Augen seiner Begleiterin blickte.

Chessie widerstand der Versuchung, auf dem Absatz kehrtzumachen, nahm all ihren Mut zusammen und tippte ihm auf die Schulter. „Hallo?“ Ihre Stimme ging in der lärmenden Musik beinahe unter, aber er drehte sich sofort um.

„Francesca!“, rief er fassungslos, und der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Was machst du denn hier?“

Nicht die erhoffte Bewunderung in seinen Augen zu sehen brachte ihre Selbstsicherheit gehörig ins Wanken. „Ich hatte Sehnsucht nach dir.“

Langsam ließ er den Blick von ihrem duftig frisierten Haar zu ihren nackten Schultern gleiten, musterte ihr üppiges Dekolleté, ihren engen Rock, die langen, schlanken Beine in den glänzenden Seidenstrümpfen. Sein Gesichtsausdruck wechselte deutlich von Überraschung zu grimmigem Missfallen. Erst als er mit seiner Begutachtung bei den hochhackigen Pumps angekommen war, fand er die Sprache wieder.

„Was hast du nur mit dir angestellt?“ Es war nicht ganz die Reaktion, die Chessie erwartet hatte.

„Mich zurechtgemacht“, erwiderte sie zaghaft.

Sein drohender Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er von ihrem Erscheinungsbild alles andere als begeistert war, obwohl seine Begleiterin ganz ähnliche Sachen trug. Nur sahen sie an der zierlichen Blondine mit der kleinen Oberweite und den schmalen Hüften irgendwie anders aus …

„Rocco?“ Pikiert zupfte ihn die junge Frau mit ihrer perfekt manikürten Hand am Ärmel. Rocco schüttelte sie ungeduldig ab, ohne Chessie aus den Augen zu lassen.

„Dies ist nicht die passende Umgebung für dich.“

„Und warum nicht?“

Sie sah, wie Roccos Blick plötzlich abschweifte. Drohend fixierte er einen Punkt schräg hinter ihr, und als Chessie sich umdrehte, sah sie das anzügliche Lächeln des Mannes vor sich, der sie am Eingang angesprochen hatte.

„Darf ich um diesen Tanz bitten?“, fragte er, ohne von Rocco Notiz zu nehmen. „Ihr Begleiter hat, wie es scheint, alle Hände voll zu tun.“

Sie wollte spontan ablehnen, überlegte es sich aber im letzten Moment anders. Wenn sie schon mitten auf der Tanzfläche stand und sich lächerlich machte, konnte sie zumindest einen letzten Rest von Würde wahren und tanzen.

„Ja, warum nicht?“

Der Mann streckte die Hand nach ihr aus, doch da spürte Chessie auch schon Roccos harten Griff an ihrer Schulter und wurde unsanft an seine breite Brust gezogen.

„Sie tanzt nicht“, erklärte Rocco eisig. „Sie ist mit mir hier.“

Die junge Blondine an seiner Seite warf Chessie einen giftigen Blick zu und stolzierte von der Tanzfläche, was ihn jedoch nicht weiter zu stören schien. Er zog sein Jackett aus, sah in Chessies geschminktes Gesicht und befahl: „Zieh das an, und zwar sofort.“

„Ich denke gar nicht daran! Ich will schließlich meine neuen Sachen herzeigen.“ Sie wich zurück, das Jackett fiel zu Boden, und Rocco bückte sich aufgebracht danach.

„Ich dulde nicht, dass du dich so schamlos zur Schau stellst!“

„Und die Blonde in deiner Begleitung? Stellt sie sich etwa nicht zur Schau?“

„Sie ist nicht meine Ehefrau!“

„Nett, dass du mich daran erinnerst“, meinte Chessie spöttisch, was ihn noch zorniger machte.

„Ich bin nicht bereit, das hier mit dir zu diskutieren“, sagte er scharf. „Wir gehen!“

„Oh nein. Ich bin gerade erst gekommen, und du hast noch nicht mit mir getanzt!“

„In diesem Aufzug tanze ich nicht mit dir. Du erregst Aufmerksamkeit genug, auch ohne die Hüften zu schwingen!“

„Was heißt hier in diesem Aufzug? So sehen doch die Frauen aus, die du magst! Vielleicht habe ich ein paar Rundungen mehr, aber das kann ich leider nicht ändern.“ Dank der schwindelerregend hohen Absätze konnte sie ihm mühelos in die Augen sehen. „Wo ist dein Problem, Rocco?“

Unter der sonnengebräunten Haut seines Kinns zuckte ein Muskel, seine dunklen Augen sprühten vor Zorn. „Es gefällt mir nicht, wie du aussiehst.“

Sein vernichtendes Urteil brach ihr das Herz. „Dann kann ich dir auch nicht helfen“, sagte sie leise und sah sich nach dem Mann um, der sie zum Tanzen aufgefordert hatte. „Er schien mich nicht abstoßend zu finden.“

Rocco spannte sich an, sein Blick wurde noch finsterer. „Es klingt vielleicht altmodisch, aber ich will nicht, dass man meine Frau für ein Sexobjekt hält!“

„Da du offenbar kein Interesse an mir hast, weiß ich nicht, worüber du dich aufregst.“

Er machte eine wütende Bemerkung, die sie nicht verstand, ergriff ihr Handgelenk und zerrte sie zum Ausgang.

„Nicht so schnell! Ich kann in den Pumps nicht laufen“, keuchte sie, doch er warf ihr nur einen vernichtenden Blick zu.

„Dann hättest du vernünftige Schuhe anziehen sollen!“

„In einem Nachtclub? Warum sollte ich? Mein ganzes Leben lang musste ich vernünftige Schuhe tragen!“ Mühsam stolperte sie hinter ihm her. Als sie das Gleichgewicht verlor, fing er sie auf und trug sie auf seinen Armen aus dem Club, ohne den Türsteher eines Blickes zu würdigen.

Draußen zuckte ihnen ein Blitzlicht entgegen, und er fluchte leise, während er Chessie in die wartende Limousine schob, neben sie glitt und die Tür zuzog.

„Das Bild erscheint morgen in allen Zeitungen. Meine Frau, wie sie aus einem Nachtclub herausgetragen wird!“

„Na und? Dein schlechter Ruf hat dich doch noch nie interessiert!“

„Glaubst du, ich will, dass mein Sohn eines Tages solche Fotos von seiner Mutter sieht?“

Chessie ließ sich in den Sitz zurücksinken. „Sind wir also wieder bei deinem Sohn angelangt? Gibst du denn nie auf?“

„Ich habe von der Zukunft gesprochen“, erwiderte er kühl.

„Und was soll dein Sohn denken, wenn er die vielen Fotos von dir und den anderen Frauen sieht? Nicht schlecht, Dad? Oder wird er sich fragen, warum seine Mutter so dämlich war, bei einem Mistkerl wie dir zu bleiben?“

Rocco atmete scharf ein. „Du solltest keine Schimpfworte benutzen. Das ist nicht dein Stil.“

„Woher weißt du, was mein Stil ist? Du hast nie versucht, es herauszufinden.“

Plötzlich herrschte beklemmende Stille im Wagen, die Atmosphäre heizte sich spürbar auf. Chessie bemerkte, wie Roccos Blick an ihrem Dekolleté hängen blieb, wie sein Atem schneller ging, bevor er sich abrupt abwandte und ihr sein Jackett zuwarf.

„Zieh das endlich über“, verlangte er.

„Warum? Wir sind nicht mehr im Nachtclub!“

Zornig fuhr er zu ihr herum, musterte sie von oben bis unten. Der Anblick ihrer langen, wohlgeformten Beine schien ihn zu verwirren. „Du siehst nicht wie eine respektable Ehefrau aus“, sagte er heiser.

„Das wäre in einem Nachtclub auch nicht angebracht“, erwiderte Chessie ruhig. „Ich wollte sexy aussehen.“

Rocco wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Warum?“

„Fragst du das im Ernst? Weil ich dir gefallen wollte! Ich habe mir sogar neue Unterwäsche gekauft. Sieh mal!“ Sie schob ihren Rock ein Stück hoch und registrierte zufrieden seinen alarmierten Gesichtsausdruck.

„Um Himmels willen, was tust du da?“ Er drückte hastig auf einen Knopf, und zwischen ihnen und dem Chauffeur glitt die getönte Scheibe hoch.

„Ich zeige dir meine neuen Dessous.“

Wenn das Outfit schon nicht wirkt, dann vielleicht die Unterwäsche, dachte Chessie kühn und beschloss, aufs Ganze zu gehen. Mit einem sinnlichen Hüftschwung schälte sie sich aus dem engen Minirock und präsentierte ihren spitzenbesetzten schwarzen Slip und die passenden Strapse. Rocco sah sie fassungslos an.

„Francesca, du kannst nicht …“ Leise fluchend fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. „Hör sofort auf!“

„Womit?“ Einem plötzlichen Impuls folgend, streifte sie auch ihr Oberteil ab.

Roccos Blick fiel auf ihre vollen runden Brüste, die sich unter dem BH aus feinster schwarzer Spitze heftig hoben und senkten.

„Nicht doch, Chessie …“ Er räusperte sich. „Ich denke, du solltest …“ Doch er brachte den Satz nicht zu Ende, zog sie stürmisch an sich und hob sie auf seinen Schoß.

Bevor sie wusste, wie ihr geschah, spürte sie seinen warmen, begierigen Mund auf ihrem. Rocco steckte die Finger in ihr Haar und hielt ihren Kopf, um sie besser küssen zu können.

Brennend vor Verlangen, schmiegte sie sich an ihn, erwiderte hingebungsvoll seine Küsse, zärtlichen Bisse und Liebkosungen. Zitternd vor Erregung, nahm sie wahr, wie er die Hände unter ihre Hüften schob.

Aufreizend berührte er sie an den intimsten Stellen, bis sie vor Erregung leise stöhnte, während sie die Hände über seinen harten, angespannten Körper gleiten ließ. Sie wand sich unter seinen Zärtlichkeiten, immer noch in einem innigen Kuss mit ihm verbunden.

Mit immer erregenderen Liebkosungen trieben sie einander zur Raserei, bis Chessie endgültig vergaß, wo sie sich befanden. Ungeduldig zerrte sie am Reißverschluss seiner Hose, spürte sein heftiges Verlangen und flüsterte atemlos seinen Namen. Als kein störender Stoff sie mehr voneinander trennte, drängte sie sich erhitzt und mit pochendem Herzen an ihn.

Rocco nahm sie kraftvoll in Besitz, was ihr einen kleinen, lustvollen Schrei entlockte. Instinktiv passte sie sich dem Rhythmus seiner Bewegungen an. Die dunklen Locken fielen wie ein Wasserfall über ihr Gesicht, während sie, bebend vor Erregung, seinen tiefen Zungenkuss erwiderte.

Sie liebten sich mit ungezügelter Leidenschaft, streichelten, küssten und trieben einander zur Ekstase, bis sie gemeinsam zum Höhepunkt kamen. Chessie keuchte Roccos Namen, als sein letzter Stoß die ersehnte Erfüllung brachte.

Er hielt sie fest umschlungen, seine Lippen auf ihre gepresst, bis sein erhitzter Körper allmählich zur Ruhe kam. Dann erst ließ er sie los.

„Rocco …“ Von Gefühlen überwältigt, küsste sie ihn erneut, diesmal sanft und liebevoll. Er reagierte nicht. Seine Augen mit den dichten schwarzen Wimpern waren geschlossen.

Nach einer Weile, als sein Atem wieder gleichmäßig ging, sagte er rau: „Ich war nicht sehr rücksichtsvoll, oder? Habe ich dir wehgetan?“

Sie stutzte. „Nein, es war sehr schön.“

Dio, ich kann nicht glauben, dass wir das getan haben!“

„Was ist so schlimm daran?“

„Wir hatten Sex auf dem Rücksitz meines Autos!“ Er schob sie von sich und brachte mit schnellen Handgriffen seine Kleidung in Ordnung. „Zieh dich an.“

„Rocco, wir sind verheiratet! Weshalb sollten wir nicht …“

„Zieh dich an!“

Sie verstand nicht, was ihn so wütend machte. Er hatte ihr nicht widerstehen können, das war doch ein gutes Zeichen! Es ließ hoffen, dass ihre Ehe doch noch zu retten war.

„Für einen berüchtigten Frauenhelden bist du ganz schön prüde“, neckte sie ihn, zwängte sich in ihren Rock, streifte ihr Top über und warf das Haar in den Nacken. „Wie sehe ich aus?“

„Wie eine verdammt heiße Nummer“, erwiderte er.

Chessie wollte sich gerade für das Kompliment bedanken, als sie den Zorn in seinen Augen sah. „Du konntest die Finger nicht von mir lassen, also erzähl mir nicht, dass dir mein Aussehen nicht gefällt!“

„Nein, es gefällt mir nicht!“

Das warme Glücksgefühl, das sie eben noch genossen hatte, verwandelte sich in bittere Enttäuschung.

„Du bist so verlogen, Rocco! Mit dieser aufgetakelten Blondine, mit der du gestern Nacht aus der Bar kamst, schienst du dich jedenfalls prächtig zu amüsieren.“

„Wie bitte? Woher weißt du davon?“

„Hast du vergessen, dass es auf Sizilien Fernseher gibt? Du dachtest wohl, du könntest dein kleines Geheimnis für dich behalten. Mit ihrer Aufmachung hattest du keine Probleme, oder?“ Resigniert zog sie das Jackett über, denn die Freude an ihrem neuen Outfit war ihr gründlich vergangen.

„Ist dir kalt?“, fragte Rocco stirnrunzelnd.

Sie schwieg kurz, wandte den Kopf und sah ihn an. „Nein, Rocco, mir ist nicht kalt. Mir ist nur unglaublich elend zumute! Weißt du eigentlich, wie demütigend es ist, den eigenen Ehemann mit einer verführerischen Frau tanzen zu sehen und nicht mit ihr konkurrieren zu dürfen?“

„Das hast du gar nicht nötig! Du trägst doch meinen Ring am Finger.“

„Weißt du was?“ Ihre Stimme war heiser vor Zorn. „Ich wäre viel lieber deine Geliebte als deine Frau! Ich will nicht auf einer einsamen Mittelmeerinsel versauern, ich will etwas erleben! Deine Freundinnen haben eindeutig das bessere Los gezogen.“

„Das ist doch Unsinn!“

„So? Mit deiner Geliebten gehst du tanzen, und sie darf anziehen, was sie will.“ Chessie zog das Jackett enger um ihre Schultern. „Mit ihr verbringst du sogar Zeit außerhalb des Bettes! Wer hätte das gedacht?“

„Ich habe keine Geliebte. Die einzige Frau, mit der ich seit unserer Hochzeit geschlafen habe, bist du. Ich habe allerdings einen sehr großen Kreis langjähriger Freunde und Freundinnen, mit denen ich ausgehe, wenn es sich so ergibt. Man nennt das Geselligkeit pflegen.“

„Oh, entschuldige, aber mit Geselligkeit kenne ich mich nicht so aus. In diesen Genuss bin ich leider nie gekommen! Muss Spaß machen.“

Er sah sie lange nachdenklich an. „Du kannst doch auch deinen Spaß haben“, sagte er nach einer Weile versöhnlich. „Wenn es um Geld geht, tu dir keinen Zwang an. Du kannst ausgeben, so viel du willst!“

„Und wofür, bitte?“, fragte sie aufgebracht. „Du hast mich auf eine Insel entführt, wo es weit und breit kein Geschäft gibt. Und wo sollte ich meine neuen Sachen auch tragen? Allein auf der Terrasse? Du gehst doch nie mit mir aus! Nein, Rocco, es geht nicht ums Geld, es geht um das Leben, das ich führen möchte. Ich will kein Einsiedlerdasein fristen. Du lässt mich nicht frei bestimmen, wo ich lebe, und verweigerst mir die Scheidung, aber ich will selbst bestimmen, wie ich meine Zeit verbringe! Ist das so schwer zu verstehen?“

„Heißt das, du würdest gern in Nachtclubs herumhängen?“ Er musterte sie kalt.

Francesca zuckte nur mit den Schultern. „Wer weiß? Das war heute der erste Nachtclub, den ich von innen gesehen habe. Ich will doch nur herausfinden, was ich will! All die Dinge tun, die ich nie tun durfte und die für andere selbstverständlich sind.“ Entmutigt wandte sie sich ab. Es war zwecklos, es ihm erklären zu wollen. Er war genau wie ihr Vater!

„Halte ich dich etwa wie eine Gefangene, nur weil ich nicht mit dir in Nachtclubs gehe?“, fragte Rocco zornig. „Wir sind da.“

Sie hielten vor einem luxuriösen Palazzo, scheinbar ein weiterer Rückzugsort ihres Mannes. Zu aufgewühlt, um auf ihre Umgebung zu achten, folgte Chessie Rocco hinein und die Treppe hinauf in ein geräumiges Schlafzimmer. Ohne die schöne Einrichtung eines Blickes zu würdigen, ließ sie sich auf das mit edlen Stoffen bezogene Bett fallen.

„Ich nehme an, du fährst jetzt zu deiner Geliebten?“

Ärgerlich stieß er die Tür zu. „Wie kommst du darauf? Sie ist nicht meine Geliebte.“

„Du hast nicht mit ihr geschlafen?“, fragte Chessie unsicher. Rocco ging zum Fenster und blieb mit dem Rücken zu ihr stehen.

„Das habe ich nicht gesagt.“ Er rieb sich den Nacken, und als er sich wieder umdrehte, lag ein harter Zug um seinen Mund.

„Das heißt, du hattest ein Verhältnis mit ihr?“

Er zögerte. „Ich will nicht lügen. Sie ist eine sehr gute Freundin und … ja, ich hatte etwas mit ihr, doch das ist lange her.“ Gereizt fügte er hinzu: „Was soll diese Diskussion? Ich habe dich nicht betrogen.“

„Aber du findest sie attraktiv, oder? Im Gegensatz zu mir. Und du gehst mit ihr aus. Wie hättest du den Abend enden lassen? Vor ihrer Haustür?“

„Nicht mal das, sie wohnt nicht in meiner Richtung. Weshalb bist du so von ihr besessen? Meine Affäre mit ihr gehört der Vergangenheit an. Menschen haben nun mal eine Vergangenheit, Chessie!“

„Ich nicht. Und meine Zukunft sieht offenbar auch nicht rosiger aus.“ Sie streifte die Pumps von den schmerzenden Füßen.

„So ein Unsinn!“ Rocco durchquerte den Raum und schenkte sich einen Drink ein. „Du bist meine Frau, was willst du mehr?“

„Das Unmögliche, ich weiß.“ Dass er mich unwiderstehlich findet, dachte sie verzweifelt, sprang auf und verschwand durch die Tür, von der sie annahm, dass sie ins Bad führte.

Nachdem sie sich reichlich kaltes Wasser in ihr verweintes Gesicht gespritzt hatte, kehrte sie ins Schlafzimmer zurück. Es war leer.

Rocco saß mit einem Drink in der Hand auf der Dachterrasse, blickte in die Dunkelheit hinaus und suchte verwirrt nach einer Erklärung für sein untypisches Verhalten.

Was hatte ihn dazu gebracht, sich zu einem wilden, leidenschaftlichen Liebesakt mit Chessie hinreißen zu lassen?

Sex, dachte er schuldbewusst, während er das Glas an die Lippen führte und einen kräftigen Schluck trank. Die Lust auf Sex mit einer Frau, die einen Mann um den Verstand brachte. Doch diese Frau war seine eigene Ehefrau und wildes Verlangen demnach fehl am Platz. Er wollte nicht in dieser Weise an sie denken!

Niemand kannte die Gefahren glühender Leidenschaft besser als er. Nicht ohne Grund hatte er sein Leben lang versucht, diesem Gefühl aus dem Weg zu gehen. Was hatte er falsch gemacht? Er hatte alles so sorgfältig geplant, und plötzlich lief alles aus dem Ruder! Zu wissen, dass Chessie seinetwegen unten saß und weinte, machte die Sache nicht besser.

Zerknirscht gestand er sich ein, dass er seine eigene Frau wie ein Lustobjekt behandelt hatte. Kein Wunder, dass sie so aufgewühlt war! Aber warum um alles in der Welt musste sie sich auch so aufreizend anziehen?

Nie wieder, schwor er sich und leerte sein Glas auf einen Zug. Nie wieder würde er dulden, dass sie sich in diesem Aufzug in der Öffentlichkeit zeigte. Nicht einmal in ihren privaten vier Wänden!

Ihre Beziehung sollte genauso bleiben, wie sie gewesen war, bevor Chessie sich bis auf die schwarze Spitzenunterwäsche vor ihm ausgezogen hatte. Die Erinnerung daran trieb ihm den Schweiß auf die Stirn, und er stellte sich seine Frau in einem ihrer schlichten Kleider vor, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Wenn sie sich neu einkleiden wollte, hatte er natürlich nichts dagegen. Es war gedankenlos gewesen, sie ohne Ablenkung auf der Insel zurückzulassen. Sie musste sich gelangweilt haben. Gleich morgen würde er mit ihr einkaufen gehen, aber ein wachsames Auge auf die Auswahl ihrer neuen Garderobe haben.

Zufrieden, eine Lösung für das Problem gefunden zu haben, stand er schließlich auf. Da ihn aber immer noch wilde Fantasien plagten und er nicht wagte, sich in diesem Zustand zu Chessie ins Bett zu legen, entschloss er sich zu einem nächtlichen Spaziergang durch Florenz.