7. KAPITEL

Früh am nächsten Morgen wachte Chessie auf und fand Roccos Bettseite unberührt. Er hatte offenbar woanders übernachtet. Obwohl sie versuchte, dieser Tatsache gefasst ins Auge zu sehen, war sie tief enttäuscht.

Doch was hatte sie erwartet?

Abgesehen von der stürmischen Sexszene im Auto schien er sie nicht wirklich attraktiv zu finden. Hatte sie sich nicht erst aufwendig zurechtmachen und einen Striptease vollführen müssen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen? Was sollte ihn dazu verlocken, das Bett mit ihr zu teilen?

Sie hatte sich nicht einzubilden gewagt, dass er sie liebte, sich aber an die vage Hoffnung geklammert, dass er sie zumindest reizvoll fand. Wenn das nicht der Fall war, gab es nichts, was ihre Ehe noch retten konnte. Sie hatten völlig unterschiedliche Ansichten, und Rocco würde seine Einstellung ihr gegenüber wohl nie ändern.

Wahrscheinlich plante er, sie umgehend nach Sizilien zurückzuschicken, damit sie ihm nicht mehr in die Quere kam. Aber das würde sie sich nicht gefallen lassen! In ihr schlichtestes Outfit gekleidet, so wie sie am Vortag angekommen war, machte sie sich auf die Suche nach Roccos Personal.

Sie war in Florenz und fest entschlossen, das Beste daraus zu machen. Dass ihre Ehe eine Katastrophe war, hieß noch lange nicht, dass sie ihren Aufenthalt nicht genießen konnte!

Eine Tür in der marmorgefliesten Halle im Erdgeschoss führte in einen Innenhof hinaus, dessen prächtige Säulen und Arkaden Chessie sofort in ihren Bann zogen. Fasziniert trat sie hinaus und fand sich in einer Oase der Stille wieder, mitten in Florenz, aber durch hohe Mauern vom Verkehrslärm abgeschirmt.

Den Mittelpunkt des Hofes bildete ein kunstvoll gearbeiteter Brunnen, dessen steter Wasserschwall die drückende Hitze erträglich machte. In allen vier Ecken des Patios standen große Terrakottakübel mit Orangenbäumchen, deren Äste sich unter der Last der reifen Früchte bogen. Die cremefarben gestrichenen Wände milderten das grelle Sonnenlicht ab und sorgten für angenehmen Schatten. Es war wunderbar friedlich hier, der ideale Platz, um einen ruhigen Vormittag zu verbringen, und Chessie beschloss, ihren Stadtrundgang auf später zu verschieben.

Sie zog ihren Skizzenblock und den Stift aus der Tasche, die sie immer bei sich trug, und fing an zu zeichnen. Mit kühnen Strichen hielt sie die perfekte Architektur des Hofes auf dem Papier fest. Minuten wurden zu Stunden, und sie hätte den ganzen Tag so weitermachen können, völlig versunken in ihre Tätigkeit, wenn der Klang energischer Schritte sie nicht plötzlich aufgeschreckt hätte.

„Was tust du hier draußen?“ Roccos Stimme war zornig, seine Miene verärgert. „Weißt du eigentlich, welchen Wirbel du verursacht hast?“

„Wieso?“ Erschrocken ließ sie den Stift sinken. „Ich habe nur still hier gesessen!“

„Aber niemand wusste, dass du hier sitzt“, erwiderte er gereizt. „Alle im Haus sind auf der Suche nach dir!“ Er zog sein Handy aus der Tasche und telefonierte kurz auf Italienisch. „Du hast uns einen riesigen Schrecken eingejagt, tesoro.“

„Musst du jeden meiner Schritte bewachen, Rocco?“ Sie schlug ihren Skizzenblock zu. „Wie wäre es mit einer elektronischen Fußfessel? Oder kette mich doch gleich an! Deine Besitzansprüche sind lächerlich.“

„Ich bin nicht besitzergreifend, ich will dich nur beschützen. Wie kannst du nur so naiv sein? Es geht um deine eigene Sicherheit!“

Ihr Herz zog sich zusammen. „Wie meinst du das?“

„Muss ich dir das wirklich erst erklären?“ Sein Blick wurde hart. „Ich bin ein reicher Mann, Chessie. Das macht dich zum Angriffsziel für Leute, die mir schaden wollen.“ Er runzelte die Stirn. „Was hast du eigentlich die ganze Zeit hier gemacht?“

„Nichts Besonderes.“ Sie versuchte, den Skizzenblock hinter ihrem Rücken zu verstecken, doch Rocco streckte bereits die Hand danach aus.

„Lass mich sehen!“

Widerstrebend reichte sie ihm den Block und wandte sich verlegen ab, als er die Skizze eingehend studierte. „Es ist übrigens wunderschön hier“, sagte sie beiläufig. „So ruhig!“

„Danke.“ Langsam blätterte er Seite für Seite ihres Blocks um. „Wie lange malst du schon, Chessie?“

„Mein ganzes Leben lang, aber sag nichts! Ich weiß, dass ich kein Talent habe.“ Sie beobachtete eine winzige Eidechse, die auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen über den staubigen Hof flitzte. Auch sie hätte sich am liebsten versteckt, aber vor Rocco, nicht vor der Sonne. Auf seinen vernichtenden Kommentar gefasst, fügte sie hinzu: „Ich male nur so zum Spaß. Es entspannt mich.“

Er warf ihr einen langen, nachdenklichen Blick zu, bevor er ihr den Block zurückgab. „Ich finde, du bist ausgesprochen talentiert. Wer hat dir eingeredet, das sei nicht der Fall? Dein Vater, nehme ich an.“

„Und wenn schon.“ Sie fragte sich, weshalb er plötzlich so nett zu ihr war. Hatte er ein schlechtes Gewissen wegen letzter Nacht?

„Ist das der Beruf, der dir vorschwebt? Künstlerin?“

Erschrocken sah sie ihn an. „Wie kommst du darauf?“

„Da ich sonst so schwer von Begriff bin, meinst du?“ Sein Tonfall war ironisch, aber in seinen Augen lag ein Lächeln. „Ich bin nun einmal gut darin, Talente bei anderen zu entdecken und zu fördern. Meine Firma profitiert davon. Also, würdest du das Malen gern professionell betreiben?“

„Ich weiß nicht“, sagte sie zögernd. „Ich habe keine Ausbildung.“

„Du hättest Kunst studieren sollen!“

„Die Möglichkeit hatte ich leider nicht.“ Chessie stand auf und spürte sofort, wie ihr Herzschlag in Roccos Nähe aus dem Takt geriet.

Sein Haar war feucht vom Duschen, sein Kinn frisch rasiert, seine Haut verströmte einen warmen, männlichen Duft. Er sieht einfach zu gut aus, dachte sie verzweifelt. Ausgeprägte Wangenknochen, bronzefarbene Haut, dichte schwarze Wimpern … Welche Frau konnte ihm schon widerstehen?

Bei der Erinnerung an ihr leidenschaftliches Intermezzo durchrieselte sie ein warmer Schauer der Erregung. Sie zwang sich, den Blick abzuwenden, bevor sie auf die verrückte Idee kam, ihm zu sagen, sie wünsche sich ein Baby, nur damit er wieder mit ihr schlief!

„Ich wusste gar nicht, dass du ein Haus in Florenz besitzt.“ Sie sah sich um. „Es ist wunderschön, ein richtiger Palast.“

„Das war es auch ursprünglich. Ein Palazzo, erbaut im 16. Jahrhundert. Es gab Streit unter den Erben, der Besitz verfiel zur Ruine, bis ich ihn vor zehn Jahren kaufte und restaurieren ließ.“

„Fantastisch!“ Chessie legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die hohen Mauern, die den Hof umgaben. „Kann ich mir alles genau ansehen?“

„Später, wenn wir von unserem Ausflug zurück sind.“

„Von welchem Ausflug? Musst du nicht arbeiten?“

„Es ist bereits Nachmittag, falls du es nicht gemerkt hast! Ich habe die halbe Nacht und den ganzen Vormittag gearbeitet. Meine Frau hat sich beklagt, dass ich sie vernachlässige“, fügte er charmant lächelnd hinzu, „also mache ich es wieder gut.“

„Ich dachte, du würdest mich nach Sizilien zurückschicken“, meinte sie trocken. „Also, wo gehen wir hin?“

„Einkaufen. Du sollst deine neue Garderobe haben, aber bei der Auswahl rede ich ein Wörtchen mit, damit du nicht wieder halb nackt unter die Leute gehst.“

„Oh.“ Ihm schwebte offenbar etwas anderes vor als ihr sexy Outfit vom Vorabend. „Eigentlich brauche ich nichts Neues“, wehrte sie ab und strich sich durchs Haar, das weich und glänzend über ihre Schultern fiel.

Rocco musterte sie anerkennend. „Deine neue Frisur steht dir ausgezeichnet! Und natürlich brauchst du etwas Neues, denn ich lade dich zum Essen ein.“

„Warum?“

Er runzelte die Stirn. „Warum nicht?“

„Ich dachte, meine einzige Aufgabe bestehe darin, eine Horde von Söhnen zur Welt zu bringen.“

„Treib es nicht zu weit, tesoro!“ Lachend ergriff er ihre Hand. „Nein, heute Mittag gehen wir aus. Es gibt einiges, was ich dich schon lange hätte fragen sollen!“

Auch Chessie hätte ihn gern einiges gefragt. Zum Beispiel, weshalb er sich plötzlich so um sie bemühte. Doch er zog sie bereits mit sich durch den Palazzo und zur Haustür hinaus, so schnell, dass sie ihm kaum folgen konnte. Immerhin trug sie heute vernünftige Schuhe.

Rocco führte sie zu einer kleinen Boutique in einer Seitenstraße, weit ab vom Touristentrubel. Es war ein ruhiges, elegantes Geschäft, ganz in hellem Marmor gehalten und mit Grünpflanzen dekoriert. Viel zu edel, als dass Chessie sich je hineingewagt hätte, doch Rocco schob sie energisch über die Schwelle.

Eingeschüchtert begann sie, die Sachen auf den Kleiderständern durchzusehen. „Ich finde kein Preisschild!“

Er lächelte nachsichtig. „Wer auf den Preis achten muss, kann sich diesen Laden nicht leisten. Du schon, angelo mio, also such dir aus, was dir gefällt.“

„Du meinst, was dir gefällt“, erwiderte sie leise, und er lächelte noch breiter.

„Stimmt.“

Sie schüttelte missbilligend den Kopf, hielt ihm aber zugute, dass er immerhin mit ihr einkaufen ging. „Wohin lädst du mich denn nachher ein?“

„Zum Essen, sagte ich das nicht?“

„In ein besonderes Restaurant?“

„Selbstverständlich.“

„Dann brauche ich etwas Leichtes, aber Schickes.“ Ihr Blick fiel auf ein leuchtend rotes Sommerkleid. „Das sieht hübsch aus. Ich hoffe, es ist dezent genug?“, fragte sie, doch ihr leiser Spott prallte an ihm ab.

„Zieh es an, dann sage ich dir Bescheid.“ Er nahm das Kleid vom Bügel und überreichte es der wartenden Verkäuferin.

Fünf Minuten drehte sich Chessie hingerissen vor dem Spiegel. Das Kleid sah fantastisch aus, einfach hinreißend! Noch dazu war es knielang und so moderat ausgeschnitten, dass selbst Rocco keine Einwände haben konnte.

„Bist du so weit?“, hörte sie ihn fragen.

Erwartungsvoll trat sie aus der Kabine. „Nun, was sagst du?“

Er musterte sie schweigend. Seine Lippen wurden schmal, sein Blick finster. „So gehst du mir nicht auf die Straße.“

Fassungslos betrachtete sie sich erneut im Spiegel. Was war ihr entgangen? War das Kleid etwa rückenfrei? Durchsichtig?

„Was stört dich?“, fragte sie ärgerlich.

„Man sieht jede Rundung, das stört mich!“

„Rocco“, sagte sie mühsam beherrscht, „in diesem Kleid würde ich nicht mal im Kloster Anstoß erregen!“

Ohne die Spur eines Lächelns wandte er sich an die Verkäuferin, um ihr in knappen Worten zu erklären, wonach er suchte. Nichts mit großem Ausschnitt, nichts Kurzes, nichts Figurbetonendes.

Die Angestellte eilte davon und kehrte bald darauf mit dem Arm voller Kleider zurück. Zunehmend gereizt probierte Chessie eins nach dem anderen an, und Rocco fand an jedem etwas auszusetzen.

Zornbebend führte sie ihm schließlich das letzte Exemplar vor. „Rocco, das ist lächerlich! Irgendetwas muss ich doch anziehen. Weshalb sind wir hier, wenn ich mir nichts kaufen darf? Der Laden war deine Idee!“

„Ja, aber die Sachen sind alle zu freizügig“, behauptete er.

Entnervt hielt ihm Chessie eine der Hosen vor die Nase, die er ebenfalls verworfen hatte. „Die kann man ja wohl kaum als freizügig bezeichnen!“

Er straffte die Schultern. „Die sitzt knalleng!“

„Nein, sie ist nur gut geschnitten und absolut dezent.“

„Jeder Mann wird dir auf den Po starren“, meinte er düster. Chessie stutzte.

„Weil ich so gebärfreudige Hüften habe?“

„Nein.“ Er lachte gequält. „Weil du einen Po hast, von dem Männer träumen.“

Ihr Herz schlug schneller. „Soll das heißen, er gefällt dir?“

„Es geht nicht darum, ob mir dein Po gefällt oder nicht“, erwiderte er grimmig. „Es geht darum, ob es mir recht ist, dass du deine Reize zur Schau stellst. Und es ist mir nicht recht!“

Chessie lächelte in sich hinein. „Ich soll also meinen Po nicht zeigen, weil mich andere Männer anstarren könnten?“ Sie gab die Hose der Verkäuferin. „Bist du etwa eifersüchtig? Das ist die beste Neuigkeit seit langem, Rocco.“

„Ich bin nicht eifersüchtig“, stieß er hervor. „Nur kurz davor, dich mit bloßen Händen zu erwürgen, und das ist wohl kaum eine erfreuliche Neuigkeit!“

Sie schenkte ihm ein liebevoll nachsichtiges Lächeln. „Keine Sorge, Rocco“, meinte sie tröstend, während sie der Verkäuferin zwei Kleider, ein spitzenbesetztes Oberteil und zwei Blazer, für die sie sich entschieden hatte, reichte. „Du musst dich nur erst daran gewöhnen, in deiner Ehefrau noch etwas anderes als die zukünftige Mutter deiner Kinder zu sehen. Du findest mich sexy, oder? Gib’s zu!“

Er atmete scharf ein. „Francesca …“

„Sag schon, Rocco.“ Sie senkte die Stimme, sodass nur er sie hören konnte. „Gestern Nacht im Auto …“

„Ich will nicht darüber sprechen!“

„Ich aber, denn es ist wichtig. Du hattest Verlangen nach mir. Großes Verlangen. Und das hatte nichts mit deinem Wunsch nach einem Erben zu tun, sondern mit purer Leidenschaft. Als du dich zurückhieltest, dachte ich, du fändest mich nicht attraktiv, aber das stimmt nicht. Ich gefalle dir sehr wohl. Du kannst nur nicht damit umgehen, weil ich deine Frau bin und du die irrige Vorstellung hast, du dürftest diese Empfindungen mir gegenüber nicht haben.“

Er erstarrte. „Ich kann nicht glauben, dass wir mitten in einem Laden diese Unterhaltung führen!“

„In einer Boutique“, verbesserte sie sanft, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Stirn. Sie fühlte sich plötzlich leicht und beschwingt, richtig glücklich. „Guck nicht so böse! Schön, dass du mich sexy findest. Nun musst du mich nur noch genauso stürmisch erobern wie letzte Nacht.“

„Aber du hast danach geweint“, wandte er ein.

„Doch nur, weil du gegangen bist, Rocco. Es war fantastisch!“

Sein Blick wurde abweisend. „Wir werden es nicht wieder tun. Nicht so!“

„Oh doch, das werden wir. Auf alle Fälle begleitest du mich jetzt zu einem Dessousgeschäft.“

„Wie bitte?“

„Du hast richtig gehört, ich möchte Dessous kaufen. Je aufreizender, desto besser.“ Genüsslich betonte sie jedes Wort und stellte zufrieden fest, dass sein Atem schneller ging. „Die Sorte, von der Männer träumen. Dessous zum Verführen.“

Seine sonnengebräunten Wangen wurden eine Spur blasser. „Und wen willst du verführen?“

„Dich natürlich“, hauchte sie. „Als deine Frau gehört es zu meinen Aufgaben, dich zu verführen, oder? Aber nicht, um Babys zu produzieren. Wir werden uns lieben, Rocco.“

„Francesca …“ Er schob nervös die Hand unter den Hemdkragen. „Chessie …“

Sie genoss es, ihn zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, sprachlos zu sehen. Lächelnd flüsterte sie ihm ins Ohr: „Gibst du mir deine Brieftasche, oder soll ich sie suchen?“

Notgedrungen händigte Rocco der Verkäuferin seine Kreditkarte aus. „Glaub nicht, du könntest eines dieser Kleidungsstücke außerhalb des Hauses tragen“, raunte er Chessie zu. Sie aber schob sich mit strahlendem Lächeln an ihm vorbei, um ihre Einkäufe entgegenzunehmen.

Rocco fand sie sexy. Er fand sie wirklich sexy! Jetzt musste sie nur dafür sorgen, dass er sich entspannte. Und ihn davon überzeugen, dass es völlig in Ordnung war, die eigene Ehefrau unwiderstehlich zu finden.

„Wie weit ist es bis zu diesem Restaurant?“

„Nur eine kurze Fahrt.“ Sie hatten die Limousine gegen einen schnittigen Maserati getauscht, den Rocco leichthändig aus der Stadt herausmanövrierte. „Es liegt auf einer Anhöhe, und die Aussicht ist herrlich.“

„Eine kurze Fahrt? Gut, schließ die Augen.“ Chessie nahm das rote Kleid aus der Einkaufstüte, rutschte tiefer in ihren Sitz und zog ihr Oberteil aus.

Der Wagen kam gefährlich ins Schleudern. „Was tust du da?“

„Mich umziehen.“ Sie streifte sich das Kleid über den Kopf und schlüpfte anschließend aus ihrer Hose. „Solltest du nicht lieber auf die Straße achten?“

Seine Hände schlossen sich fester ums Lenkrad. „Du kannst dich doch nicht in aller Öffentlichkeit umziehen!“

„Reg dich nicht auf! Es hat niemand gesehen.“

„Doch, ich“, erwiderte er, und sie lächelte.

„Das solltest du auch.“ Der seidige Stoff des Kleides schmiegte sich angenehm an ihre nackte Haut. Aus einer weiteren Einkaufstüte zog sie die passenden neuen Schuhe hervor, zupfte ihre seidigen Locken zurecht und trug einen Hauch Lipgloss auf. „Du siehst wieder nicht auf die Straße, Rocco.“

„Ist das ein Wunder, wenn du dich neben mir ausziehst? Was ist nur aus dem bescheidenen, unschuldigen Mädchen geworden, das ich geheiratet habe?“, beklagte er sich. Sie rückte näher an ihn heran und lachte, als ihr der Fahrtwind das Haar ins Gesicht blies.

„Unschuldig war ich vielleicht, aber nicht bescheiden. Nur schüchtern. Doch ich bin gerade dabei, das zu ändern.“ Kokett lächelnd streichelte sie seine Schulter. „Dir kann ich sagen, was ich denke.“

„Das habe ich gemerkt.“

„Es ist aufregend, so viel Neues ausprobieren zu können!“

Ein Muskel in seiner Schulter zuckte. „Was denn?“

„Keine Ahnung. Bis jetzt konnte ich noch nie tun, was ich wollte.“

„Das kannst du auch jetzt nicht“, sagte er streng. „Was immer du vorhast, denk daran – ich bin ganz in deiner Nähe!“

Chessie lehnte sich entspannt zurück, schloss die Augen und genoss den Luxus, in einem Cabrio spazieren zu fahren. „Einverstanden! Oh, ich liebe dieses Auto!“

„Ich verstehe dich nicht!“ Sein ratloser Ton amüsierte Chessie.

„Ich wette, du hast noch nie eine Frau wirklich verstanden, aber es gibt immer wieder ein erstes Mal. Ich bin da ganz optimistisch!“

Sie will, dass ich sie verstehe? Keine Chance, dachte Rocco frustriert, als er Chessie auf die Terrasse des Restaurants führte.

Dann ging sie vor ihm her, und der Anblick ihrer verlockenden Kurven in dem luftigen Sommerkleid vertrieb jeden anderen Gedanken aus seinem Kopf. Ihre graziösen Bewegungen und ihr sinnlicher Hüftschwung waren unglaublich sexy, und mit einem schnellen Blick in die Runde stellte Rocco fest, dass jeder Mann im Restaurant nur noch Augen für seine Frau hatte.

Beunruhigt rieb er sich den Nacken und fragte sich, wie er auf die Idee kommen konnte, mit ihr einkaufen zu gehen. In ihren alten schwarzen Sachen hatte sie wenigstens seinen Blutdruck nicht in die Höhe getrieben! Ihre Verwandlung war wirklich erstaunlich, was nicht nur an dem Kleid lag. Sie strahlte ein ganz neues Selbstbewusstsein aus.

Er war an die drückende Hitze des italienischen Sommers gewöhnt, aber irgendwie kam es ihm heute heißer vor als sonst. Mühevoll zwang er sich, den Blick von Chessies verführerischen Rundungen abzuwenden und an etwas Unverfängliches zu ­denken.

Damals bei der Heirat war er von ihrer Sanftmut und Schüchternheit angetan gewesen. Dass sich seine Frau nun offenbar in eine Sexbombe verwandelt hatte, war ihm gar nicht geheuer. Lebhafte Erinnerungen an die heiße Liebesszene auf dem Rücksitz seines Autos verfolgten ihn, und sosehr er sich bemühte, konnte er Chessie nicht mehr losgelöst davon sehen.

Ein Blick auf ihr Haar, und er spürte wieder ihre weichen Locken im Gesicht, als sie sich geküsst und geliebt hatten. Der Anblick ihrer vollen Lippen erinnerte ihn an ihre lustvollen kleinen Seufzer, und der verführerische Schwung ihrer Hüften … Um nicht restlos den Verstand zu verlieren, beschloss er, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, scheiterte aber kläglich.

Der Kellner führte sie zu ihrem Platz, und Chessie blickte sich entzückt um. „Von hier aus sieht man ganz Florenz! Oh, Rocco, es ist wunderschön!“

Sie ist süß, dachte er. Im Gegensatz zu den anderen Frauen, die er kannte, war sie nicht auf die Wirkung ihrer Worte bedacht, sondern sagte, was ihr gerade in den Sinn kam. Sie war spontan und begeisterungsfähig. Was ihn wieder an ihre leidenschaftliche Reaktion im Auto erinnerte … Schnell bestellte er die Getränke, um sich abzulenken.

Als ihm auffiel, wie unverhohlen der Mann am Nebentisch Chessies üppige Kurven bewunderte, warf er ihm einen drohenden Blick zu und überlegte, ob er sie auf der Stelle mit seinem Privathubschrauber nach Sizilien zurückbefördern sollte.

„Was hast du?“, erkundigte sie sich besorgt. „Du wirkst so angespannt!“

Sie bemerkt die Blicke der Männer nicht einmal, dachte er grollend. Sie ist so arglos! „Vielleicht sollten wir lieber woanders hingehen.“

„Warum?“, fragte sie erschrocken. „Es ist traumhaft schön hier!“

Ihre kindliche Begeisterung brachte ihn dazu, sein eigenes Verhalten noch einmal kritisch zu überdenken. Warum störte es ihn, dass Chessie die Blicke anderer Männer auf sich zog? Er war es doch gewohnt, mit attraktiven Frauen auszugehen, um die andere ihn beneideten.

Doch bei keiner von ihnen hatte er je den Wunsch verspürt, sie ganz für sich allein zu haben. Und bis heute hatte er sich auch nie für besonders eifersüchtig gehalten.

Sie ist meine Frau, sagte er sich und lockerte die zu Fäusten geballten Hände. Es ist normal, seine eigene Ehefrau für sich haben zu wollen! Es hieß noch lange nicht, dass er die Fehler der Vergangenheit wiederholte.

„Gut, wir bleiben. Hier gibt es exzellenten Fisch“, sagte er kurz angebunden, und Chessie, die gerade die Aussicht bewunderte, sah ihn überrascht an.

„Bist du verärgert?“

„Nein, bin ich nicht.“ Es ist in Ordnung, die eigene Frau attraktiv zu finden, versuchte er, sich wieder zu beruhigen. Kein Grund, sich unbehaglich zu fühlen!

Chessie musterte ihn stirnrunzelnd, während der Kellner die Getränke einschenkte. „Dann eben nervös. Machst du dir Sorgen wegen deiner Arbeit?“

„Ich bin nicht nervös.“ Er griff nach seinem Glas und trank. Aus den Augenwinkeln sah er, dass der Mann Chessie immer noch anstarrte, und war kurz davor, auf ihn loszugehen, als sie beinahe schüchtern seine Hand berührte.

„Ich weiß, dass du heute eigentlich andere Pläne hattest, aber ich danke dir“, sagte sie leise.

„Wofür?“

„Dass du mich hierhergebracht hast. Mich zum Essen ausführst.“ Verlegen lächelnd betrachtete sie das herrliche Panorama. „Du hättest für meinen ersten Restaurantbesuch keine bessere Wahl treffen können. Ich finde es herrlich, hier zu sitzen, die Aussicht zu genießen, die Sonne auf der Haut zu spüren und mit dir zusammen zu sein.“ Sie atmete tief durch. „Es ist ein Gefühl von Freiheit. Danke.“

Er war so verblüfft, dass er sogar den Mann am Nebentisch vergaß. „Du warst noch nie in einem Restaurant?“, fragte er ungläubig.

Ihr Lächeln verblasste. „Wann denn? Du hast mich nie vorher ausgeführt.“

„Aber ich kenne dich erst seit neun Monaten. Was war davor? Und in den sechs Monaten, während denen du allein gelebt hast?“

„Da bin ich nicht ausgegangen, das hätte ich nie gewagt.“ Sie senkte kurz den Blick, bevor sie Rocco wieder in die Augen sah. „Jetzt kann ich es dir ja erzählen. Ich lebte bei einer Familie in der Nähe von Neapel, die ich auf der Fähre getroffen hatte. Sie boten mir Arbeit und Unterkunft, und ich verbrachte die ganzen Monate bei ihnen.“

„Deshalb konnte mein Sicherheitspersonal dich nicht ausfindig machen.“ Rocco reichte ihr den Brotkorb. „Waren es nette Leute?“

„Eine wunderbare Familie. Ganz anders als meine“, meinte sie wehmütig. „Sie hatten sechs Kinder und ermutigten jedes einzelne zur Selbstständigkeit und zu kritischem Denken. Die Eltern interessierten sich für alles, was ihre Kinder sagten, und ließen ihnen ihre Eigenheiten. Ich brauchte eine ganze Weile, um mich einzuleben.“

„Weil du so schüchtern warst?“

„Weil ich es nicht gewohnt war, eine eigene Meinung zu äußern, aber sie haben mich immer wieder dazu ermutigt. Durch sie habe ich gelernt, mir selbst zu vertrauen. Und zu sagen, was ich denke!“

Rocco lächelte. „Dann habe ich ihnen die wundersame Verwandlung meiner ehemals so schweigsamen Gattin zu ver­danken?“

„Ja, aber das ist mein wahres Ich.“

Er nickte. „Ich wusste, dass es in deinem Elternhaus streng zuging, aber nicht, wie streng. Seid ihr denn nie zum Essen ausgegangen? Oder zum Feiern?“

Der Kellner servierte eine Auswahl von mediterranen Vorspeisen, und Chessie begann zu essen. „Für meinen Vater gab es nichts zu feiern“, erklärte sie leise. Rocco bereute, ihre Andeutungen nicht ernster genommen zu haben. Wie unsensibel von ihm!

„Ich würde gern mehr über dich und deinen Vater erfahren.“

„Bei diesem Thema vergeht mir der Appetit. Lass uns über etwas anderes sprechen. Zum Beispiel, warum du so viel arbeitest.“

„Weil es mir Spaß macht, aber lenk nicht ab!“

„Nur du schaffst es, aus einer Unterhaltung ein Verhör zu machen. Warum sollte ich dir von meinem Vater erzählen?“

„Weil du willst, dass ich dich verstehe.“

Chessie errötete. „Okay, was möchtest du wissen?“

„Alles. Zum Beispiel, weshalb er nie mit dir ausging. Warum du dich für eine miserable Künstlerin hältst, obwohl du in Wirklichkeit sehr begabt bist. Und wie es ihm gelungen ist, dein Selbstwertgefühl derart zu untergraben.“

Zögernd ließ sie die Gabel sinken. „Mein Vater und ich standen uns nicht sehr nahe. Er wollte keine Zeit mit mir verbringen, hatte aber strikte Vorstellungen, was meine Erziehung betraf. Außer zur Schule und zur Olivenernte ließ er mich nirgendwo hingehen.“

Rocco erinnerte sich an das Wenige, das er über Bruno Mendozo wusste, und musste zugeben, dass ihre Beschreibung passte. Der ältere Mann hatte seiner Tochter erstaunlich wenig Respekt oder Interesse entgegengebracht.

„Aber als Teenager bist du doch sicher mal mit Freundinnen ausgegangen?“

Sie nahm einen Schluck Wein. „Nein, er erlaubte es nicht. Nur zur Schule durfte ich gehen. Ich hatte ziemlich gute Noten, aber das interessierte ihn nicht, weil er der Meinung war, eine Frau brauche keine Ausbildung. Aber bei den Oliven und im Hinterzimmer des Büros musste ich mithelfen.“

Rocco lehnte sich im Stuhl zurück und musterte sie skeptisch. „Willst du mir erzählen, du hättest das alles widerspruchslos hingenommen? Nachdem ich dich in Aktion erlebt habe, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass du dich nicht gewehrt hast.“

„Doch, habe ich.“ Ihre blauen Augen verschleierten sich. „Einmal und nie wieder.“

Der Klang ihrer Stimme jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. „Was ist passiert?“, wollte er wissen, doch sie wich seinem Blick aus.

„Es war keine gute Idee.“ Demonstrativ widmete sie sich der Hauptspeise, die der aufmerksame Kellner gerade serviert hatte. „Übrigens, das sieht ganz köstlich aus!“

Er sah ein, dass es nicht der geeignete Ort für ernsthafte Fragen in dieser Richtung war, und wechselte das Thema. „Womit hast du dich in deiner Freizeit beschäftigt, wenn du nicht ausgehen durftest?“

„Mit Malen. Und mit Lesen. Ich war eine richtige Leseratte. Im wahren Leben bin ich nie verreist, aber in Gedanken habe ich die ganze Welt gesehen. Florenz, zum Beispiel. Ich war im Dom, natürlich auch im Baptisterium, habe die Fresken in der Kapelle des Palazzo Medici Riccardi bewundert und die Davidstatue von Michelangelo. Ich bin gut darin, mir Dinge in der Fantasie auszumalen.“

Fasziniert beobachtete er ihre lebhafte Mimik, ihr Lächeln, ihre leuchtenden Augen. „Du hast Bücher über Florenz gelesen?“

„Jede Menge. Ich lag im Bett und stellte mir vor, wie es gewesen sein muss, zu Zeiten der Renaissance in Florenz zu leben. Dann nahm ich mir Rom vor …“ Voller Begeisterung fuhr sie fort, von all den Dingen zu erzählen, die sie interessierten. Erst als sie ihren Redefluss unterbrach und Rocco verlegen ansah, stellte er fest, dass sich das Restaurant inzwischen geleert und er eine ganze Mahlzeit verspeist hatte, ohne zu realisieren, was er aß.

„Ich rede zu viel, aber es ist einfach traumhaft hier!“ Sie sah auf die Stadt hinunter. „Ich kann mir keinen schöneren Anblick vorstellen. Es sind diese ganz besonderen Farben – das Rot der Dächer und das zarte Vanillegelb der Häuser.“

Rocco folgte ihrem Blick und versuchte, die Stadt mit ihren Augen zu sehen. „Ich habe so lange in Florenz gelebt, dass ich es gar nicht mehr richtig wahrnehme“, gab er zu. „Aber vielleicht sollte ich es wieder lernen.“ Er nickte dem Kellner zu, der sofort die Rechnung brachte. „Lass uns gehen, angelo mio. Ich möchte dir etwas zeigen.“

Er besuchte sämtliche Sehenswürdigkeiten mit ihr. Zu Fuß, so wie sie es sich immer erträumt hatte.

Hand in Hand schlenderten sie durch enge Straßen, jedes Fleckchen Schatten nutzend, das vorspringende Hausdächer boten. Manchmal konnten sie sich nur durch einen beherzten Sprung vor einem der zahlreichen Motorroller in Sicherheit bringen, die lärmend durch die Stadt kurvten.

„Sieh mal, dort!“ Er ergriff ihren Arm und deutete nach oben. „Wir sind hier in einem der ältesten Stadtviertel, und dies ist ein Turmhaus. Im Mittelalter baute man hier die Häuser wie eine Festung aus, um sich verteidigen zu können.“

„Vor wem?“

„Meistens vor den Nachbarn“, erwiderte er trocken und brachte Chessie vor einem weiteren todesmutigen Rollerfahrer in Sicherheit, indem er sie schnell auf den Bürgersteig zog. „Im mittelalterlichen Florenz kämpfte jeder gegen jeden.“

Chessie lachte. „Dann hat sich das südländische Temperament seitdem nicht sehr verändert!“

Sie schlenderten weiter. Jedes Mal, wenn sie um eine Ecke bogen, tauchte der berühmte, aus rotem Ziegel und weißem Marmor errichtete Glockenturm von Santa Maria del Fiore aus einer neuen Perspektive vor ihnen auf.

„Kaum zu glauben, dass man vor so langer Zeit schon etwas so Großartiges bauen konnte“, meinte Chessie beeindruckt, als sie schließlich die Piazza del Duomo erreichten und der berühmte Dom in voller Pracht vor ihnen lag. Abseits der Touristengruppen blieb sie stehen und legte den Kopf in den Nacken, um das überwältigende Bauwerk gebührend zu bewundern.

Rocco lächelte. „Möchtest du hineingehen?“

„Na klar!“, erwiderte sie prompt, warf ihm dann einen fragenden Blick zu. „Falls du dich nicht zu sehr langweilst. Du warst schon so oft hier!“

Er sah sie an, und ein rätselhafter Ausdruck kam in seine schönen dunklen Augen. „Nein, ich langweile mich nicht. Kein bisschen!“

Chessie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg, was jedoch nicht an der Sonne lag. Nein, befahl sie sich energisch. Ich werde mir nicht wieder einbilden, dass er mich gernhat! Diesen Fehler hatte sie schon einmal gemacht, und er hatte ihr nichts als Kummer eingetragen.

Sie genossen die kühle Stille im Inneren der Kathedrale, spazierten dann weiter durch die Straßen von Florenz bis zum Ospedale degli Innocenti, dem ehemaligen Findelhaus, in dem heute ein Museum untergebracht war, wie Rocco erklärte.

„Hier hängt ein Bild, das ich dir zeigen möchte.“

Sie durchquerten einen stillen Innenhof, stiegen eine Treppe hinauf und gelangten in eine schmale Galerie. Das Gemälde hing an der gegenüberliegenden Wand, schien aber mit seinen brillanten Farben den ganzen Raum zu beherrschen.

„Es ist wunderschön!“ Aufmerksam lauschte Chessie seinen ausführlichen Erläuterungen. „Woher weißt du so viel über die Kunst der Renaissance? Hast du studiert?“

Er lächelte matt. „Jura in Cambridge und Betriebswirtschaft in Harvard, ja. Kunst leider nicht. Mein Ehrgeiz bestand damals darin, Geld zu verdienen, um mir Kunstwerke leisten zu können. In meinem Palazzo hängen einige Bilder, die dich vermutlich interessieren werden.“ Er zählte mehrere auf, und Chessies Augen weiteten sich vor Erstaunen.

„Aber diese Werke sind Teil einer Privatsammlung, das habe ich gelesen!“

„Ja, meiner.“

„Oh!“ Sie brauchte einen Moment, um diese Neuigkeit zu verarbeiten. „Bis jetzt war mir nicht recht klar, wozu Reichtum gut sein soll, aber etwas so Wunderbares besitzen und es jederzeit betrachten zu können …“ Sie seufzte. „Du Glücklicher!“

Er lachte. „Vergiss nicht, sie gehören auch dir und du kannst sie dir ansehen, wann immer du willst. Nur berühren darfst du sie nicht, sonst haben wir im Nu die ganze Polizei von Florenz auf dem Hals.“

„Darf ich dich etwas fragen?“ Chessie schirmte die Augen mit der Hand ab, als sie das Gebäude verließen und ins Sonnenlicht hinaustraten. „Hast du sie gekauft, weil sie dir gefielen oder weil du sie für eine gute Geldanlage hieltest?“

„Beides“, erwiderte er, ohne zu zögern. „Kunstwerke sind immer eine gute Investition, aber ich würde mir nichts an die Wand hängen, das ich nicht schön finde. Du kannst großartig zeichnen. Wie ist es mit Aquarell- und Ölfarbe?“

Sie errötete. „Das habe ich nur in der Schule einmal ausprobiert, ansonsten hatte ich keine Gelegenheit dazu. Ich besuchte die Klosterschule im Dorf, aber das war das Äußerste an Bildung, das mein Vater mir zugestand.“

„Ich kann nicht fassen, wie eingeschränkt dein Leben war.“ Rocco legte ihr den Arm um die Taille und führte sie an einer Touristengruppe vorbei. „Hattest du denn keine Freunde und Freundinnen?“

„Nein. Ich war groß und schlaksig, ganz anders als die anderen Mädchen, und außerdem furchtbar schüchtern. Niemand, mit dem man unbedingt befreundet sein wollte.“

Sie verließen das Gebäude und spazierten weiter durch enge Gassen. „Das ist kaum zu glauben, so offen und ehrlich, wie du bist.“

„Es stimmt aber. Und wie war es bei dir? Erzähl mir von deiner Kindheit.“

Sofort ging eine spürbare Veränderung mit ihm vor. Er spannte die Muskeln an, seine Züge verhärteten sich. „Da gibt es nichts zu erzählen.“

„Doch, bestimmt!“ Sie blieb stehen und ergriff seinen Arm. „In den Zeitungen stand, du hättest mit neunzehn deine erste Million verdient.“

„Ich war siebzehn, und es waren vier Millionen“, bemerkte er trocken. Chessie zuckte nur lächelnd mit den Schultern.

„Warum hast du es getan?“

Er lachte kurz auf. „Jeder andere würde fragen, wie ich es getan habe. Nur du fragst, warum!“

„Und?“, hakte sie nach, unbeirrt von seinem Sarkasmus.

„Jeder will Geld haben, oder?“

„Genug, um bequem leben zu können. Aber du musst besessen gewesen sein, um mit siebzehn so viel Geld zu verdienen. Das bist du noch. Ich möchte verstehen, warum.“

„Siehst du? Da ist der entscheidende Unterschied zwischen uns. Du möchtest, dass ich dich verstehe, aber ich lege keinen Wert darauf, dass du mich verstehst.“

„Das würde ich aber gern!“, sagte sie atemlos, während sie versuchte, mit ihm Schritt zu halten.

„Ich liebe meine Arbeit.“ Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ich bin besessen. Ende der Geschichte.“

Chessie runzelte die Stirn. Es war nicht das Ende der Geschichte, aber mehr wollte er offenbar nicht erzählen. Noch nicht. Mit der Zeit, so hoffte sie, würde er sich mehr und mehr öffnen.

„Ich würde liebend gern das Kloster San Marco besichtigen! Zeigst du es mir?“

„Morgen“, meinte er mit einem Blick auf seine Armbanduhr. „Ein Rundgang durch Florenz ist anstrengend, und du musst dich vor heute Abend noch ausruhen.“

„Weshalb? Was hast du vor?“

„Du warst noch nie in einem Nachtclub, also gehen wir zusammen hin.“ Er musterte sie argwöhnisch. „Aber freu dich nicht zu früh! Getanzt wird nur mit mir.“

„Etwas anderes will ich doch gar nicht“, rief Chessie begeistert aus und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke! Das ist das Romantischste, das du je getan hast.“

Wäre es nicht zu schön, um wahr zu sein, wenn er mich doch mögen würde?