Er führte sie in einen exklusiven Nachtclub, und sie tanzte bis zum Umfallen.
Beschwingt von der Musik und der prickelnden Atmosphäre, entdeckte Chessie ein Rhythmusgefühl, das sie sich gar nicht zugetraut hatte. Sie gab sich ganz der Musik hin, wiegte sich in den Hüften und merkte plötzlich, dass Rocco nur noch Augen für sie hatte. Einmal, als sie sich während des Tanzens näher kamen und wieder getrennt wurden, trafen sich ihre Blicke, und die Spannung stieg.
Als sie den Club verließen, knisterte es spürbar zwischen ihnen, und spätestens zurück im Palazzo, als Rocco sie in das Schlafzimmer führte und die Tür hinter sich zuzog, hegte Chessie keinen Zweifel mehr an seinen Absichten.
„Darauf habe ich den ganzen Abend gewartet“, sagte er rau, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie auf den Mund. „Mit dir auszugehen, hat meine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe gestellt!“
Bereitwillig gab sie nach, als sie seine warmen, drängenden Lippen auf ihren spürte. Sie konnte seinen Verführungskünsten einfach nicht widerstehen! Ein Kuss von ihm, und sie wurde schwach. Der Boden unter ihren Füßen schien ins Wanken zu geraten, und ihr Widerstand schmolz dahin.
Vielleicht wusste er um die fatale Wirkung seiner Zärtlichkeiten, denn er hörte nicht auf, sie zu küssen, während er langsam die Hände über ihren Rücken gleiten ließ. Er küsste sie immer noch, als ihr Kleid zu Boden glitt und sie nur in ihren Dessous vor ihm stand.
„Rocco …“, flüsterte Chessie erregt, als er sie zum Bett zog.
Er hob leicht den Kopf, einen verheißungsvollen Glanz in den Augen. „Du wolltest wissen, ob ich dich sexy finde“, sagte er rau. „Hier ist die Antwort. Du bist die aufregendste Frau, die ich je gesehen habe.“
Von fiebriger Ungeduld ergriffen, streifte sie ihm das Jackett von den Schultern. „Du wolltest doch keine sexy Ehefrau!“
„Das war ein Fehler.“
„Ein Fehler, Rocco?“ Obwohl ihr Herz raste, gelang es ihr immer noch, ihn aufzuziehen. „Ich dachte, du machst keine Fehler.“
Er lächelte siegessicher, drückte sie sanft auf die Matratze und beugte sich über sie, die Arme zu beiden Seiten aufgestützt. „Mit diesem werde ich leben müssen“, raunte er und zog hörbar den Atem ein, als Chessie sein Hemd aufzuknöpfen begann.
„Zieh es aus“, bat sie leise. „Ich will dich ganz sehen.“ Vorsichtig strich sie über die dunklen Härchen auf seiner Brust.
Während er das Hemd achtlos zu Boden warf, tastete sie nach seinem Gürtel.
„Noch nicht.“ Er drückte sie wieder in die Kissen und ließ die Hände langsam über ihren Körper nach unten wandern. „Es gibt etwas, das ich unbedingt tun möchte …“
Sie spürte, wie er ihr den Hauch aus spitzenbesetzter Seide auszog, der sie noch bedeckte, und dann behutsam ihre Beine öffnete. Sie schrak leicht zurück, als sie sein Vorhaben ahnte, brennende Röte überzog ihre Wangen. Doch als er sie zärtlich mit Zunge und Lippen zu liebkosen begann, schmolz ihr Widerstand dahin. Halbherzig setzte sie zum Protest an, brachte jedoch nur kleine, verzückte Seufzer zustande, während er sie gekonnt und hingebungsvoll verwöhnte.
Chessie wand sich hilflos, von unstillbarem Verlangen erfüllt. Er schien ihren Körper besser zu kennen als sie selbst, wusste genau, wie und wo er sie berühren musste, um ihre Erregung immer weiter zu steigern.
Gerade als sie glaubte, die Spannung nicht länger ertragen zu können, hob er den Kopf und schob den Arm unter ihre Hüften. Im nächsten Moment drang er so hart und doch gefühlvoll in sie ein, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte als an ihn.
„Du fühlst dich wunderbar an“, flüsterte er ihr ins Ohr, während er sich ohne Hast in ihr bewegte. Sein kraftvoller männlicher Körper schien mit ihrem zu verschmelzen, und die Intensität ihrer Gefühle raubte Chessie den Atem. Sie spürte seine Erregung, die meisterliche Beherrschung, mit der er sie langsam, aber sicher zur Ekstase trieb, und kam so stürmisch zum Höhepunkt, dass sie keuchend die Fingernägel in seine Schultern krallte.
Er verlangsamte seinen Rhythmus, was nicht weniger erotisch war, und bald spürte sie, wie ihre Erregung erneut aufflammte. Ungläubig flüsterte sie seinen Namen, die Lippen an seinem Mund, als sie erneut den Gipfel erreichte.
Zitternd und noch leicht benommen, legte sie die Hände an seine Brust. „Rocco, du musst aufhören …“
„Warum, wenn es doch gerade so fantastisch ist?“
Mit verschleiertem Blick sah sie hingebungsvoll zu ihm auf. Er wirkte dunkel, geheimnisvoll und unwiderstehlich sexy. „Ich kann doch nicht …“
„Du kannst, angelo mio“, erwiderte er sanft. „Du wirst schon sehen.“ Er veränderte leicht ihre Position, und überrascht spürte sie, wie heftig sie auch diesmal wieder auf ihn reagierte.
„Rocco, nein …“
„Doch.“ Seine Bewegungen wurden schneller, fordernder. In brennendem Verlangen hob sie sich ihm entgegen. Wieder fand sie die heiß ersehnte Erfüllung, eine nicht enden wollende Flut von Glücksgefühlen, die in Wellen über ihren Körper lief. Sie hörte Roccos heisere Stimme und fühlte, wie auch er mit Macht zum Höhepunkt kam.
Erschöpft und außer Atem, lag sie in seinen Armen, spürte das Gewicht seines ermatteten Körpers auf ihrem und wünschte, dieser Moment würde ewig dauern. Irgendwann hob er den Kopf und sah ihr in die Augen.
„Es tut mir leid“, sagte er reumütig. „Ich wollte verhüten und habe es vergessen.“
Auch sie hatte nicht daran gedacht, weil es keine Rolle mehr spielte. Weil sie mit ihm zusammen sein wollte. Weil sie ihn liebte.
Erschüttert von dieser Erkenntnis, blieb sie reglos liegen und sagte kein Wort.
„Du nimmst es mir übel, das sehe ich dir an.“ Er rollte sich auf den Rücken, zog sie mit sich. „Es tut mir leid, ehrlich. Es war keine Absicht.“
„Schon gut“, erwiderte sie, immer noch verstört.
Zärtlich streichelte er ihren Rücken. „Irgendetwas geht doch in dir vor!“
Allerdings. Sie hatte gerade herausgefunden, dass sie ihn liebte! Für Rocco hingegen war Liebe ein Fremdwort, das wusste sie.
„Ich habe über den heutigen Tag nachgedacht“, sagte sie ausweichend. „Es war der schönste Tag meines Lebens. Danke!“ Sie küsste ihn spontan, bemerkte eine Regung in seiner Miene und hegte einen Moment lang die Hoffnung, er werde etwas Liebevolles zu ihr sagen. Doch er zog sie schweigend an sich und schloss die Augen.
Sie verbrachten einen ganzen Monat in Florenz, und es gelang Rocco tatsächlich, Chessies Mutter ausfindig zu machen.
„Sie befindet sich auf einer Kreuzfahrt um die ganze Welt“, verkündete er und gab Chessie eine Telefonnummer. „Willst du sie wirklich anrufen? Sie scheint nicht viel dazu beigetragen zu haben, deine Kindheit erträglicher zu gestalten.“
„Sie hat getan, was sie konnte“, antwortete Chessie ruhig. „Ich glaube, sie ist nur meinetwegen bei meinem Vater geblieben. Wir standen uns nie sehr nahe, aber ich möchte gern mit ihr sprechen.“
Also rief sie an und unterhielt sich kurz mit ihrer Mutter, die ihre neu errungene Freiheit sehr zu genießen schien.
Und auch Chessie genoss ihr neues Leben.
Von Florenz aus reisten sie weiter nach Rom, Siena, Venedig und Neapel. Sie wohnten in luxuriösen Hotels, immer umgeben von Roccos Leibwächtern, die Chessie auch auf ihre Besichtigungstouren begleiteten, wenn Rocco arbeiten musste. Er ließ nicht zu, dass sie allein durch die Straßen spazierte.
Eines Nachmittags kehrte sie vorzeitig von einem Ausflug nach Pompeji zurück, weil sie sich nicht wohlfühlte. Zu viel Sonne, dachte sie und kämpfte gegen die Übelkeit an, die sie befiel, als sie im Lift zur Präsidentensuite hinauffuhr.
Als sie das Wohnzimmer betrat, hatte Rocco seine Papiere über den ganzen Tisch verstreut, das Telefon ans Ohr geklemmt und kritzelte in einem Bericht.
„Die Werbekampagne entspricht nicht meinen Vorstellungen“, sagte er unwirsch in den Apparat. „Wenn denen nichts Besseres einfällt, dann vergeben Sie den Auftrag neu.“ Er beendete das Gespräch, als er Chessie an der Tür stehen sah. „Geht es dir nicht gut? Du bist blass.“
„Alles in Ordnung, es ist nur die Hitze.“ Sie lächelte matt und wollte ins Schlafzimmer gehen, als ihr Blick auf ein Hochglanzfoto von einem jungen Paar im Restaurant fiel. „Was ist das? Und worüber ärgerst du dich so?“
„Ach, ich bin unzufrieden“, erwiderte er und wies ungeduldig auf die herumliegenden Papiere. „Mein Team hat die angeblich beste Werbeagentur der Gegend mit der Olivenölkampagne betraut, aber das Ergebnis ist nicht gerade originell.“
Chessie sah die Bilder durch. „Was soll das darstellen?“
Er lachte trocken. „Dass du fragen musst, ist der beste Beweis für die Unfähigkeit dieser Leute. Was du in der Hand hältst, sind die Entwürfe für Anzeigen in den Printmedien, also Magazinen, Zeitungen und dergleichen. Und dies ist das Drehbuch für den Werbespot im Fernsehen. Völlig unbrauchbar!“
„Was hast du dir denn vorgestellt?“
„Keine Ahnung“, gab er zu. „Normalerweise kümmert sich die Geschäftsleitung meiner italienischen Niederlassung um diese Dinge, aber die Olivenölkampagne liegt mir persönlich am Herzen. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber diese Vorschläge gefallen mir nicht.“
Stirnrunzelnd betrachtete Chessie die Bilder. „Vermutlich wollten sie die Exklusivität des Produkts hervorheben, indem sie ein Paar im Restaurant zeigen. Leider hat das rein gar nichts mit Sizilien zu tun, oder? Die beiden könnten überall sitzen und alles Mögliche essen. Bis auf die Flasche in der Ecke deutet nichts auf das Produkt selbst hin …“ Verlegen unterbrach sie ihre Ausführungen.
„Sprich weiter!“ Rocco sah sie gespannt an.
Leicht errötend fuhr sie fort: „Ich verstehe zwar nichts von Werbung, aber ein Bild sollte eine Geschichte erzählen. Hier geht es um zwei Leute beim Essen, aber was ist mit dem Öl?“
„Wie würdest du es denn darstellen?“
Sie zögerte. „Ich weiß nicht recht …“ Was soll’s, dachte sie, griff kurz entschlossen zu Bleistift und Papier und begann zu zeichnen. „Das Bild sollte den ursprünglichen Charakter des Produkts einfangen. Die Hitze, den Duft und das Flair Siziliens – alles, was das Öl so besonders macht! Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe die Oliven eigenhändig geerntet.“ Der Stift flog übers Papier, während eine grobe Skizze dessen entstand, was ihr vorschwebte.
Rocco nickte entschlossen. „Das ist großartig! Zeig es ihnen, sie sollen es als Vorlage benutzen.“
„Das ist nicht dein Ernst!“ Sie sah ihn aus großen Augen an. „Und wenn es ihnen nicht gefällt?“
„Mir gefällt es, und es sind mein Geld und mein Produkt, mit dem sie Schindluder treiben.“ Er umarmte Chessie und drückte sie an sich. „Du bist unglaublich, cara mia. Sagtest du nicht, du wolltest arbeiten? Nun, jetzt hast du einen Job. Du überwachst die Werbekampagne für das Olivenöl.“
Sie stemmte sich gegen seine breite Brust, überwältigt von seiner Nähe und seinem warmen, verführerischen Duft. „Niemand wird auf mich hören! Ich habe keinerlei Qualifikation …“
„Vertrau auf deine Fähigkeiten!“ Er ließ sie los und griff lächelnd zum Telefon. „Was du in zwei Minuten zu Papier bringst, ist besser als alles, wofür ich dieser Werbeagentur ein Vermögen in den Rachen werfe! Aber es ist deine Entscheidung. Willst du den Job oder nicht?“
Sie schwankte zwischen Angst und Begeisterung. „Ja … nein …“
„Da du dich offenbar nicht entscheiden kannst, spreche ich ein Machtwort“, meinte er lachend, wählte eine Nummer und gab telefonische Anweisungen, die Vertreter der Werbeagentur am nächsten Tag einfliegen zu lassen. Chessie musterte ihn mit einem flauen Gefühl im Magen.
„Und wenn ich versage?“
„Dann bist du gefeuert, tesoro. Aber keine Sorge, ich werde dich ausgiebig trösten. Du siehst immer noch angeschlagen aus. Übertreib es nicht mit den Ausflügen!“
„Es ist furchtbar heiß heute. Ich setze mich auf die Terrasse in den Schatten und fertige noch einige detailliertere Entwürfe an.“
Er lächelte verschwörerisch. „Wie wäre es mit einem kleinen Nickerchen im kühlen Schlafzimmer? Die Kampagne kann warten.“
Am nächsten Morgen beim Aufwachen stellte Chessie erleichtert fest, dass die Übelkeit verschwunden war, doch der Gedanke an das bevorstehende Treffen mit den Werbefachleuten erfüllte sie mit Nervosität. Bisher hatte sie nur zum eigenen Vergnügen gemalt. Niemand hatte ihre Werke je begutachtet.
Sie wählte ihre Garderobe sorgfältig aus und stylte ihr Haar zu einer, wie sie hoffte, seriös wirkenden Hochsteckfrisur.
„Du siehst rasend sexy aus“, bemerkte Rocco grollend, als er ins Bad kam, um seine Armbanduhr zu holen. „Zieh dich sofort um!“
„Rocco, ich trage ein schlichtes graues Kostüm!“
„Dann liegt es nicht an deiner Aufmachung, sondern an dir“, raunte er, zärtlich ihren Nacken streichelnd. „Vielleicht hätte ich dir den Job lieber nicht geben sollen.“
Chessie seufzte. „Nur weil du mich attraktiv findest, müssen es die andern nicht auch tun.“
Ein dunkler Glanz trat in seine Augen. „Denkst du! Gut, dass ich bei der Besprechung dabei bin.“
Sie zitterte vor Aufregung, als Rocco sie in den Sitzungssaal schob. Eine große Anzahl von Leuten war um einen ovalen Tisch versammelt, deren gedämpftes Gemurmel bei ihrem Eintreten abrupt verstummte. Verlegen setzte sie sich auf einen leeren Stuhl. Das ist lächerlich, dachte sie verzagt. Warum sollte hier irgendjemand auf sie hören?
Doch als sie ihre Skizzen präsentierte und ihre Ideen vortrug, herrschte angespannte Stille im Raum. Kaum hatte sie geendet, erklangen von allen Seiten zustimmende Kommentare.
„Hervorragendes Konzept“, lobte der Mann, den Rocco ihr als Leiter der Werbekampagne vorstellte. „Diese Zeichnungen sind Spitzenklasse. Für wen arbeiten Sie?“
„Für mich“, sagte Rocco scharf. „Ich möchte, dass Sie ihre Ideen ausarbeiten, Luca. Halten Sie das für möglich?“
„Selbstverständlich.“ Der Mann nickte. „Ich werde ein Team nach Sizilien schicken, um eine geeignete Location für die Aufnahmen ausfindig zu machen.“
„Wie wäre es mit unserer Villa?“, schlug Chessie vor und ignorierte Roccos fragend hochgezogene Augenbrauen. „Eine stilvolle sizilianische Villa mit Swimmingpool ist doch die beste Kulisse, um die exklusive Note des Öls hervorzuheben.“
„Brillante Idee!“ Luca gestikulierte seinen Mitarbeitern, die sich eifrig Notizen machten. „Ja, das gefällt mir. Eine Fülle angenehmer Assoziationen. Raffiniert! Damit können wir arbeiten.“
Roccos Lippen wurden schmal. „Ich halte nichts davon, meinen Privatbesitz im Fernsehen zur Schau zu stellen!“
„Keine Sorge, wir finden ein anderes Anwesen“, versicherte Luca. „Auf die Idee kommt es an.“
Beim Verlassen des Sitzungssaals legte Rocco ihr den Arm um die Taille, schob Chessie in den Lift und küsste sie. „Du warst fantastisch. Weißt du eigentlich, was ich denen bezahle, um dein Konzept umzusetzen? Du solltest Honorare verlangen.“
Sie schob die Arme um seinen Nacken und lächelte ihn strahlend an. „Es macht solchen Spaß! Ich tue es umsonst.“
„Wir fahren nach Florenz zurück. Du kannst dort das Atelier nutzen, das ich dir eingerichtet habe“, erklärte er. „Es sei denn, du möchtest lieber zurück auf unsere Insel.“
„Ich hasse sie nicht mehr“, sagte sie leise, trat ans Fenster und sah über die Klippen aufs Meer. „Wenn du irgendwann dorthin zurückkehrst, komme ich mit.“
Während der nächsten Wochen in Florenz arbeitete Chessie Tag und Nacht an ihren Ideen für die Werbekampagne, während die Agentur mit der Umsetzung beschäftigt war. Sie ging völlig darin auf, verbrachte den halben Tag am Telefon, teils mit Luca, teils in einer Konferenzschaltung mit ihm und dem Kreativdirektor.
Der einzige Wermutstropfen war, dass sie immer sehr schnell müde wurde, während Rocco vor Energie nur so sprühte. Sie sagte ihm nichts, ging aber dazu über, nachmittags ein Schläfchen zu halten, um abends einigermaßen fit zu sein. Trotzdem war sie oft erschöpft und ungewöhnlich weinerlich. Und das, obwohl ihr Leben genau so verlief, wie sie es sich immer gewünscht hatte!
Sie malte, beschäftigte sich mit Kunst, unternahm Reisen mit Rocco – bald schon würden sie gemeinsam nach New York fliegen! Und obwohl er noch immer nicht gesagt hatte, dass er sie liebe, war er erstaunlich aufmerksam und fürsorglich für einen Mann, der keinen Zugang zu seinen Gefühlen hatte.
Weshalb also brach sie ständig in Tränen aus? Was wollte sie mehr?
Die Wochen vergingen, und endlich war alles perfekt. Chessies Aufgabe war abgeschlossen, denn um die internationale Vermarktung kümmerte sich Roccos Team. In dieser Angelegenheit flog er nach New York, und obwohl er Chessie bat, ihn zu begleiten, lehnte sie ab, weil ihr ein Langstreckenflug zu anstrengend erschien. In den zwei Tagen bis zu seiner Rückkehr wollte sie sich ausruhen und, beunruhigt von ihrer zunehmenden Erschöpfung, einen Arzt aufsuchen.
„So habe ich mich noch nie gefühlt“, schilderte sie ihre Beschwerden. „Ich habe kein Fünkchen Energie mehr!“
Der Arzt untersuchte sie gründlich und teilte ihr anschließend das Resultat mit.
„Sie haben in letzter Zeit hart gearbeitet, sagten Sie?“
„Ja. Bin ich deshalb so müde?“
„Nein.“ Der Mann rückte seine Brille zurecht und lächelte milde. „Sie sind in anderen Umständen.“
„Wie bitte?“ Chessie sah ihn fassungslos an. Ihre Gedanken rasten. In letzter Zeit hatten sie doch immer verhütet, nur am Anfang nicht. „Aber ich hatte doch meine Periode“, meinte sie verwirrt.
Der Arzt zuckte bedauernd mit den Schultern. „Das kommt gelegentlich vor, aber das Testergebnis ist eindeutig – Sie sind schwanger! Mit Ihrer Erlaubnis überweise ich Sie zu einem Kollegen in der gegenüberliegenden Klinik zum Ultraschall, damit wir den Zeitpunkt näher bestimmen können. Haben Sie zugenommen?“
Schwanger? Chessie biss sich auf die Lippe. „Kaum“, antwortete sie. „Aber wir essen oft auswärts.“ Rocco und sie waren inzwischen in zahlreichen Restaurants gewesen.
Schwanger! Sie wartete darauf, dass die Enttäuschung einsetzte. Die Trauer darüber, das Stückchen Freiheit, das sie hatte kosten dürfen, wieder einzubüßen. Stattdessen überkam sie ein wohliges Gefühl von Zufriedenheit. Ihr Baby. Roccos Baby. Ihr gemeinsames Kind!
Sie hatte es nicht geplant gehabt, aber nun, da es passiert war, war sie unverschämt glücklich. Sie konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln.
Endlich würde sie eine eigene Familie haben! Voller Liebe und Wärme, ganz anders als in ihrer Kindheit. Und wie Rocco sich freuen würde, wenn sie es ihm erzählte! Sie wusste doch, wie sehr er sich einen Sohn wünschte.
Eine Stunde später lag sie auf einer Liege in einem mit modernsten medizinischen Geräten ausgestatteten Untersuchungszimmer. Rocco wird völlig aus dem Häuschen sein, dachte sie freudig, während der Arzt die rätselhaften Schatten auf dem Bildschirm studierte. Hatte er sich das nicht immer gewünscht?
Da sie sich ausrechnen konnte, dass es in jenen ersten Wochen passiert sein musste, war sie nicht weiter überrascht, als der Arzt ihr mitteilte, sie sei mindestens im vierten Monat. Es erklärte auch ihre Übelkeit damals in Pompeji.
„Kommt die Schwangerschaft für Sie überraschend?“, erkundigte sich der Gynäkologe, während er sich Notizen machte.
„Ja, aber das macht nichts“, versicherte sie ihm strahlend, setzte sich auf und richtete ihre Kleidung. „Mein Mann wünscht sich sehnlichst einen Sohn!“
„Nun, da wird er sich wohl noch gedulden müssen.“ Lächelnd händigte der Arzt ihr ein Ultraschallbild aus. „Es ist ein Mädchen. Herzlichen Glückwunsch!“
„Ein Mädchen?“ Chessie betrachtete verstört das Schwarzweißbild in ihrer Hand. „Sind Sie sicher?“
„Absolut.“ Der Mann runzelte die Stirn. „Ist das ein Problem?“
War es das? „Nein“, erwiderte sie schnell, als ihr der prüfende Blick des Arztes bewusst wurde. „Bestimmt nicht.“ Jedenfalls nicht für sie. Für Rocco hingegen …
Auf dem Nachhauseweg wich ihre freudige Erregung allmählich einer düsteren Vorahnung. Rocco wird sich trotzdem freuen, versuchte sie, sich einzureden, doch die warnende Stimme in ihrem Kopf wurde immer lauter. Er hatte oft von einer großen Familie und vielen Söhnen geschwärmt, aber nicht ein Mal von einer Tochter.
Ich tue ihm dasselbe an wie meine Mutter meinem Vater, dachte Chessie. Ich schenke ihm eine Tochter, obwohl er sich einen Sohn wünscht.
Ein plötzliches Schwindelgefühl zwang sie, einen Moment stehen zu bleiben, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Leicht benommen erreichte sie schließlich den Palazzo.
Es wird nicht gut gehen, dachte sie verzweifelt. Auch sie war bei einem Vater aufgewachsen, der sich vergeblich einen Sohn gewünscht hatte. Sie wusste, was es hieß, sich ungeliebt zu fühlen.
Wie konnte sie mit Rocco dieses Risiko eingehen?
Sie würde ihr Kind diesem Schicksal nicht aussetzen!
Ihr blieb nur ein einziger Ausweg.