Auf meinem Weg nach draußen zum Parkplatz bemerkte ich Licht im Eckbüro des dritten Stockwerks und machte kehrt. Ich ging das Treppenhaus hoch und traf Chief Dooger bei der Spätschicht an.
Miles Dooger war fünfzig. Stämmig, rotes Gesicht. Er trug einen weißen Walrossschnurrbart, der sich zu einem breiten, umgedrehten U krümmte.
»Wen haben wir denn da? Meine Nummer eins«, sagte er, als ich im Türrahmen auftauchte.
In seinen Vierzigern hatte sich Miles einer Knieoperation unterzogen, die in die Hose gegangen war, weshalb er leicht hinkte. Er bewegte sich langsam um seinen Eichentisch herum und umarmte mich.
»Ich sah noch Licht brennen«, sagte ich. »Schwer beschäftigt?«
»Der übliche Papierkram.«
Vor zwei Jahren hatte Miles aufgehört, einer von uns zu sein, und war ins Management aufgestiegen. Ein Gottesgeschenk. Der Chef vor ihm war ein guter Cop gewesen, aber eine grottenschlechte Führungskraft, egal, ob es um Menschen oder die Ausrüstung ging.
Was mich betraf, schadete es außerdem nicht, einen Boss zu haben, an dessen Seite ich gedient hatte. Einen Freund ganz oben.
Miles war permanent mit dem Versuch beschäftigt, diverse der Polizeiarbeit zuträgliche Betriebe in Mason Falls zu etablieren. Sein letzter Vorstoß galt einem künftigen Bundeskriminallabor mit Standort an der I-32.
»Fährst du nach Hause?«, fragte er.
Ich nickte. »Bin gerade mit der Gerichtsmedizin durch.«
»Ah«, sagte Miles. »Die entzückende Sarah.«
Ich ging nicht auf Miles’ Anspielung ein, sondern stattdessen auf den Stand der Dinge im Fall Kendrick Webster. Die Anhaltspunkte dafür, dass man ihn bei lebendigem Leibe verbrannt hatte. Die Indizien für Folter.
Miles hörte, an die Tischkante gelehnt, zu. Als mein Mentor war er schon immer ein »Erst denken«-Detective gewesen. Wenn ich irgendwas Grauenhaftes schilderte, reagierte er zurückhaltend. Bedächtig und abwägend.
»Und? Worauf sind Mom und Dad deiner Meinung nach aus?«, fragte er mit nachdenklicher Miene.
»Dad will Gerechtigkeit«, sagte ich. »Mom Rache.«
Miles erhob sich.
»Tja, zum einen ist da das, was die Familie will. Zum anderen das, was das Gemeinwesen braucht. Du hast nicht vor, den Eltern zu erzählen, dass ihr Sohn lebendig verbrannt wurde, oder?«
»Noch nicht.« Ich schüttelte den Kopf. Da war auch noch der Strick. Der Lynchmord. Wir bauten inzwischen einen amtlichen Vorrat an Einzelheiten auf, bei denen wir uns entschieden bedeckt hielten.
Miles stopfte seine Sachen in eine lederne Satteltasche. »Ich begleite dich raus«, sagte er, und wir machten uns zum Fahrstuhl auf.
Drinnen wandte er sich mir zu. »Was ich sagen will, ist … Stell dir den bestmöglichen Ausgang vor, und vielleicht, so Gott will, kriegen wir den auch hin.«
Als politischer Stratege war Miles undurchschaubar. »Und das soll heißen?«, fragte ich.
»Du findest den Mistkerl, der das getan hat.« Er zuckte die Achseln. »Vielleicht treibst du ihn in die Enge. Er ist am Zug und langt nach seiner Knarre. Und du erwischst ihn. Beide Eltern bekommen, wonach sie verlangen.«
Die Fahrstuhltür öffnete sich, und wir gingen raus zum Parkplatz.
Konnte es wirklich so einfach sein, wie Miles es beschrieben hatte?
Plötzlich kam mir in den Sinn, was Abe mir über Reverend Webster und dessen Besuch beim Boss berichtet hatte. Sein Ziel war, mich vom Fall abzuziehen, aber der Chief hatte nichts davon erwähnt.
»Miles«, sagte ich. »Ich habe gehört, der Vater hat dich aufgesucht …«
Miles winkte ab, bevor ich den Satz beenden konnte. »Mach dir deswegen keine Sorgen.«
Wir kamen an Miles’ Audi an.
»Jules«, sagte der Boss, womit er von seiner Frau sprach. »Sie sagt, sie hätte dich per drei- oder viermal zum Abendessen eingeladen, aber du würdest nie antworten.«
»Es ist zu schwer, die Kinder um mich zu haben«, sagte ich. »Tut mir leid.«
Miles warf seine Tasche in die Limousine. »Du bleibst auf Draht?«, fragte er.
Was ich als »Du bleibst trocken?« auffasste.
»Natürlich«, log ich.
»Gut.« Er klopfte mir auf die Schulter und öffnete die Wagentür. »Arbeit ist eine gute Ablenkung. Schlaf allerdings auch. Vergiss nicht, genug zu schlafen, «