Um Mitternacht kam ich zu Hause an und setzte mich auf die Veranda.
Purvis wanderte auf dem Rasen umher, hockte sich nieder und gab sich alle Mühe, die um das echte Gras sprießende Bluthirse zu vernichten.
Die Dezembernachtluft war kalt, und ich dachte über die Hesters und das Verbrechen von 1993 nach.
War es möglich, dass jemand von dem alten Fall mit dem Tod von Kendrick Webster in Verbindung stand? War es möglich, dass jemand meinen Schwiegervater durch die Nennung meines Namens zu einem Kampf provoziert hatte?
Ich hörte fortwährend Marvins Stimme in meinem Kopf. »Sie haben gesagt, du wärst ein Säufer wie ich.«
Ich stand auf, ging ins Haus, öffnete den Küchenschrank rechts neben dem Kühlschrank und griff mir eine Flasche Johnnie Walker, deren Inhalt ich in die Spüle goss.
Dahinter standen zwei Flaschen Wein, die ich ebenfalls ausschüttete.
»Gut«, sagte ich laut.
Ich schaute mich um. Die Wohnfläche des Hauses war einschließlich der Küche offen gestaltet, mit Küche und Esszimmer als einem einzigen großen Raum.
Auf Lenas antikem Eichenholzesstisch stapelte sich Post, zu deren Bearbeitung ich noch nicht gekommen war. Überwiegend überfällige Rechnungen.
Ich hörte hinter mir ein Geräusch und drehte mich um. Es war Purvis, der in die Küche dackelte. Er schaute an mir vorbei zu den leeren Flaschen auf dem Küchentresen.
knurrte Purvis.
Ich wandte mich wieder um und betrat den Essbereich. Lugte in eine braune Tüte unter dem Tisch. Darin befand sich eine halb leere Flasche Belvedere-Wodka. Außerdem eine noch zu einem Fünftel gefüllte Flasche Bacardi. In den Ausguss damit.
Ich ging raus zur Garage und entdeckte eine Billigmarke Tequila. Und weg.
Ein paar Fingerbreit Knob-Creek-Bourbon. Trockengelegt.
Ich fand einen Sechserpack Miller und wiederholte die Prozedur. Eine Flasche Cuervo auf einem Schlafzimmerregal. Eine halbe Flasche Dewar’s war unter Jonas’ Bett gerollt, in dem ich gelegentlich die Nacht verbrachte.
Ich sah zu, wie die Braunen und Klaren über rostfreien Stahl strudelten, und ihr scharfer Geruch stach mir in die Nase. Allein der Duft war berauschend.
Kamchatka. Patrón. Irgendein ausschließlich auf Russisch beschrifteter Wodka. Ich schleppte sie alle in die Küche. Geriet bei einem wirklich guten Rum ins Zögern, kippte aber auch ihn weg.
Die Alkoholschwaden durchzogen das gesamte Haus, und als ich fertig war, standen zehn Bierdosen und zwanzig leere Wein- und Schnapsflaschen auf der Arbeitsfläche.
Ich packte sie in zwei Müllbeutel und trug sie raus zu den Abfalltonnen. Schnappte mir Purvis und ging mit ihm ohne Leine die Straße runter.
Einige Türen weiter grenzte ein Nachbarhaus an einen kleinen Teich, und ich betrachtete das Leben spendende Wasser und fragte mich, ob ich es einen Tag ohne Alkohol aushalten würde. Die Luft, die vom Tümpel herüberwehte, roch nach altem Brot und Entenscheiße, und die Stiefmütterchen, die um den Rand herumwuchsen, sahen wie verblichene Papiertaschentücher aus. Die Pflanzen wurden von innen heraus gefressen, das Ergebnis von Gitterwanzen oder schlechter Sonnenverträglichkeit oder irgendeines bodenbürtigen Pilzes, der ebenso Teil des Ökosystems war wie die Pflanzen selbst.
Wir spazierten zurück, und ich kletterte mit Purvis ins Bett.
Den größten Teil der Nacht über schlotterte ich am ganzen Leib, war allerdings zu müde, um zu kontrollieren, ob ich ein Fenster offen gelassen oder mir eine Erkältung eingefangen hatte.
Um sechs Uhr morgens konnte ich nicht länger leugnen, keinen Schlaf zu finden, weshalb ich aufstand, duschte und in Sakko, Hemd und graue Hose schlüpfte. Wenn es stark regnet, sieht meine Frisur mitunter nach Dauerwelle aus, und da ich mein Haar nicht kämme, brachte ich ein bisschen Form rein. Und rasierte mich. Dann brach ich auf, um Tripp Unger von Harmony Farms zu besuchen.
Als ich Ungers Grundstück erreichte, bremste ich meinen Truck ab.
Vor vier Tagen hatten wir dort einen Streifenwagen postiert, um die Medien fernzuhalten.
Ich rollte neben Officer Winston Lamars Wagen, und er kurbelte die Scheibe runter.
Lamar war Anfang dreißig und trug eine blonde Stachelfrisur. Rote Aknepickel sprenkelten das Kinn und die Stirn.
»Wie steht’s, Blaumann?«, fragte ich.
»Doppeltes Geld für den Friedhof.« Er zuckte die Achseln. »Kann mich nicht beschweren.«
»Haben Sie den Farmer im Auge behalten?«
»Ja, aber es passiert nicht viel«, sagte Lamar. »Um fünf wurden irgendwelche neuen Geräte geliefert und abgeladen, aber darüber wusste ich Bescheid. Die Frau des Farmers kam gegen Mitternacht und hat mich informiert, dass damit zu rechnen wäre.«
»Was für Geräte?«
»Da war ein Bagger«, sagte er. »Eine Grabenfräse. Noch ein paar andere. Manche hat er bereits in Betrieb genommen.« Er deutete zum Anwesen hinüber.
Ich dachte über Unger nach. Vor wenigen Tagen war er so abgebrannt gewesen, dass es nicht mal für einen Fingerhut Löschwasser gereicht hätte, und jetzt das hier?
Mein Kopf war Experte für Worst-Case-Szenarien, und ich malte mir eines davon aus. Ein Großgrundbesitzer, der Geld brauchte. Der die Geschichte eines schwarzen Jungen verkaufte, der auf seinem Land den Flammentod gestorben war.
Ich ließ den Streifenwagen hinter mir und fuhr die Schotterstraße hinauf.
Als ich Ungers Haus passierte, sah ich eine gigantische Maschine, die sich hin- und herdrehte. Es war ein gelber Grabenbagger mit einem schwarzen Streifen an der Seite. Das Fahrzeug war an beiden Enden mit einer Schaufel bestückt, dazwischen thronte das Führerhaus.
Es nieselte, und ich parkte in einer Schlammschneise. Unger winkte und stellte den Bagger ab.
»Detective«, sagte er. Der Farmer stieg aus der Fahrerkabine des Baggers. Ich erklärte ihm, ich hätte noch ein paar Fragen.
»Schießen Sie los«, sagte Unger. Er trug ein Flanellhemd mit braunem Schachbrettmuster unter einer wattierten orangenen Weste.
»Kennen Sie Talmadge Hester?«
»Den von Hester Pfirsiche? Na klar«, sagte er. »Wir stehen uns nicht besonders nahe, aber die Landwirtschaft von Georgia ist nicht besonders groß. Warum?«
»Wahrscheinlich ist es gar nichts«, sagte ich. »Aber besuchen die Hesters denselben Gottesdienst wie Sie, draußen beim Sediment Rock?«
»Jawohl.«
»Und was war letzten Sonntag, als es brannte? Haben Sie die Hesters da auch gesehen?«
»Nun ja, Talmadge ist jeden Sonntag dort. Dieser Tage begleitet ihn sein Ältester, Wade, der auch für ihn arbeitet. Ich hab also Talmadge und Wade gesehen.«
Mir fiel der Sprühfliegerpilot ein, den Unger verklagt hatte. »Und Sie alle kommen miteinander klar – Sie und die Hesters? Die hätten keinen Anlass, hier ein Feuer zu legen?«
Unger lächelte. »Im Landwirtschaftsgewerbe bin ich das, was man einen kleinen Fisch nennt, Detective. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt viel über mich nachdenken.«
»Verstehe«, sagte ich.
»Tatsächlich reden wir in der Kirche kaum miteinander«, sagte Unger. »Ich bin einer der Kirchendiener, da gab es gelegentlich Probleme mit seinem Jungen. Störte den Gottesdienst oder tauchte betrunken dort auf.«
»Wade?« Ich blinzelte.
»Nein, der jüngere Hester-Sohn. Buschiger brauner Bart. Ungefähr in Ihrem Alter.«
Dathel Mackey hatte davon gesprochen, an dem Tag, an dem Kendrick verschwunden war, einen bärtigen Mann bei der First Baptist gesehen zu haben. Sie hatte ihn »den Jäger« genannt.
»Ich glaube, sein Name ist Matthew«, sagte Unger.
Ich notierte mir das und sah dann flüchtig zu der Stelle hinüber, an der Unger gegraben hatte. Der Farmer hatte dreißig Meter Graben ausgehoben, erst mit dem großen Bagger und dann einen dünneren und tieferen Kanal mit der Mikrograbenfräse.
»Wie tief ist das – zweieinhalb Meter?«, fragte ich und schaute in den Graben.
»Drei«, antwortete Unger.
sagte Purvis.
Ich wandte den Blick vom Graben und sah Unger an. »Meine Kollegin und ich sagten Ihnen neulich, dass eventuell Leute vom Fernsehen auf Sie zukommen und Ihnen bares Geld anbieten würden, damit Sie ihnen erzählen, was passiert ist.«
Unger schien zu kapieren, worauf ich hinauswollte, denn er hob die Hand. »Es ist nicht so, wie Sie denken, Detective. Ein paar Typen kamen vorbei, nachdem Sie weg waren. Aber diese Kerle waren keine Reporter. Sie haben im Verlauf des letzten Monats durch die Hälfte dieses Tals Rohre verlegt und schließlich entschieden, dass es zu teuer wäre, sie um mein Land herum zu verlegen.«
»Was kommt in den Graben?«
»Irgendeine Breitbandfaser.« Unger zuckte mit den Schultern. »Sie wollten mit ihrem eigenen Team anrücken, doch in Anbetracht des Feuers und so wollte ich keine Fremden auf meinem Grundstück.«
»Tja, schön für Sie«, sagte ich. »Ich weiß, dass Ihre Leute eine harte Zeit hatten. Hilft Ihnen so was einigermaßen aus der Klemme?«
»Sagen wir einfach, dass ich in vier Tagen Grabenziehen meine jährlichen Betriebskosten einfahre«, erläuterte Unger. »Und das Gleiche jedes darauffolgende Jahr.«
Ich stieß einen Pfiff aus. Das war tatsächlich ein warmer Regen.
Er erklärte mir, dass es ihm möglich sein würde, nun sein komplettes Land zu bewirtschaften. Sogar die verbrannten Areale.
»Ich bin heute Morgen hingegangen, um mir den Ackerboden anzuschauen«, sagte Unger. »Wissen Sie, der Junge war nicht das einzige Todesopfer. Ein Lamm ist verbrannt.«
»Eines Ihrer Tiere?«, wollte ich wissen.
»Nee. Unter normalen Umständen wäre ich davon ausgegangen, dass es sich auf meinen Grund und Boden verirrt hätte, aber die nächste Farm mit Nutzvieh liegt sechs Meilen entfernt. Daher kann das kaum hinkommen.«
Unger zog sein Handy hervor und zeigte mir ein Foto. Es war ein verbranntes Tier, doch irgendwas stimmte nicht damit.
Ich starrte es an, ohne recht zu wissen, was ich davon halten sollte.
»Fehlt der Kopf?«
»Ja«, sagte er. »Seltsam, oder?«
Ich fuhr schließlich zum Revier zurück und hielt mich nicht damit auf, nach oben in mein Büro zu gehen, sondern ließ mir von einem Beamten am Empfang die Infos über den jüngeren Hester-Bruder ausdrucken.
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Auf seinem Führerscheinfoto trug Matthew Hester einen struppigen Bart, der ihm weit übers Kinn hing. Ich sah mir seine Beschreibung an. Einen Meter fünfundsiebzig groß. Zweiundsiebzig Kilogramm schwer. Dem Foto nach mit dem Körperbau eines drahtigen Sportlertypen ausgestattet.
Falls Matthew Hester etwas mit Virgil Rowe oder Cory Burkette zu tun hatte, würde das eine ganze Reihe von Anhaltspunkten miteinander verknüpfen. Die beiden Bezirke, Mason Falls und Shonus. Die beiden Zeiträume, ’93 und jetzt.
Ich griff nach meinem Telefon und schickte Remy eine , obwohl sie offiziell beurlaubt war.
Bist du da? Will ein paar Gedanken mit dir austauschen.
Während ich auf eine Antwort wartete, checkte ich in der Poststelle meinen Eingangskorb und sah, dass mir Captain Sugarman aus Shonus eine von mir angeforderte Akte geschickt hatte.
Ihr Gegenstand war Brian Menasco, der junge Mann, der des Verbrechens von 1993 für schuldig befunden worden war. Der Junge, der für den Mord an Junius Lochland ins Gefängnis gegangen war. Menasco war seinerseits ein paar Jahre später bei einer Knastschlägerei getötet worden und hatte seine Strafe dementsprechend nicht vollständig abgesessen, weshalb die Akte ziemlich dünn war.
Detective Berry kam mit einem Starbucks-Kaffee in der Hand vorbei. Er war in Zivil. Ein Polohemd spannte sich über seinen prallen Bauch.
»Hab nach dir gesucht«, sagte er und setzte ein dämliches Grinsen auf. »Wir waren dabei, einen Fahndungsaufruf rauszuschicken.«
»Was kann ich für dich tun, Merle?«
»Wir haben da eine Dame oben. Sie hat Abe sprechen wollen, aber er sitzt wegen der Schießerei seit zwei Stunden beim Seelenklempner. Ich habe einen Phantombildzeichner zu ihr geschickt.«
Berry war eigentlich Abes Partner, und seine Aktion bewies, dass er auf dem Posten war, wenn es galt, ihn zu vertreten.
»Danke«, sagte ich. »Aber vielleicht kann ich ihr stattdessen ein Bild zeigen.« Ich hielt das Foto von Matthew Hester in die Höhe. »Ist es eine Schwarze? Um die siebzig? Arbeitet bei der First Baptist?«
Berry schüttelte den Kopf. »Nein, es handelt sich um eine Latina in den Sechzigern. Wohnt in einer der Straßen mit Nummern. Hat in der Nacht, in der dein Neonazi totgeschlagen wurde, jemanden rumschleichen sehen.«
Verdammt, dachte ich. Es war Martha Velasquez. Die Frau, die mich beobachtet hatte, wie ich bei Virgil Rowe reinging.
»Sie ist jetzt gerade hier?«
»Sitzt mit einem Zeichner oben in deinem Büro«, sagte Berry. »Deswegen habe ich den Witz mit dem Fahndungsaufruf gerissen.«
»Wieso?«, fragte ich Berry. Ich konnte ihm nicht folgen.
»Tja, die Zeichnung ist erst zur Hälfte fertig«, sagte er. »Aber sie sieht stark nach dir aus. Ich und Vannerman von der Streife meinten, dass wir unseren Mann, wenn wir ihn aufgespürt haben, bei der Gegenüberstellung mit konfrontieren sollten. Du weißt schon, zum Spaß.«
»Klar«, sagte ich. »Sehr lustig.«
sagte Purvis.
Mein Handy summte. Remy simste zurück.
Komme vorbei.
Ich sah nach unten. Vergewisserte mich, dass man mein Herz nicht durchs Hemd pochen sah.
»Da ist noch etwas.« Berry blätterte durch seine Aufzeichnungen. »Hier«, sagte er, als er das entsprechende Dokument gefunden hatte. »Abe hat die Nachbarstädte nach Festnahmen durchforstet. Ein Typ mit StormCloud-Tattoos. Das hier kam vom Macon .«
Berry überreichte mir ein Vorstrafenregister, und ich heftete meinen Blick auf den Namen, der auf dem Deckblatt stand.
»Donnie Meadows«, las ich laut.
Er schaute mich an, und ich zuckte mit den Schultern.
»Er trägt das Wort StormCloud auf seinem linken Bizeps.«
Ich schlug den Aktenordner auf und starrte auf Donnie Meadows’ erkennungsdienstliches Polizeifoto.
Meadows war der Kleiderschrank, dem ich letzte Nacht vor dem Anwesen der Hesters begegnet war. Er war Mitglied von StormCloud, desselben Hassvereins, dem auch Virgil Rowe angehört hatte.
»Du kennst ihn?«, fragte Berry. »Ein ziemlicher Riese. Den Angaben zufolge über zwei Meter groß.«
In der Akte wurde Meadows als Mensch gemischter Abstammung beschrieben. Halb Samoaner, halb Deutscher. Sein Schädel war rasiert, und er hatte eine breite Knollennase mit ausladenden Nüstern. Auf der Fotografie sah er nicht aus wie jemand, mit dem man sich gerne anlegte.
»Ich habe ihn irgendwo schon mal gesehen«, sagte ich.
Bei den Hesters in Shonus County war ich neugierig gewesen, ob noch andere Verbindungen zwischen 1993 und der Gegenwart bestanden, außer der Tatsache, dass sie und Unger dieselbe Kirche besuchten.
Und jetzt gehörte jemand, der sich vor ihrem Herrenhaus herumgetrieben hatte, zur selben Nazi-Truppe wie Virgil Rowe?
Ich hatte da etwas aufgetan. Ich wusste nur nicht, was.
Gleichzeitig schlitterte ich gefährlich darauf zu, selbst mit dem Mord an Virgil Rowe in Verbindung gebracht zu werden.
»Wir sehen uns oben«, sagte Berry. »Die Frau in deinem Büro …?«
Ich verspürte das dringende Verlangen, davonzurennen. In meinen Wagen zu springen und Georgia, so schnell ich konnte, hinter mir zu lassen.
Genauso stark war mein Verlangen nach einem Drink.
Aber noch eine andere Sache ging mir nicht aus dem Kopf. Das Wort »Riese«, das Berry gerade benutzt hatte. Dieselbe Bezeichnung hatte ich vor zwei Tagen gehört – hier in Mason Falls, in der Gefängniszelle, von diesem irren Spinner.
»Ja«, sagte ich zu Berry. »Ich komme gleich nach.«
Berry verschwand, und ich eilte die Stufen zum Kellergeschoss hinab, wo sich die Zellen befanden. Stieß auf den diensthabenden Beamten.
»Hier war ein Kerl«, sagte ich. »Ist mir gegenüber halb durchgedreht. Langte durch die Gitterstäbe und hat versucht, mich zu packen. Ich glaube, er hieß Bernard Kane.«
»Stimmt«, sagte der Wachpolizist.
»Ich müsste dringend mit ihm reden.«
Der Polizist verzog das Gesicht. »Schlechte Nachrichten, Bei unserem Sieben-Uhr-Kontrollgang haben wir Mr Kane tot in seiner Zelle gefunden.«
Ich verzog das Gesicht. »Was?«
»Er hat sich erhängt. Seine Leute sind vor einer Stunde hier gewesen, um die Leiche abzuholen.«
»Bist du sicher, dass es derselbe Typ ist?«, fragte ich. »Sakko? Jeans? Roch nicht gut?«
Der Officer nickte.
»Was meinst du damit, sie haben die Leiche abgeholt?«, hakte ich nach. »Es sollte eine Autopsie geben. Eine Untersuchung. Wir sehen die Kameraaufnahmen ein …«
»Die Familie hat darauf bestanden«, sagte der Polizist.
»Wen interessiert, worauf sie besteht?«
Der Polizist hob die Hand, als wollte er sagen.
»Ihr Anwalt kreuzt mit einem Schriftstück auf, «, fuhr er fort. »Anscheinend spricht es die Polizei von jeglicher Mitschuld an Kanes Tod frei – wenn dafür die Leiche unverzüglich freigegeben wird. Der Chief hat bei den Anwälten der Stadtverwaltung nachgehakt, und sie meinten, wir wären Idioten, wenn wir nicht unterschreiben, nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass der Kerl gewissermaßen unter unseren Augen ums Leben gekommen ist.«
Ich lehnte mich gegen die Wand. »Hast du Protokoll über Kanes Besuche geführt?«
»Klar«, sagte der Beamte.
Er zog den Wisch hervor, und ich sah, zu welcher Uhrzeit der Anwalt eingetroffen war. Morgens um zwanzig nach sieben. Wie konnte er die Vereinbarung so schnell fertig haben?
Ich schlug die Seite davor auf. Derselbe Name stand auch am vorangegangenen Abend im Protokoll, als Kane noch am Leben war. Lauten Hartley. Derselbe Anwalt hatte ihm vorher einen Besuch abgestattet.
Was zum Teufel war hier los? Und was hatte all das mit Kendrick zu tun?