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Vor dem neuen Tag
Fünf Minuten nachdem Alec und Magnus sich getrennt hatten, beobachtete Alec, wie Magnus seine Hand in einen Käfig voller giftiger dämonischer Affen mit scharfen Krallen schob. Alec umfasste das Heft seiner Seraphklinge, hielt sich aber zurück.
Er war auf dem Schattenmarkt und wusste, dass hier andere Regeln galten.
Glücklicherweise begnügte Magnus sich damit, eine der knurrenden Kreaturen mit einer unbekümmerten beringten Hand zu streicheln. Dann schlenderte er weiter und steuerte auf einen anderen Marktstand zu, vor dem eine Gruppe verärgerter Werwölfe demonstrierte.
»Beendet die Unterdrückung von Werwölfen durch die Untoten!«, rief eine Lykanthropin und schwenkte ein Schild, auf dem SCHATTENWELTLER VEREINIGT EUCH! stand. Magnus nahm ein Flugblatt und lächelte die Werwölfin an, die ihm wie geblendet nachschaute. Magnus hatte diese Wirkung auf andere Leute. Alec erinnerte sich an den Blick, den der Blutsommelier Magnus zugeworfen hatte. Bevor er selbst Magnus kennengelernt hatte, hatte er ebenfalls gelegentlich einen nervösen Blick in Richtung anderer junger Männer riskiert – Jace, Schattenjäger, die das Institut besuchten, oder Irdische in den geschäftigen
Straßen von New York. Inzwischen hatte Alec allerdings Schwierigkeiten, andere Anwesende überhaupt wahrzunehmen, sobald er sich gemeinsam mit Magnus in einem Raum befand. Hatte Magnus immer noch Augen für gut aussehende Männer oder eine schöne Frau? Alec verspürte ein nervöses Kribbeln bei dem Gedanken, wie viele Menschen sich freuen würden, wenn Alec diesen Beziehungstest vermasselte.
Er zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht und folgte Magnus in einigem Abstand.
Magnus hatte sich den Kräuterständen zugewandt und tätigte dort mehrere Geschäfte. Danach blieb er stehen und fragte eine Elfe mit violettem Haar nach Gold als Futter für seinen Basilisken. Als Nächstes ging er zum gegenüberliegenden Stand und verbrachte eine gefühlte Stunde damit, um etwas zu feilschen, das verdächtig nach Menschenhaar aussah.
Alec vertraute darauf, dass Magnus wusste, was er tat. Magnus musste sich nicht groß anstrengen, um Selbstbewusstsein auszustrahlen, und vermittelte immer den Eindruck, er hätte die Situation im Griff – auch wenn das Gegenteil der Fall war. Es handelte sich um eine der Eigenschaften, die Alec an Magnus am meisten bewunderte.
Als Magnus sich wieder in Bewegung setzte, schlich Alec durch die parallel verlaufende Straße. Er blieb weit genug zurück, um keinen Verdacht zu erregen, war aber trotzdem nur fünf schnelle Sprünge von Magnus entfernt. Dabei behielt er nicht nur seinen Freund im Auge, sondern alle in dessen Umgebung – von der Gruppe Dryaden, die Magnus in ihr Zelt locken wollten, bis zu der dürren jungen Taschendiebin mit der Dornenkrone auf dem Kopf, die Magnus mit nicht ganz so unschuldigen Absichten folgte.
Als das Mädchen in Aktion trat, reagierte Alec blitzschnell und bekam ihre klebrigen Finger gerade noch zu fassen, bevor sie in Magnus’ Tasche glitten. Mit einer raschen Bewegung zog
er das Mädchen so schnell zwischen zwei Stände, dass es niemand bemerkte.
Das Elfenmädchen entwand sich seinem Griff so heftig, dass einer seiner Handschuhe herunterrutschte und sie seine Runenmale sehen konnte. Ihr hellgrüner Teint verlor sämtliche Farbe und schimmerte grau.
»Je suis désolée
«, flüsterte sie … und fügte auf Alecs verständnislosen Blick hinzu: »Es tut mir leid. Bitte lass mich gehen! Ich verspreche, ich mach’s nicht wieder.«
Das Mädchen war so dünn, dass Alec ihr Handgelenk mit Daumen und Zeigefinger umfassen konnte. Das Alter von Feenwesen entsprach selten ihrem Aussehen. Diese Elfe hier sah jedoch so jung aus wie sein Bruder Max, der im Krieg getötet worden war. Schattenjäger sind Krieger
, sagte sein Vater immer. Auch wenn wir verlieren, kämpfen wir weiter.
Max war zu jung zum Kämpfen gewesen – und würde es jetzt nie lernen. Alec hatte sich schon immer Sorgen um seine Schwester und seinen Parabatai
gemacht, die beide waghalsig und furchtlos waren. Er war immer verzweifelt darum bemüht gewesen, sie zu schützen. Dabei war es ihm nie in den Sinn gekommen, dass er auch auf Max hätte achten müssen, um ihn zu beschützen. Er hatte seinen kleinen Bruder im Stich gelassen.
Max war fast genauso dünn gewesen und hatte, genau wie dieses Mädchen, immer zu ihm hochgestarrt, die Augen unnatürlich groß hinter der Brille.
Alec rang einen Moment lang um Atem und wandte den Blick ab. Das Mädchen versuchte nicht, die Gelegenheit zu nutzen, um sich aus seinem gelockerten Griff zu befreien. Als er wieder zu ihr schaute, starrte sie ihn noch immer an.
»Äh, Schattenjäger, alles in Ordnung?«, fragte sie.
Alec schüttelte sich, um seine Benommenheit loszuwerden. Schattenjäger kämpfen weiter
, hörte er seinen Vater sagen
.
»Alles in Ordnung«, versicherte er dem Mädchen mit leicht heiserer Stimme. »Wie heißt du?«
»Rose«, antwortete sie.
»Hast du Hunger, Rose?«
Die Unterlippe des Mädchens zitterte. Sie versuchte wegzulaufen, doch er hielt sie an ihrem Hemd fest. Sofort schlug sie auf seinen Arm ein und schien ihn gerade beißen zu wollen, als sie die Geldscheine in seiner Hand sah.
Alec gab sie ihr. »Kauf dir davon etwas zu essen.« Kaum hatte er seine Hand geöffnet, waren die Scheine auch schon verschwunden. Statt sich zu bedanken, nickte sie nur und rannte davon. »Und hör auf zu stehlen!«, rief er ihr nach.
Jetzt war das Geld weg, das er dabeigehabt hatte. Als er das New Yorker Institut mit der Reisetasche über der Schulter verlassen hatte, hatte seine Mutter ihn zur Tür gebracht und ihm Geld in die Hand gedrückt, obwohl er versucht hatte, es abzulehnen.
»Geh und werd glücklich«, hatte sie gesagt.
Alec fragte sich, ob ihn das Elfenmädchen hereingelegt hatte. Sie hätte gut Hunderte von Jahren alt sein können. Und Feenwesen waren schließlich dafür bekannt, dass es ihnen großes Vergnügen bereitete, Sterbliche hereinzulegen. Doch dann beschloss er, seinem ersten Eindruck zu trauen – das Mädchen war nur ein ängstliches, hungriges Kind. Und die Tatsache, dass er ihr geholfen hatte, machte ihn glücklich – womit er das Geld für einen guten Zweck ausgegeben hatte.
Seinem Vater hatte die Vorstellung, dass Alec mit Magnus nach Europa reisen würde, nicht gefallen.
»Was hat er dir über uns erzählt?«, hatte er gefragt und war wie ein verstörtes Tier in Alecs Zimmer auf und ab gelaufen.
Seine Eltern waren früher Anhänger von Valentin und dessen Kreis gewesen – jenem bösartigen Schattenjäger, der den letzten Krieg angezettelt hatte. Alec nahm an, dass Magnus ihm ein paar
Geschichten über Maryse und Robert Lightwood hätte erzählen können, wenn er gewollt hätte.
»Nichts«, hatte er wütend geantwortet. »So ist Magnus nicht.«
»Und was hat er dir über sich selbst erzählt?«, fragte Robert weiter. Und als Alec schwieg, fügte er hinzu: »Auch nichts, vermute ich.«
Alec wusste nicht, welchen Gesichtsausdruck er in diesem Moment gehabt hatte, wie furchtsam er vielleicht ausgesehen hatte, doch die Züge seines Vaters waren weicher geworden.
»Hör zu, mein Sohn, du kannst nicht ernsthaft glauben, dass das alles eine Zukunft hat«, sagte er. »Nicht mit einem Schattenweltler – oder einem Mann. Ich … ich verstehe, dass du das Gefühl hast, dir selbst treu bleiben zu müssen. Aber manchmal ist es das Beste, Vernunft anzunehmen und einen anderen Weg einzuschlagen, auch wenn die … Versuchung groß ist. Ich will nicht, dass dein Leben komplizierter wird als unbedingt nötig. Du bist so jung und weißt nicht, wie die Welt wirklich ist. Ich will nicht, dass du unglücklich wirst.«
Alec starrte ihn an.
»Und wie genau sollen Lügen mich glücklich machen? Vorher war ich nicht glücklich, aber jetzt schon.«
»Wie kannst du nur glücklich sein?«
»Es macht mich glücklich, nicht länger lügen zu müssen«, erwiderte Alec. »Magnus macht mich glücklich. Es ist mir egal, ob mein Leben dadurch kompliziert wird.«
Trauer und Sorge standen seinem Vater ins Gesicht geschrieben. Alec hatte sich sein ganzes Leben lang davor gefürchtet, diesen Gesichtsausdruck bei ihm hervorzurufen. Er hatte sich so viel Mühe gegeben, genau das zu vermeiden.
»Alec«, hatte sein Vater geflüstert. »Ich will nicht, dass du gehst.«
»Dad«, hatte Alec gesagt. »Ich gehe.
«
Eine Reflexreaktion riss ihn aus seinen Erinnerungen: Aus dem Augenwinkel hatte er Magnus’ roten Samtblazer in der Ferne wahrgenommen. Hastig kehrte er in die Gegenwart zurück und lief in die Richtung, in die er das Jackett hatte verschwinden sehen.
Während er zu ihm aufholte, sah er, wie Magnus hinter einer Reihe von Ständen in eine dunkle Gasse einbog und wie kurz darauf eine Gestalt in einem Umhang aus einem Versteck hervorkam und Magnus vorsichtig nachging.
Alec blieb keine Zeit, um den beiden langsam zu folgen. Er konnte Magnus schon nicht mehr sehen und würde auch bald die verhüllte Gestalt aus den Augen verlieren. Entschlossen rannte er los, drückte sich zwischen einem Vampir und einer Peri hindurch, die einander mitten auf dem Weg umarmten, und schob eine Gruppe Werwölfe beiseite, die gerade einen Joint kreisen ließen. Er erreichte den Eingang der Gasse und presste seinen Rücken gegen die Wand. Vorsichtig spähte er um die Ecke und sah die Gestalt, die sich in der Mitte der Gasse auf Magnus’ ungeschützten Rücken zubewegte.
Alec legte einen Pfeil auf seinen Bogen und schob sich in die Gasse.
Dann sagte er, gerade laut genug, dass seine Stimme trug: »Keine Bewegung! Dreh dich langsam um!«
Die verhüllte Gestalt erstarrte und streckte langsam die Hände seitlich aus, als wollte sie seinem Befehl Folge leisten. Alec näherte sich ihr zentimeterweise und bewegte sich dabei leicht nach links, um das Gesicht der Person besser sehen zu können. Er hatte gerade einen Blick auf ein schmales Kinn erhascht – menschlich, eine Frau, wie es schien, mit leicht gebräunter Haut – , als sich die Gestalt blitzschnell und mit ausgestreckten Fingern zu ihm umdrehte. Alec stolperte rückwärts, als er mit voller Wucht von einem grellen Blitz getroffen wurde, dessen weißes Licht ihm vorübergehend die Sicht nahm. Nur
der Schatten der Frau überlagerte wie ein dunkler Stempelabdruck das Gleißen. Geblendet schoss er den Pfeil ab, im Vertrauen darauf, dass er dank seines Trainings in der Lage war, präzise zu zielen. Der Pfeil war schon im Begriff, sein Ziel zu treffen, als die Frau auf unerklärliche Weise verschwamm und sich aus der Flugbahn des Pfeils entfernte. »Verschwimmen« war der einzige Begriff, mit dem sich das Phänomen beschreiben ließ. Einen Augenblick zuvor war Alecs Pfeil noch auf sie zugeflogen, doch in der nächsten Sekunde hatte ihre Silhouette sich so verzogen und gedehnt, dass sie plötzlich an der gegenüberliegenden Mauer der Gasse stand.
Die Frau verschwamm erneut und tauchte direkt neben ihm wieder auf. Alec machte einen Satz und konnte gerade noch der Klinge eines Schwertes ausweichen, das auf ihn zusauste. Einen weiteren Angriff blockte er mit seinem Bogen ab. Mit Adamant
behandeltes Holz traf klirrend auf Metall. Noch immer halb blind schwang Alec seinen Bogen tief, erwischte die Fußgelenke seiner Angreiferin und riss sie von den Füßen. Dann hob er den Bogen hoch in die Luft und wollte ihn gerade auf ihren Kopf niedersausen lassen, als sie wieder verschwamm und diesmal am Eingang der Gasse erschien.
Ein Windstoß in ihrem Rücken riss ihren Umhang zur Seite und klappte einen Teil ihrer Kapuze nach hinten, sodass ihre linke Gesichtshälfte im Licht der Straßenlaterne sichtbar wurde: Die Frau hatte dunkelbraune Augen und schmale Lippen. Glattes, schulterlanges schwarzes Haar fiel ihr seitlich ins Gesicht und schmiegte sich um ihr Kinn. Bei der Waffe in ihrer Hand handelte es sich um ein koreanisches Samgakdo
-Schwert mit dreiseitiger Klinge, dafür geschaffen, dem menschlichen Körper irreparable Schäden zuzufügen.
Alec kniff die Augen zusammen. Obwohl das Gesicht der Frau menschlich wirkte, erschien ihm irgendetwas daran
eigenartig. Es war sein Ausdruck: Darin lag eine seltsame Leere, als würde sie fortwährend an einen Ort in weiter Ferne starren.
Das kreischende Geräusch von Metall, das auf Ziegelstein traf, ertönte hinter ihm und lenkte Alec für einen Sekundenbruchteil ab.
Die mysteriöse Frau nutzte diesen Moment: Sie hob ihr Schwert hoch über den Kopf, wobei sie Worte in einer Sprache rief, die Alec nicht verstand, und richtete die Waffe auf ihn. Orangefarbenes Licht schoss aus der Schwertspitze auf ihn zu, dann brach der Boden zu seinen Füßen auf und brachte ihn fast zu Fall. Blitzschnell sprang Alec zurück, zog einen weiteren Pfeil aus seinem Köcher und nockte ihn ein. Er zielte auf die Stelle, an der die Frau zuletzt gestanden hatte, doch sie war verschwunden.
Alecs Blick wanderte über den Eingang der Gasse und entdeckte dann seine Gegnerin, die auf einem Gebäudesims kauerte. Er schoss den Pfeil ab und rannte los, stürzte fast so schnell aus der Gasse hervor, wie der Pfeil fliegen konnte. Die Frau verschwamm und tauchte auf einem höheren Sims desselben Gebäudes wieder auf. Der Pfeil prallte klirrend gegen Stein. Die verhüllte Frau sprang, rollte sich anmutig über das Dach eines Marktstands ab, kam auf die Beine und rannte los. Und dann sprang sie von Stand zu Stand.
Sofort nahm Alec die Verfolgung auf, stürmte den Weg hinter den Marktständen entlang, sprang über Müllsäcke und Körbe voller Waren, über Seile, Stangen und Kisten. Die Frau war schnell, doch Alec gewann seine Geschwindigkeit aus der Kraft der Engel. Er holte auf.
Am Ende des Marktes kam die Frau nicht mehr weiter, verschwamm erneut und landete auf dem Boden. Erneut rief sie Worte in einer Dämonensprache, woraufhin die Luft vor ihr zu flimmern begann und aufriss. Die grobe Silhouette eines Portals zeichnete sich ab
.
Alec zog einen Pfeil hervor und hielt ihn zwischen den Fingern. Er stürzte sich auf die Frau, doch diese drehte sich in Erwartung eines Angriffs zu ihm um, sodass die scharfe Pfeilspitze stattdessen ihren Umhang durchbohrte und sie an der Seite eines Marktstandes fixierte.
»Hab dich.« Alec spannte seinen Bogen und richtete den Pfeil direkt auf sie.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
Misstrauisch behielt Alec ihre Waffe im Auge – was sich jedoch als Fehler erwies. Licht schoss aus ihrer anderen Hand, und Alec spürte nur noch, wie er abhob, zappelte und fiel. Er sah die Wand direkt auf sich zurasen und konnte seinen Körper gerade noch so drehen, dass seine Füße zuerst auftrafen. Dann machte er einen Salto rückwärts und landete in der Hocke im Schlamm.
Sofort schnellte er hoch und brachte reflexartig seinen Bogen, der auf wundersame Weise unbeschädigt geblieben war, wieder in Position. Doch die Frau – die Hexe
– war verschwunden. Nur die Überreste des Portals waren noch zu sehen, das sich schloss und verschwand. Alec drehte sich mit gespanntem Bogen einmal um die eigene Achse. Erst als er sicher sein konnte, dass die Angreiferin verschwunden war, entspannte er sich.
Diese Frau war eine Hexe, aber auch eine ausgebildete Kämpferin. Sie stellte eine ernsthafte Gefahr dar.
»Magnus«, stieß Alec hervor. Plötzlich wurde ihm klar, dass es keinerlei Garantie gab, dass die Hexe allein arbeitete. Was wäre, wenn sie versucht hatte, ihn von Magnus wegzulocken? Hastig kehrte er um, sprintete durch die Gasse hinter den Ständen, ohne sich die Mühe zu machen, irgendwelchen Gegenständen auszuweichen, sodass er Stangen zu Fall und Zelte zum Einsturz brachte. Die empörten Schreie der Leute vom Schattenmarkt begleiteten ihn auf seinem Weg.
Dem Erzengel sei Dank sah Magnus vollkommen
unversehrt aus. Offenbar hatte er nichts bemerkt und stand jetzt in der Nähe der Sackgasse, wo er mit einem anrüchig aussehenden Irdischen in einem Trenchcoat und einer Sonnenbrille auf der Nase sprach. In dem Moment, in dem der Mann Alec erblickte, zuckte er zusammen und stürmte davon. Obwohl Alec ja verstand, dass Schattenweltler und Nephilim nicht immer gut miteinander auskamen, nahm er die Haltung der Besucher auf dem Schattenmarkt zunehmend persönlich.
Magnus strahlte Alec an und winkte ihn zu sich herüber. Alec spürte, wie sein eigener ernster Gesichtsausdruck weicher wurde. Er machte sich zu viele Gedanken. Andererseits gab es immer so viele Dinge, wegen denen er sich sorgen musste: Dämonenangriffe. Seine Bemühungen, die Menschen, die er liebte, vor Dämonenangriffen zu schützen. Fremde, die versuchten, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Manchmal schienen all diese Gedanken schwer auf seinen Schultern zu lasten – wie ein unsichtbarer Ballast, den Alec kaum tragen, den er aber auch nicht ablegen konnte.
Magnus streckte ihm eine Hand entgegen. Seine mit Edelsteinen besetzten Ringe schimmerten, und er sah einen Moment lang wild und seltsam aus, doch dann lächelte er zärtlich. Alecs Zuneigung und das schiere Glücksgefühl, dass er Magnus’ Zuneigung gewonnen hatte, überwältigten ihn förmlich.
»Hallo, Süßer«, sagte Magnus, und es war irgendwie wunderbar, dass er Alec damit meinte. »Was gibt’s Neues?«
»Na ja, jemand ist dir gefolgt«, berichtete Alec. »Ich habe sie verjagt. Es handelte sich um eine Hexe. Eine Hexe, die ziemlich kampflustig war.«
»Jemand von der Blutroten Hand?«
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Alec. »Würden sie nicht mehr als eine Person schicken, wo ihnen doch ein ganzer Kult zur Verfügung steht?
«
Magnus dachte einen Moment nach. »Normalerweise schon.«
»Hast du gefunden, wonach du gesucht hast?«
»Das könnte man sagen.« Magnus hakte sich bei Alec unter, ohne sich um den Schlamm auf Alecs Kleidung zu kümmern, und zog ihn mit sich. »Ich werde dir alles ausführlich erzählen, sobald wir zu Hause sind, aber das Wichtigste zuerst: Wir reisen nach Venedig.«
»Ich hatte irgendwie gehofft, dass wir uns ausruhen könnten«, sagte Alec. »Und erst morgen nach Venedig fahren.«
»Ja, genau«, bestätigte Magnus. »Wir werden ausschlafen, und dann werde ich ewig brauchen, um alles zu packen, sodass wir morgen Abend abreisen und übermorgen früh dort ankommen.«
»Magnus.« Alec lachte. »Ist das eine gefährliche Mission, oder sind wir noch im Urlaub?«
»Na ja, ich hoffe, ein bisschen von beidem«, sagte Magnus. »Venedig ist zu dieser Jahreszeit besonders schön. Ach, was rede ich da? Venedig ist zu jeder Jahreszeit besonders schön.«
»Magnus
«, setzte Alec erneut an. »Wir fahren abends los und kommen morgens an? Benutzen wir denn kein Portal?«
»Nein. Laut Tessa hat die Blutrote Hand ein Auge auf die Nutzung der Portale. Wir müssen wie gewöhnliche Irdische reisen – das heißt den schicksten und luxuriösesten Zug nehmen, den es gibt, und damit romantisch über Nacht durch die Alpen fahren. Siehst du, welche Opfer ich um der Sicherheit willen zu bringen bereit bin?!«
»Schattenjäger würden für den Transfer einfach das ständige Portal in der Garnison in Idris nutzen«, bemerkte Alec.
»Schattenjäger müssen ihre Ausgaben auch gegenüber dem Rat rechtfertigen. Ich nicht. Mach dich bereit! Keine Mission ist so gefährlich, dass sie es nicht wert wäre, mit Stil
erledigt zu werden.«