7
Der Orientexpress
Magnus und Alec schliefen lange aus, und dann brauchte Magnus fast den gesamten Rest des Tages, um seine Koffer zu packen.
Außerdem zauberte er aus einer seiner Lieblingsboutiquen zusätzliche Kleidung für Alec herbei – für »unvorhergesehene Notfälle«. Alec protestierte, dass er nichts zu Elegantes tragen wollte, doch Magnus ließ sich nicht davon abbringen, ihm mehrere attraktive Pullover ohne Löcher und dazu einen Smoking zu besorgen, der »absolut unerlässlich« war, wie er Alec versicherte. Das Frühstück stammte aus einer kleinen Bäckerei ein paar Häuser weiter, und ihr Mittagessen kam von einem traiteur
am anderen Ende derselben Straße.
Schließlich bestellten sie ein unromantisches, aber praktisches Taxi zum Gare de l’Est, wo Magnus das Vergnügen hatte zuzusehen, wie sich Alecs Augen beim Anblick des Orientexpresses weiteten, der in diesem Moment mit seinen luxuriösen blau-weißen Wagen vorfuhr und auf den Bahnhofsgleisen laut zischend zum Stehen kam. Mehrere Männer und Frauen in Livree sprangen aus den Wagen und halfen den wartenden Passagieren beim Einladen ihres Gepäcks.
Alec hantierte mit dem ausziehbaren Griff des Rollkoffers, den Magnus ihm zum Packen seiner Sachen aufgedrängt hatte.
Magnus hatte mit wachsendem Unglauben zugesehen, wie Alec seine Klamotten zusammenknüllte und in eine unförmige Reisetasche stopfte, und dann in einem Anfall von Empörung mehrere Teile seiner eigenen, farblich abgestimmten Koffergarnitur herbeigezaubert und mit Argusaugen darüber gewacht, dass Alec seine schönen neuen Kleidungsstücke sorgfältig darin verstaute.
Jetzt stellte Alec seinen eigenen Koffer ab und kam zu Magnus. Er straffte die Schultern, um den schwersten Koffer aus Magnus’ Kollektion die Stufen des Zugs hinaufzuhieven.
»Nein, nein«, wiegelte Magnus ab. Seine Hand lag leicht auf dem größten seiner Koffer, während er sich mit höflicher Verwunderung umsah. Im Nu tauchte einer der elegant uniformierten Träger auf, nahm die Fahrkarten entgegen und kümmerte sich um ihr gesamtes Gepäck. Magnus hatte einen leichten Anfall von schlechtem Gewissen, als der junge Mann überrascht ächzte, während er die Koffer die Stufen hinaufbugsierte – aber ein großzügiges Trinkgeld würde ihn für seine Mühen entschädigen.
Ein Zugbegleiter dirigierte sie durch den Gang zu einem üppig dekorierten Schlafwagen. Dessen Plüschteppiche, mahagonivertäfelten Wände und kunstvollen Messingverzierungen erinnerten Magnus an die Jahre, die er mit seiner Vampirmätresse Camille Belcourt verbracht hatte.
Camille. Als ihre Beziehung geendet hatte, hatte der Orientexpress noch nicht einmal seinen Dienst aufgenommen. Und heute handelte es sich dabei um eine dem Tourismus geschuldete Rückkehr zur »guten alten Zeit« – noch immer luxuriös und bequem, aber eine Hommage an eine längst vergangene, inzwischen kaum noch vorstellbare Ära.
Magnus riss sich aus seinen Gedanken und kehrte in die Gegenwart zurück. Für Alec war der Orientexpress kein
nostalgischer Ausflug in die Vergangenheit oder eine weit zurückliegende schöne Erinnerung, sondern ein Abenteuer in der Gegenwart – ein Abenteuer mit wundervollen Mahlzeiten vor einer Kulisse aus dichten Wäldern und schneebedeckten Bergen, ein Abenteuer mit dunklen Nächten in einem weichen, bequemen Bett, während man das rhythmische Ruckeln der Waggonräder auf den Gleisen spüren konnte.
Ihr Abteil lag fast ganz am Ende des Schlafwagens. Magnus hatte sich an sein Motto gehalten und tatsächlich die eleganteste Reisevariante gebucht: eine große Suite mit Wohnbereich und dahinter gelegenem, separatem Schlafzimmer. Zwischen beiden Räumen befand sich ein kleines Bad mit einer Duschkabine. Glänzende Palisanderholzwände und orientalisches Dekor verliehen der Suite ein dekadentes Flair, das Magnus zutiefst zu würdigen wusste.
»Unsere Suiten sind alle im Stil einer der Metropolen entlang unserer Strecke gehalten«, erklärte der Gepäckträger hinter ihnen, während er noch immer mit ihren Koffern kämpfte. »Diese hier ist die Istanbul-Suite.«
Magnus entließ ihn mit einem großzügigen Trinkgeld, schloss dann die Tür von innen und wirbelte genau in dem Moment zu Alec herum, als sich der Zug ruckartig in Bewegung setzte. »Was hältst du von unserer Unterkunft?«
Alec lächelte. »Warum die Istanbul-Suite?«
»Die Paris- und Venedig-Suiten erschienen mir ein wenig albern. Wir haben gerade eine Menge von Paris gesehen und werden bald eine Menge von Venedig zu Gesicht bekommen. Deshalb die Istanbul-Suite.«
Gemeinsam ließen sie sich auf dem Sofa im Wohnbereich nieder und beobachteten die vorbeifliegende Szenerie. Der Zug nahm immer mehr Geschwindigkeit auf. Innerhalb weniger Minuten hatte er den Bahnhof verlassen und ließ die französische
Metropole hinter sich. Die Stadtsilhouette wich verschiedenen Wohnvierteln, bis sie schließlich durch grüne Hügellandschaften und weite, allmählich verblassende Lavendelfelder fuhren.
»Das ist …« Alec deutete auf die Umgebung. »Das ist …« Er blinzelte, unfähig, die richtigen Worte zu finden.
»Großartig, nicht wahr? Also, wir sollten uns umziehen und zum Abendessen gehen. Dabei können wir auch gleich den Rest des Zugs erkunden.«
»Ja«, sagte Alec, noch immer leicht benommen. »Abendessen. Genau. Welche Kleidung trägt man denn in dieser Art Zug zum Abendessen?« Er beugte sich über den Koffer, während Magnus mit dem Auspacken begann. »Reicht es, wenn ich eine saubere Jeans und ein nettes Sakko trage?«
»Alec«, tadelte Magnus, »das ist der Orientexpress. Hier trägt man Smoking.«
Wenn es um Smokings ging, hatte Magnus im Laufe der Jahrzehnte einen eher puristischen Geschmack entwickelt. Trends kamen und gingen, und natürlich liebte er leuchtende Farben und auffällige Accessoires. Aber für diese Reise hatte er für Alec und sich schlichte schwarze Smokingjacken besorgt, mit Seidenrevers und 2-Knopf-Leiste.
Dazu schwarze Fliegen. Alec hatte keine Ahnung, wie man sie band. »Wo sollte ich jemals die Gelegenheit gehabt haben, eine Fliege zu tragen?«, fragte er. Magnus musste ihm recht geben und übernahm das Binden für Alec, ohne ihn dabei aufzuziehen – auch wenn beide wussten, dass er das eigentlich verdient hatte.
Das Geheimnis eines Smokings besteht darin, dass er jeden Mann gut aussehen lässt – das wusste Magnus aus jahrzehntelanger Erfahrung. Und bereits von Natur aus attraktive Männer, so wie Alec, sahen darin einfach umwerfend aus. Magnus gestattete sich einen kurzen Moment des Schwelgens, während er Alec
betrachtete, der mit den Manschetten seines Hemds kämpfte. Alec fing seinen Blick auf, und ein schüchternes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als ihm bewusst wurde, dass Magnus ihn beobachtet hatte.
Natürlich besaß Alec keine eigenen Manschettenknöpfe. Magnus hatte jede Menge Ideen, welche Knöpfe er für Alec in nicht allzu ferner Zukunft kaufen würde, doch aufgrund der Kürze der Zeit hatte er ein Paar seiner eigenen Manschettenknöpfe ausgewählt, mit einem Pfeil-und-Bogen-Motiv, das er ihm jetzt mit großer Geste überreichte.
»Und was ist mit dir?«, fragte Alec, während er die Knöpfe schloss.
Magnus kehrte zu seinem Koffer zurück und holte zwei riesige quadratische und in Gold gefasste Amethysten hervor, die Alec zum Lachen brachten.
Kurz darauf verließen sie ihr Abteil und wollten sich gerade einer Gruppe von elegant gekleideten Passagieren anschließen, die zum Speisewagen strebten, als eine kichernde Nymphe an ihnen vorbei in die andere Richtung lief. Eine Sekunde später drängte sich eine kleine Gruppe sichtlich angeheiterter Wassermänner an Alec vorbei und hastete ebenfalls in Richtung Zugende.
Alec tippte Magnus auf die Schulter. »Was glaubst du, wo all die Schattenweltler hingehen?«
Magnus drehte gerade noch rechtzeitig den Kopf, um zwei Werwölfe zu bemerken, die den nächsten Wagen betraten. Als sie die Tür öffneten, erscholl lauter Gesang. Und obwohl Magnus Hunger hatte, ließ er sich immer gern ablenken. »Das klingt nach einer Party. Komm, lass uns mal nachsehen, was sich hinter diesem Sirenengesang verbirgt.«
Sie folgten den Schattenweltlern und warfen einen Blick in den letzten Zugwagen, in dem sich eine Bar befand und wo
tatsächlich eine Party in vollem Gang zu sein schien. Das Dekor erinnerte Magnus an die Flüsterkneipe, die er während der Prohibition geführt hatte: Eine Theke erstreckte sich entlang der rechten Seite, während purpurrote Plüschsofas die andere Seite der Bar beherrschten. Und in der Mitte stand ein Flügel, auf dem ein eleganter Mann mit Bart und Ziegenbeinen klimperte. Auf dem Instrument rekelte sich eine Sirene in einem Kleid aus wirbelnden Wassertropfen und unterhielt das Publikum.
In einer Ecke drängte sich eine Gruppe Wichtel, von denen einer ein knorriges Instrument spielte, das an eine aus einem Ast gefertigte Laute erinnerte. Zwei Pfeife rauchende Pukas saßen am Fenster und bewunderten die Landschaft. Ein violettfarbener Hexenmeister spielte irgendein Würfelspiel mit mehreren Kobolden. Und über der Theke hing ein Schild mit der Aufschrift: BEISSEN VERBOTEN. KÄMPFEN VERBOTEN. ZAUBERN VERBOTEN.
In der Bar herrschte eine festliche, entspannte Stimmung. Trotz der riesigen Anzahl an Schattenweltlern schien jeder jeden zu kennen.
»Wohin fahrt ihr alle?«, wandte Magnus sich an einen der Kobolde.
»Nach Venedig!«, antwortete der Kobold, woraufhin andere Kobolde in verschiedenen Ecken des Barwagens laut »Nach Venedig!« riefen. Der erste Kobold hob seinen Becher, in dem ein Getränk beunruhigend zischte und schäumte. »Zur Party!«
»Zu welcher Party?«, hakte Magnus genau in dem Moment nach, in dem der Kobold Alec hinter ihm entdeckte.
»Nein, nein«, winkte der Kobold hastig ab. »Keine Party. Ich bin siebenhundert Jahre alt und manchmal etwas verwirrt.«
Alec hatte den Kobold ebenfalls registriert und beugte sich zu Magnus’ Ohr vor. »Vielleicht sollten wir doch besser in den Speisewagen gehen«, sagte er leise
.
Magnus verspürte eine Mischung aus Erleichterung, Verlegenheit, Verärgerung und Dankbarkeit zugleich. »Eine hervorragende Idee.«
Nachdem die Tür zwischen ihnen und dem Barwagen wieder fest geschlossen war, fragte Alec: »Reisen immer so viele Schattenweltler in Zügen?«
»Nein, normalerweise nicht«, sagte Magnus. »Es sei denn, sie fahren zu einer großen Schattenweltlerparty in Venedig, von der mir aber niemand etwas erzählt hat. Und genau das scheint hier der Fall zu sein.«
Alec schwieg. Weder er noch Magnus redeten über die Tatsache, dass Magnus ohne Alec jetzt ebenfalls auf dem Weg zu dieser Party wäre.
Magnus hätte ihm am liebsten versichert, dass ihn diese Party überhaupt nicht interessierte und er viel lieber mit Alec zu Abend speiste, weil Alec nämlich wichtig war und diese Party nun mal nicht. Aber er schwieg ebenfalls.
Sie passierten zwei weitere öffentliche Wagen – eine Champagnerbar und einen Aussichtswagen – , bevor sie schließlich den Speisewagen erreichten. Ein Kellner empfing sie am Eingang und führte sie zu einer elegant dekorierten Sitzecke. Der kleine Messingleuchter über ihren Köpfen tauchte den Bereich in ein warmes gelbliches Licht, und ihr Tisch war mit einer einschüchternden Menge unterschiedlicher Messer, Gabeln und Löffel rund um die Teller herum eingedeckt.
Magnus bestellte eine Flasche Barolo und schwenkte den Rotwein in seinem Glas, während Alec und er die am Fenster vorbeirauschende Landschaft bewunderten. Als Hauptgericht wurde Noirmoutier-Hummer serviert – im Ofen mit einem Hauch Butter und etwas Zitronensaft gegart. Dazu reichte der Kellner eine Schüssel Kartoffeln mit Kaviar.
Misstrauisch beäugte Alec den Kaviar. Dann zog er eine
verlegene Miene, weil er den Störrogen misstrauisch beäugt hatte. »Ich hatte immer angenommen, dass die Leute Kaviar nur deshalb essen, weil er so teuer ist.«
»Nein, die meisten essen ihn, weil er so teuer und
köstlich ist«, erwiderte Magnus. »Aber man muss sich Zeit für den Genuss nehmen, den Kaviar wirklich langsam zergehen lassen und seine subtilen und komplexen Geschmacksnuancen auskosten.« Er nahm eine kleine Kartoffel, gab einen Klecks Sauerrahm und einen Löffel Kaviar darauf und schob sich das Ganze in den Mund. Dann schloss er die Augen und kaute genüsslich.
Als er die Augen wieder öffnete, stellte er fest, dass Alec ihn eindringlich musterte und nachdenklich nickte. Dann brach er in Gelächter aus.
»Das ist nicht witzig«, tadelte Magnus. »Hier, lass mich dir einen Bissen geben.« Er präparierte eine weitere Kartoffel mit Sauerrahm und Kaviar und fütterte Alec mit seiner Gabel.
Alec kopierte Magnus’ Vorgehensweise, kaute mit übertriebenen Mundbewegungen und verdrehte in gespieltem Entzücken die Augen. Magnus wartete.
Endlich schluckte Alec den Bissen hinunter und öffnete die Augen. »Ehrlich gesagt schmeckt er ganz gut.«
»Hab ich doch gesagt.«
»Muss ich jedes Mal die Augen verdrehen?«
»Dann schmeckt er einfach besser«, erklärte Magnus. »Ach, sieh mal, da draußen …«
Alec brachte ein gebührend verwundertes »Wow!« hervor, als der Zug um eine Kurve fuhr und sich die Landschaft von ihrer schönsten Seite präsentierte. Dichte dunkelgrüne Wälder umrahmten spiegelglatte Seen, und am Horizont erhoben sich schneebedeckte Berge. In mittlerer Entfernung ragte ein Vorgebirge wie ein Schiffsbug in die ordentlich parzellierten, leuchtenden Weinberge hinein
.
Magnus betrachtete die Landschaft, dann Alecs Gesicht und dann wieder die Landschaft. Die Tatsache, dass er all das hier zusammen mit Alec erlebte, schenkte ihm das Gefühl, seine gesamte Umgebung mit neuen Augen zu sehen. Magnus kannte den Parc du Morvan von früheren Besuchen, doch zum ersten Mal seit langer Zeit verspürte auch er wieder Begeisterung und Bewunderung für dieses französische Mittelgebirge.
»Irgendwann werden wir die Schutzschranken von Idris kreuzen, woraufhin der ganze Zug im Bruchteil einer Sekunde von einer Grenze zur nächsten auf der anderen Seite des Landes transportiert wird«, verkündete Alec. »Ich frage mich, ob wir das wohl bemerken werden.«
Obwohl er seit seiner Kindheit nicht mehr in Idris gelebt hatte, schwang ein sehnsüchtiger Unterton in seiner Stimme mit. Die Nephilim verfügten über einen Ort, an den sie jederzeit zurückkehren konnten, ganz gleich, was auch passierte: ein Land mit verzauberten Wäldern und sanften Hügeln, in dessen Mitte sich eine Stadt mit gläsernen Türmen erhob. Ein Land, das ihnen der Erzengel geschenkt hatte. Dagegen war Magnus ein Mann ohne richtige Heimat – und zwar schon länger, als er sich erinnern konnte. Es war seltsam zuzusehen, wie sich Alecs Seele der alten Heimat zuwandte. Magnus’ innerer Kompass drehte sich dagegen frei hin und her – schon seit vielen, vielen Jahren.
Ihre Hände lagen nebeneinander, und Magnus’ Finger schlossen sich um Alecs, als ihr Blick auf die dunkle Wetterfront fiel, die sich von Osten heranschob.
Magnus zeigte auf eine Wolkenformation im heraufziehenden Gewitter. »Die da sieht aus wie eine Schlange, die sich einmal um sich selbst geknotet hat. Und die Wolke dort drüben erinnert mich an das Croissant, das ich zum Frühstück hatte. Aber was hältst du von der da … sieht aus wie ein Lama, oder? Oder vielleicht wie mein Dad? Mach’s gut, Dad! Hoffentlich sehen wir un
s nicht so bald wieder!« Sarkastisch warf er der Wolke eine Kusshand zu.
»Ist das die gleiche Nummer wie mit den Sternen?«, fragte Alec. »Gilt es als romantisch, den Dingen am Himmel einen Namen zu verpassen?«
Magnus schwieg.
»Wenn du möchtest, können wir gern über ihn reden«, sagte Alec.
»Meinst du meinen Vater, den Dämon? Oder meinen Stiefvater, der mich töten wollte?«, fragte Magnus.
»Sowohl als auch.«
»Ich will uns nicht den Appetit verderben«, erwiderte Magnus. »Außerdem bemühe ich mich stets nach Kräften, an keinen der beiden zu denken.« Eigentlich beschäftigte er sich nur selten mit seinem Vater, doch seit Johnny Rooks Bemerkung spukte er permanent in seinem Kopf herum. Magnus musste ständig daran denken, was es für seinen Vater bedeuten mochte, von der Blutroten Hand verehrt zu werden.
»Ich habe gestern an meinen Dad gedacht«, berichtete Alec zögernd. »Er hat mich aufgefordert, in New York zu bleiben und so zu tun, als wäre ich nicht schwul. Zumindest hat er das impliziert.«
Magnus erinnerte sich an eine lange, kalte Nacht, in der er sich zwischen eine vollkommen verängstigte Werwolffamilie und eine Gruppe Schattenjäger hatte stellen müssen, unter denen sich auch Alecs Eltern befunden hatten. In der Welt herrschte so viel Hass und Furcht, selbst unter den Auserwählten des Engels Raziel. Jetzt blickte er in Alecs Gesicht und entdeckte dort die Zweifel und Ängste, die dessen Vater gesät hatte.
»Du redest auch nicht oft von deinen Eltern«, sagte Magnus.
Alec zögerte erneut. »Ich möchte nicht, dass du schlecht über meinen Dad denkst. Ich weiß, dass er in der Vergangenheit
bestimmte Dinge getan hat … dass er in Sachen verwickelt war, auf die er jetzt nicht mehr stolz ist.«
»Ich habe selbst Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin«, murmelte Magnus, wollte aber lieber nichts hinzufügen. Tatsächlich hatte er Robert Lightwood noch nie gemocht. Und in jedem anderen Universum hätte er es für absolut unmöglich gehalten, dass er seine Meinung ändern könnte.
Doch in diesem Universum liebten sie beide Alec. Manchmal entfaltete die Liebe ihre Magie jenseits aller Hoffnung – wenn keine andere Macht dieser Welt dazu in der Lage war. Doch ohne Liebe wollte sich dieses Wunder einfach nicht einstellen.
Magnus führte Alecs Hand an seine Lippen und küsste sie leicht.
Robert konnte kein absolutes Scheusal sein – schließlich hatte er diesen jungen Mann großgezogen.
In einvernehmlichem Schweigen beendeten sie ihr Essen und sahen zu, wie die untergehende Sonne die fernen Berggipfel aufleuchten ließ. Kurz darauf zeichneten sich die ersten Sterne am Abendhimmel ab.
Schließlich trat der Kellner an ihren Tisch und fragte, ob sie vielleicht noch ein Dessert wünschten oder vielleicht einen Digestif.
Magnus wollte sich gerade nach den verschiedenen Optionen erkundigen, als Alec dem Mann ein strahlendes Lächeln schenkte.
»Ich denke, wir werden jetzt den Champagner genießen, der in unserer Suite auf uns wartet«, sagte er mit einem leisen Funkeln in den Augen und wandte sich an Magnus: »Wollen wir?«
Magnus starrte ihn mit offenem Mund an. Bisher kannte er zwei sehr unterschiedliche Versionen von Alec: den selbstbewussten Schattenjäger und den schüchternen, zögerlichen Freund. Er war sich nicht sicher, was er von einem Alec mit diesem Funkeln in den Augen halten sollte.
Alec erhob sich und streckte Magnus die Hand entgegen,
um ihm aufzuhelfen. Dann drückte er ihm einen Kuss auf die Wange, gab seine Hand aber nicht frei.
Der Kellner nickte höflich und lächelte verständnisvoll. »Sehr wohl. Dann wünsche ich Ihnen beiden bonne nuit
.«
In dem Moment, in dem sie ihre Suite erreichten, warf Alec sein Jackett ab und marschierte zum Bett. Magnus spürte ein Flattern tief in seiner Brust – für ihn gab es kaum etwas Attraktiveres als einen Mann in einem Smokinghemd. Und Alecs Muskeln füllten den Stoff auf hervorragende Weise aus.
Magnus sandte dem Erzengel Raziel ein stummes Dankgebet für das harte Fitnesstraining, das die Schattenjäger absolvieren mussten, zauberte dann eine gekühlte Flasche Pol Roger herbei und stellte sie auf die Theke. Er hob zwei Gläser in die Höhe und sah lächelnd zu, wie sie sich selbst füllten, ohne den Korken der Champagnerflasche zu beschädigen, während sich deren Inhalt leerte. Dann gesellte er sich zu Alec aufs Bett und bot ihm ein Glas an, das Alec entgegennahm.
»Auf unsere gemeinsame Zukunft«, sagte Magnus. »Wo auch immer wir sein werden.«
»Mir gefällt eine gemeinsame Zukunft«, erwiderte Alec. »Wo auch immer wir sein werden.«
»Santé«,
prostete Magnus ihm zu. Sie stießen an, nippten an ihrem Champagner, und Alec warf Magnus über den Rand seines Glases erneut diesen funkelnden Blick zu. Magnus konnte Alec in dieser Situation genauso wenig widerstehen, wie er kleinen Missetaten, einem aufregenden Abenteuer oder einem elegant geschnittenen Mantel widerstehen konnte. Er beugte sich vor und presste seinen Mund auf Alecs weiche, volle Lippen. Ein intensiver Schauer ging durch seinen Körper. Er konnte die frische Säure des Champagners auf Alecs Lippen schmecken, als er mit der Zunge darüberfuhr. Alec keuchte auf und öffnete
leicht den Mund für weitere Erkundungen. Und dann schlang er einen Arm um den Nacken des Hexenmeisters – während er mit der anderen Hand noch immer sein Glas hielt – und wölbte sich ihm entgegen, sodass die steifen Falten ihrer Smokinghemden raschelnd übereinanderrieben.
Blaue Funken stoben in die Höhe, dann standen die beiden Champagnergläser auf dem Nachttisch neben dem Bett. »Dem Erzengel sei Dank«, sagte Alec und zog Magnus auf sich.
Ein überwältigendes Glücksgefühl erfasste Magnus. Alecs schlanke Arme schlangen sich um ihn; seine Küsse waren fest und tief und herzerweichend. Sein kräftiger Körper trug Magnus’ Gewicht vollkommen mühelos.
Magnus entspannte sich, versank in Alecs langen, zärtlichen Küssen und genoss das Gefühl von dessen Händen in seinen Haaren. Sie küssten sich noch immer, als das sanfte Schaukeln des Zugs plötzlich unterbrochen wurde und ihr Wagen ruckartig zum Stehen kam. Magnus taumelte zur Seite und landete auf dem Rücken. Die Champagnergläser waren vom Nachttisch gestürzt und hatten ihren perlenden Inhalt über Alec und Magnus ergossen. Magnus schaute zu Alec und sah, wie dieser Champagnertropfen aus seinen Augen blinzelte.
»Vorsicht!«, sagte Alec, packte Magnus’ Arm und zog ihn vom Bett.
Das Laken war vollkommen durchnässt, und Magnus war auf eines der Gläser gefallen, das unter ihm zersprungen war. Er erkannte, dass Alec sich Sorgen gemacht hatte, weil er sich an den Glasscherben schneiden könnte. Die Sorge auf Alecs Gesicht verblüffte Magnus mehr als der Anblick des zersplitterten Glases.
»Ich werde das Zimmermädchen rufen und frische Bettwäsche aufziehen lassen«, sagte Magnus. »Wir könnten solange im Aussichtswagen warten …?«
»Egal«, sagte Alec in ungewöhnlich scharfem Ton. Nach
einem Moment beruhigte er sich. »Ich meine: Ja. Gern. Das wäre sehr nett.«
Magnus dachte einen Augenblick über die Situation nach und kam wie so oft zu dem Schluss, dass Magie die beste Lösung darstellte. Er bewegte leicht die Finger, woraufhin sich die Bettwäsche von allein wechselte, Laken inmitten von blauen Funken durch die Luft flogen und sich eigenständig glatt und faltenlos auf die Matratze legten.
Alec schien der Anblick der wirbelnden Bettdecken und Kissen einen Moment abzulenken – also ergriff Magnus die Gelegenheit, sein Jackett und seine Fliege abzulegen. Dann trat er vor Alec und flüsterte: »Ehrlich gesagt reicht mir ›sehr nett‹ nicht mehr.«
Sie küssten sich, doch statt Alec zum Bett zu führen, schob Magnus einen Finger durch dessen Gürtelschlaufen und zog ihn in Richtung Dusche. Alec schaute ihn kurz überrascht an, doch dann folgte er ihm bereitwillig.
»Dein Hemd ist mit Champagner getränkt«, erklärte Magnus.
Alecs Blick streifte Magnus’ Hemd, das vor Nässe vollkommen durchsichtig war. Er errötete leicht und murmelte: »Deins ebenfalls.«
Magnus lächelte und presste seinen geschwungenen Mund auf Alecs Lippen. »Gut beobachtet.«
Er machte eine kleine Handbewegung, woraufhin heißes Wasser aus dem Duschkopf sprühte und sie beide durchnässte. Magnus konnte die dunklen Konturen der Runenmale erkennen, die sich schwach durch den dünnen, feuchten Stoff von Alecs Hemd abzeichneten. Silberne Punkte aus Licht und Wassertropfen glitzerten zwischen ihren beiden Körpern. Magnus legte die Hände auf Alecs Schultern und schälte ihn aus seinem Hemd und Unterhemd. Das Wasser rann funkelnd über seine nackte Brust und folgte den Rillen seiner Muskeln
.
Begierig zog Magnus Alec näher und küsste ihn, während er gleichzeitig versuchte, die Knöpfe seines eigenen Hemds zu öffnen. Er spürte Alecs starke Hände auf seinem Rücken. Das dünne und vollständig durchnässte Hemd bildete fast keine Barriere und war doch ein viel zu großes Hemmnis. Magnus senkte den Kopf und fuhr mit den Lippen über die feuchte Haut zwischen Alecs Hals und Schulter.
Alec erschauderte und presste Magnus gegen die gläserne Duschwand. Mittlerweile hatte Magnus große Schwierigkeiten, sein Hemd abzulegen.
Alec küsste ihn auf den Mund und unterdrückte damit Magnus’ leises Aufstöhnen. Der Kuss wurde leidenschaftlicher, und ihre Lippen glitten begierig übereinander, genau wie ihre feuchten Hände. Als Magnus versuchte, sich auf die Feinmotorik seiner Finger zu konzentrieren, bemerkte er plötzlich ein seltsames Schimmern auf der anderen Seite der Duschabtrennung.
Er spürte, wie Alec erstarrte, als er die plötzliche Anspannung in Magnus’ Körper wahrnahm. Dann folgte er Magnus’ Blick. Zwei unheimliche, glühende Augen starrten von der Decke zu ihnen hinunter.
»Nicht jetzt
«, stöhnte Alec an Magnus’ Lippen. »Das soll wohl ein Scherz sein.«
Magnus murmelte eine Zauberformel. Daraufhin strömte Dampf über den Rand der Duschabtrennung, sammelte sich um den Schimmer herum und ließ die Konturen einer riesigen tausendfüßlerartigen Kreatur hervortreten. Und im nächsten Moment ging der Drevak-Dämon zum Angriff über.
Hastig fauchte Magnus mehrere scharfe Worte in der Hexensprache Cthonisch. Sofort wurde das Glas der Duschabtrennung hart und undurchsichtig, als der Dämon auch schon einen Schwall ätzender Säure in ihre Richtung sprühte.
Alec zog Magnus auf den Boden, sprang in gebückter
Haltung aus der Dusche, schlitterte über den nassen Boden und krachte gegen die Türen des Einbauschranks auf der anderen Seite. Unbeholfen fummelte er an der unteren Kante der linken Tür und schaffte es schließlich, sie zu öffnen.
Magnus hatte keine Ahnung, warum – bis er schließlich sah, dass Alec sich aufrappelte, mit einer Seraphklinge in der Hand. »Muriel.«
Bevor der Drevak erneut angreifen konnte, sprang Alec hoch und durchtrennte den Körper des Dämons. Beide Hälften fielen hinter ihm zu Boden und lösten sich in Luft auf.
»Wie eigenartig, dass es einen Engel namens Muriel gibt«, bemerkte Magnus. »Muriel klingt eher nach einer missmutigen Klavierlehrerin.« Er hielt eine imaginäre Seraphklinge hoch und intonierte: »Meine Großtante Muriel.«
Alec drehte sich zu Magnus um. Er stand mit nacktem Oberkörper und feuchter Hose da, beleuchtet vom Glanz der Sterne und seiner Seraphklinge – und dieser Anblick war so sexy, dass es Magnus regelrecht die Sprache verschlug. Doch Alec meinte: »Der Drevak war bestimmt nicht allein.«
»Dämonen«, knurrte Magnus erbittert. »Die schlimmsten Stimmungskiller aller Zeiten.«
In diesem Moment explodierte die Fensterscheibe ihrer Suite und sandte einen Hagel aus Glasscherben und Unrat in den Raum. In der Staubwolke verlor Magnus Alec eine Sekunde aus den Augen. Er trat einen Schritt vor und prallte dabei fast gegen eine Kreatur mit länglichem schwarzem Rumpf, dürren Spindelbeinen und gewölbtem Schädel, der sich zu einer langen Schnauze verjüngte. Der Dämon sprang zischend und mit gebleckten messerscharfen Zähnen auf ihn zu.
Magnus machte eine schnelle Handbewegung, woraufhin eine Wasserlache vom Boden aufstieg und die Kreatur in einer großen durchsichtigen Kugel umfing. Der Dämon verlor die
Orientierung, als sich die Kugel zu drehen begann, und dann vollführte Magnus eine Schlagbewegung und beförderte die Wasserkugel samt Inhalt aus dem Fenster.
Sofort übernahm ein anderer Dämon seinen Platz. Dieses insektenartige Wesen versuchte, sich von der Seite anzuschleichen, und hätte ihm mit seinen zuschnappenden Kieferzangen fast ein Stück aus dem Bein gebissen. Magnus taumelte rückwärts aufs Bett, schnippte dabei mit den Fingern und sorgte dafür, dass die Schranktür aufflog und dem attackierenden Riesenkäfer ins Gesicht krachte.
Doch auch das konnte den Dämon kaum aufhalten. Er zischte und zerbrach die Holztür mit einem einzigen kräftigen Biss. Gerade in dem Moment, in dem er zum Sprung ansetzte, fuhr der grelle Glanz von Alecs Seraphklinge mitten zwischen seine Facettenaugen und durchtrennte seinen Schädel.
Hastig zog Alec seine Klinge aus dem Dämonenkörper. »Wir müssen von hier verschwinden.«
Er schnappte sich seinen Bogen und bedeutete Magnus, ihm zu folgen. Gemeinsam flohen sie aus dem Chaos ihrer zerstörten Suite in den bisher verschonten Schlafwagen. Nach dem Krach und Kampflärm wirkte die Ruhe des Gangs irgendwie merkwürdig. Hier herrschte tiefe Stille, nur durchbrochen vom rhythmischen Klacken der Räder auf den Gleisen und der leisen klassischen Musik, die aus versteckten Lautsprechern an der Decke drang. Mehrere Leuchten, die sich im walzerartigen Rhythmus des Zugs zu wiegen schienen, verströmten ein sanftes gelbliches Licht.
Alec wirbelte hin und her, den Bogen im Anschlag und bereit für den nächsten Angriff. Die unheimliche Stille hielt ein paar Sekunden an … bis sie es schließlich hörten: ein schwaches, anfangs kaum wahrnehmbares Klopfen, wie Regentropfen auf dem Dach. Doch schnell folgten weitere Kl
opfgeräusche, die an Intensität gewannen und immer lauter und dröhnender wurden.
Alec zielte mit dem Bogen auf die Decke, während sie das Klicken und Klackern Hunderter Krallen auf Metall hörten, als würde der Zug durch einen Hagelschauer fahren. »Sie sind überall. Lauf in den nächsten Waggon. Schnell!« Als Magnus auf die Tür zusteuerte, rief Alec scharf: »Da geht es zu den vorderen Schlafwagen, in denen sich auch Irdische befinden.«
Sofort änderte Magnus die Richtung und stürmte zu der anderen, weiter entfernten Tür, dicht gefolgt von Alec. Sie liefen durch den Gang zum letzten Waggon, in dem die mit Schattenweltlern gefüllte Bar untergebracht war. Eine junge Werwölfin in einem Paillettenkleid kam ihnen entgegen und hielt bei ihrem Anblick abrupt inne.
Im selben Moment brachen fünf wuchtige Raumdämonen durch die Fenster auf beiden Seiten – und die Werwölfin schrie entsetzt auf. Mit einem Satz warf Alec sich auf sie, schützte sie mit seinem eigenen Körper und erstach den Dämon, der sie zu erdrücken versuchte. Die Tentakel eines anderen Dämons schlangen sich um Alec und die Lykanthropin, woraufhin sich Alec mit ihr abrollte und die Fangarme mit seiner Seraphklinge durchtrennte.
Einer der verbliebenen Dämonen torkelte auf den Lärm aus der Bar zu. Magnus sandte einen grellen Lichtstrahl in seine Richtung.
»Ist das ein Dämon?«, ertönte eine Stimme aus der Bar. »Wer hat die denn eingeladen?«
Und eine weitere Stimme brüllte: »Lies gefälligst das Schild, Dämon!«
»Sind alle unversehrt?«, rief Magnus in die Bar hinein. Doch ein Dämon nutzte den Sekundenbruchteil, den er abgelenkt war, und stürzte sich auf ihn
.
Ein Albtraum aus Fangarmen und Zähnen ragte vor Magnus auf. Dann explodierte der Dämon und löste sich vollständig auf. Magnus sah nur noch den Pfeil, der in seinem Rücken steckte. Und dahinter entdeckte er Alec, der auf dem Boden kauerte, den Bogen in beiden Händen.
Die junge Lykanthropin betrachtete Alec ehrfürchtig. Dunkle Asche niedergestreckter Dämonen und ein leichter Schweißfilm schimmerten auf Alecs runengezeichneter nackter Haut.
»Ich habe euch Schattenjäger wohl total falsch eingeschätzt. Ab sofort kannst du mich um alles bitten, das dir im Kampf gegen die Dämonen hilft«, verkündete die junge Werwölfin mit fester Stimme. »Was immer du willst.«
Alec drehte den Kopf und sah sie an. »Wirklich alles?«
»Ja, mit dem größten Vergnügen«, antwortete die Lykanthropin.
»Wie heißt du?«, fragte Alec.
»Juliette.«
»Lebst du in Paris, und gehst du dort zum Schattenmarkt? Und kennst du vielleicht ein Elfenmädchen namens Rose?«, fragte Alec.
»Ja«, bestätigte die Werwölfin. »Aber ist sie wirklich noch ein kleines Kind? Ich dachte, es würde sich dabei einfach nur um einen Feenschwindel handeln.«
»Wenn du sie das nächste Mal siehst, kannst du ihr dann bitte etwas zu essen geben?«, bat Alec.
Die Lykanthropin blinzelte, und ihre Miene entspannte sich. »Ja. Ja, das mach ich«, versprach sie.
»Was ist da draußen los?«, rief der Kobold, mit dem Magnus und Alec zuvor gesprochen hatten, und platzte aus dem Barwagen in den Gang. Mit großen Augen schaute er sich um. »Hier ist überall Dämonensekret und außerdem viel nackte Schattenjägerhaut zu sehen!«, rief er anschließend über die Schulter
.
Alec rappelte sich auf und ging zu Magnus, der mit den Fingern schnippte und Alecs feuchtes Unterhemd herbeizauberte. Sichtlich erleichtert griff Alec danach, und sowohl Magnus als auch die junge Werwölfin schauten mit Bedauern zu, wie er es rasch überstreifte.
Dann nahm Alec Magnus’ Hand. »Bleib dicht bei …«
Den Rest des Satzes hörte Magnus jedoch nicht mehr. Noch bevor er einen Schrei ausstoßen konnte, schlang sich etwas um seine Hüfte, riss ihn von den Füßen und entwand ihn Alecs Griff. Ein markerschütternder Schmerz fuhr durch seinen Körper, raubte ihm den Atem. Er hörte das Klirren von zersplitterndem Glas und spürte, wie Hunderte winziger Scherben seine Haut aufritzten.
Die Welt um ihn herum wurde dunkel. Sein Bewusstsein kehrte erst zurück, als der Wind in seinen Ohren heulte und ihm eiskalte Luft ins Gesicht schlug. Benommen und desorientiert schaute Magnus auf und entdeckte den weißen Vollmond über zerklüfteten Berggipfeln. Unter ihm raste der Zug gerade über eine lange Brücke.
Magnus baumelte über einer tiefen Schlucht in der Luft. Nur ein schwarzer, um seine Hüfte geschlungener Fangarm bewahrte ihn vor dem sicheren Tod.
Was genauer betrachtet auch kein Trost war.