Kapitel 1

Ich kam zwanzig Minuten zu spät zu meinem Termin bei dem wilden Detektiv, weil ich zweimal an dem Haus vorbeifuhr. Am helllichten Tag, an einem breiten und flachen Morgen in einem Mietwagen mit GPS, das mich nur quasi im Stich ließ. Stärker ließ mich das Gefühl im Stich, das mich beim Anblick des Hauses überkam. Das Gefühl nämlich, dass dieses Haus fürs Dranvorbeifahren wie geschaffen war und dass mein Fuß deshalb das Bremspedal nicht fand. Weiß verputzt mit rotholzverkleideten Säulen und einem Terrakotta-Ziegeldach. Der erste Stock hatte einen Umlaufgang, den man über eine Treppe vom Parkplatz aus erreichte. Alle Fenster waren vergittert.

Die Beschilderung an den verschiedenen Türen bestand entweder aus billigem Plastik oder einfach vertikal bedruckten Schildern, die man durch Ösen an die Säulen genagelt hatte. Auf einem stand nur tattoos, auf einem anderen wellness. Oben krieger-sutra körperpiercing. Im Fenster der Wellness-Oase leuchtete vor zugezogenen Vorhängen ein rot-blauer Neonschriftzug open. Ich konnte mir denken, wofür Wellness hier stand. Es war neun Uhr, Samstagmorgen, der 14. Januar 2017. Oder zwanzig nach, weil ich wie gesagt zu spät kam. Irgendwie schien es ausgeschlossen, sich bei einem Termin mit egal wem in so einem Gebäude zu verspäten.

Wenn man hier verabredet war, war man durch den Boden des eigenen Lebens und aus der normalen Zeit herausgefallen. Ein Mensch wie ich hatte hier einfach nichts zu suchen.

Nachdem ich mein Ziel verpasst hatte, fuhr ich noch ein Stück den Foothill Boulevard lang, bevor es mir aufging. Die Malls, Tankstellen und Kettenrestaurants machten den Eindruck eines einzigen, immerzu wiederholten Hintergrunds, vor dem ein Fred Feuerstein entlangfuhr. Raum wurde hier anders gedacht. Ich wendete und fuhr langsam zurück. Das Gebäude lag nicht direkt im Dunkeln – das ging in diesem Gleißen gar nicht. Aber es hatte eine warzige Dichte, die sich gegen das Gesehenwerden wehrte.

Auch die unmittelbare Umgebung war ein Problem. Hinter dem Parkplatz lag ein weit verstreuter Trailerpark. Rechts hinter Maschendrahtzaun eine Tundra aus Gruben und aufgeschütteten Kieshügeln, auf einem Grundstück so groß wie der Central Park. Vielleicht übertreibe ich. Ja. Halb so groß wie der Central Park. In diesem Brachland schien das Gebäude ein Fake zu sein. Es behauptete einen Kontext, wo es keinen geben konnte. Ich meine Menschen, die man sein oder kennen wollte. Die Kraft, die mich hatte vorbeifahren lassen, war mehr als unsympathisch. Das Gebäude wies einen auf geistige Scheuklappen hin. Wer hier seinen Wagen abstellte, war nicht der, für den er sich hielt. Vielleicht war ich das jetzt auch nicht.

Und das Blau brachte mich um. Keine blauen Stunden wie im Blues. (Die hatte ich zwar auch manchmal, aber so einen Schrott würde ich niemals laut von mir geben.) Das Blau des Himmels brachte mich um, und hinzu kam, dass sich jenseits der Straße schneebedeckte Gipfel ohne jeden Sinn für Proportionen oder Geschmack gegen das flache galaktische Blau behaupteten. Unter den Gipfeln schlangen sich weiße Nebelschlieren um die Felsformationen. Am Himmel selbst war nichts dergleichen zu sehen.

Wenn ich auf die Stellen starrte, wo sich Blau und Weiß trafen, machte mich das wahnsinnig. So was bekam man nur im Kino zu sehen, wo als Zwerge verkleidete Schauspieler computergenerierte Berge hochliefen, nur gab es hier keinen schwarzen Rahmen, und kein exit-Zeichen schwebte am Rand des Sichtfelds. Nichts als Blau. Ich überlegte, ob das Wort weltentrückt es traf, fand das aber selber lächerlich. Das hier war denkbar weltlich. Also parkte ich auf dem Parkplatz hinter dem Haus und suchte Suite Nr. 8.

Ich fand sie erst, als ich die Treppe hochging. Vom umlaufenden Gang im ersten Stock bekam ich einen neuen Blick auf den Trailerpark und die vorstädtische Öde dahinter. Das lüftete nicht das Geheimnis, was sich in den Schotterbetten verbarg oder warum sich am Berg Nebelschleier halten konnten, wenn der Himmel völlig wolkenlos war.

Mädel, du bist selbst schuld, du bist in den Westen gekommen, also mach dir nicht ins Hemd. Ich klopfte.