Mein Freund an der Uni war, was Musik anging, eine Trantüte, aber ein paar von seinen Sachen hatte ich mir angeeignet. Hinterher pulte ich sorgfältig die Erinnerungen ab – hauptsächlich die Entdeckung von Sex. Wenn ich seine Lieblingsstücke spielte, konnte er mich nicht heimsuchen, weil ich sie ihm geklaut hatte. (Später war ich mit einem Mann mit demselben Vornamen zusammen; auch eine gute Methode, jemanden auszuradieren.)
Er hatte eine CD, ein Live-Album, von einem Sänger, der für mich immer nur ein pummeliger bärtiger Schnulzier gewesen war, eine Schießbudenfigur. Nicht entfernt so attraktiv wie Arabellas Idol L. Cohen. Seinen Namen hatte ich immer mit dem eines anderen Hippie-Lovers verwechselt. Aber als ich das Live-Album eines Abends hörte, als mein Freund gerade weg war und eine andere vögelte, stahl ich ihm die Platte, also die konkrete CD, aber auch ihre Idee.
Auf der CD klettert der Sänger in seine schmalzigen Melodien und sucht zusätzlichen Raum und geheime Zimmer. Aber er klettert von innen, wie an Käfigstangen hoch. Die Grenzen seines Käfigs sind auch die seines Lebens: seiner Gier nach Ekstase und seiner Angst davor. An der Käfigspitze praktisch jedes einzelnen Songs kreischt oder bellt oder jault er: »It’s too late to stop now!« Vielleicht hatte die Botschaft mich zu meinem eigenen Leben verdammt, in den heimlichen Käfig meiner Autonomie. Ich war neunzehn.
An diesem Punkt hätte ich wenden und den Berg wieder runterfahren können. Heist hatte keine Kontrolle über »meine Karre«. Aber mögliche Ausgänge hatte es im Dutzend gegeben, angefangen damit, nicht ins Flugzeug zu steigen oder meinen Job nicht zu kündigen, für den ich mir zehn Jahre lang immer wieder Späne von der Seele geschnitzt hatte. Hier galt kein »It’s too late to stop now!«. Es war immer schon zu spät gewesen.