Kapitel 23

Als ich einmal aufwachte, befanden wir uns gerade in vierspurigem Verkehr, darunter viele Neunachser. Die Landschaft zwischen Plakatwänden und Lagerhäusern war flach und gelb. Parallel zu uns ratterte vor meinem Fenster ein endloser Güterzug dahin, Container aus Deutschland und Japan. Ich sah Heist an, aber der sah stur geradeaus. Auf seiner Seite des Jeeps fuhr, im Augenblick ebenfalls mit exakt unserer Geschwindigkeit, eine Motorradfahrerin, eine Frau in Leder auf einer golden lackierten Harley mit flatternder blonder Mähne unter einem goldenen Helm und breiter Schutzbrille. Heist spürte meinen Blick, legte mir seine Hand wie eine ruhige Schirmmütze auf die Stirn und beschattete meine Augen. Dann ließ er die Hand sinken und tätschelte dem Hund den Kopf. Ich schämte mich nicht wegen der Gleichsetzung dieses Tätschelns. Unsere Doppeleskorte, der Güterzug und das goldene Mädchen, reiste mit festem Kurs neben uns, unterwegs in die große Weite. Den Pazifik weit hinter uns konnte man sich schon nicht mehr vorstellen. Fuhr man vom Meer nach Osten, kam man tiefer in den Westen, ging mir noch durch den Kopf, dann schlief ich wieder ein.

Vielleicht war ich auch gar nicht aufgewacht und hatte den Zug und die Motorradfahrerin nur geträumt. Aber das goldene Mädchen war nicht so leicht abzuschütteln. War sie zum Spott oder als Warnung neben mir dahingebraust? Sie konnte durchaus ein Teil meines Begehrens und meines idealen Selbstbilds gewesen sein, das gegen meinen Willen abgebrochen und in Chrom, Leder und Geschwindigkeit gegossen worden war.

Es versteht sich, dass ich nie auf einem Motorrad gesessen habe. Nie gewollt hatte.

Als ich das nächste Mal wach wurde, konnten zwanzig Minuten oder eine Million Jahre vergangen sein, und immer noch steuerte Heist den Jeep stoisch in die sich weitende Landschaft, die Bäume wurden seltener, das Wüstengestrüpp tüpfelte den staubigen, geschundenen Boden mit der Kraftlosigkeit von Achselhöhlengrün oder Teenagerschamhaaren. Ich blinzelte in die Unendlichkeit, und Jessie leckte mir Hals und Ohren, als wäre ich ein Welpe, den er zur Welt gebracht hatte. Er roch nach Bagel und Ei, aber dahinter lag eine Note, die nicht hündisch, sondern süß und ätherisch war wie der Atem eines Liebhabers.

Im ganzen Tal vor uns zeichneten sich seltsame weiße Skulpturen ab, sah ich jetzt, weiße Himmelssporne, flügellose Flugzeuge von Brancusi. Erst sah ich nur fünf oder sechs, dann Hunderte, als führen wir in ein Tal mit außerirdischen Türmen, die bei einer statischen Invasion abgesetzt worden waren.

»Was ist das?«, krächzte ich.

»Windräder.«

»Warum drehen sie sich nicht?« Ein oder zwei drehten sich träge, aber Rührei hätte man damit nicht schlagen können.

»Die Turbinen gehen an, wenn das Stromnetz Saft braucht.«

Unter ihnen verzwergend, brausten wir weiter in die trockenen Öden, die sich bis zu den Mondbergen an allen Horizonten erstreckten. Ich verstand das mit den Windrädern nicht, aber die Windräder musste ich ja auch nicht verstehen.

»Bist du von Tieren aufgezogen worden, Charles?« Ich hatte mir den Schlaf aus der Kehle geräuspert und sagte das mit einer Ehrlichkeit, die sich von meiner sonstigen Exzentrik und Spottlust unterschied, was mir nicht gerade leichtfiel. Ich wusste, dass Heist den Unterschied hören konnte.

Trotzdem ließ er mich zunächst abblitzen: »Da wir alle Tiere sind, muss ich das ja wohl, oder?«

»So hab ich’s nicht gemeint.«

Er legte mir wieder die Hand auf den Kopf. »Wir sind in ein paar Stunden da, wo wir hinwollen. Sag Bescheid, wenn du einen Boxenstopp brauchst.«

Ich stieß seine Hand weg. »Bist du von den Kaninchen oder von den Bären aufgezogen worden?«

»Von beiden ein bisschen.«

»Erzählst du’s mir?«