Das erste Kaninchenloch war auch nicht beeindruckender als das an der Mündung zum San Antonio Wash, wo der Riese Laird im Regen aus seinem Versteck aufgetaucht war. Wie bei jenem Lager handelte es sich auch hier um ein Flüchtlingsdorf, das aus wiederverwerteten Altmaterialien bestand, wo Eimer das Regenwasser auffingen, umgeben von kläglichen Anzeichen in Angriff genommener und wieder aufgegebener Instandbesetzungsprojekte. Es gab keine Tipis, sondern zwei einstöckige, mit Wellblech gedeckte Lehmziegelhütten. Aus der einen kam das erste Kaninchen und baute sich misstrauisch vor uns auf. Die Sonne machte die Frau zu einem bloßen Umriss, einer zweidimensionalen Silhouette, und weder sah ich ihren Gesichtsausdruck noch hätte ich sagen können, ob sie Heist wiedererkannte. Die Szene glich der im Schwemmkegel, war aber auch anders, weil wir so weit gefahren waren, um herzukommen. Die barfüßige Frau, die vor uns stand und eine Hand ausstreckte, die Jessie beschnupperte und ableckte, erinnerte an die erste Begegnung zweier Menschen auf einem fernen Planeten oder wenigstens dem Mond. Ihre Gegenwart war genauso unwahrscheinlich.
Wir hatten die letzten Felsfallen schließlich überwunden und waren querfeldein an verknäulten Josuagliedern vorbei zu einem Gipfelpunkt gefahren, der jetzt hinter uns lag. Heist hatte dort die Landschaft in Augenschein genommen, Anhaltspunkte gefunden, die ich gar nicht wahrnahm, und wir drei waren zu Fuß weitergegangen. Den Jeep ließen wir mit unserer Habe – auch unseren Wasservorräten – oben auf der Anhöhe stehen und stiegen den Kamm hinab. Hätte ich nicht das Smartphone in der Handtasche gehabt, hätte ich auch die zurückgelassen. Ich war froh, dass sie über die Schulter festgeschlungen blieb, denn ich rechnete damit, mich jeden Moment mit den Händen abstützen zu müssen.
Vielleicht hätte ich mich auf allen vieren tatsächlich sicherer gefühlt. Ich hatte den Eindruck, mit Heist und dem Hund zu einer halluzinatorischen Übereinkunft gekommen zu sein: Wir suchten einen Ort, wo wir unsere Kleidung und dann auch unsere Haut ablegen konnten. Nach Heists Geschichte war ich bereit, in irgendeine schattige Senke zu kriechen und den Tau von den Felsen zu saugen. Bevor ich den Verstand verlieren konnte, erreichten wir das Kaninchencamp.
»Ich bin Charles Heist«, sagte der wilde Detektiv gerade. Jessie schnüffelte an der Frau vorbei in die Hütte. Die Frau hielt ihn nicht zurück und wandte sich auch nicht von uns ab. Meine Augen gewöhnten sich an die Lichtverhältnisse, und sie war nicht mehr nur ein Schattenbild im gleißenden Licht. Sie war vielleicht zwanzig oder fünfundzwanzig – jünger als ich, erinnerte aber an die Frauen, die Walker Evans in den Dreißigern für die Works Progress Administration fotografiert hatte, aller Spuren der Gegenwart beraubt, in graues Sackleinen gekleidet, die Hände in Hüfthöhe gefaltet. Wenn ich ihr mein Smartphone zeigte – würde sie es anbeten oder beißen?
»Ich suche Anita«, sagte Heist so sanft, als spräche er zu einem Kind oder Tier. »Sie kann dir sagen, wer ich bin.«
»Ich weiß, wer du bist«, sagte die Frau. »Ich weiß alles über dich.« Sie sprach ausdruckslos und monoton und ließ sich keinerlei Gefühlsregung anmerken. Ihre Augen waren so trocken wie die Landschaft.
Heist deutete mit dem Kopf auf mich, als sollte sie mich nach Fesseln oder frischen blauen Flecken absuchen. »Ich bin kein Bär.« Ich nahm mir vor, nicht darauf hinzuweisen, dass er mir gerade eine Stunde lang auseinandergesetzt hatte, dass er zumindest teilweise sehr wohl einer war. Stattdessen nickte ich bekräftigend und hob einen Arm, um zu zeigen, dass mein Handgelenk nicht von Stricken aufgescheuert war. Sie starrte mich bloß an.
»Sagst du uns, wie du heißt?«, fragte Heist sie.
»Klar, Mann. Ich bin Spark.«
Erst die weise Sage, jetzt ein Funken Spark; wenn wir am Ball blieben, lernten wir bestimmt auch noch Sonnenaufgang und Safran kennen. Ich widerstand dem Impuls, mich als Schlapphut oder Schnüffler vorzustellen. Ich war verdutzt, dass Heist mit Zehenspitzen auf Eierschalen ging. Gehörte das zu seiner Selbstinszenierung als feministischer Supermann? Erst jetzt sah ich ein metallisches Glitzern in ihren Händen. Sie rang nicht die Hände wie die stereotype Zimperliese, für die ich sie erst gehalten hatte. Ihre Finger legten sich vielmehr leicht zuckend um eine Pistole, mit der sie aus der Körpermitte auf uns zielte.
Die Öffnung im Lauf bildete ein winziges schwarzes Auge wie die Pupille eines Tiers. Ich war noch nie mit einer Waffe bedroht worden, hatte nie erfahren, dass die ganze Welt auf sie einschrumpfen konnte, bis man nichts anderes mehr wahrnahm. Die Bären hatten auf einer schneebedeckten Bergspitze eine riesige Katastrophengrube aus Schlamm und Blut ausheben müssen, um in mir dasselbe schwindelerregende Gefühl zu erzeugen wie diese Frau mit dem beiläufigen Aufblitzen eines Pistolenlaufs. Ein Punkt für die Kaninchen.
»Das ist Phoebe«, sagte Heist. Wahrscheinlich sprach er meinen Namen vor allem aus, um mich zu beruhigen. »Sie sucht ihre Freundin. Kannst du Anita erreichen? Hast du ein Walkie-Talkie?«
»Ich weiß nicht, wo Anita gerade ist. Und du auch nicht.«
»Das stimmt natürlich.«
»Anita sagt, sie hat keine Zeit mehr zu vertrödeln.« Die Frau mit der Pistole sprach zu Heist, starrte dabei aber mich an.
»Wenn du ihr sagen könntest, dass ich hier war, könnte sie entscheiden. Wir sind alte Freunde.«
»Kann ja sein, du und ich aber nicht. Und jetzt hast du mit mir zu tun, nicht mit Bla-bla-bla-Anita.«
»Warum Bla-bla-bla?«, fragte Heist.
»Ich weiß vielleicht genauso viel wie Anita. Vielleicht sogar mehr.«
»Würdest du mir sagen, was du weißt?«
»Warum sollte ich?«
»Verstehe«, sagte Heist. »Pass auf, du kannst die Pistole runternehmen.«
»Nein, kann ich nicht«, sagte Spark. »Das ist mein Job.« Die Situation war mir sonnenklar. Sie drehte sich nicht nur um die Waffe. Spark war ein Wachposten, keine Käuzin. Ihre Lehmhütte war eine gut platzierte Kontrollstation, eine Art Grenzposten. Oder sie war ein halber Paria, wie Heist einer gewesen war. Das schloss sich nicht aus. Vielleicht gehörte sie zu den Menschen, die man an den Rand trieb, wo sie ihre Gewalttätigkeit nach außen richten konnten, wo sie etwas fruchteten.
»Du hast deinen Job schon erledigt«, legte Heist ihr nahe. »Du siehst doch, wer wir sind.«
»So einfach ist das nicht.«
»Okay«, sagte Heist.
»Hol deinen Hund«, sagte Spark. »Mir egal, wo ihr hingeht.«
Heist stieß einen leisen Pfiff aus, den ich das erste Mal von ihm hörte. Jessie kam aus der Hütte zu uns zurück. Wir nahmen Sparks Freigabe auf und gingen um sie herum nach rechts. Die Pistole starrte uns nach, bis wir den Kamm überquert hatten.