Dann ging es plötzlich ganz schnell. Heist stakte aus Anitas Hütte und ließ seine angebissene Tamale auf dem Boden liegen. Jessie genauso. Anita lächelte mich wieder an, als wäre es ganz normal, dass ich auf ihrem sandigen Fußboden auf dem falschen Fuß erwischt wurde. Die normalste Sache der Welt. Ich verschlang meinen Tamalerest, schnappte mir die Handtasche, schoss nach draußen und folgte ihm.
Ich konnte ihn nur im Laufschritt einholen. Als ich ihn erreicht hatte, war mein Lohn, dass er sich umdrehte und sagte: »Du bleibst besser hier.«
»Verarschen kann ich mich alleine.«
»In ein paar Stunden bin ich wieder da.« Er geriet keine Sekunde aus dem Tritt, das Ziel so fest im Blick wie die Straße beim Autofahren. Er war natürlich zum Jeep unterwegs. Wir kamen an den beiden Hütten vorbei, an denen Spark uns mit der Waffe den Weg versperrt hatte, aber diesmal ließ sie sich nicht blicken.
»Du kannst mich mal kreuzweise«, sagte ich. »Ich komm mit.«
»Ich muss das allein machen.«
Unsere gemeinsame Sprache war zunehmend abgehackt, und wir drehten uns im Kreis. Ich erklärte ihm, das sei meine Suche, er kenne Arabella ja nicht mal, es habe seine Gründe, dass ich ihm so lange gefolgt war, und er könne mich nicht einfach so auf der Zielgeraden abservieren – er könne mich nicht einfach wie ein überzähliges Kaninchen in den Stall zurücksetzen. Er – na ja, er setzte mich in den Stall zurück. Er schwieg nur noch, während ich Gift und Galle spuckte – zwischen den leeren Hügeln, die alle Menschensprache verschluckten, von ganzen Zeitaltern zurechtgeschliffen, um meine Proteste klein zu machen. Als wir die steile Klippe erreichten, an der der Jeep ein Stück vor dem Kaninchendorf kapituliert hatte, habe ich garantiert nur noch geschrien. Der Jeep war schon oben zu sehen. Ich bin nicht besonders stolz darauf, dass ich mich deutlich an die Wendung beschissene Machoscheiße erinnern kann.
Heist öffnete die Fahrertür, und Jessie sprang in den Wagen. Ich stieg auf der Beifahrerseite ein. Dort verstummte ich erst einmal. Als ich so im Jeep saß, fiel mir auch unsere lange Fahrt wieder ein, die Zärtlichkeit, mit der Heist dafür gesorgt hatte, dass ich meine Angst wegschlafen konnte, seine Hand auf meinem Kopf. Davon abgesehen, hatte ich vielleicht schon gewonnen, weil ich ihm zum Wagen gefolgt war, und er würde mit mir an Bord losfahren, um dem Bärenkönig gegenüberzutreten. Immerhin trat er mich nicht vom Beifahrersitz runter.
Aber Heist fuhr nirgends hin. Er saß in seiner typischen Passivität da, der Zündschlüssel in der Hand lag fahrbereit auf dem Knie, und ohne ein Wort wirkte seine Beharrlichkeit auf mich ein. Als ich weitersprach, kochte ich immer noch vor stiller Wut, konnte aber selbst aus meinen Worten heraushören, dass ich verloren hatte.
»Leben wir beide überhaupt auf demselben Planeten?«, fragte ich.
»Es gibt nur einen Planeten.«
»Danke, Mr. Spock. Weißt du, so langsam hab ich dich durchschaut, glaub ich. Du siehst vielleicht wie Wolverine aus, aber du bist das glatte Gegenteil. Du bist so ein Leonard-Nimoy-Typ, ein absoluter Aspergerroboter. Menschliche Wesen sind für dich nur rätselhafte Tiere, die man aus Jux und Tollerei retten kann, aber letztlich nicht mehr als streunende Hunde. Klar gibt es nur einen Planeten – aber du untersuchst ihn durchs falsche Ende vom Teleskop.« Ich wusste, dass ich dummes Zeug redete, aber ich wollte an der Tür kratzen, hinter der Heist seine unendliche Traurigkeit weggesperrt hatte. Die Eitelkeit, mit der er sie vor mir versteckte, widerte mich plötzlich an.
Heist erwiderte nichts, wohl aber Jessie, der den Kopf hochreckte und mir das Gesicht ableckte, wodurch ich erst merkte, dass ich meinen Tränen freien Lauf gelassen hatte. Heist schloss nur die Augen und streckte sich, ein Seufzen des Körpers ohne Begleitgeräusch.
»Ich hab das Gefühl, ich werde Zeuge, wie du in diese uralten Stammesfehden zurücktorkelst«, sagte ich. »Das treibt mich die Wände hoch, schließlich hab ich dich in diese Sache reingezogen, um ein real vermisstes Mädchen zu finden, eine junge Frau.« Damit meinte ich nicht mich. Aber ich ließ Arabella namenlos, um das offen zu lassen. »Und es macht mich auf hundert verschiedene Weisen traurig. Wenn du sagst, dass das hier ein trauriger Planet ist, könnt ich kotzen.« Ich wollte Heist aus seiner Verschanzung in der Vergangenheit heraus – und in die Gegenwart zurückholen – in eine Gegenwart, in der wir zumindest ansatzweise Liebende waren.
»Es geht um nichts von dem, was du da sagt. Es geht darum, nicht mit der nächsten fertig verpackten Geisel aufzutauchen.«
»Du bist genauso eine fertig verpackte Geisel wie ich.«
»So sehen die das aber nicht.«
»Na toll. Super. Betrachten wir die ganze Angelegenheit aus der Sicht der Bären. Das übertrumpft alles, was ich sagen könnte. Und ich hasse es, dass das Wort so ruiniert ist wie so viele andere Sachen.«
»Welches Wort?«
»Scheißegal. Ich weiß, dass das aktuelle Zeitgeschehen nicht dein Bier ist. Wenn du mal einen Moment Zeit hast, frag die Eule oder den weisen alten Dachs, der kann’s dir erklären.« Jessie leckte mir die Schnoddernase. Ich züngelte ihn ein bisschen, meinen Trostpreis, damit Heist sah, was ihm entging. »Bitte, zieh du deine Männernummer durch. Jessie und ich warten im Menstruationssalon.«
»Geht nicht«, sagte Heist. »Ich brauche Jessie als Fährtenleser.«
»Ach natürlich, Jessie hat ja einen Penis. Da bin ich angearscht.«
»Weißt du, wie du zurückkommst?« Heist musste nur mit dem Kinn hinüberdeuten. Der Jeep stand mit der Motorhaube in die Richtung, aus der wir gekommen waren, deutete auf die Anhöhe, hinter der die Kaninchen ihre Kaninchengeschäfte erledigten.
Ich sagte, ich würde zurückfinden. Und dann: »Bin ich eigentlich jemals zu dir durchgekommen? Du bist nämlich zu mir durchgekommen. Ich habe dich jaulen gehört, Charles.«
Ich hatte ihn schon den ganzen Tag daran erinnern wollen, wie wir im Airstream zusammen gewesen waren, wie wir uns dort gehäutet hatten, dass wir beide gekommen waren. Aber das war so gewöhnlich. Das hatte ich mit jeder Menge Flachpfeifen gehabt, von denen ich mich getrennt hatte – leicht, geistesabwesend und dankbar. Uns verband das, was wir auf dem Berg erlebt hatten. Glaubte ich jedenfalls. Trauma schafft Vertrautheit, dachte ich absurderweise. Ich hatte gedacht, Heist und ich hätten zusammen Schiffbruch erlitten, aber vielleicht waren wir nur gleichzeitig schiffbrüchig geworden, aber auf verschiedene Weisen. Letztlich wusste ich nicht, was der Berg ihm bedeutete.
»Ich weiß.« Mehr sagte er nicht, aber er drehte sich zu mir, und die Augen in seinem erschöpften Gesicht wurden weich.
So leicht ließ ich ihn nicht davonkommen, diesmal nicht. »Was weißt du? Dass du in meinem Mund gekommen bist?« Ich musste aufpassen, dass Heist für mich kein Spitzenaufreißer im Westernstil wurde, der dermaßen auf seinen inneren Ereignishorizont abfuhr, dass es ihn nicht mal juckte, ob er angemessen ironisches Süßholz raspelte.
»Das mein ich nicht.«
»Du darfst es gern ausführen.«
»Ich … ich sehe dich, Phoebe Siegler.«
Mein ganzer Name: Jetzt hatte er mich im Mund. Ich war bewegt, wollte mir das aber nicht anmerken lassen. »Du siehst viel«, setzte ich nach. »Weißt du, ich komme nicht aus dem Nichts. Ich hab schon so einiges gesehen, was dich vielleicht stärker aus der Fassung bringen würde als der Berg da.« Auf die Schnelle wusste ich zwar nicht, was ich damit meinte, aber egal.
»Das glaub ich dir.«
»Ich bin kein Heimchen am Herd. Aber ich bin auch kein Kaninchen.«
»Stimmt«, gab er zu. »Du bist eine Frau, aber ein anderer Typ.«
»Was für ein Typ?«
»Weiß ich noch nicht.«
Das noch gefiel mir. Vielleicht hatte Heist gefeilscht, um mich loszuwerden. Das war mir egal.
Dann küssten wir uns. Jessie wollte mitmachen, verwirrt, weil ich ihn ja eben noch ermuntert hatte, aber wir stießen ihn weg, und er verzog sich still auf den Rücksitz. Guter Hund. Wir blieben beim Küssen – keiner drängte den anderen weiterzugehen, und wir waren auch nicht drauf und dran, uns die Kleider vom Leib zu reißen. Ich hatte den deutlichen Eindruck, eine Skulptur zu küssen, eine seltsame und interessante Statue, die innen massiv war bis ins Mark – und unzugänglich. Ich sah uns als zwei Kontinente, aneinander angrenzend, aber innerlich einsam. Aber hey, trotz alledem war es nicht schlecht.
Mein Entsetzen blieb, dass Heist mir eine Angst vor dem Verlassenwerden eingeimpft hatte, die ich nie zuvor gespürt hatte. Wenn meine Illusionen Ex-Partner waren, dann war ich in der vergangenen Woche acht- oder zehnmal abgesägt worden. Aber wenigstens konnte ich einen Augenblick lang spüren, dass meine Ängste in einem Heißhunger nach etwas Namenlosem, aber Wirklichem wurzelten. Unter all dem, was mir genommen worden war, raschelte immer noch ich selbst umher. Vielleicht war Heist genauso wie die Wüste: eine leere Begegnung, die mir eine gesteigerte Beziehung zu einer gewissen Phoebe Siegler erlaubte.
Er war mehr als das. Er war eine Gestalt, die in ihrer ureigensten Wildnis wieder jaulen würde. Und vielleicht war er Arabella Swados’ letzte Hoffnung. Ich bat ihn nicht noch einmal, mich mitzunehmen.
»Pass auf dich auf, Charles.«
Ich konnte ihn nicht ausstehen und hatte gleichzeitig Angst um ihn.