Kapitel 31

Nachdem ich zwei Stunden später vom Holzsammeln mit Lorrie zurückgekommen war und mit Anita jetzt im schwindenden goldenen Licht und beißenden Wind zur Neptune Lodge unterwegs war, konnte ich sie wieder spüren. Spark. Ich hatte einen eigenen Nerv auf das Mädchen mit der Pistole eingestimmt, und der meldete sich jetzt wieder. Ich drehte mich um und suchte die Hügel ab, und da war sie prompt und streifte in einiger Entfernung neben uns her.

»Anita?«

»Ja?«

»Die junge Frau vom Außenposten folgt uns. Sie heißt Spark, glaube ich.«

»Ja, das hab ich auch gemerkt.«

»Ich hab das Gefühl, dass sie ganz bewusst mir folgt.«

»Da könntest du recht haben. Offenbar interessiert sie sich für dich.«

»Bin ich so interessant?«

»Für Spark schon.«

»Sieh mal einer an.«

Aber Anita stürmte einfach weiter, gab meiner Alice die Rote Königin, zwang mich, ihr zu folgen, und ignorierte meine Geistreicheleien. Wegen ihrer Dreistigkeit hätte ich sie gern beim Wort genommen und war froh, dass ich wenigstens in Spark eine Verehrerin gefunden hatte. Ansonsten war mein Charme bei den Kaninchen offenbar für die Katz. Ich fragte mich, ob das fakultativ oder obligatorisch war: mein Besuch bei ihrem kranken Bärengefangenen und die zunehmende Verstrickung in Anitas schräges und staubiges Königreich. Beim Intermezzo des Holzsammelns war eine gewisse Vorfreude auf das Feuer in mir aufgekommen. Ich spürte den Zauber von etwas verkohltem Essen und dem Schutz der Nacht – ein Plätzchen unter dem Sternenzelt mit einem gewissen Abstand zur Verrücktheit dieser Frauen. Solange ich mir eine heiße Dusche und Netzempfang abschminken musste, war das vielleicht das Beste, was ich kriegen konnte.

In dieser Laune war die Neptune Lodge ein gewisser Schock. Ich war erst seit vierundzwanzig Stunden in der Mojave, aber die große Satellitenschüssel, die sich über uns auftürmte, als wir eine schroffe Felszunge umrundeten, wirkte wie eine Fanfare der Moderne, ein Eiffelturm oder Empire State Building. Auf dem ausgedehnten Flachdach des Gebäudes waren sogar Solarmodule verlegt worden. Der Bau kuschelte sich in eine Felswiege, die einen natürlichen Windschutz bildete; wir näherten uns von oben auf in den Stein gehauenen Stufen. Hier gab es sogar Glasfenster. Vielleicht war eine heiße Dusche ja doch nicht ausgeschlossen. Die verlockenden Perspektiven, die Anita mir ausgemalt hatte, fielen mir wieder ein: ein Zimmer mit einer Tür, die man hinter sich zumachen konnte.

Die sogenannte Lodge war eigentlich nur so groß wie ein Bungalow in der Vorstadt, aber meine Erwartungen waren auf die hiesigen Verhältnisse geschrumpft. Kannte Heist diesen Ort? Ich konnte es mir nicht vorstellen, aber mein Selbstvertrauen, was Einschätzungen von Heists Hoffnungen, Träumen, Motiven, Triebfedern oder sonstigen Schädelinhalten anging, hatte ebenso einen absoluten Nullpunkt erreicht wie mein Wunsch, das alles möge mir am Arsch vorbeigehen.

»Ist das ein Kaninchenort?«, fragte ich Anita.

»Es gehört einem Verbündeten.«

»Warum lebt ihr nicht einfach alle so?«

»Die Frage stellt sich aus Geldgründen nicht.«

»Ihr seid Hausbesetzer«, platzte ich heraus. »Die Eigentümer sind nicht da.«

»Die einzigen Hausbesetzer sind deine Normen. Sie haben deinen Verstand besetzt, und ich hab grad keine Zeit, sie zu verscheuchen.«

»Ja, ich hab schon gehört, dass du viel zu tun hast. Ich kann warten.«

Die Lodge hatte den Grundriss eines terrassierten Einfamilienhauses, einen offenen Kochbereich mit Kühlschrank und Herd, aber die Räume wirkten eher kahl und dunkel, und trotz der Solarmodule gab es anscheinend kein elektrisches Licht. Ich lernte eine schwarze Frau in Anitas Alter namens Donna kennen, die die übliche Beduinenkluft der Kaninchen trug, und noch eine weiße Frau, ungefähr in meinem Alter, die auch drinnen eine synthetische Windjacke und Sonnenbrille trug. Sie machte den Eindruck, sich noch nicht lange unters gemeine Volk zu mischen, vielleicht war sie die Edie Sedgwick der Gruppe. Vielleicht gehörte die Lodge auch ihren Eltern. Als wir vorgestellt wurden, nuschelte sie einen Namen, der nach Glinda oder Glimmer klang, und gab sich alle Mühe, mich mit Achselzucken und Augenverdrehen ins Bockshorn zu jagen. Ich fragte mich, ob all die Normen, die ihren Verstand besetzt hatten, verscheucht worden waren, oder ob diese Arbeit noch zu tun war. Spark hatte ich aus den Augen verloren, als Anita und ich den Hügel herabgekommen waren, und jetzt hätte ich gern gewusst, ob sie je ein Haus wie dieses betrat. Als Ethnologin der Kaninchen war ich immer noch ein Grünschnabel, konnte inzwischen aber doch die ersten Subspezies unterscheiden.