Kapitel 36

Zunächst verpasste ich die Arena, so gefesselt war ich vom Himmel. Meine Füße hatten mit dem spröden Boden ihren Frieden gemacht, und nach den ersten paar Hundert Metern und Sparks neuerlichen Beteuerungen, Klapperschlangen würden Winterschlaf halten, hatte ich nur noch nach oben gestarrt. Der Fußmarsch hatte mir keine besonderen Probleme bereitet. Menschen aus anderen Landesteilen unterschätzen immer, wie gut sich New Yorker auf lange Wanderungen verstehen. Im Rhythmus hinter ihren weichen Umrissen, um Felszungen und Bachbetten herum, fühlte ich mich langsam wie Sparks Schatten, ich war eine Funktion ihres tierhaften Vagabundierens, auch wenn sie die ganze Navigationsarbeit übernahm. Das glimmende Freudenfeuer der Kaninchen hatten wir hinter uns gelassen, allerdings hatte es sich noch kurz im Waffenmetall an Sparks Seilgürtel gespiegelt.

Jetzt, vielleicht einen knappen Kilometer weiter, verstand ich endlich, was Großstadtmenschen »Lichtverschmutzung« nennen. Die Dunkelheit öffnete mir die Augen. Der Himmel flutete grenzenlos heran. Er war übervoll mit Sternen, Hunderte für jeden einzelnen, dem ich eine Existenzberechtigung eingeräumt hätte. Ich musste alle auf einmal im Auge behalten für den Fall, dass sie zu Sternschnuppen wurden. Mir graute vor der Entschleierung des Monds, eine so unerträgliche Aussicht, wie es bisher nur die Enthüllung der Sonne für mich gewesen war. Aber falls der Mond überhaupt da war, hatte er sich in niedrig hängenden, schlammbrackigen Wolken verfilzt. Bei ihm konnte ich keinerlei Fortschritte voraussehen.

Ich hätte also ein Kleinkind sein können, das sich im Kreis drehte und am Schwindelgefühl berauschte, als sich vor und unter uns die Arena weitete, eine Art natürliches Amphitheater. Vielleicht hätte ich es eher entdeckt, wenn sie die Fackeln angezündet hätten, aber so weit waren sie noch nicht. Die Fackeln warteten zwischen den aufrechten Schatten auf dem Wüstenboden, den Josuabäumen und schrägen Steinen. Das war es, was meine veränderte Aufmerksamkeit zu registrieren gelernt hatte: schräge Steine und ihre Schatten. Hier gab es keine Gebäude, weder Wolkenkratzer noch Schuppen, keine viel befahrenen Autobahnspuren oder Düsenflugzeuge, die in Schlangen auf den Abflug an Urlaubsorte warteten, weder miese Kettenläden noch verlockende Hipsterboutiquen. Niemand zapfte einem anderen einen Espresso. Ich konnte nicht hoch- und runterscrollen oder nach links und rechts wischen. Nur Steine, Schatten von Steinen, Josuabäume, unangezündete Fackeln sowie, als sich meine Augen an die Lichtverhältnisse angepasst hatten, verstreute menschliche Gestalten unter dem Himmelszelt. Die überschaubaren Figürchen hockten in Hochsitzen über dem Kraterboden wie Flöhe auf einem punktierten Soufflé aus Salz und Ödnis, dem Sternenzelt unterlegen, das sie erhellte und verschmähte. Das waren Bären, nahm ich an.

Nun, ich war wegen der Menschen gekommen. Wegen Arabella, rief ich mir ins Gedächtnis. Vergiss Bären oder erstgeborene getürmte Bärenkönige in spe. Finde Arabella und mach, dass du wegkommst.

Spark führte uns auf dem Felsgrat entlang und vermied jeden Kontakt mit den Zuschauergrüppchen. Die Nächststehenden erinnerten, wie zu erwarten gewesen war, an Weihnachtsmänner, die sich sonst wahrscheinlich noch mit Harley-Davidsons und deutschen Stahlhelmen aufbrezelten. Andere, die sich weniger von der Landschaft abhoben, erinnerten eher an Kakteen auf Beinen oder Stacheldrahtrollen, Männer wie Rückstände auf dem Wüstenboden, in geschwärzten Jeans und dünnen Muskelshirts. Vereinzelt aufglimmende Zigaretten- und Jointspitzen. Die durch die Arena streichende Brise trug grimmig schnaubendes Lachen und schwache Schwefel- und Fleischgerüche herauf. Teilweise blieb der Geruch hängen, als sich der Wind legte. Das lag an mir, von Hundehaaren bedeckt und verräuchert vom Holzqualm aus dem Blockhaus am Baldy, zunehmend übel riechend in zwei Tage alten Klamotten und Unterwäsche, die in Heists Armen ein paarmal feucht geworden war.

Ich folgte Spark am Kraterrand entlang. Sie stieg noch nicht hinab, obwohl es genug Freiraum gab, der ein Zuschauen aus der Nähe erlaubt hätte. Ich öffnete meine Handtasche, wühlte darin und bestätigte mir das Offensichtliche – kein Netz. Als ich sah, dass der Akku halb leer war, schaltete ich das Smartphone ganz ab. Ich ertastete ein Lippenstiftröhrchen. Instinktiv zog ich es heraus, zog meine Lippen nach und übermalte sie prompt. Spark starrte mich an.

»Meine Lippen sind aufgesprungen«, sagte ich, erwähnte aber nicht weiter, dass ich sie mir immer wieder an einem Männerbart aus Stahlwolle wund gescheuert hatte. »Wenn du nicht rein zufällig irgendeinen Ziegenmilchbalsam dabeihast, ist das das Beste, was ich zu bieten habe.« In Wirklichkeit hatte ich aus einem Kurz-vor-der-Party-Impuls heraus gehandelt, als wäre ich gerade in Chinatown aus dem Fahrstuhl in ein Loft getreten.

Inzwischen war ich dahintergekommen, dass ich Heists Aufmerksamkeit kaum mit Red Amour Crème Smooth von Laura Mercier erregen würde. Oder doch?

»Möchtest du auch?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Hab ich Spuren auf den Zähnen? Egal. Dann bring mich mal zu meiner Freundin.«

»Sie ist noch nicht da.«

»Woher weißt du das?«

»Sie ist Teil des Rituals. Soweit ich gehört habe.«

»Na umso besser. Dann kidnappen wir sie aus der Garderobe.«

Spark legte den Kopf schräg, als würde sie ein modernes Kunstwerk begutachten. »Du bist komisch, Manhattan.«

»Woher weißt du, dass du mich Manhattan nennen kannst? Hast du in meiner Brieftasche geschnüffelt?«

»Du redest viel, das reicht. Komm, wir treffen einen Freund von mir.« Sie klang wie ein Teenager. »Der wird dir gefallen, er redet auch viel.«

»Ein Bär?«

»Nicht alle Männer sind Bären, auch wenn du das vielleicht gehört hast.«

»Von Anita gehört, meinst du.«

»Ja. Von ihr und Donna.«

»Aha.« Ich nahm mir vor, nicht mehr so viel zu reden, und beließ es dabei. Wir schlichen über den Kamm, um einen Freund von Spark zu treffen. Mein neues Leben war reich und ausgefüllt.