Der Junge, den Spark mochte – beides war sofort zu sehen: dass er ein Junge war und wie sehr sie ihn mochte –, redete einem wirklich einen Knopf an die Backe. Er logierte in einem kleinen Felsdreieck, das irgendwann von irgendwem voller Umsicht errichtet worden sein mochte und einen ausgezeichneten Blick auf die Umgebung und in den Kraterboden erlaubte.
Er war groß und attraktiv, hatte eine Jesusmähne und nach jugendlichen Maßstäben auch einen Bart – eher lückenhafter Flaum am Kiefer und an den Wangen nicht sehr hoch, aber da, wo er wuchs, herrlich zauselig. Seine Augen waren sogar in der Dunkelheit blassblau, und etwas Wissendes und Sanftmütiges lag in ihnen. Er erkannte Spark, gestattete meine Anwesenheit und reichte uns eine Thermosflasche. Ich erwartete Wasser und setzte sie an. Es war aber irgendein hochprozentiger Wüstenschnaps, vielleicht fermentierter Agavennektar. Ich wusste, dass es idiotisch und auch im besten Fall alles andere als hilfreich war, ihm zu vertrauen, trotzdem trank ich ein paar herzhafte Schlucke.
»Eine solche Nacht ist eine Prüfung der eigenen Konzentration«, sagte der engelsgleiche Jugendliche zur Begrüßung. Er legte echte Wärme in die Bemerkung.
»Wie das?«, fragte ich.
»Wir sind in den Traum eingebettet, aber dem sind wir egal. Im Grunde ist das eine bittere Erkenntnis. Ich fühle ein Gewicht auf meiner Brust, als läge ein großes Tier darauf, aber wahrscheinlich will es mich nicht trösten. Ich habe den Geschmack verbrannter Blumen im Mund. Ich habe nichts geraucht, aber ein paar Samen gegessen.«
Ich wusste nicht, wie weit ich überhaupt versuchen sollte, ihm zu folgen. »Ich bin Phoebe«, sagte ich. »Und wie heißt du?«
»Ich benutze im Moment keinen Namen.«
»Kein Problem, ich versuch auch, die Dinge einfach zu halten. Ich möchte meine verschwundene Freundin finden, bevor jemand zu Schaden kommt.«
»Einfach ist gut! Nimm nur nichts persönlich. Wenn der große Sturm kommt, werden sie ihr Drama unter Wasser aufführen.«
»Meinst du den Bärenkampf?« Ich warf einen Blick in die Arena unter uns. Gestalten bewegten sich durch die Dunkelheit, bereiteten vielleicht Dinge vor, aber noch zündete niemand die Fackeln an. Ein Soundtrack drang durch die Nacht. Irgendwer, und dann drei oder vier irgendwers schlugen auf etwas, das sich wie Plastikfässer anhörte. Die Tonalität war so schäbig und hohl, dass sie nicht mal an den Standard des alten Eisenhans heranreichte.
»Ja«, sagte der schöne Junge. »Er kommt uns wichtig vor, weil wir Menschentiere sind und zwangsläufig glauben, Geschichten seien wichtig. Das ganze alberne Spiel könnte aber ausgewaschen werden.«
»Der Regen kann es verzögern, meinst du?«
Er blinzelte nicht. »An der Uni hab ich Baseball gespielt, stand an der zweiten Base. Eines Tages hab ich einen Parallelball an die Schläfe gekriegt. Als ich dem Trainer gesagt hab, ich würde nicht mehr zurückkommen, war das einer der schlimmsten Tage meines Lebens. Das Anthropologiestudium hab ich auch sausen lassen. Vegan hab ich mich damals schon ernährt, aber auch dadurch kam ich nicht an die Dinge heran, die mich wirklich interessierten.«
»Und deswegen schaust du dir jetzt die Bären an.«
»Die Menschen machen sich zu viele Gedanken wegen spezifischer Tierinkarnationen«, sagte er. »Es genügt, sich zu sagen, dass wir große Säugetiere sind und wie komisch das ist. Was mir an den Wüstenleuten so gefällt, ist, dass man mit ihnen ein ehrliches Gespräch über den Weltuntergang führen kann. Für den Mann an der Tankstelle am Twentynine Palms Highway gilt das genauso wie für uns hier draußen.«
»Was für Samen hast du gegessen?«, fragte Spark. Sie war in den Schutz seines Steindreiecks geglitten. Seine unglaublich attraktiven Gliedmaßen und sein mit voller Kraft durchdrehender Geist zogen sie an, und ich konnte mir nicht helfen: Mir ging es genauso. Dank seiner Schönheit sah ich die Wüste und die Bären mit neuen Augen. Auch Spark brachte ich dadurch andere Gefühle entgegen. Anfangs hatte sie nur Hunger verkörpert. Ich konnte ihre Wangenknochen beneiden, aber sonst so gut wie nichts. Als ich sie jetzt neben ihm kauern sah, verstand ich, dass sie Hunger und wildes jugendliches Vögeln hatte, und das wahrscheinlich regelmäßig.
»Trockene Herbstsamen«, erklärte er ihr. »Datura. Ziemlich stark. Ich musste mich übergeben und hatte einen kreideweißen Urinstrahl. Euch beide sehe ich jetzt beispielsweise in Hundegestalt. Bevor ihr gekommen seid, hatte ich ein Gespräch mit einem Wesen aus Maishülsen und Holzkohle. Ich bin neben einem Maisfeld groß geworden, das heißt aber nicht, dass es mir gehört hätte.«
Ich hatte den Namen seiner Droge noch nie gehört, verstand aber die Wirkung. Es war nicht das erste Mal, dass ich Leute auf einem Trip erlebte. »Leute, die über den Weltuntergang sprechen, tun das nicht immer uneigennützig«, legte ich ihm nahe. »Manche wollen ihn herbeiführen.«
»Das haben wir alle schon«, sagte er. »Wir haben die Erde zerstört.«
In einem Kalender Männer der Erderwärmung hätte der Junge einen idealen Mister Januar abgegeben. Aber ich wurde wütend, weil er uns in eine gleichmacherische Verstrickung einbezog und neben die toxischen Anzugträger stellte, die Grapscher und Faktenfälscher, die machiavellistischen Auspresser, Aufspalter und Einmaurer, die Wahlmänner. Große Säugetiere waren sie alle, sicher, aber nicht alle besaßen menschliche Seelen.
»Nicht wir alle«, sagte ich. »Ein paar von uns, eine Handvoll, hat es den anderen eingebrockt.« Der Junge im Loch oben auf dem Berg war wahrscheinlich auch nichts anderes gewesen als ein Schule schwänzender Rhapsode wie der hier, bevor er sich in die Felle gehüllt hatte. »Du musst hier weg«, sagte ich aus plötzlich aufwallender Mütterlichkeit heraus. »Jemand könnte dich zu früh umbringen. Wäre doch ein Jammer, wenn du deinen Weltuntergang verpasst.«
»Den kann man nicht verpassen. Wir sind immer schon mittendrin.«
Vielleicht hatte ich vom Rand der herumgehenden Thermosflasche Spuren von Datura abbekommen, jedenfalls fand ich seine Bemerkung gar nicht so sinnlos. Hier in der Wüste wurden wir von einem grenzenlosen Etwas eingeschlossen, für das Weltuntergang vielleicht genau das richtige Wort war. Auf einmal roch ich brennendes Kerosin, eine Duftnote, die noch böser war, fand ich, als das Wesen aus Maishülsen und Holzkohle, das dem Jungen erschienen war.
Ein aus der Mode gekommenes Wort – böse. In den letzten Monaten hatte ich mich aber mit ihm anfreunden müssen. Es erledigte einiges an Knochenarbeit, und das gefiel mir.
»Die sind zu allem imstande«, verklickerte ich ihm.
»Ich bin erwartungsoffen.«
»Schön und gut, aber die sind nicht so offen wie du. Die stehen auf Tod, nur nicht auf ihren eigenen. Was glaubst du eigentlich, was du hier sehen wolltest?«
»Hohle und kreisförmige Rituale sind echt toll. So lernt man Demut vor dem chimärischen Traum der Zivilisation.«
Das war natürlich alles rasend interessant, aber wenn ich mich für den Abstieg wappnen wollte, musste ich den Jungen loswerden. Ich brauchte Spark noch, brauchte die Unterstützung ihrer Kaninchenaugen, wenn ich bei diesem Spiel vertrauen und gefährliche Akteure unterscheiden wollte. Vielleicht brauchte ich auch die Waffe an ihrer Hüfte. Aber ihr Freund war Übergepäck, nicht nur weil er sich offenkundig nicht auf Verstohlenheit verstand. Solange er in der Nähe war, war ich anfällig für Kontakt-Trips – die Ansteckungsgefahr seiner samengezeugten Philosophie.
»Denk einfach dran, dass ein Mann hier versuchen soll, einen anderen zu töten«, sagte ich, nahm Spark an die Hand, und sie kam mit.
»Von hier oben sehen die winzig aus«, sagte der Junge.
»Ich drück uns immer noch die Daumen, dass das Ganze wegen Regen abgesagt wird.«