Die Größe der Arena wurde erst deutlich, als die Fackeln angezündet wurden. Ihre Lichtverschmutzung und Qualmwölkchen löschten die galaktischen Weiten des Sternenraums, der die Wüste überwölbte. Dafür wurde jetzt die Tiefe der Senke erhellt, in die Spark und ich uns begeben konnten, weil die Fackeln die Dunkelheit nur mit ein paar Lichtinselchen durchlöchern konnten. Als wir zur Stadionfläche hinunterschlichen, zeigte sich erst, wie weit es zur Talsohle war. Große Flecken blieben dunkel, und an diese hielten wir uns. Die Nacht wurde kälter, die Sterne wurden von Wolken überschattet, und ich beneidete die Zuschauer um ihre kleinen Feuer. Jessie fehlte mir. Spark sah mir nicht nach einer großen Kuschlerin aus.
Anita und Donna saßen mit ein paar älteren Kaninchen in ihrem eigenen Hochsitz oben am Krater, der einer Loge in der Oper entsprach. Wahrscheinlich hätte mich das nicht groß überraschen sollen. Es war Freitagabend, wenn ich die Tage richtig gezählt hatte, und was die Mojave anging, war nur hier Leben in der Bude. Meine Ernüchterung war ein vertrautes Gefühl, wie bei der Nachricht, dass Chuck Schumer und Jeff Sessions im selben Fitnessclub Hanteln stemmen, oder die Beobachtung, dass die ganzen hohen Tiere im Smoking Martinis trinken gehen, wenn die parteiliche Blockadepolitik mal wieder für einen Tag erledigt ist. Auf der Tribüne waren noch mehr Frauen zu sehen, die aber nicht nach Kaninchen aussahen. Sie waren eine andere Sorte Wüstenbewohner; vielleicht die Bärengroupies, die Heist erwähnt hatte.
Ich war mal in einer überfüllten Linie 4 unterwegs, der Lexington, und der ganze Waggon wurde von einem frisch entlassenen Häftling aus Rikers Island eingeschüchtert. Sein Status war unverkennbar, die Furcht einflößende Paranoia in seinen Augen machte ihn zu einer Handgranate mit abgezogenem Stift. Er hatte zu lange keinen vollgestopften U-Bahn-Waggon mehr erlebt, wo Körper ihn nicht bewusst bedrängten, um Machtansprüche geltend zu machen, sondern weil sie auf dem Weg zur Arbeit nicht anders konnten. Jedes Mal, wenn ihm jemand zu nahe kam oder auch nur den Fehler machte, ihm in die Augen zu sehen, explodierte er fast in dessen Richtung. Unverkennbar war er auch wegen seiner obszön auftrainierten Muskulatur, wie man sie sonst nur bei internationalen Führungskräften zu sehen bekommt, die das atavistische Entsetzen, das sie bei anderen Menschen auslösen, durch treudoofe Dackelblicke und dümmliches Grinsen ausgleichen und einen so daran erinnern, dass Machtdemonstrationen mit einem Leben in bravem Luxus, großen Herzen und steroidbedingt verschrumpelten und harmlosen Genitalien einhergehen.
Solitary Love war anders. Wie der Mann in der U-Bahn begrüßte der König der Bären den Schrecken, den er unter seinen Zuschauern verbreitete. Seine Aufmachung bestand aus Bärenfellen, die lose die Schultern umhüllten und vor der Brust mit Riemen verschnürt waren, und nichts darunter. Sein schemenhaft sich abzeichnendes Gehänge schwang hin und her, als wäre er immer leicht erregt. Als er neben den Fackeln stand, konnte ich sogar aus der Ferne seine zu weit aufgerissenen Augen erkennen, und der Mund in seinem Bart war eine einzige Baustelle. Auch darin glich er dem Mann in der U-Bahn. Im Knast gibt es Hanteln, aber keine Zahnärzte. An Zahnseide musste man sich selbst erinnern.
Es war aber ein Fehler, mich zu sehr auf die unwillkürliche Assoziation von Solitary Love mit dem entlassenen Sträfling in der Lex zu verlassen. Damit versuchte ich nur, mir Mut zuzusprechen. Ich war nicht mehr in New York. Der Mann in der U-Bahn war eine halbe Stunde später wahrscheinlich wieder mit der Polizei zusammengerasselt und ein oder zwei Tage später festgenommen oder von einem Gummiknüppel erwürgt worden. Wir hatten in der U-Bahn vielleicht Angst vor ihm gehabt, aber es war unsere U-Bahn gewesen, nicht seine. Solitary Love war ein reines Wüstenprodukt, und wir waren ihm ausgeliefert. Sparks Freund hatte auf seinem Trip recht gehabt. Solitary Loves Aussehen und Haltung waren eine Korrektur dessen, was der namenlose Junge den chimärischen Traum der Zivilisation genannt hatte. Als der Bärenkönig in den fackelumflackerten Kampfring geschritten kam, hatte man gar nicht mal so sehr den Eindruck, Milde und Mitgefühl wären erledigt, Geschmack, Ordnung und Sinn wären suspendiert – oder doch, das auch, aber da war noch mehr. Wenn man ihn sah, wünschte man sich fast schon die nächste Sintflut herbei.
In diesem Augenblick rechnete ich nach und merkte, dass wir seit ein paar Stunden in einer neuen Welt lebten. Barack Obama war nicht mehr Präsident.
Verschiedene Gestalten huschten am Arenarand entlang, wo Solitary Love wartete, aber Heist war unschwer zu erkennen. Er war der andere Mann in Bärenfellen und saß, den Kopf gesenkt, auf einem Stein. Unter der Fellaufmachung trug er die rote Lederjacke und dreckige Jeans, sein übliches Kostüm, das mein Herz kurz aussetzen ließ. Er war allein.
Mein Herzklopfen konnte es mit den Trommeln aufnehmen. »Wir müssen näher ran«, sagte ich zu Spark.