Wieder brannte ein Feuer, oder immer noch, trotz des Regens. Unerklärlicherweise war ich stolz auf die Hartnäckigkeit der Flammen, als ginge sie im Kern auf meine kleine Zweigsammelaktion zurück. Ging sie vielleicht auch. Der Regen hatte nachgelassen, und der Wind, der ihn hergebracht hatte, war ganz abgeflaut. Die kleinen Behausungen, Unterstände, Sonnenschirme und halb bedeckten Tipistrukturen, die die Feuerstelle umgaben, reichten aus, um uns allen Schutz zu bieten. Die Neptune Lodge war zu sehen, und durch ein unverdunkeltes Fenster sah man sogar eine Tischlampe, die die Existenz elektrischen Stroms bewies, aber sie lockte uns nicht vom Feuer weg. Mein Bett, das Zimmer mit der abschließbaren Tür, führte mich nicht in Versuchung. Ich hatte an der Feuerstelle noch einiges zu tun.
Hier waren mehr Kaninchen, als sich in den dunklen Ausbuchtungen an der Arena je hätten verstecken können. Trotzdem hatte die Versammlung etwas von einer Nachtwache oder einer Zeugnisgemeinschaft als Nachspiel jener anderen Szene, als wäre das Feuer in dessen Vorwegnahme aufgeschichtet worden. Die bärischen Energien mussten in Form von Kaninchenrauch und Gemurmel unter dem Wüstenhimmel dekantiert werden. Jemand spielte Gitarre, offene zyklische Akkorde. Ich sah Lorrie, meine Zweigschwester. Sie lächelte, als sie sah, dass ich sie sah. An einer anderen Stelle im Kreis sah ich Spark, ruhiger als je zuvor. Der namenlose Junge saß neben ihr, der jetzt eindeutig mehr von einem Kaninchen als von einem Bären hatte. Ich brachte ihnen allen nur Liebe entgegen.
Ich saß neben Arabella. Anita hatte uns trockene Sachen gegeben, Jogginghosen und T-Shirts aus dem Secondhand-Laden, die sie aus einem grünen Plastikmüllsack zog. Wir zogen uns im Freien um wie Frauen in einem Umkleideraum. Auf meiner Hose stand Juicy quer über dem Po. Dann hatten wir uns unter ein dreieckiges Schutzdach gesetzt, ein bisschen von den anderen weg. Wir sprachen noch nicht miteinander, sondern kommunizierten auf der Wellenlänge einer New Yorker Selbsthilfegruppe von Bären-Überlebenden, oder das gestattete ich jedenfalls meiner Fantasie. Ihre Lippen hatten wieder ihre normale Farbe. Das Feuer war alles, was wir vorläufig brauchten.
Im Kreis aber wurden Dinge herumgegeben, Decken, Wasserpfeifen, Essen und Getränke. Ein jüngeres Kaninchen, das unglaubliche Wärme und Anteilnahme ausstrahlte, reichte uns zwei Holzschalen. Sie enthielten ein heißes und süßes Püree. Das Kaninchen erklärte uns, es würde aus Wüstenzutaten zubereitet, Pinienkernen, Chia, Kaktus und Mesquiteschoten. Mit Wacholder abgeschmeckt, erinnerte es an etwas, das man einem Kind am Weihnachtsmorgen gab, und wir fingerten es uns dankbar in den Mund. Bevor das Kaninchen weiterging, sagte es: »Es ist so schön, dass du wieder da bist, Phoebe«, sprach aber Arabella an. Und ich kannte sie auch gar nicht.
»Hast du meinen Namen benutzt?«, fragte ich Arabella, als das Kaninchen gegangen war. Ich hatte das schon vergessen.
Arabella nickte und sah ins Feuer. Ihre Hände steckten in der Mufftasche eines großen, formlosen Kapuzenshirts und dehnten es bis unter die Knie. Sie hätte zwölf sein und am Strand bei Truro sitzen können.
»Schon okay«, sagte ich, weil sie sich nicht kritisiert fühlen sollte. Ich verstand jetzt, dass sich die Dinge hier in der Wüste von ihren alten Zwecken lösten. So war mir mein Name vorausgereist und hatte Leben geschmeckt, die ich mir nicht vorstellen konnte, und vielleicht hatte er Arabella auch ein wenig beschützt. Er gehörte mir nicht.
Ich wollte aber unbedingt wissen, ob und wovor ich sie gerettet hatte. Heist war fort und hatte einen Teil von mir mitgenommen. Mir waren nur Restzwecke geblieben. Es gab keine Worte für den unwirklichen Verlust, den ich erlitten hatte, daher verfiel ich auf mein Leitbild – meine Zitat Grundwerte Zitatende.
»Ich habe Roslyn versprochen, dich zu finden«, sagte ich. Ich sagte »Roslyn« und nicht »deine Mutter«, um ihr zu vermitteln, dass wir jetzt alle gleich waren.
»Okay.« Sie starrte weiter in das gegen Regen immune Feuer. Man wurde leicht von ihm hypnotisiert.
»Bist du traurig?«
»Weiß ich nicht.«
»Hattest du einen … Bärenfreund?« Ich wusste, dass sie die Zusammenziehung verstehen würde.
»Ja, schon ein paar.«
»Du willst nicht zurück, oder?«
»Nein. Die Leute da sind voll die Langweiler.«
So hätte ich es nicht gesagt, aber ich war erleichtert.
»War Solitary Love dein Bärenfreund?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der war schräg. Er hat gesagt, ich würde mal seine Königin. Das war alles ziemlich Game of Thrones-mäßig.«
»Hattest du Angst?«
Arabella zuckte nur die Schultern. Ich wollte sie nicht fragen, ob sie die Leichen auf dem Mount Baldy gesehen oder mit welchen Formen der Gewalt sie sich hatte arrangieren müssen. Diese Dinge konnte ich vor uns beiden nicht als normal ausgeben, also war es mir lieber, wenn sie zumindest nicht völlig verwirrt war. Ich konnte mir denken, dass sie nichts Schlimmes durchgemacht hatte, aber ich wusste, dass sie immerhin beim Duell der Könige in der ersten Reihe gesessen hatte und meine Verwicklung in den Zweikampf mitbekommen hatte. Nackt in Federn und mit einer Krallenkette um den Hals. Aber wenn ihr ein Zusammenbruch bevorstand, sollte der bitte schön bis Brooklyn und Roslyn warten.
»Der andere Mann«, sagte ich. »Der, der ihn getötet hat –«
»Ich weiß, wer das ist, Phoebe. Charlie-Boy. Baby. Der Erstgeborene.«
»Charles Heist, genau.«
»War er dein Bärenfreund?« Jetzt war es an ihr, mich anzusehen, und an mir, ins Feuer zu starren.
»Kann man so sagen.«
»Sie haben mir alles über deinen Lover erzählt«, sagte sie.
»Ach ja?«
Sie hatte tatsächlich ein Funkeln in den Augen, was ich gern sah. Als Teenager war es ihre Lieblingssportart gewesen, meine in aller Regel scheiternden Partnerschaftsanbahnungsversuche zu verspotten. »Ja«, sagte sie. »Das ist dieser superlangweilige Bär, der keiner sein will und ständig die Bären- und Kaninchenkinder rettet, auch wenn die gar nicht gerettet werden wollen.« Dass sie mir auf diese Weise eins auswischen konnte, war ein gutes Zeichen, ein Signal, das ich am liebsten gleich Roslyn weitergeleitet hätte. Das altkluge Mädchen war noch da.
»Ja. Du weißt ja – so mag ich sie: ambivalent. Durchgeknallt und durch den Wind.« Außerdem bin ich das superlangweilige Kaninchen, das dich rettet, liebe Arabella, ob du willst oder nicht. Aber das sagte ich nicht laut.
»Scheint dieselbe Spaßbremse zu sein wie alle deine Freunde. Ein Glück, dass ich nicht deinen Männergeschmack abgekriegt hab. Der wird mal ein echt lahmer König.«
»Falls er überlebt.«
»Seine Chancen stehen besser als die von Solitary Love.« Sie klang verbittert, aber ich versuchte, das nicht persönlich zu nehmen. Mit dem langsamen Sinken meines Adrenalinspiegels kehrten meine Nancy-Drew-Instinkte zurück, und ich fragte mich, ob Solitary Love nach all dem, was ich heute Nacht mitbekommen hatte, nicht doch zu Sages Beschreibung des älteren Manns und Mönchsfreunds passte, der Arabella und sie vom Berg herabgebracht hatte. War ich hinter einem Phantom her? Ich würde Arabella fragen müssen, ob ein solcher Mensch existierte. Erst musste ich sie aber wieder ganz auf meine Seite bringen. Im Moment wütete zwischen uns noch der Krieg in der Arena.
»Auch wenn wir verschiedene Lieblingsbären haben, können wir doch noch Freundinnen sein, oder?« Ich versuchte, den angemessen launigen Ton zu treffen.
Das schien zu klappen.
»Meinetwegen«, sagte sie wehmütig. »Ich hab eigentlich keine Lieblingsbären.« Das klang wie eine nachträgliche Zustimmung zu dem, was ich gemacht hatte – die Suche nach ihr, meine ich, nicht meine Mithilfe bei einem Mord. Dafür suchte ich keine Genehmigung.
Das Feuer, das ziellose Gitarrengeklampfe und der Bauch voll heißer Pinienkerne und Chia taten das Ihre, nicht nur bei uns beiden, sondern in der ganzen Runde. Man hätte meinen können, den Schalen wäre etwas Einschläferndes beigemischt gewesen. Arabella und ich leckten uns die Finger ab, streckten uns auf dem Boden aus und kuschelten uns wie Heists Hunde zu einem Nickerchen zusammen. Meine Handtasche war trocken genug, um sie als Kissen unter den Kopf zu schieben. Anita kam und breitete eine Decke über uns aus, und wir verließen die Party eine Zeit lang. Damit waren wir nicht die Einzigen.