Kapitel 54

Es waren nicht nur Männer, aber vor allem Männer, und die Frauen hielten sich zurück. Und es waren nicht nur weiße Männer mit Bärten, aber mehrheitlich – es gab ein paar Latinos mit Bärten, und ein paar Männer hatten gar keine Bärte. Es gab Truckermützen und Bandanas, schrille Koteletten und Bierhalter. Es waren vielleicht zwanzig bis fünfundzwanzig Leute, und nichts zeichnete die Szene besonders aus. Es hätte ein x-beliebiges Picknick auf einem Stadionparkplatz sein können oder eine Menschenansammlung abseits eines Freiluftkonzerts, wo die Bühne so weit weg ist, dass man die Musik gar nicht mehr mitbekommt. Nur war es eine Menschenmenge in der Dunkelheit am Ende der Welt, eine Wagenburg aus Wohnmobilen und Trailern, die Schutz vor Sand und Wind einer apokalyptischen Leere suchten, und die ganze Sache jagte mir eine Heidenangst ein.

Normale Menschen sind vielleicht das Entsetzlichste, was es auf Erden gibt. Normale Amerikaner, besser gesagt. Monatelang hatte ich sie jetzt im Hintergrund der endlos im Fernsehen gezeigten Aufmärsche studiert, in die riesigen vertikal ansteigenden Arenen gestapelt, wo sie der Rückseite eines blauen Anzugs und einer roten Mütze huldigten. Ich hatte zu ergründen versucht, was sie bloß in ihm sahen, und mich gefragt, wo sie hinterher hingingen. Hier war wenigstens ein Ort. Offenbar zerstückelten sie die unbefleckte Wüste mit ihren Geländefahrzeugen, Mitteldingern zwischen Monster-Jeep und Dreirädern, von denen zwei gerade aus der Dunkelheit angebraust waren, kaum dass wir das Camp betreten hatten. Die Scheinwerfer erzeugten zwei horizontale Säulen aus rebellischem Staub, den sie wohl mit ihren Reifen aufgewirbelt hatten – wahrscheinlich atmeten wir das Zeug gerade ein. Alle bejohlten ihre Rückkehr, und die Fahrer wurden sofort in die angeheiterte und planlose Gemeinschaft aufgenommen, die ich nur als eine einzige brodelnde Bedrohung ansehen konnte.

War ich ungerecht? Wahrscheinlich. Gut, da war der Mann, der Melinda und mich vom Feuer weggedrängt und immer wieder gefragt hatte, ob wir Lust auf Party hätten, aber die Typen gab es überall. (Und besorgniserregend wurde es erst, wenn fünf oder sechs fragten.) Wir hatten für ein bisschen Trubel gesorgt, als wir als Unbekannte plötzlich aus der Wildnis aufgetaucht waren, aber ehrlich gesagt weniger, als ich selbst gedacht hätte. Sie waren nett zu den Hunden und fütterten sie mit Würstchen, die sie auch uns anboten. Ein paar beachteten uns gar nicht weiter. Aber ich verglich sie fast zwanghaft mit den Bären. Sie waren ein Tableau dessen, wovor ich am meisten Angst hatte – der Zitadelle der Monstermänner –, und bildeten gleichzeitig deren banales Gegenteil. Ich sagte mir, dass viele dieser Männer jederzeit zusammenpacken und ihr Fahrzeug hinter Vorstadthäusern abstellen konnten, auch wenn es in manchen Fällen die Häuser ihrer Eltern waren. Die Älteren waren teilweise bestimmt verheiratet oder geschieden und hatten Hypotheken, die den Wert ihrer Häuser überstiegen. Sie waren nicht an diese apokalyptische Grenze gereist, weil sie wie die Bären vor der Einziehung nach Vietnam flohen, vor dem SDS, LSD oder Urschreitherapien, die kein Ende nahmen. Sie hatten einen Film gesehen, vielleicht einen mit Mel Gibson, oder einen Clip auf YouTube, und hatten sich aufgetakelt. Ich sah Waffen – einen Gewehrständer hinter der Fahrerkabine eines Pick-ups und zwei Pistolen in offenen Jacken –, aber die steckten poliert in ihren Holstern, waren weggesperrt und wahrscheinlich gesichert. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass ihre Besitzer Waffenscheine hatten.

Laird ragte in ihrer Mitte auf und suchte jemand Bestimmtes. Fündig wurde er anscheinend nicht, aber trotz seiner Größe und seltsamen Aufmachung fiel er in der Menge nicht weiter auf. Ich nahm an, dass er öfter als Schleuse zwischen den Leuten im Schwemmkegel und der Außenwelt agierte. Ich wusste schließlich nicht, über welche früheren Erfahrungen mit der Bürokratie der Sozialdienste einerseits und den Wüstenbewohnern andererseits er verfügte. Ich sollte seine Vielseitigkeit nicht unterschätzen, bloß weil er keine Lust hatte, mich mit meinem Namen anzureden. Er war in diesem Kreis nicht der Einzige mit rasiertem Schädel, und ich bin sicher, dass seine Muskeln alle anderen genauso beeindruckten wie mich. Den Männern hier goss er Wasser auf ihre Mühlen.

Meinem Vorhaben zum Trotz blieb ich nicht so nah dran, dass ich hätte mithören können. Ich blieb vielmehr bei Melinda, half ihr, die Hunde im Auge zu behalten – ich hätte sie gern an die Leine genommen, hätte dann aber ein schlechtes Gewissen Heist gegenüber gehabt –, und blieb am Rand der Versammlung, statt in sie hineingezogen zu werden. Eine gastfreundlich angebotene Dr. Pepper war mir lieber als ein Pabst Blue Ribbon. Als mir endlich klar wurde, dass Laird recht gehabt hatte und sie uns nichts tun würden, war ich fast enttäuscht.

Es kam mir in den Sinn, dass diese Menschen es sich leisten konnten, mit den Bären, meinen heiligen Feinden, Mitleid zu haben – sie konnten sich wohltätig ihnen gegenüber verhalten, sie als harmlose Talismane behandeln, als »Wüstenratten«. Dadurch hasste ich sie noch mehr als meine Feinde. In meiner neuen Haltlosigkeit war ich aufgenommen worden. Ich verachtete diese Menschen an ihrem Lagerfeuer, nicht weil ich hier Einblick in die ethischen und ästhetischen Geheimnisse des anderen Amerika bekam, sondern weil sie in ihrer Ausgelassenheit auf die Stämme von Viscera Springs herabschauten, auf Melinda und Laird und auf Heist und mich.