Kapitel 55

Am Jeep verlangte Laird den Schlüssel. Er wollte fahren. Melinda hockte vorne im Lichtkegel der Scheinwerfer und kümmerte sich um Vakuum, der Koliken hatte. Am Feuer hatte sich irgendwer den Spaß gemacht, ihn mit einer langen Reihe ungebratener Frankfurter zu füttern wie bei einem Wettfressen auf Coney Island, und jetzt kamen die alle wieder raus.

Der Wind frischte auf.

»Im Mietvertrag steht mein Name«, sagte ich.

»Ich mach schon nichts kaputt«, sagte Laird. »Es ist leichter, wenn ich fahre, als wenn ich dir in der Dunkelheit immer sagen muss, wo du lang sollst.«

»Braucht zu viele Worte, hm?«

»Das kommt hinzu. Hat Mr. Heist vielleicht erwähnt: Ich hab ein paar zusätzliche Stimmen im Kopf.«

»Ich hab so was läuten hören.« Er hatte keine Probleme damit gehabt, sich unter die Männer am Lagerfeuer der Wagenburg zu mischen, aber vielleicht ähnelten deren Stimmen ja auch denen in seinem Kopf. Ich hatte keine Lust zu streiten und gab ihm den Schlüssel. Der Wind wurde stärker, und ich wollte in den Jeep. »Hast du einen Führerschein?«

Er warf mir einen Blick zu, den ich wahrscheinlich verdient hatte. »Du weißt aber schon, dass es hier draußen keine Polizei gibt, oder, Mary Poppins?«

»Ja, weiß ich.«

»Wir fahren zum Stützpunkt Twentynine Palms. Das Reich der Marines, wo die für ihren ganzen Wüstenscheiß ausgebildet werden. Wenn uns die Militärpolizei im Sperrgebiet erwischt, sind Führerscheine das Letzte, was die interessiert. Ansonsten ist das Niemandsland.«

»Mir geht’s nur um die Versicherung.«

»Hier kannst du die Augen zumachen und eine Stunde lang in jede beliebige Richtung fahren, bevor du irgendwas triffst. Das ist doch genau, was diese Leute hier draußen machen.«

»Müssen wir nicht irgendwann die Felsen hoch?«

»Die Bären, hinter denen du her bist, haben die Felsfahrten so ziemlich aufgegeben, als sie alt geworden sind. Es ist ziemlich viel Arbeit, die Autoteile immer wieder zusammenzuschweißen. Die kümmern sich jetzt eher um ihre Lendenwirbelstützen. Wir finden die in den Ebenen.«

»Dann hast du da drüben also was in Erfahrung gebracht?«

»Sagen wir, ich konnte ein paar Variablen ausklammern.«

»Die wissen, wo die Älteren sind?«

»Die Frage ist eher, wo die Marines im Moment ihre Falludscha-Attrappen aufbauen. Wo die nicht sind, da fahren wir hin. Ich hab da ein paar Ideen.«

»Dann nichts wie los.«

»Nee. Ich weiß ja nicht, was du über mich weißt, aber ich bin kein nachtaktives Lebewesen.«

»Soll heißen?«

»Soll heißen, ich weiß, wo wir hier in der Nähe die Nacht über windgeschützt sind. Und wenn du Angst wegen deiner Versicherung hast, willst du doch sowieso nicht im Dunklen unterwegs sein. Und dann ist da noch die Kleine.« Er nickte zu Melinda hinüber, die außer Hörweite war und sich immer noch um die Hunde kümmerte.

»Ich denk, man kann mit geschlossenen Augen fahren.«

»Das war vielleicht übertrieben. Es gibt verlassene Minen, wo man in der Dunkelheit ungern reinfahren möchte. Und im Manövergebiet könnte man Blindgänger in die Luft jagen.«

»Ich möchte im Schutz der Nacht fahren.«

Meine Dickköpfigkeit hatte einen Unterton der Verzweiflung. Mit der Fahrt zur Wagenburg hatte ich meine Erwartungen, die auf dem Jeep-Trip mit Heist auf der Suche nach den Kaninchen fußten, schon in die Tonne getreten. Ich hatte mich mit den Bären auf unüberschaubarem Terrain befassen wollen, sie sollten mich möglichst nicht kommen sehen, damit Verstohlenheit und Schnelligkeit à la Spark den Sieg davontrugen. Doch die Bären enttäuschten mich, weil sie die Hügel aufgegeben hatten. Irgendwie war das traurig. Außerdem konnte ich nicht mal mehr so tun, als hätte ich einen Plan. In Gesellschaft eines Schizoiden mit Marfan-Syndrom dreist durch die Ebene zu kutschieren war keine verlockende Vorstellung, und jetzt schlug Laird auch noch vor, das am helllichten Tag zu machen.

»Ich führe hier keine Diskussion«, sagte er. »Ich muss nämlich schlafen. Außer, du schiebst mir was von Mamas kleinen Helferlein rüber, die dich die ganze Nacht auf Trab halten.«

»Ich bin nicht auf Droge.«

»Vielleicht keine Weckamine, von denen du was abgeben kannst. Schade, ich hätt’s gern mal ausprobiert. Uppers für mich oder Downers für dich – beides wäre okay, dann würdest du jedenfalls nicht mehr so nerven.«

»Ich komm einfach bloß aus New York«, sagte ich.

»Du bist eindeutig eine Lady auf dem Kreuzzug, das steht fest.«

»Wir reiten also im Morgengrauen los?«

»Wir reiten im Morgengrauen, Mary Poppins.«