Es dauerte ewig, den Hügel hochzusteigen. Das Blut pochte so sehr in meinen Ohren und hinter meinen Augen, dass die Sonne zwischen den Speichen des Riesenrads zu pulsieren schien. Als ich unter der Anlage stand, merkte ich, dass sie größer war, als sie von Weitem ausgesehen hatte. Sie bestand aus rostigem Stahl, das Innenskelett war unverkleidet, und die Gondeln waren in abplatzendem Pink, Gelb, Knallrot und Erbsengrün lackiert. Die ganze Konstruktion war transportabel, am Fundament, das auf einen Pritschenwagen passte, waren acht Doppelräder angebracht, es hatte aber zusätzlich noch acht stabilisierende Stützen, die sich wie Spinnenbeine nach allen Seiten in den Hügel gedrückt hatten. Auf einem richtigen Jahrmarkt wären das Fundament und die Stützen wohl unter bunten Verblendungen versteckt worden, Wimpeln und zusätzlicher Werbung für das Baby mit den zwei Köpfen oder die Frau vom Mond. Trotzdem war das Riesenrad im Gegensatz zu den kaputten Karussellen betriebsbereit.
Als ich sie erreichte, war der Mann aufgestanden. Bei der zweisitzigen Kabine, die dem Boden am nächsten hing und in ihrem uralten Gelenk quietschend hin- und herschwang, hatte er die Gittertür aus Metall aufgeriegelt. Melinda stieg gerade ein.
»Halt –«, keuchte ich.
»Wollen Sie mit?« Anders als das Riesenrad war er beim Näherkommen nicht größer geworden, auch nicht durch sein Aufstehen. Falls er ein Bär war, dann bestimmt kein Grizzly. Kein Vergleich mit Solitary Love, nicht mal, wenn er ein paar Jahrzehnte jünger gewesen wäre. Auch kein Shockley in seiner Monstrosität auf dem Sterbebett. Für einen dicken Mann brachte er sogar etwas Drolliges und Flinkes mit. Er erinnerte mich an Nolan, was mir eine Warnung hätte sein sollen, aber nicht war. Er lächelte mit entwaffnender Herzlichkeit. Kurz: Er war ein Yogi-Bär.
»Melinda –«, setzte ich an und bedauerte sofort, dem Mann ihren Namen verraten zu haben. »Schatz, wir haben keine Karten –«
»Ist heute umsonst«, sagte der Mann. Er strahlte in schon beschämendem Maße Sanftmut und Toleranz aus. »Sie können Ihre eigene Kabine haben, wenn Sie wollen. Sie ist doch schon groß und hat null Angst.«
»Nein.« Ich ging zu Melinda, die sich in die eine Ecke des Doppelsitzes gesetzt hatte und anschnallte.
»Ich will mal fahren«, sagte Melinda.
War das so viel verlangt? Eine Fahrt mit dem Riesenrad für meinen Riesenracker? Zwischen ihrem Verdruss und dem grinsenden Mann fühlte ich mich zur Zustimmung genötigt. Ich hatte noch immer keinen Kaffee gehabt. Der gemietete Jeep hatte mit Laird auch einen Großteil meiner Vernunft und Zielbewusstheit mitgenommen. Der Wind knüppelte weiter auf uns ein, brachte jedoch nicht mehr so viel Erde mit sich. Sein unablässiges leises Pfeifen erschwerte aber das Denken. Ich stieg ein und griff nach Melindas Anschnallgurt, auch wenn ich ihr das wahrscheinlich harmlose Angebot des Bären nur halbherzig ausreden wollte. Ich musste mich hinsetzen, um an die Gurtschnalle heranzukommen. Der Mann verriegelte die Kabinentür hinter mir und ging zum Schalthebel des Riesenrads. Ich sprang auf und versuchte, das Gitter anzuheben, das sich über uns geschlossen hatte. Es ging nicht.
»Warum ist das verriegelt?«
»Standardeinstellung«, sagte der Mann. Jetzt klang seine Stimme nicht mehr so liebenswürdig. »Haftungsfragen, die prozessfreudige amerikanische Gesellschaft, das ganze Pipapo. Setzen Sie sich.« Er legte die Hand um den Griff und riss den Hebel nach hinten. Ein Knirschen, Surren und Ächzen ertönte, als würde sich die Riesenanlage festfressen und im Stillstand bleiben. Keine Dampforgelmusik aus dem Hintergrund überdeckte das, die einzigen Begleitgeräusche waren der pfeifende Wind, der aus der Sonne selbst zu kommen schien, und meine Schreie, der Mann solle den Motor abstellen, was er ignorierte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich das Rad drehte. Es drehte sich. Ich packte Melindas Hand, und wir stiegen in unserer pendelnden Zelle rückwärts in die Höhe bis zum Scheitelpunkt. Dann stieß er den Hebel nach vorn. Die Maschine kam grummelnd zum Halten, und wir hingen wie eine Träne in Sonnennähe.