Ihm mit der Polizei zu drohen war idiotisch gewesen. Hier draußen war der Einfluss der Polizei genauso theoretisch wie der von Kondensstreifen. Unser Geiselnehmer war ein Mitglied der Strippenscheißer von Viscera Springs – wenn ich ihn ablenken wollte, während Melinda kroch, durfte ich das nie vergessen. Er mochte die Leichtfertigkeit des zen-buddhistischen Weltbürgers noch so dick auftragen, seine Weltanschauung erwuchs aus den Ängsten und Sehnsüchten eines Bären. Ich musste Bärisch mit ihm sprechen.
»Mit Sondereinsatzkommando meinte ich ein Sondereinsatzkommando der Kaninchen. Sie kommen mit einer Botschaft.« Meine Stimme war ein Krächzen, hoffentlich aber wenigstens sexy.
»Hä?«
Als ich genauer hinsah, hatte er sein Buddha-Wesen abgelegt. In seine plattenartigen Wangen waren feine Linien eingeritzt, von Sonne und Wind erodiert. Sein breites funkelndes Lächeln zeigte beschissene Zähne, die ankerlos hinter aufgeplatzten Lippen trieben.
Ich versuchte, nicht zu Melinda hinüberzusehen. Wenn sie abstürzte, würde ich das schon mitbekommen.
»Sie besteht nicht aus Worten«, rief ich. »Es ist eine Antwort auf das Zeichen, das ihr auf dem Berg hinterlassen habt.« Ich drückte das Gesicht ans Käfiggitter, schnitt mir pantomimisch die Kehle durch und machte Glupschaugen. »Ich war da.«
Jetzt sah er mich anders an. »Das galt nicht den Kaninchen.«
»Dumm gelaufen. Heist und Anita haben eine Versammlung einberufen. In den Hügeln ist eine Kaninchenarmee.«
»Das möcht ich bezweifeln. Die können nicht miteinander. Heist hat ihren Nachwuchs schon seit Jahren in die Zivilisation zurückgebracht.«
»Ich dachte, ihr wolltet ihn als König zurückhaben.«
»Bei den Yahoos wird der König geblendet und in einer Höhle festgehalten. Im Krieg wird er auf ein Pferd geschnallt und stirbt als Erster.«
Er schien in sein Inneres zu reisen, um die kleine Parabel aus seinen Beständen ans Licht zu holen. Ich hätte alles gesagt oder getan, um dieses Archiv zu zerstören. »Charles Heist war eure letzte Chance«, zischte ich und fühlte mich barbarisch. »Ihr wusstet nicht, was ihr an ihm hattet.«
»Kann sein.«
»Laird holt Charles raus und gibt das Signal.«
»Laird ist auch so eine Enttäuschung.« Das Gesicht des Fettsacks umwölkte sich und wallte auf wie ein Soßentopf kurz vor dem Siedepunkt. »Nur wird er Charles da nicht finden.«
»Umso besser. Dann kann die Attacke ja sofort losgehen.«
»Was ist das Signal?«
»Das Geräusch einer einzelnen klatschenden Hand. Ich glaube, ich kann’s schon hören!« Hätte ich doch bloß meine kleine Hupe behalten, aber nein. Die hatte ich für das Ohr des toten Königs verbraucht. Egal, ich spürte, wie derselbe Wahnsinn in mir hochbrodelte. Mehr hatte ich nicht, aber das reichte. Während Melinda am Riesenrad entlangkletterte, musste ich ihn mit meinem Wahnsinn umgarnen. »Die Kaninchen wollen euren Berggipfel!« Ich redete an seinen Provokationen vorbei, um seinem tierischen Kern Angst einzuflößen. »Sie verhandeln mit den Koreanern. Sie sind klüger als ihr, altern besser, haben jüngere Partner und hippere Drogen.«
»Nicht die Kaninchen, die ich kenne.«
»Warst du in letzter Zeit mal in der Neptune Lodge? Sie haben Drohnen und Überwachungstechnologien. Und sie haben eine Espressomaschine, die Ayahuasca-Latte macht. Sie haben Shockley im Zeugenschutzprogramm untergebracht. Das Dharmarad hat vier Drehungen!« Ich zog mir die Hose runter. »Komm mal näher ran, ich piss dir ins Gesicht.« (Hab ich mal gemacht – lange Geschichte.) So gesehen war das der Blumentopf, den ich ihm aus dem Fenster meiner Gefangenschaft auf den Kopf werfen konnte. Aber es war zu viel gehofft, er würde sich unter mich stellen, weil er dann in das ausgetrocknete Bachbett hätte fallen können. »Du willst es doch auch!« Inzwischen hatte ich das Pfefferspray aus der Handtasche geholt, einfach für den Fall, dass ich nah genug an ihn herankam.
Ein vertrautes Geräusch ließ uns beide stocken. Der Riegel, der außen an einer Kabine geöffnet wurde, genau wie er bei meiner geschlossen worden war. Wir wendeten beide die Köpfe. Melinda versteckte sich nicht mehr. Sie stemmte das Gitter einer von mir aus auf der entgegengesetzten Seite des Riesenrads schwebenden Kabine hoch, die schon Millers und Vakuums Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Der Mann unten drehte sich um und rannte zur Steuerung. Wenn die Hunde ihn doch bloß plötzlich tot- oder ihm wenigstens die Hände abgebissen hätten. Stattdessen drückten sie sich auf den Boden und schreckten zurück, als würden sie das Riesenrad plötzlich verehren. Als meine Hose gerade auf Kniehöhe war, erwachte der Motor knirschend zum Leben, die Kabine ruckte wieder an und schubste mich auf die Sitzbank. Ich stieg auf, sie stiegen ab. Melinda und die Arme, die sie in die Kabine auf der anderen Seite zogen. Heists Arme. Seine fleckigen und krummen Knöchel hätte ich auch erkannt, wenn sie nicht aus den weiß gesäumten Manschetten seiner roten Motorradjacke geragt hätten.
Ich zog die Jeans hoch und bedeckte meinen Blumentopf.