Der Himmel hatte kaum zu glühen angefangen, als wir auf der Suche nach dem Restaurant das Labyrinth der Quellen und Yuccapalmen durchwanderten. Ich ging vor, und Heist folgte mir im Kielwasser meines kleinen Wutanfalls. Wir schlängelten uns an The Grotto vorbei, der Thermalquelle, um die herum die ganze Wellness-Anlage gewachsen war. Unzählige Bademäntel lagen dort auf Chaiselonguen, und die pummeligen Körper, die sie verborgen hatten, standen im hüfthohen Wasser oder ließen sich der Länge nach treiben, die Augen geschlossen, in schattigen Ecken unter Palmyrapalmen. Mir fiel auf, dass alle Badesachen trugen, wenn sie aus ihren Zimmern kamen, nur Heist und ich waren unter den Bademänteln splitternackt. Na, vielleicht würde ich mich offenbaren, bevor der Nachtisch kam.
Das Restaurant der Wellness-Anlage hieß Essence für den Fall, dass man den eigenen Wesensinhalt an diesem Punkt noch nicht gefunden hatte. Ganz wie an der Rezeption versprochen, führte man uns mit Vergnügen an einen der schönsten Tische am Panoramafenster, durch das man den Wüstenrand sah, der mit der Änderung der Lichtverhältnisse erstaunliche Überraschungen bereithielt. Nur wenige Tische waren besetzt. Man unterhielt sich in gedämpftem Ton, ohne dass das aufgesetzt gewirkt hätte – die Gäste, alle in Bademänteln, wirkten auf natürliche Weise zurückhaltend –, und die aufmerksame Bedienung und die Aussicht auf echte, zubereitete Speisen konnten meine Laune vielleicht aufhellen.
Der einzige Haken war, dass ich das attraktive Paar in Bademänteln ins Auge fasste, das ein paar Tische weiter saß, und feststellen musste, dass die superattraktive, superschlanke Frau meine alte Facebook-Freundin Stephanie war. Sie hatte mich schon gesehen und versucht, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber ich hatte einfach durch sie hindurchgesehen und gedacht, sie wolle die Bedienung an ihren Tisch rufen. Ihr gegenüber saß ein flotter, schlaksiger Typ mit sauber gestutztem schwarzem Bart und tätowierten Unterarmen, die aus den Bademantelärmeln ragten. Das musste Wilde Ränder sein – seinen richtigen Namen hatte ich nicht mitbekommen –, der Installationskünstler, dessen Ausstellung demnächst in Stephanies Galerie gezeigt wurde und mit dem Stephanie ihre Nummern schob, um eine Wendung von Shockley zu gebrauchen, die mir hängen geblieben war.
»Phoebe, mein Gott!«
»Stephanie, heilige Scheiße.«
Wir saßen so nahe beieinander, dass wir nicht die Tische wechseln mussten, um uns unterhalten zu können. Wir hätten schon unter Protest aus dem Restaurant rauschen oder die Bademäntel fallen lassen müssen, um diese Begegnung zu vermeiden. »Ich fass es nicht, dass du hier bist«, sagte Stephanie. Sie stellte ihn vor: Kurt. Ich stellte Charles vor, und die Männer schüttelten sich die Hände. Ich war doppelt froh, dass ich ihn rasiert und die Solidarität der Hipster-Bärte vereitelt hatte. Sie tauschten die üblichen Testosterongrunzer aus und setzten sich wieder. »Das ist Phoebe, von der ich dir erzählt habe«, log Stephanie Wilde Ränder vielleicht was vor. »Ich dachte, das Inland Empire hätte dich mit Haut und Haar verschluckt.«
»Wie der Wal Jona«, pflichtete ich bei. »Aber das ist das Gute am Verschlucktwerden mit Haut und Haar. Man kann jederzeit unversehrt wieder heraushüpfen, und niemand merkt einen Unterschied.«
»Hey, schön, dich endlich mal kennenzulernen«, sagte Wilde Ränder mit entwaffnender Ehrlichkeit. Hatte Stephanie mich wirklich als ihre Busenfreundin ausgegeben? Sie wollte definitiv das Arsenal ihrer Entdeckungen mit mir aufrüsten, wenn ich jetzt schon in dieser sündhaft teuren Eso-Herberge auftauchte.
Bevor jemand protestieren konnte, trat die Bedienung zu uns und fragte, ob wir ein Zusammenschieben der Tische wünschten. Ach, scheiß drauf, sagte ich mir. Ich konnte genauso gut zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich nickte, sie deckte neu, und wir setzten uns auf die beiden leeren Plätze an ihrem Tisch. Charles Heist konnte ruhig mal einen Moment in meine Welt reinschnuppern. Dafür musste ich nur Stephanies Unterstellung akzeptieren, dass wir uns wirklich so herzinniglich gut waren. Bei unserer letzten Begegnung in Culver City hatte sie ja eher den harten Hund gegeben. Ich überlegte, ob die Arme nur wild um sich schlug, nachdem sie sich vom Platzhirsch ihrer Galerie hatte erobern lassen. Der Kunststar musste für die Truppe doch viel wertvoller sein als jede noch so kompetente Assistentin. Es schadete wahrscheinlich auch nicht, dass ich meinen eigenen gezähmten Wilden mitgebracht hatte, der dem Auge mindestens genauso schmeichelte wie der ihre, wenn er auch kläglich untertätowiert war. Aber vielleicht genoss Stephanie Heist ja auch nicht nur als Augenschmaus, sondern sagte sich, dass er Wilde Ränder mit gutem Beispiel vorangehen könne.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie mit der Atemlosigkeit, mit der man das selbst gefragt werden möchte.
»Was machen wir hier nicht?«, fragte ich zurück. »Wir sind wegen des Wassers hier, und anders als in Casablanca wurden wir nicht falsch informiert. Wir haben nur vergessen, unsere Badesachen anzuziehen – stell dir das mal vor!« Niemand lachte darüber. Ich konnte die sarkastischen Abrissarbeiten einfach nicht lassen, auch wenn sie auf Selbstzerstörung hinauslaufen mussten. Tief in mir drin merkte ich, dass mein Ausraster alles andere als vorbei war. Er hatte gerade erst angefangen.
»Hier muss man doch Badesachen kaufen können«, sagte Stephanie.
»Für eine Stange Geld, könnt ich wetten. In dem Laden hier hätt ich gern ’ne Gewinnbeteiligung.«
Das passte nicht ins Bild, also überhörte sie es. »Wart ihr mal beim Integraton?«
»Dem was? Ist das auch hier im Angebot?«
»Nein, nein, das ist draußen in der Wüste – erklär du das doch mal, Kurt. Ich hab’s nämlich noch nicht gesehen.«
Wilde Ränder formte mit den Händen eine Gestalt. Er war Bildhauer, nahm ich an, und dachte in Formen. »Also, an und für sich ist das Integraton eine reine Holzstruktur, ein vollkommen akustisches Objekt. Es ist von einem verrückt-genialen Luftfahrtingenieur konstruiert worden, der schon zu den Leuten gehörte, die an der Fichtengans von Howard Hughes mitgearbeitet haben, diesem Flugzeug in Holzbauweise –«
Ich verstand nur Bahnhof. Heist saß da und ließ sich nichts anmerken, seine Defaulteinstellung. Aber seine Hand lag auf meinem Unterarm. Das fand ich schön. Unsere Bedienung brachte Kaffee, den wir immerhin hatten bestellen können, stellte ihn auf dem jetzt gemeinsamen Tisch ab und machte den Sack zu. Sie stellte Stephanie und Wilde Ränder auch zwei schlanke Flakons mit leuchtend grünem Saft hin, Weizengras oder vielleicht etwas noch Revitalisierenderes und Esoterischeres.
»– also, da geht man mit einer Gruppe Menschen rein, legt sich in einem Kreis auf den Boden, und dann werden riesige Kristallgongs geschlagen –«
»Das nennt sich ›Klangbad‹«, warf Stephanie ein.
»Aha«, machte ich.
Wilde Ränder wirkte eine Spur misstrauisch. Er war vielleicht ein Mann im Bademantel, aber er wollte doch ein bisschen Tageslicht zwischen sich und Klangbäder bringen. »An und für sich ist das eine riesige Maschine für die Erzeugung kollektiver Astralreisen, wenn man an so etwas glaubt, was ich ein Stück weit tue. Während man sich in dem Dom aufhält, werden Zeit und Raum jedenfalls vorübergehend aufgehoben. Ich war oft da, wenn ich zu Giant Rock unterwegs war oder zurückkam. Darum dreht sich nämlich mein aktuelles Projekt. Haben Sie vom Giant Rock gehört?«
»Bei Landers, meinen Sie?«
»Genau. Das Zentrum der Überlebenskünstler.«
»Ich war am Giant Rock«, hörte ich mich prahlen. »Wir im Inland Empire brauchen ja nur aus dem Bett zu fallen, und schon sind wir an diesen Wüstenstätten.«
»Also, den möchte ich bewegen lassen«, sagte Wilde Ränder.
»Wie bitte?«
»In den Griffith Park.«
»Was jetzt – das Integraton oder Giant Rock?«
»Giant Rock.«
»Den ganzen Fels? Wiegt der nicht, was weiß ich, fünfhundert Tonnen? Und besteht aus zwei Teilen?«
Wilde Ränder zuckte die Schultern und war plötzlich wortkarg. Stephanie sprang ein. »Bewegen oder rekonstruieren. Kurt arbeitet noch an der Logistik. Das Konzept ist, ihn so weit zu verlagern wie möglich. Das Unternehmen selbst ist das Kunstwerk, im Stil von Turrell, Noteless oder Smithson.«
»Habt ihr mal von Hammertown gehört?«, fragte ich. Heist warf mir einen seltsamen Blick zu.
Wilde Ränder riss die Augen auf. »Klar, der König der Hämmer. Da will ich unbedingt mal hin.« Ich war in seiner Achtung gestiegen.
Ich erklärte mich Stephanie und gab mir alle Mühe, den ganzen Quatsch ans Licht zu holen, mit dem Laird mir die Hucke vollgequasselt hatte. Schlimmer als der Quatsch, der es schon bei ihm gewesen war, konnte es wohl kaum werden. »Die veranstalten da anscheinend diese wahnsinnigen Geländerennen, in Alpha-Force-Fahrzeugen, die sie vor den Rennen monatelang selbst zusammenschweißen.«
Das verwirrte Wilde Ränder, faszinierte ihn aber auch, wovon Stephanie offenkundig nicht gerade angetan war.
»Es ist natürlich eine Art Ritual, aber der Sieger muss danach ohne Proviant oben auf einem Berggipfel überleben, bis er den Weg in die Zivilisation zurückfindet.« Das Zeug konnte ich auskotzen, bis Heist mich vom Tisch wegzerrte – wahrscheinlich wäre es einfacher gewesen, meinen Bademantel zu öffnen und als Blitzer ins Freie zu flitzen. »Es dürfte wohl klar sein, dass das alles durchgeknallte fanatische Trumpwähler sind, aber sie pfeifen sich auch am laufenden Meter Daturasamen ein, also ist das irgendwie cool.« Während ich das sagte, merkte ich, dass ich da über eine Wahrheit gestolpert war, die ich auch den Bären hätte anbieten oder Shockley ins Ohr flüstern können, wenn ich nicht so versessen darauf gewesen wäre, ihn mit meinem Oberkommando über eine Flottille schwarzer Helikopter vollzusülzen. Diese Wahrheit war: Die Bären irrten sich nicht, wenn sie sich von Flutwellen bedroht fühlten, nur entkam man dieser Flut nicht durch die Flucht auf einen Berg. Sie bestand aus Konzeptkünstlern, Geländefahrzeug-Enthusiasten und Preppern, die schneller waren als die Klimaerwärmung, gegen die sie sich wappneten. Gentrifizierung war die Flut vor der Flut.
Fassungslos wandte sich Stephanie an Heist. Ihre von der Leere gestählten Nerven versagten, und sie fing noch mal bei der Manhattaner Standardfrage Nr. eins an: »Und was machen Sie so?«
»Ich finde Menschen.« Heist stellte, großzügig wie immer, sein trockenes, unironisches, Koans produzierendes Selbst zur Schau; so war er nicht nur mir gegenüber, falls ich das je geglaubt haben sollte.
»Wie meinen Sie das?«
Ich schaltete mich wieder ein: »Er betreibt quasi einen Pendelverkehr für Ausreißer zwischen verschiedenen Todeskulten und vom Radar verschwundenen Mädchenhändlerringen. Eigentlich ein ganz cooles Projekt.« Mein immer so scheiße ausweichender Freund hier ist nämlich ein viel härterer Hund, als du dir auch nur vorstellen kannst, Steph. »Das ist sehr gefährliche Arbeit. Hey, Charles, zeig ihnen deine Narben.« Ich wollte ihm den Aufschlag des Bademantels runterziehen und seine Schulter vorzeigen, aber schnell und geschickt hielt er meinen Arm fest. »Wir mussten den Mann übrigens umbringen, der ihm das angetan hat. Kann ich mal deinen grünen Saft probieren?«
»Äh, klar«, sagte Stephanie.
Ich trank ihn aus. »Lecker.« Heist stand auf, und da er meinen Arm knapp unter dem Bizeps packte, stand ich auch auf. »Hey, war toll mit euch, aber wir müssen jetzt ins Zimmer zurück. Hab ich schon erwähnt, dass wir einen umgebracht haben? Vielleicht auch zwei, kommt auf die Zählweise an. Außerdem bin ich haarsträubend gut im Bett, auch wenn das keiner je zugibt. Vielleicht brauch ich das einfach zu sehr, keine Ahnung! Aber Charles und ich fahren heute Abend wieder, er muss nach Hause, um sein totes Opossum zu füttern, und ich muss den Jeep fahren – der ist nur gemietet und dann auch noch auf meinen Namen, außerdem hat er vielleicht noch innere Verletzungen, ich hoffe, ihr habt dafür Verständnis. Nett, Sie kennengelernt zu haben, Mr. Ränder.«