Dreißig Euro für drei Stunden Schufterei in der Affenhitze. Nicht schlecht, denkt Jhonson, doch, das ist nicht schlecht. Er faltet die Scheine zusammen, stopft das Bündel in die Taschen seiner durchgeschwitzten Jeans. Murmelt:
»Danke.«
Sein heutiger Chef lächelt ihm zu, schaut sich zufrieden im geschorenen Garten um. Jhonson gefällt es nicht besonders, wie der Typ ihn mustert, als ob er ihn für beschränkt halten würde. Aber gut, dreißig Euro, in diesen Zeiten, das ist schon was. Deshalb lächelt er zurück, fährt sich mit der Hand durchs kurze Haar, um die letzten Halme zu entfernen. Dann packt er seine Sense und geht zum automatischen Tor, die Villa mit Terrasse, Swimmingpool und Obstbäumen im Rücken. Er spürt, dass der Mann ihm nachschaut, erleichtert, dass er endlich weg ist. Weil, Leute wie er, Ausländer, das geht schon mal, um das Grundstück zu mähen, aber zu lange bleiben sollen sie dann bitte auch nicht. Jhonson hat begriffen, dass es hier Grenzen gibt, die nie überschritten werden sollen.
Der Motorroller parkt im gelben Gras, die Karosserie wird von Draht zusammengehalten: Ein Wrack, aber es hat ihm schon gute Dienste geleistet. Er klemmt die Sense zu seinen Füßen quer übers Trittbrett. In einer dichten Auspuffwolke fährt er gefährlich schwankend davon, im Zickzackkurs, ehe er es in den Griff bekommt. Langsam geht es durch die Wohnviertel, er wird von anderen Fahrzeugen überholt, von Jugendlichen, die nicht gerade am Leben hängen. Er denkt an seine dreißig Euro, dass er sein Geld lieber anders verdienen würde, mit einer Arbeit, die nicht so anstrengend ist, drinnen, mit Klimaanlage, wie in den Büros vom Sozialzentrum. Aber ohne Aufenthaltsgenehmigung kann er keine Ansprüche stellen, das weiß er. Und außerdem ist er, was Rodung angeht, einer der Besten in der ganzen Stadt. Es stimmt, niemand kann so gut mit Motorsense und Machete umgehen wie er, wenn sie könnten, würden die Pflanzen anfangen zu zittern, sobald er mit seiner Artillerie in einem Garten auftaucht. Dann kann er das auch für sich nutzen.
Und überhaupt, er kann sich nicht beschweren im Moment, Jhonson.
Denn im Moment gibt es in seinem Leben Yolanda.
Gott, er kann immer noch nicht glauben, dass er so eine Frau kennengelernt hat. Dieser Körper, dieser Hintern, dieser Busen, das müsste verboten werden, da kann er seine Ex-Freundinnen allesamt unter schlechte Erinnerungen verbuchen. Mal ehrlich, Yolanda geht nicht etwa wie er und der Rest der Menschheit, sie schwebt über den Boden, die Frau ist ein Engel. Seit er vor zwei Wochen bei ihr eingezogen ist, hat Jhonson das Gefühl, dass sein Leben eine Wendung genommen hat oder dass es sogar gerade erst beginnt. Er umklammert den Lenker und schwelgt in der Erinnerung der ersten Nacht mit ihr, wie sich ihr Körper unter seinem bewegt hat, ihr Moschusduft, der den Geruch der feuchten Matratze überdeckte, ihr heißer Atem in der schwülen Luft der Hütte. Yolanda ist das Beste, was ihm seit Langem passiert ist. Auf einer Geraden gibt er Gas, in den zu engen Jeans regt sich eine Erektion. Er kann sich nicht erinnern, das, was er empfindet, schon jemals für eine andere Frau empfunden zu haben. Es ist, als hätte sie ihn mit einem Zauber belegt, aber er weiß, dass dem nicht so ist, Yolanda verehrt nur Gott und Jesus Christus, seinen Sohn, sie hält sich möglichst fern von allen pseudoreligiösen Hexereien.
Nein, es liegt auf der Hand: Jhonson ist verliebt wie ein Teenager.
Und das tut ihm unheimlich gut.
Denn man muss die Dinge beim Namen nennen: Das Jahr, das er hinter sich hat, würde er am liebsten vergessen. Es ist knapp zwölf Monate her, dass er seine Heimat für dieses Land hier verlassen hat, um den Preis einer kräftezehrenden Reise inklusive überfüllter Boote, überteuerter Busse und betrügerischer Schleuser, die er unter anderen Umständen niedergeschlagen hätte. Kaum angekommen, wechselte er von zwei Zimmern in einem Massivhaus im hinteren Teil eines Anwesens, für das er einem Mietwucherer seine kostbaren Ersparnisse hinblättern musste, in eins der übelsten Quartiere, wo illegale Einwanderer seines Schlages zusammengepfercht waren; er jobbte hier und da, bot an Supermarktausgängen seine Dienste als Taxi-Motorrad an, ging auf den Bau, versuchte sogar sein Glück mit Wetten bei Hahnenkämpfen, ehe er das Roden zu seiner Haupteinnahmequelle machte. Auch Demütigungen hat er erlebt, da war die Frau, deren Villa an sein damaliges Viertel grenzte und die darauf wartete, dass der Staat endlich all die Ausländer auswies; in der Zwischenzeit legte sie ihm den Kot ihres Scheißköters vor seine Bruchbude. Ja, mal ehrlich, es war ein Scheißjahr für Jhonson, bis Yolanda ihm begegnet ist, als sie eines Tages mit Waren aus dem Einkaufszentrum kam und er auf dem Motorroller davor wartete, bereit, irgendwen oder irgendwas irgendwohin zu bringen, solange ein bisschen Geld dabei heraussprang. Als sie hinter ihm auf den Motorroller stieg und sich ihr Busen an seinen Rücken drückte, war er überzeugt, dass es im Leben einer solchen Frau einen Mann geben musste, einen Mann, der für ihren Unterhalt aufkam, dass es ihr weder an Geld noch an Papieren fehlte. Dass ganz sicher kein Loser wie er jemals auf eine solche Schönheit hoffen durfte.
Da sieht man mal, dass du mehr wert bist, als du meinst, denkt er lächelnd, während er den rissigen Betonweg hinauffährt. Jetzt lebst du mit ihr zusammen, hier, in Bois Sec. Und auch wenn das stark den anderen Vierteln ähnelt, in denen niemand jemals leben müssen sollte, ist doch alles ganz anders.
Das Glück ist auf deiner Seite, ganz sicher.
Er lenkt den Roller mit gedrosseltem Motor durch die holprigen Straßen, grüßt vertraute Gesichter. Er stellt kurz den Motor ab, unterhält sich über die Stromversorgung, erfährt, dass der Strom in den nächsten Tagen ausfallen könnte, weil die EDF mit allen Mitteln versucht, die unzulässigen Anschlüsse ans Netz zu unterbinden. Er nutzt die Gelegenheit zum Schwatzen: Er weiß, dass Yolanda es nicht gern sieht, wenn er sich mit den Nachbarn unterhält. So ist sie, sie misstraut den Leuten aus dem Viertel, sie sagt immer: »Ich kenne die nur zu gut. Egal, wo sie herkommen, alles Neider; sobald du ihnen den Rücken zudrehst, geht es los, Gerede, Gerede, Gerede.« Sie verlässt ihr Grundstück nur, wenn es nötig ist. So wie heute, um ihren Stand zu betreiben.
Er gelangt auf eine Art Marktplatz des Viertels, wo mehrere Gassen aufeinandertreffen, und dort sitzt sie unter einem riesigen Sonnenschirm auf einem Plastikstuhl. Als sie ihn im Schritttempo heranrollen sieht, zieht sie die Brauen hoch.
»Pass auf die Kinder auf mit deiner Maschine.«
»Ja, ich pass auf.«
Neben ihr stapeln sich Waren, Obst und Gemüse, Öl- und Soßenflaschen, Nudelpackungen. Und eine Garnitur Kinderslips, weil ein paar Mütter danach gefragt haben. Yolanda führt ihr Geschäft gut, da gibt es nichts, sie passt sich an. Sie greift nach dem Deckel einer Plastikdose, fächelt sich damit Luft zu.
»Himmel, ist das heiß …«
»Ja, es ist zu heiß heute.«
»Ja.«
»Hm.«
»Wenn es so heiß ist, kaufen die Leute nichts. Ich werde wieder auf den Gurken sitzenbleiben.«
Er schaut sie intensiv an, enge Leggins und Top, merkt, dass er Lust auf sie hat. Und er hat auch Lust, mit ihr über etwas anderes zu reden, als belanglose Floskeln über die ewige Hitze in diesem Land auszutauschen. Aber er weiß, dass sich das nicht gehört, ihr das nicht gefallen würde. Und außerdem ist er im Reden nicht so gut wie im Roden. Schließlich hat jeder seine Stärken und Schwächen, so ist das nun mal, und Quatschen ist nicht Jhonsons Ding. Deshalb nimmt er den Lenker wieder auf.
»Ich fahr mal hoch.«
»Ja, mach nur, ich bleibe noch. Guckst du dir die Satellitenschüssel mal an?«
»Ja, ja.«
Er dreht den Zündschlüssel, kurvt an den Wellblechwänden entlang.
»Darwyne ist zu Hause«, setzt sie hinzu.
Und da fällt Jhonson wieder die Sache mit dem abwesenden Lehrer ein. Und dass der Bengel seit gestern das Grundstück nicht verlassen hat.
»Okay«, macht er.
Aber als er den Hügel hinauffährt, seufzt er innerlich. Nach der stundenlangen Schufterei in der prallen Sonne wäre es ihm lieber gewesen, nicht noch das Kind am Hals zu haben. Er fährt im Slalom um Buckel und Rinnen herum, die Reifen quälen sich durch Scherben von Bruchsteinen. Dann fährt er aufs Grundstück, parkt vor der Metallfassade. Auf keinen Fall wird er es draußen stehen lassen, den Blicken der Neider ausgesetzt.
Und Darwyne ist da, hockt nur in Unterhose am Waldrand. Er kauert neben einem gefällten Baumstamm, mit dem Rücken zu Jhonson, rührt sich kaum, als er ihn kommen hört. Was er da wieder für ein Zeug ausheckt, weiß der Stiefvater nicht.
»Alles klar, Kleiner?«
Keine Antwort.
»Hey, ich rede mit dir.« Jhonson lässt nicht locker.
Da bequemt sich das Kind und schaut ihn an. Gerunzelte Stirn, der kleine Mund ist fest zusammengepresst.
»Alles klar?«
»Alles klar«, erwidert er endlich und wendet sich wieder seiner Beschäftigung zu.
Der Stiefvater geht zur Hütte, stellt seine Sachen ab. In dem abgetrennten Bereich aus rostigem Metall unter freiem Himmel, der als Bad dient, zieht er seine Gärtnermontur aus, schöpft mit der Schüssel Wasser aus dem Eimer und gießt es sich über den Kopf. Und als ihm das Wasser am Körper runterläuft, denkt er bei sich: Das kann ja heiter werden. Das mit dem Kind hätte nicht unbedingt sein müssen, das ist der einzige Wermutstropfen, der sein neues Leben trübt. Man muss sich nichts vormachen: Von Kindern versteht Jhonson nichts. Er hat zwar eine Tochter, aber das ist Jahre her, die einzige Erinnerung daran ist ein winziges Baby, das er nie angerührt, geschweige denn im Arm gehalten hat, wie Mütter es tun, und auch manche Väter, obwohl das seltener vorkommt. Sie müsste jetzt schon erwachsen sein. Manchmal denkt er noch an sie, an seine Tochter und die Frau, die gewartet hatte, bis ihr Bauch ordentlich dick war, ehe sie ihm verkündete, sie sei von ihm schwanger. Aber er kann machen, was er will, es ist, als ob ihn einfach nicht interessiert, was aus ihr geworden ist. Nein, Kinder sind wirklich nicht sein Ding, denkt er noch mal, während er sich die Schenkel einseift.
Und dieser Darwyne noch viel weniger als andere, und wenn er zehnmal Yolandas Sohn ist.
Von Anfang an, schon als sie ihm Darwyne vorgestellt hat, fand er ihn komisch. Nicht so sehr die nach innen gedrehten Füße und der Gang, nein, es liegt an was anderem. Ehrlich gesagt wirkt er ein bisschen schwachsinnig. Und dreckig, das kann man nicht anders sagen, trotz der regelmäßigen Duschen, zu denen seine Mutter ihn zwingt. Ständig hockt er auf der Erde, wühlt in den Wurzeln von dem alten Stumpf, der irgendwann mal vom Grundstück muss, nach Gott weiß was. Beobachtet die Vögel, die sich auf die Pfähle der Wäscheleine setzen, gibt leise Schreie von sich, versucht, sie nachzumachen. Schnitzt stundenlang mit dem Küchenmesser an seinen Dingern herum, ganz ehrlich, das sind doch keine Beschäftigungen für ein Kind in dem Alter.
Außerdem kann Jhonson nicht so richtig einordnen, wie genau diese seltsame Konstellation von Yolanda und ihrem Sohn funktioniert. Darwyne himmelt sie immer an, als wäre sie Gott auf Erden, hängt an ihren Lippen, lauert auf jedes noch so kleine Wort. Und sie, ihre Art, mit dem Jungen umzugehen, begreift er auch nicht, wie sie mit ihm redet, sich Gehorsam verschafft. Nicht dass Jhonson ein Erziehungsexperte wäre, nein. Sein einziger Anhaltspunkt in der Beziehung sind die Schläge mit dem Gürtel oder der Fahrradkette, die ihm sein Vater als Kind verabreicht hat. Und wenn er sich anschaut, was aus ihm geworden ist im Vergleich zu den ganzen Typen, die auf die schiefe Bahn geraten sind, Drogenhandel, Bandenkriege, Gefängnis, dann sagt er sich, dass das womöglich ein notwendiges Übel war, davon ist er schließlich nicht gestorben. Aber er ahnt, dass es etwas ganz anderes ist, ein Kind wie das von Yolanda aufzuziehen. Deshalb hält Jhonson sich für den Moment hübsch raus aus der Kindererziehung und begnügt sich mit Beobachten. Schließlich ist es ihr Kind, sie kann ja machen, was sie will. Und wenn man bedenkt, was aus ihrer großen Tochter geworden ist, dann muss man schon sagen, dass sie bestimmt weiß, was sie tut.
Er schnappt sich das zerrissene Handtuch, kommt in Unterhose aus dem Blechviereck. Darwyne hat sich nicht von der Stelle hinten auf dem Grundstück weggerührt, er starrt den Baumstamm an, der auf der Erde liegt. Man könnte meinen, er würde mit ihm reden oder ihn gar trösten, als wäre das nicht bloß ein halb verrottetes Stück Holz. Jhonson rubbelt sich die Haare trocken und schüttelt den Kopf, denkt: Was soll’s, geht sich anziehen. Und kümmert sich endlich um die Satellitenschüssel, wie um so viele andere Dinge in dem zusammengestückelten Hüttchen, die er bereits reparieren musste. Er beginnt beim Fernseher auf dem Kühlschrank und untersucht das Kabel, das durchs Fenster hinausführt. Nichts Auffälliges, auch nicht an der Steckdose: Es geht nicht anders, er wird zur Schüssel hochmüssen. Also geht er raus, klettert auf einen Metallkanister, in dem Yolanda Regenwasser sammelt, und stemmt sich hoch aufs Dach. Er ist zum ersten Mal dort oben. Bewegt sich ganz vorsichtig, nicht dass die Hütte unter seinem Gewicht zusammenbricht. Er geht zu der vor Feuchtigkeit schwarzen Satellitenschüssel, überprüft die Anschlüsse. Dann richtet er sich auf.
Von hier aus hat er einen Rundumblick. Auf einer Seite liegt ganz Bois Sec vor ihm ausgebreitet, ein Teppich aus braunen, mit Antennen gespickten Dächern, bis runter zur Straße. Auf der anderen Seite überblickt Jhonson Yolandas Grundstück. Und gleich dahinter den Wald, dessen Wipfel er von hier oben ein wenig überragt. Er hatte keine Vorstellung, dass er sich so weit ausdehnt: Das Blätterdach zieht sich weit über die Grenze des Viertels hinaus, man sieht nicht mal, wo es zu Ende ist. Bäume, Bäume, Bäume, so weit das Auge reicht, sie verschwimmen am diesigen Horizont, der ganz dort hinten von Wolken gefressen wird. Guter Gott, um das alles zu roden, bräuchte man Jahrhunderte, denkt Jhonson mit Kennermiene. Er wirft noch einen Blick auf den Jungen, der sich am Rand dieses unendlichen Dschungels postiert hat, an jenem Rand, den er letzte Woche einen ganzen Tag lang gerodet hat. Und von seinem Aussichtspunkt aus bemerkt er ein paar leuchtend grüne Blätter. Die Vegetation wächst bereits wieder nach.