Ich trainierte heute mit Will und Damien sah dabei zu. Es war ein Wunder, dass ich nicht schon überall grün und blau war, so oft, wie ich in den letzten Tagen geschlagen und rumgeschleudert worden war. Die Kiste hatte ich noch immer nicht aufbekommen, obwohl ich es mit allem versucht hatte. Einer Eisenstange, einem Baseballschläger und einem Schwert aus der Waffenkammer. Sie war unzerstörbar.
Einen Flammenwerfer hatte ich noch nicht ausprobiert.
Der stand auf meiner Liste mit Dingen, die ich noch versuchen konnte, ganz unten, die letzte Option war Verzweifeln. Doch dazu würde es nicht kommen. Meine eigenen Gedanken lenkten mich so sehr ab, dass noch nicht mal der Kitsune-Abwehrmechanismus reagierte und ich ins Gesicht geschlagen wurde. Fest. Mein Kopf flog zur Seite, und meine Nase fühlte sich augenblicklich taub an.
»Oh, entschuldige, May«, rief Will aus und kam auf mich zu.
Ich nahm Damiens Zischen wahr und sah nach oben. Etwas lief von meiner Nase auf meine Lippen hinunter, und einen Moment später schmeckte ich den metallischen Geschmack von Blut im Mund. Ich hob die Hand, als Will weiter auf mich zugehen wollte, und stoppte ihn somit.
»Entschuldige dich nicht für meine Unaufmerksamkeit. Wenn mir das während eines Kampfes passiert, bin ich tot«, murrte ich und wischte mir mit dem Handrücken über die Nase. Das Blut, das ich darauf sah, schimmerte im Licht.
Will nickte.
Damien griff nach meinem Arm. »Geht es dir gut?«
In seinen Augen erkannte ich die brennende Wut. Aber nicht auf mich, denn der Blick, den er Will zuwarf, würde einen ausgewachsenen Büffel tot umfallen lassen.
Will hob jedoch nur abwehrend die Hände und trat einen Schritt von mir zurück. »Chill«, sagte er und betrachtete seinen Freund durchdringend.
Damien fuhr mit der Hand zu meinem Gesicht und strich vorsichtig über meinen Nasenflügel.
Schnell zuckte ich zurück und wandte den Kopf ab.
»Es ist nichts!«, herrschte ich ihn an und trat einen Schritt von ihm zurück. Mein Stolz war eher verletzt, als es die Nase war.
Immerhin bin ich die Kitsune und lasse mich mitten ins Gesicht schlagen? Was soll das, May?
Seine erhobene Hand schwebte zwischen uns, und seine Augen waren mit Sorge gefüllt. Die Tür des Trainingsraums öffnete sich und mehrere Menschen kamen hineingestürmt. Eigentlich hatte ich gedacht, dass wir ganz für uns wären, dem war aber offensichtlich nicht so. Ich erkannte Nicki und konnte mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Außerdem sah ich all die anderen, die mit mir zu Mittag gegessen hatten. Ich fuhr mir noch einmal mit der Hand über die Nase und wischte das meiste Blut dadurch weg. Ob das komplett klappte, war eher unwahrscheinlich.
Nicki schnappte erschrocken nach Luft, und mir wurde klar, dass mein Vorhaben nicht gelungen war. Ich sah wahrscheinlich aus wie jemand, der freiwillig einer Schlägerei beigewohnt hatte.
»Verdammte Scheiße, was ist denn mit dir passiert?«, fragte mich Nicki, und ihre blauen Augen waren verdammt weit aufgerissen. Mit meinem Unterarm rieb ich mir über mein Gesicht, damit jegliche rote Spur eliminiert wurde. Jedoch schien ich es nur noch schlimmer zu machen. Wahrscheinlich vermittelte mein Eindruck, dass ich die Schlägerei angefangen hatte.
»Will hat mich geschlagen«, murmelte ich und strich mir über den Haaransatz. Wenn ich einen Pferdeschwanz getragen hätte, würden mir nun die Spitzen meiner Haare am Rücken kleben. Ich hatte in den letzten Stunden so viel geschwitzt, dass ich über meinen festgebundenen Dutt sehr froh war. Glücklicherweise hatte ich nur einen Schlag abbekommen, den anderen war ich mühelos ausgewichen. Doch meine Gedanken über die Kiste und die vergangenen Tage hatten mich so abgelenkt, dass ich nicht schnell genug gewesen war. Es hörte sich bescheuert an, aber so war es gewesen. Meine Gedanken hatten mich vom Wesentlichen abgebracht, das würde mir hoffentlich nie wieder passieren!
»Was hast du gemacht?«, fragte Nicki schockiert und deutete anklagend mit ihrem Zeigefinger auf Will, der seine Abwehrhaltung weiterhin aufrechterhielt.
Hinter Nicki versammelte sich nun die gesamte Sparrow-Einheit. Sie waren eine von zwölf Einheiten im Orden, die sich alle auf das Eliminieren von Akuma spezialisiert hatten. Denn nicht nur in Chicago gab es Kitsune und Akuma. Anscheinend wollten sie hier trainieren, wobei ich nicht verstand, weshalb sie sich nicht einen anderen Raum nahmen, denn dieser hier war für Damien und mich reserviert.
Das hörte sich an, als würden wir hier Pornos drehen, das Training mit ihm war jedoch viel schlimmer als Pornos.
»Sie hat nicht aufgepasst«, erwiderte Will und zuckte mit den Schultern.
Als ich zu Damien blickte, war da noch immer der verletzte Schimmer in seinen Augen, es hatte ihm wehgetan, dass er mich nicht berühren durfte. Ich wollte nicht, dass er mich so betrachtete, weil sonst seine Befürchtungen und Theorien, wie unsere Zukunft aussehen könnte, nur noch mehr ins Wanken gebracht wurden. Ich würde danach mit ihm reden.
Nicki wollte etwas erwidern und mich in Schutz nehmen, doch ich unterbrach sie. »Ich bin eine Kitsune, ich sollte solch einen mickrigen Schmerz aushalten können. Denn wenn ich mit der Widerstandsfähigkeit von einem zweijährigen Kind dastehe, wird das niemandem von uns helfen.«
Meine Freundin nickte.
Jedoch konnte ich in ihrem Gesicht erkennen, dass sie nicht zufrieden mit meiner Antwort war. Ich schätzte sie so ein, dass sie gern anderen den Marsch blies. Ein wenig erinnerte sie mich mit ihrer Art an Damien.
»Ja, und ihr seid nicht nur mutige Kriegerinnen, sondern auch Rätsellöserinnen.«
Rätsellöserinnen? Was sollte das denn bedeuten? Ich runzelte die Stirn, und als Nicki meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, zog sie die Augenbrauen nach oben. Ihr vorwurfsvoller Blick wanderte zu Damien.
»Warte mal, du hast es ihr nicht gesagt?«, fragte sie an Damien gewandt, und hinter ihr konnte ich erkennen, wie sich die anderen Mitglieder des Ordens neugierig um uns herum scharten.
Damien sah zwischen allen Anwesenden hin und her, als würde er versuchen, die Situation einzuschätzen.
»Nein, weil ich es jetzt gerade nicht für wichtig erachte, und außerdem ist das hier auch nicht der richtige Zeitpunkt!«, fauchte er Nicki an. Diese verzog angewidert den Mund und sah anschließend wieder zu mir.
»Ich erzähle es dir, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Dann erfährst du, worum es geht«, sagte sie zu mir, und als sie sich von uns abwandte, schwang ihr geflochtener Pferdeschwanz peitschend durch die Luft.
Damien schnaubte, ich hingegen warf ihm einen forschen Blick zu. Ich wusste nicht, ob ich zu ihm gehen sollte, um mich dafür zu entschuldigen, dass ich vor ihm zurückgezuckt war, oder ihn zur Rede stellen, was er mir noch verschwiegen hat.
Auf beides hatte ich keine Lust.
Ich wandte mich ab und packte meine Tasche, um aus dem Raum zu verschwinden. Ich schenkte den anderen des Sparrow-Teams ein kurzes Lächeln und verschwand dann aus der Tür. Hinter mir hörte ich, wie Damien mir etwas nachrief, allerdings wollte ich nicht wirklich mit ihm reden. Die ganze Situation war etwas zu viel für mich, mit zu vielen Menschen, die dem Ganzen zu viel Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Dann der Fakt, dass Damien mir irgendetwas nicht erzählt hatte und dass er wegen meiner Reaktion so verletzt war. Zu viel.
Ich brauchte ein wenig Raum, um mich wieder zu sammeln, und um darüber nachzudenken, was ich als Nächstes tun sollte.
»May!«, rief Damien mir hinterher, als er aus der Tür trat. Seine Schritte hallten von den Wänden wider, und ich musste an mich halten, um nicht die Augen zu verdrehen. Außerdem wollte ich ihn nicht wie einen Hund hinter mir herrennen lassen. Deshalb blieb ich stehen und drehte mich zu ihm um. Er wäre beinahe in mich hineingeknallt.
»Was ist?«, fragte ich ihn etwas zu gereizt.
Sein Blick huschte über mein Gesicht.
»Es ist nichts Wichtiges. Ich habe es dir nicht mit Absicht verschwiegen, natürlich hätte ich es dir noch gesagt.« Er rieb seine Hände aneinander, dabei strahlte er so viel Unsicherheit aus, dass ich beinahe darüber geschmunzelt hätte.
»Und weil du es nicht für wichtig erachtest, wolltest du es mir vollkommen verschweigen? Um was geht es denn überhaupt?«
Damien seufzte und verdrehte die Augen.
»Es geht darum, dass ein Teil des Fluches, über den Will dich hoffentlich schon unterrichtet hat, auch damit zu tun hat, dass Kitsune anfällig für Rätsel oder Spiele sind. Es ist ein natürlicher Trieb des Geistes, und wenn man diesem zu sehr nachgibt, dann kann es passieren, dass man eine Sucht entwickelt, aus der man nicht mehr herauskommt.«
Damien bemerkte mein schockiertes Gesicht, denn er sagte sofort: »Aber das passiert wirklich nur in den extremen Fällen. Jedoch heißt das auch, dass man Rätsel besser lösen kann. Auch solche schweren wie das mit deiner Kiste.«
Ich nickte ihm zu, und als ich nichts erwiderte, trat er einen Schritt zurück, seine Mundwinkel missmutig verzogen. »Na, dann sehen wir uns später.«
Ich presste meine Lippen aufeinander, weil ich nicht nachgeben wollte.
Er hatte mir diese Information nicht gegeben, auch wenn ich gestehen musste, dass sie nicht wirklich weltbewegend war. Also weshalb regte ich mich auf? Seufzend trat ich einen Schritt nach vorn.
»Damien?«
Er wandte sich zu mir und seine Augen leuchteten. »Ja?«
Ich hob meine Hand, griff nach seiner und führte sie zu meiner Wange. Langsam spürte ich, wie seine Haut die meine berührte und sich eine angenehme Wärme über mein gesamtes Gesicht ausbreitete.
»Es tut mir leid«, wisperte ich.
»Entschuldige dich nicht dafür, dass ich etwas angenommen habe. Deine Reaktion war vollkommen berechtigt, obwohl ich mir ehrlicherweise eine andere gewünscht hätte.«
Vielleicht war es dumm von mir, uns beide auf diese Art und Weise vor Damiens Befürchtung schützen zu wollen, weil ich etwas kaputtmachte, das gerade erblühte. Auf jeden Fall wusste ich, dass ich ihn spüren wollte, egal wann, egal wie. Meinen linken Arm schlang ich um seine Mitte und zog ihn zu mir. Mit den Fingern strich er meine Haut entlang, und ich konnte mir nicht verkneifen, wohlig aufzuseufzen.
»Ich hätte ihn am liebsten geschlagen, dafür, dass er dir eine verpasst hat«, flüsterte er gegen meine Wange, und er strich vorsichtig an meiner Nase entlang. Ich lächelte leicht.
»Danke für das heldenhafte Angebot, aber ich versuche zu lernen, wie ich mir selbst den Arsch retten kann.«
»Und das ist unfassbar sexy, Füchslein. Aber trotzdem werde ich an deiner Seite sein. Wenn nicht als Beschützer, dann als Unterstützung. Ich glaube daran, dass du das allein kannst. Du bist verdammt zäh.«
Ich schnaubte belustigt.
»Ich bin kein Stück Fleisch«, grummelte ich.
»Nein, aber dein Charakter ist unfassbar stark.«
»Dann danke schön, dass du mich als zäh betrachtest.«
Damien grinste, und mit der Hand fuhr er zu meinen Nacken, an dem er kleine Kreise zog. Ich seufzte wohlig auf und schloss für einen Moment die Augen, nur um im nächsten Augenblick Damiens Lippen auf meinen zu spüren. Als er mich enger an sich zog, schien sich mein Körper beinahe gänzlich zu entspannen. Er zog sich zurück und ging zu einer Umarmung über.
Keine Ahnung, wie lange wir so dort standen. Eng umschlungen und bewegungslos. Gefangen in dem Moment.
Als meine Gedanken wieder zu dem wanderten, was Damien und Nicki mir eröffnet hatten, löste ich mich aus der Umarmung und lächelte ihn an.
Vielleicht würde es mir bei der Kiste helfen.
»Ich geh jetzt in mein Zimmer und beseitige das hier«, sagte ich und deutete dabei auf meine Nase und den Bereich drum herum, der voller Blut war.
»Okay, soll ich später noch vorbeikommen?«, fragte er mich.
»Unbedingt.«
Sein darauffolgendes Grinsen ließ in mir Schmetterlinge erwachen. Sie flatterten durch meinen gesamten Körper und brachten jedes Nervenende zum Kribbeln.
»Gut, dann bis später.« Er ging rückwärts, ohne seinen Blick von mir zu lösen, bis er schließlich wieder durch die Tür des Trainingsraumes verschwand.
Mit schnellem Herzschlag ging ich aus der unteren Etage und begab mich in den Aufzug, der mich einige Meter weiter in die Luft beförderte. Es war kurz vor dem Abendessen, und ich wollte als Erste dort sein. Deshalb sprang ich unter die Dusche, sah noch nicht einmal in den Spiegel, und wusch mir den Schweiß und das Blut ab.
Will hatte einen ordentlichen Schlag drauf. Der Schmerz war schon längst vergangen, nur noch das Blut zeugte von dem Geschehnis im Trainingsraum. Die Selbstheilungskräfte waren sehr hilfreich. Ich zog mir schnell ein paar neue Trainingsklamotten an. So langsam freundete ich mich mit dieser Art von Kleidung an, sie verschaffte mir das Gefühl von Stärke. Wahrscheinlich war es nur der sehr enge, aber elastische Stoff, der mir das sagte. Fühlten sich Superhelden auch so in ihren Anzügen? Ich bildete es mir einfach ein.
Außerdem sah mein Arsch gut darin aus. Und mir war bereits aufgefallen, dass Damien das ebenso bemerkt hatte. Doch das war nicht das Wichtige daran, sondern dass ich mich in meinem Körper wohlfühlte.
Mit feuchten Haaren trat ich erneut in das geräumige Badezimmer, das in den Zimmern integriert war, und betrachtete mich im Spiegel. Kein Blut klebte mehr unter meiner Nase, was mir ein erleichtertes Seufzen entlockte. Meine Kopfhaut fühlte sich wahnsinnig befreit an, da ich die Haare in letzter Zeit nur noch zu einem Pferdeschwanz gebunden oder als Dutt getragen hatte. Ich würde sie jetzt offen lassen. Zum Föhnen fehlte mir die Energie, weshalb ich mich auf mein Bett fallen ließ und meine Arme von mir streckte. Mein Oberkörper drückte sich in das Bett, und ich roch das Parfüm, das ich heute in der Früh auftragen hatte.
Ich wollte ja nicht durchgehend wie ein Iltis stinken. Meinen Kopf vergrub ich zwischen meinen Armen und schloss für einen Moment die Augen. Nur ganz kurz …

* * *
»May?«, rief panisch eine Stimme. Ich grummelte und vergrub meinen Kopf tiefer in den weichen Laken. »Mach die Tür auf!« Egal wer das war, er sollte verdammt noch mal seine Klappe halten. Ich nahm einen dumpfen Aufprall wahr, aber drehte mich von dem Geräusch einfach weg. Dann ein weiteres Poltern, und ich kniff die Augen fest zusammen, um nicht aus meiner Traumwelt herausgerissen zu werden.
»May?«, rief die Stimme nun neben meinem Ohr.
Ich zuckte zusammen, als etwas nach mir griff und mich kräftig schüttelte. Reflexartig fuhr ich herum und schubste diese Person weg von mir. Der Aufprall war weder dumpf noch leise, ganz im Gegenteil. Es klang so, als würde eine Bombe einschlagen. Ein menschlicher Körper wurde durch die Luft katapultiert und landete in der Wand. Wirklich in der Wand. Für einen Moment steckte der Körper darin, bis er über der zertrümmerten Kommode zusammensackte und auf dem Boden aufkam. Ich realisierte, wo ich mich befand, und betrachtete die zusammengekauerte Person am Boden. Mein Blut schien in den Adern zu gefrieren, so bitterkalt wurde mir mit einem Mal.
»Damien?«, flüsterte ich und stockte mitten in der Bewegung, als mir auffiel, dass er sich nicht rührte und keine Regung zeigte.
»Damien?«, fragte ich nun lauter und ging auf ihn zu. Ich rüttelte heftig an seiner Schulter, doch er bewegte sich nicht. Zeigte keinerlei Regung. Mein Herz wurde mit jeder Sekunde schwerer. War er tot? Ich schluchzte auf, als er sich kurz rührte und im nächsten Moment einen gewaltigen Atemzug tat, um den ihn mit Sicherheit jeder Schwimmer beneidete.
Er hustete so heftig, dass ich ihm auf den Rücken schlug und er sich auf alle viere begab, um sich weiterhin die Seele aus dem Leib zu würgen.
»Es tut mir so leid. Ich habe keine Ahnung, was das gerade war. Wirklich nicht, ich schwöre es dir!«, plapperte ich, und erst als ich Damiens ausgestreckte Hand bemerkte, hörte ich damit auf. Ich hätte ihn umbringen können …
Verdammt. Damien setzte sich an die Wand, direkt neben die zerstörte Kommode und mitten zwischen meine BHs. Sein verkniffener Gesichtsausdruck teilte mir unmissverständlich mit, dass er Schmerzen hatte. Wie konnte das denn nur passieren?
»Soll ich jemanden holen?«, fragte ich und betrachtete Damien. Er schüttelte den Kopf.
»Aber ich glaube, es ist besser, wenn wir das abklären lassen, oder?«
»Fuck, nein«, grummelte er. Er sah mich aus verengten Augen an.
»Na gut. Soll ich dir aufhelfen?«
Er schüttelte erneut den Kopf und wuchtete sich allein vom Boden auf, dabei stützte er sich an der Wand ab. Er richtete sich ganz auf, wobei er immer wieder zusammenzuckte.
»Kann ich irgendetwas machen?«, fragte ich leise und berührte ihn an seiner Schulter. Er ging ein paar Schritte, um sich dann auf mein Bett fallen zu lassen. Als ich mir die Haare aus dem Gesicht strich, bemerkte ich, dass sie trocken waren. Wie lange hatte ich denn bitte geschlafen? Damien musste sich Sorgen gemacht haben.
»Das war echt … stark.«
Ich blinzelte Damien schockiert an, der sich aufrichtete und tief ein- und ausatmete. Konnte man sich eigentlich die Lunge reißen? Bei solch einem heftigen Aufprall war das wahrscheinlich nicht undenkbar.
»Willst du mich verarschen, das ist das Erste, was du dazu sagst? Stark?«, grummelte ich und setzte mich neben ihn. Sein Seitenprofil sah immer noch eindrucksvoll attraktiv aus. »Ich habe dich durch den Raum katapultiert. Da ist ein verfluchtes Loch in der Wand!« Anklagend deutete ich auf den Putz, der zerfranst herunterhing.
»Stark. Sagte ich doch.«
»Du willst mich doch verarschen! Ich hätte dich umbringen können, und du überlegst lieber, wie viel Kraft ich habe?«
Damien nickte und betrachtete das Loch, als wäre es eine Trophäe.
»Das warst nicht du«, sagte er.
»Wer war es dann? Der Heilige Geist vielleicht?« Damien lachte auf, wobei er im nächsten Moment stöhnte. »Wie schwer bist du verletzt?«, fragte ich und machte Andeutungen, sein Shirt nach oben zu ziehen. Er ergriff meine Hand, bevor ich auch nur den Saum berühren konnte, und stoppte mich.
»Es ist nichts. Mach dir um mich keine Sorgen, ich halte Schlimmeres aus. Und nein, es war nicht der Heilige Geist, sondern der Fuchs in dir.«
Ich sah ihn aufmerksam an, da ich ihm kein Wort von der Mir-geht-es-gut-und-ich-bin-stark-wie-ein-Bär-Nummer glaubte.
»Also war es nicht der Heilige Geist, sondern der Fuchsgeist«, schlussfolgerte ich.
»Genau.« Mit seiner Hand fuhr er sich durch die Haare und lächelte.
»Ich hatte wirklich Angst, dass ich dich umgebracht hätte, du hast dich nicht mehr bewegt.«
»Ja, ich glaube, dass ich auch für ein paar Sekunden bewusstlos war. Mein Kopf kam hart auf. Vielleicht habe ich eine Gehirnerschütterung und ein paar blaue Flecken, aber mehr nicht.«
Mehr nicht? Der Typ wollte mich wirklich verarschen.
»Eigentlich wollte ich dich nur zum Essen holen, und als du dich nicht gerührt hast, habe ich …«, er stockte mitten im Satz, »… Panik bekommen.« Die leichte Röte in seinem Gesicht ließ mein Herz auf eine verquere Weise schneller schlagen.
»Wie lange habe ich denn nichts gesagt?«, fragte ich.
»Bestimmt fünf Minuten, und ich war wirklich nicht leise. Glücklicherweise wohnt auf dieser Etage nur noch Will. Die anderen Zimmer sind leer.«
»Liegt wahrscheinlich an dem intensiven Training, das ich mit dir jeden Tag durchlaufe«, grummelte ich und konnte mir den genervten Unterton nicht verkneifen.
»Jaja, red dich nur raus, dass du mich umbringen wolltest.« Ich wollte ihm auf die Schulter schlagen, stoppte aber noch rechtzeitig, bevor er mir das dann als Körperverletzung unterstellte.
»Arsch.«
»Wenn du willst, dein Arsch.« Ich verdrehte die Augen so sehr, dass ich für einen Moment nur noch schwarz sah.
»Wie kannst du in solch einer Situation mit mir flirten?«
»Wann tue ich das nicht?«
»Öfter, als du es tatsächlich tust.«
»Ah, dann mache ich das nur in meinen Gedanken. Sollte ich vielleicht ändern«, erwiderte er und grinste.
Kopfschüttelnd sah ich erneut zu der Wand und der zertrümmerten Kommode. Dann blieb mein Blick an der Tür hängen.
»Wie hast du eigentlich die Tür aufbekommen? Die kann man doch nur mit meinem Handabdruck öffnen.«
Damien grinste.
»Als du dich nicht gemeldet hast, habe ich im System meinen Fingerabdruck in deinen Türöffner eingetragen. So ist es mir nun möglich, die Tür zu öffnen. Das hat aber leider fünf Minuten gedauert, bis das System konfiguriert war.«
Ich nickte. Mein Magen hatte sich einige Male verknotet.
»Damien, was war das gerade? Weshalb hat die Kitsune das getan?«, fragte ich und fuhr mir durch meine offenen Haare, die mir wie ein Vorhang vor mein Gesicht fielen.
»Es ist eine Schutzreaktion gewesen. So wie wir Menschen die Augen schließen, wenn etwas auf uns zufliegt, hat die Kitsune dich wie bei einem möglichen Angriff verteidigt. Das ist ganz natürlich und gut so. In Notsituationen kannst du dich darauf verlassen, dass die Kitsune für dich handelt.«
»Und wie kann ich das abstellen, wenn ich nicht möchte, dass sie den Menschen etwas antut, die ich leiden kann?«
Das Auflachen, das aus Damiens Kehle drang, war laut und ungehemmt.
»Du kannst mich also leiden? Das freut mich aber.«
»Vielleicht kann ich dich auch ein bisschen mehr leiden.«
»Das will ich aber hoffen.« Er strich sich mit der Hand über die Brust und schloss für einen Moment die Augen. Sofort machte sich mein schlechtes Gewissen wieder bemerkbar.
»Musst du jetzt kotzen?«, fragte ich, den Hauch von Panik in der Stimme und gedanklich schon auf dem Weg zum Mülleimer, um ihm den unter die Nase zu halten. Der Teppich, den Will ausgesucht hatte, war einfach viel zu schön, um ihn zu ruinieren.
»Nein, nicht wirklich. Aber wer weiß, vielleicht würde es ja etwas bringen, dann ist mir nicht mehr so komisch.«
»Ich denke eher nicht.«
»Wahrscheinlich hast du recht.« Sein Blick wanderte zu der Wand. »Wir müssen Bescheid geben, damit jemand das repariert. Es sollte schnell passieren, sonst sieht es hier ewig nach einer Abrissparty aus.«
Na super, jetzt würden alle von meinem peinlichen Magieausbruch erfahren.
»Kann ich diese Magie steuern, oder ist das nur im Schutzmechanismus enthalten?«, fragte ich Damien, als würde er mich bei einem Autokauf beraten. Er runzelte die Stirn.
»Sie ist schwer herbeizuführen, das habe ich so zumindest gelernt. Jedoch kann man trainieren, um sie immer und überall für sich zu nutzen. Inwiefern das jetzt machbar ist, ist die andere Frage.«
»Es tut mir leid, wirklich. Ich habe ein total schlechtes Gewissen«, versicherte ich. Prüfend musterte ich seinen Kopf. In seinen blonden Haaren konnte ich ein wenig Putz erkennen, der darin festhing. Er schnaubte und gluckste.
»Alles in Ordnung. Wie bereits gesagt, es ist nicht deine Schuld, und deshalb solltest du dich deswegen auch nicht schlecht fühlen. Ich kann dir vergeben«, sagte er überspitzt und vollführte eine angedeutete Verbeugung.
Augenrollend stand ich auf und hielt ihm meine Hand hin.
»Ihr habt hier doch mit Sicherheit so etwas wie eine Krankenstation, oder?«, fragte ich und zog eine Augenbraue in die Höhe.
»Ja, aber dort werden wir nicht hingehen«, sagte Damien bestimmt, ergriff dennoch meine Hand und ließ sich von mir nach oben ziehen. »Aber wir können essen gehen.«
Mit einem unguten Gefühl gab ich nach, überstieg die zerborstenen Teile der Kommode und ging mit Damien aus dem Zimmer hinaus. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, zog er mich praktisch hinter sich her. Die Sorgen um Damien konnte ich allerdings nicht wirklich abstellen. Es bereitete mir Magenkrämpfe, zu wissen, dass er Schmerzen hatte.
Und zur Krönung waren es auch noch welche, die ich verursacht hatte. Doch sein breites Grinsen, das er mir schenkte, ließ mich die Sorgen beinahe vergessen.
»Hör auf, mich so anzusehen. Mir geht es ehrlich gut.« Ich wollte ihn auch nicht zu irgendetwas drängen, immerhin musste er am besten wissen, was er aushielt und was zu viel war. Deshalb vertraute ich darauf, dass er auf sich aufpassen konnte. Ich entdeckte, dass Will bereits bei Nicki und den anderen des Sparrow-Teams saß und sich grinsend zu uns umwandte.
»Hallo, May, geht es deiner Nase besser?« Sein ehrliches Interesse blitzte in seinen Augen auf, und ich errötete leicht, als ich das starrendende Gaffen um uns herum bemerkte. Denk dir einfach nichts, May, ignorier sie.
Als wir am Tisch ankamen, setzte ich mich neben Will. Damien ließ sich zu meiner Rechten nieder.
»Ja, danke«, sagte ich und betrachtete die anderen Mitglieder des Sparrow-Teams.
Blue warf mir einen misstrauischen Blick zu, so wie beinahe jedes Mal, wenn ich bei ihnen saß. Janson grinste und Jesse winkte mir kurz zu, da sein Mund voller Salat war. Clare, die Letzte der Sparrows, konnte ich nirgendwo ausmachen. Vorhin im Trainingsraum hatte ich sie gar nicht bemerkt.
»Ich wollte ihn dafür wirklich schlagen, aber du meintest, dass es nicht seine Schuld gewesen sei«, grummelte Nicki, die mir direkt gegenübersaß und mich anfunkelte.
»War es auch nicht, ich war unaufmerksam.«
Nicki stieß einen gleichgültigen Ton aus und griff nach den Pommes, die auf ihrem Tablett lagen. Oh, richtig, ich sollte mir auch etwas zu essen holen und den anderen nicht nur dabei zusehen. Als ich mich an Damien wenden wollte, sah ich, dass er bereits aufgestanden war und zur Theke ging.
»Bin gleich wieder da«, sagte ich und folgte ihm. Ich stupste ihn an. Er balancierte zwei Tabletts auf den Händen.
Irgendwie süß.
»Gib mir eines davon«, sagte ich.
Damien sah über seine Schulter und stellte eines vor meiner Nase auf der Eisenschiene ab. »Danke.«
Eine Sirene kreischte über unseren Köpfen, und blinkende Lichter fluteten den Raum. Panik spülte durch meinen Körper. Alarmiert drehte sich Damien um und ich sah, wie einen Moment später alle an einem Tisch aufsprangen und alles stehen und liegen ließen. Ich warf Damien einen fragenden Blick zu.
»Sie wurden zu einem Einsatz gerufen. Jedes Team hat seine eigene Sirene und Lichtkombination.«
Ich presste die Lippen aufeinander.
»Es geht um die Akuma«, erklärte Damien und betrachtete mich eingehend.
Ich schluckte, wobei ich bemerkte, dass meine Kehle staubtrocken war.
Schweigend holten wir unser Essen.
Ich hatte heute endlich etwas von der Pizza abbekommen, die immer vergriffen war, aber wirklich Appetit hatte ich nicht mehr.
»Mach dir keine Sorgen, sie sind gut. Das sind wir alle. Bald wirst du so weit sein, damit du mithelfen kannst. Aber jetzt solltest du erst einmal etwas essen«, kommentierte Damien, als wir zu unserem Tisch gingen.
Alle Anwesenden hatten sich ihrem Essen zugewandt und beachteten gar nicht mehr den verlassenen Tisch. War das für sie so normal? Als ich mich setzte, war ich froh, dass die anderen sich einfach weiter unterhielten.
Nicki sah immer wieder prüfend herüber, so wie ich zu Damien. Auch Will musste gemerkt haben, dass mit Damien etwas nicht stimmte.
»Wenn du weiterhin so unregelmäßig zum Training auftauchst, dann schmeißt Meister Nakamura dich irgendwann noch raus«, sagte Jesse zu Blue. Diese zuckte mit den Schultern.
»Ich trainiere lieber für mich allein.« Mit dieser Aussage fachte sie eine Diskussion an, die ich willkommen hieß, denn ich konnte für einen Moment zwischen den ganzen Stimmen abtauchen. Meine Hand fand im Schutz des Stimmengewirrs wie von allein die von Damien. Er drückte sie leicht, und ich erkannte seine angehobenen Mundwinkel.
Ich würde das schaffen.