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DIE MAUREN IN AL-ANDALUS (711)

IM KONTEXT

SCHAUPLÄTZE

Spanien, Portugal

FRÜHER

415 Die Iberische Halbinsel wird von den Westgoten – germanischen Christen – besiedelt.

632 Der Prophet Mohammed stirbt in Arabien. Der Islam breitet sich weiter aus.

634 Die islamische Expansion dringt nach Nordafrika vor.

SPÄTER

1492 Nach der christlichen Wiedereroberung der Iberischen Halbinsel expandiert Spanien nach Übersee. Im Zuge dessen erreicht Christoph Kolumbus Amerika.

1609 Ein königlicher Erlass vertreibt die Nachkommen der Morisken – zum Christentum konvertierte Muslime – aus Spanien.

Zu Beginn des Jahres 711 segelte Tariq ibn Ziyad, Statthalter von Tanger in Marokko, mit einer Flotte über die Meerenge zwischen Nordafrika und der Iberischen Halbinsel. Tariq hatte eine große Armee afrikanischer Soldaten an seiner Seite, die das mächtige Kalifat der Umayyaden, das islamische Reich mit Sitz in Damaskus, vertraten. Der markante Felsvorsprung, auf dem die Flotte landete, wurde später als Berg des Tariq bekannt – das heutige Gibraltar. Damit begann die maurische Herrschaft in Iberien (Spanien und Portugal). Tariqs Armee besiegte und tötete König Roderich, den westgotischen Herrscher. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts eroberten die maurischen Armeen aus Nordafrika die Iberische Halbinsel vollständig. Über Generationen hinweg wurde die Provinz al-Andalus zum westlichen Juwel der islamischen Welt und zum Zentrum einer fortschrittlichen Kultur.

Verfeindete Gruppen

Das Wort »Maure« stammt von Mauri, der römischen Bezeichnung für die Bewohner des Berberreichs Mauretanien (Marokko und Algerien). Zum Zeitpunkt der Eroberung der Iberischen Halbinsel bezeichnete der Begriff eine lose ethnische Gruppe von Nordafrikanern. Einige stammten von den Berbern ab und andere von den Arabern, die im Zuge der Expansion der Umayyaden aus Syrien kamen. Als das Kalifat der Umayyaden im Jahr 750 fiel, war al-Andalus in der Gewalt von verfeindeten arabischen und berberischen Gruppierungen.

Als ein junger Prinz namens Abd ar-Rahman, der vor dem Fall des Kalifats aus Damaskus geflohen war, 755 in al-Andalus eintraf, wurde er von vielen mit offenen Armen empfangen und ergriff schon bald die Führung. Als Halb-Berber vereinigte er erfolgreich das multikulturelle maurische Iberien. Er und seine Nachfolger machten aus al-Andalus das wohlhabende und kosmopolitische Emirat (später Kalifat) von Córdoba.

Intellektuelles Zentrum

Al-Andalus erlebte im 10. Jahrhundert seine Blütezeit. Es war bekannt für seine offene Kultur, in der Christen und Juden ihre Religion ausüben konnten. Nicht-Muslime wurden den Muslimen aber nicht völlig gleichgestellt und mussten eine Sondersteuer zahlen. Dennoch waren viele von ihnen wohlhabend und leisteten bedeutende kulturelle Beiträge. Córdoba wurde zur intellektuellen Hauptstadt Europas und zog die besten Köpfe der damaligen Zeit an – unabhängig von ihrer Religion.

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Die Hufeisenbögen der Großen Moschee von Córdoba sind typisch für die mozarabische Architektur – ein von christlichen Architekten entwickelter Stil mit maurischen Einflüssen.

Im 10. Jahrhundert errichtete der Kalif al-Hakam II. die umfangreichste Bibliothek der Welt mit angeblich rund 400 000 Büchern. Er lud Gelehrte aus Ägypten und Bagdad, der prächtigen Hauptstadt des Abbasiden-Kalifats, zum Studium nach Córdoba ein und bezahlte sie aus seiner eigenen Staatskasse. Der Austausch von Wissen und Ideen in der Stadt führte zu wichtigen Fortschritten in Wissenschaft, Astronomie und Mathematik. Der Chirurg Abu al-Qasim al-Zahrawi verfasste im 10. Jahrhundert medizinische Lehrbücher, die noch im London des 17. Jahrhunderts verwendet wurden, und sein Zeitgenosse Maslama al-Madschriti, der in Córdoba eine Schule für Mathematik und Astronomie gründete, berechnete zum ersten Mal die genaue Größe des Mittelmeeres.

»Ich begehre das arabische Granada, das, was Kunst ist, voller Schönheit und Emotionen.«

Isaac Albéniz

Spanischer Komponist (1860–1909)

Im 12. Jahrhundert publizierte der Astronom und Mathematiker Jabir ibn Aflah eine wichtige Kritik an Ptolemäus’ Almagest und erarbeitete einen Lehrsatz zur sphärischen Trigonometrie. Auf dem Gebiet der Philosophie schrieb Ibn Rushd (in Europa als Averroes bekannt) wertvolle Zusammenfassungen und Kommentare zu den Werken von Aristoteles und Platons Politeia und verfasste eigene Arbeiten zum Thema Religionsphilosophie.

Brüchige Stabilität

Im 11. Jahrhundert führte ein Machtkampf zwischen dem Kalifen und Angehörigen seines Hofes von 1009 bis 1031 zum Bürgerkrieg, der sogenannten Fitna. Al-Andalus zerfiel in sich bekriegende Lehen und Taifa-Königreiche, die zu Spielbällen im Kampf um die Vorherrschaft zwischen dem Christentum im Norden und den muslimischen Reichen in Marokko wurden. Die Christen nutzten die Dezentralisierung, indem sie gezielte Angriffe verübten, um die Iberische Halbinsel zurückzuerobern, während sowohl die Almoraviden-Kalifat als auch die Almohaden, Berberdynastien aus Marokko, Taifas annektierten, um al-Andalus zu verteidigen. Die christlichen Mächte hatten fast so lange versucht, die Mauren von der Iberischen Halbinsel zu vertreiben, wie die Mauren über das iberische Territorium geherrscht hatten. Die Reconquista (Rückeroberung) war blutig und langwierig, ein 800 Jahre dauernder Kampf, der immer wieder aufflammte. 1236 fiel Córdoba schließlich an die christlichen Truppen, 1248 folgte Sevilla.

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Abu Abdallah Muhammad XII. übergibt 1492 die Stadtschlüssel von Granada an die katholischen Herrscher von Aragón und Kastilien und verlässt Spanien später in Richtung Marokko.

Das Emirat Granada blieb der einzige maurische Hoheitsbereich auf der Halbinsel. In den folgenden 250 Jahren hielt die Nasriden-Dynastie von Granada sowohl die Christen als auch die mächtigen marokkanischen Dynastien in Schach, indem sie sich abwechselnd mit beiden verbündeten. Diese Politik war so erfolgreich, dass Granada, wie Córdoba im 10. Jahrhundert, zu einem Gelehrtenzentrum wurde.

Schicksal und Vermächtnis

Ende des 15. Jahrhunderts konnte sich die maurische Herrschaft in Granada nicht mehr halten. Bitten um militärische Unterstützung durch Marokko, das sich zu diesem Zeitpunkt selbst in einem geschwächten Zustand befand, blieben erfolglos. Im Januar 1492 akzeptierten Königin Isabella von Kastilien und König Ferdinand von Aragón, die durch ihre Heirat das christliche Spanien vereint hatten, die Kapitulation Granadas durch Abu Abdallah Muhammad XII. Damit war die islamische Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel beendet und der Grundstein für das Goldene Zeitalter Spaniens als eines der größten Reiche der Geschichte gelegt.

»Dies sind die Schlüssel zum Paradies.«

Abu Abdallah Muhammad XII.
bei der Kapitulation von Granada

Der Einfluss der Mauren

Die Mauren haben die Kultur der Iberischen Halbinsel nachhaltig geprägt, ihr Wissen und ihre Erfindungen haben die ganze Welt beeinflusst.

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Medizin

Ärzte führen Inhalationsanästhesie, Antiseptika und Darmsaiten zum Vernähen von Wunden ein.

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Mathematik und Wissenschaft

Astronomen optimieren die Zeitrechnung und erfinden die Azafea, eine Art Astrolabium.

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Philosophie

Übersetzungen von griechischen Texten und Erläuterungen zu Aristoteles prägen die europäische Philosophie.

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Musik

Die Einführung der fünfsaitigen Oud (Laute) führt zur Entwicklung der traditionellen spanischen Gitarrenmusik wie dem Flamenco.

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Essen

Orangen, Zitronen, Safran, Reis und Gewürze wie Koriander und Kreuzkümmel finden Eingang in die spanische Küche.

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Erfindungen

Dazu gehören das Metronom, gewichts- und wassergetriebene mechanische Uhren sowie eine polare Sonnenuhr.

Nach der Rückeroberung wurden die Mauren in Spanien gezwungen, zum Christentum überzutreten, auszuwandern oder sich hinrichten zu lassen. Viele von ihnen, deren Familien seit fast 800 Jahren in der Region ansässig waren, blieben in Spanien, obwohl ihre Sprache und ihre Bräuche einen Affront für das katholische Königtum darstellten. Muslime und Juden, die ihren Glauben im Geheimen praktizierten, sahen sich mit der Inquisition konfrontiert, ein Justizorgan zur Bekämpfung von Ketzerei. Die Verdrängung der maurischen Kultur von der Halbinsel war nicht gänzlich erfolgreich. Im Spanischen und Portugiesischen gibt es viele Wörter arabischen Ursprungs und einige der schönsten Bauwerke Spaniens, wie die Alhambra in Granada, gehen auf die Mauren zurück. Die Große Moschee von Córdoba, die 785 von Abd al-Rahman I. in Auftrag gegeben wurde, dient seit der spanischen Eroberung Córdobas als christliche Kathedrale, ist jedoch nach wie vor ein prächtiges Weltkulturerbe-Denkmal aus der Zeit der Mauren. image

Tariq ibn Ziyad

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Über Tariq ibn Ziyad, den General, der die muslimische Eroberung Spaniens anführte, ist wenig bekannt, doch Historiker vermuten, dass er gebürtiger Berber war. Bevor er Soldat wurde, war er ein vertrauter Berater (möglicherweise zuvor versklavt) von Musa ibn Nusair, dem umayyadischen Statthalter von Nordafrika. Ibn Nusair machte Ibn Ziyad zum Statthalter von Tanger und erteilte ihm 711 den Auftrag, die muslimische Eroberung Iberiens, wenige Kilometer jenseits der Meerenge, anzuführen. Ibn Ziyad und seine vorwiegend aus Berbern bestehende Armee von 7000 Mann waren von einigen Bevölkerungsgruppen in Iberien, z.B. von den verfolgten Juden, gern gesehen, und so drangen sie schnell nach Norden vor und eroberten noch im selben Jahr Toledo, die Bastion des Westgotenkönigs Roderich in der Nähe des heutigen Madrid. Ibn Ziyad hielt sich an der Macht, bis die arabischen Armeen nachrückten. 714 beorderte der Kalif Ibn Nusair Ibn Ziyad nach Damaskus, wo dieser im Jahr 720 starb, ohne nach Iberien oder Nordafrika zurückzukehren.