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HIERORTS GEFÖRDERT UND UNTERSTÜTZT

MOHREN* IM ENGLAND DER TUDORZEIT (16. JH.)

*Sprachgebrauch im 16. Jahrhundert (siehe S. 4)

IM KONTEXT

SCHAUPLÄTZE

England, Schottland, Spanien

FRÜHER

1086 Die Almoraviden aus Westafrika fallen in Iberien ein.

1470 Maria Moriana, eine in England lebende Afrikanerin, nimmt den Status einer freien Bürgerin an.

1485 Heinrich VII. wird der erste Tudor-König Englands.

1492 Die christlichen Monarchen Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien erobern Granada, die letzte muslimische Bastion Spaniens.

SPÄTER

1609–1614 Philipp III. verweist 300 000 Mauren aus Spanien.

Afrikaner leben seit mehr als 2000 Jahren in Großbritannien. Während der Tudorzeit waren sie Teil der Bevölkerung und wurden als »Mohren«* bezeichnet. Im 16. und frühen 17. Jahrhundert war die Eheschließung von Schwarzen und Weißen und die Ausübung einer bezahlten Berufstätigkeit möglich – das galt auch für das benachbarte und von den Stuarts regierte Königreich Schottland.

Ein freies Land

Hunderte von zeitgenössischen Kirchenbüchern zeigen, dass Afrikaner in Städten und Dörfern im heutigen Großbritannien lebten, von Edinburgh in Schottland bis Devon im Südwesten Englands. Die meisten Afrikaner lebten in den Kirchengemeinden St. Botolph without Aldgate und St. Olave and Hart Street in London sowie in der Gemeinde St. Andrews in der Hafenstadt Plymouth. Sie kamen von der Iberischen Halbinsel und aus West- und Nordafrika nach England, entweder im Gefolge von Kaufleuten oder Adligen oder an Bord von Freibeuterschiffen, die von der Krone autorisiert waren, der Marine zu helfen und feindliche Schiffe unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Erfahrungen von Pero Alvarez, einem Afrikaner, der 1490 aus Portugal nach England kam, wurden in englischen Schriftstücken festgehalten. Er verhandelte mit König Heinrich VII. über seine Freilassung aus der Sklaverei, bevor er nach Portugal zurückkehrte, wo er vom portugiesischen König ebenfalls als freier Mann anerkannt wurde.

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Die Westminster Tournament Roll aus dem Jahr 1511, die zur Feier der Geburt von Henry VIII. und Catherine von Aragóns Sohn entstand, zeigt den Schwarzen Trompeter John Blanke.

Afrikaner am Hofe

Der Status von »einheimischen« und im Ausland geborenen Afrikanern in England hing von ihrem eigenen Werdegang oder dem ihres Arbeitgebers ab. Einige Afrikaner arbeiteten als Hausangestellte, Musiker oder Gesellschafter für die Oberschicht, andere waren gelernte Handwerker. Catalina von Motril, eine Sklavin maurischer Abstammung aus Iberien, kam 1502 als Teil des Gefolges von Katharina von Aragón nach England, und John Blanke, der 1507 in London lebte, arbeitete als königlicher Trompeter. Blanke trat bei der Beerdigung Heinrichs VII. und bei der Krönung Heinrichs VIII. auf. Die Nachfolgerin von Heinrich VIII., Elisabeth I., hatte einen »Lieblings-Mohr«, und im Dienst ihres obersten Ministers Robert Cecil stand ein Afrikaner namens Fortunatus, der 1602 in Westminster, London, beigesetzt wurde. Die Praxis, Afrikaner am Hof zu beschäftigen, wurde von ausländischen Würdenträgern übernommen.

»… es ist mein Wille, dass meine Kinder ihren Anteil erst nach dem Tode meiner Frau erhalten, es sei denn, sie heiraten …«

Henrie Jetto

Auszug aus seinem Testament, 1626

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Das Porträt einer maurischen Frau wurde in den 1550er-Jahren von einem Italiener gemalt. Afrikaner waren zu dieser Zeit häufig Teil wohlhabender Haushalte in ganz Europa, und einige hatten Positionen an den Königshöfen.

Auch im Schottland des 16. Jahrhunderts lebten und arbeiteten Afrikaner. »Peter the Morien« war von 1500 bis 1505 als Musiker und Hofmarschall von König James IV. beschäftigt, und zwei maurische Frauen – »blak Margaret« und »blak Elene« – arbeiteten als Bedienstete. Eine dieser Frauen könnte die Rolle der »black lady« in The justing of the wild knycht for the black lady gespielt haben, einem Ritterturnier, das im Sommer 1507 und 1508 am schottischen Hof stattfand.

Englische Bürger

Namhafte englische Dramatiker der elisabethanischen Ära, darunter William Shakespeare, Christopher Marlowe und Ben Jonson, ließen Afrikaner in ihren Stücken auftreten – womöglich ein Indiz für den multiethnischen Charakter von Londoner Gemeinden jener Zeit.

Einige der fiktiven Schwarzen Charaktere der Epoche dürften zwar exotische Karikaturen dargestellt haben, doch man darf die Rassenvorstellungen des 18. Jahrhunderts nicht auf die Afrikaner im England des 16. Jahrhunderts übertragen. Drei Schriftstücke, die am Ende der Tudorzeit verfasst wurden und von denen einige Historiker behaupten, sie seien ein Beweis für Rassismus, da sie einen Plan zur Deportation von Afrikanern skizzieren, wurden nicht durch Gesetze oder politische Maßnahmen belegt. Zwei sind Briefe vom Juli 1596, die die Unterschrift von Elisabeth I. tragen, beim dritten handelt es sich um eine nicht unterzeichnete Proklamation. Der Urheber war ein in Verruf geratener englischer Politiker, Thomas Sherley, der im Auftrag eines Lübecker Sklavenhändlers, Casper van Senden, tätig war.

»… zuletzt sind allerlei Mohren* in das Reich gebracht worden, von welcher Art von Personen es hier schon zu viele gibt …«

Brief an den Oberbürgermeister

Unterzeichnet von Königin Elisabeth I., 1596

*Sprachgebrauch im 16. Jahrhundert (siehe S. 4)

Van Sendens Plan scheiterte allerdings, weil die Afrikaner in England »gefördert und unterstützt« wurden. Mit anderen Worten, viele von ihnen waren Menschen, die in England geboren waren oder das Land als ihre Wahlheimat sahen und die von der Kirche aufgenommen und getauft worden waren. Mary Fillis etwa wurde 1597, als 20-Jährige, in St. Botolph without Aldgate, London, getauft. Sie war mit sechs Jahren mit ihrem Vater, einem marokkanischen Korb- und Schaufelmacher, nach England gekommen. Andere Afrikaner waren denizen – ausländische Bürger mit permanenter Aufenthaltserlaubnis.

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Diplomatische Beziehungen

Ende des 16. Jahrhunderts kamen eine Reihe afrikanischer Diplomaten nach England, darunter der marokkanische Botschafter Abd el-Ouahed ben Messaoud ben Mohammed Anoun, der sechs Monate in England verbrachte, um ein Bündnis gegen Spanien zu schließen. Der Botschafter und andere nordafrikanische Würdenträger nahmen an den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Krönung von Königin Elisabeth I. teil.

Die Handels- und Militärgespräche mit Afrika wurden bis in die Regierungszeit von Elisabeths Nachfolger, Jakob I., fortgesetzt. Zwei westafrikanische Prinzen ließen sich im Rahmen dieser diplomatischen Bemühungen in London nieder: Walter Annerby aus dem Königreich Kaabu (Guinea-Bissau), der sich 1610 taufen ließ, und Dederi Jaquoah vom Fluss Cestos (Liberia), der 1611 dem Glauben beitrat.

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Dieses Wappenschild wurde 1521 in Deutschland gefertigt. Es zeigt Eva von Schönau, eine Schwarze und die erste Ehefrau von Jakob von Reinach. Persönliche Wappen waren im damaligen Europa ein beliebtes Statussymbol.

Die spätere Kolonialgeschichte Großbritanniens zusammen mit den Freibeuterfahrten von John Hawkins und Francis Drake, die in den 1560er-Jahren von Elisabeth I. gefördert wurden, um versklavte Menschen aus Afrika gegen Waren aus Amerika einzutauschen, lässt vermuten, dass Afrikaner im England der Tudorzeit am Rande der Gesellschaft standen. Doch es gibt auch Belege für das genaue Gegenteil. Als englische Mobs während der Londoner Mai-Unruhen von 1517 im Ausland geborene Menschen angriffen, waren Afrikaner nicht das Ziel. Vielmehr wurden Afrikaner, die nach England kamen, in die Gesellschaft integriert, für eine Reihe von Tätigkeiten bezahlt und wie alle anderen Bürger getauft, verheiratet und beerdigt. image

Henrie Anthonie Jetto

Der um 1570 geborene Schwarze Freibauer Henrie Jetto (von jet, was schwarz bedeutet) wird 1596 zum ersten Mal im Rahmen seiner Taufe in Aufzeichnungen erwähnt. Jetto lebte als Gärtner auf dem Anwesen eines englischen Politikers in Holt, Worcestershire. Bis 1608 hatte er so viel Geld gespart, dass er ein unabhängiger wohlhabender Mann war und sich »Jetto of Holt« nannte. Er heiratete Persida, ein Dienstmädchen, und sie hatten fünf Kinder.

Jettos Status als Freibauer ist bezeichnend. Um in diesen Rang aufzusteigen, musste er Land im Wert von mehr als 40 Schilling besitzen. Dies gab ihm das Recht, an Geschworenenprozessen teilzunehmen und bei Kommunalwahlen zu wählen. Jetto konnte zudem lesen und schreiben. Er verfasste sein eigenes Testament im Jahr 1626 – das älteste bis heute erhaltene Testament eines Afrikaners in England. Jetto starb 1627, aber seine Nachkommen leben noch heute in Worcestershire.