IM KONTEXT
SCHAUPLATZ
Mexiko
FRÜHER
1428 Die Azteken erobern Zentralmexiko und bauen ein mächtiges Großreich auf.
1517 Der spanische »Entdecker« Francisco Hernández de Córdoba erreicht die Halbinsel Yucatán im Osten Mexikos.
1521 Versklavte Afrikaner auf einer Plantage in der Kolonie Hispaniola organisieren den ersten Aufstand in Amerika.
SPÄTER
1835–1836 Texas löst sich von Mexiko und gründet die Republik Texas. Sie wird 1846 ein US-Bundesstaat.
1846–1848 Die USA sind Gewinner des Mexikanisch-Amerikanischen Kriegs und nehmen große Gebiete des mexikanischen Westens ein.
Von den 1520er-Jahren bis zum Beginn des Mexikanischen Unabhängigkeitskriegs im Jahr 1810 wurden rund 250 000 Afrikaner für die Arbeit auf Mexikos Zuckerrohrplantagen, in Silberminen, auf Rinderfarmen und als Hausangestellte eingesetzt. In dieser Zeit gab es dort mehr als 100 Aufstände und Komplotte. Die erfolgreichste Revolte wurde von Gaspar Yanga im Jahr 1570 auf einer Zuckerrohrplantage in Veracruz angeführt.
Auslöser für die Versklavung von Afrikanern war u. a. der drastische Bevölkerungsrückgang unter den indigenen Völkern. Im Jahr 1519 lebten in Zentralmexiko noch 27 Mio. indigene Einwohner, im Jahr 1605 nur noch 1 Mio. – eine Folge von Überarbeitung und Krankheiten wie den eingeschleppten Pocken. Bei der Etablierung von Neuspanien als größter Kolonie des Doppelkontinents ab 1521 unterstützte der spanische König Karl I. den Einsatz von Afrikanern anstelle von indigenen Arbeitern. Die Kolonie umfasste nicht nur das heutige Mexiko, sondern auch weite Teile Nord- und Mittelamerikas, nördliche Teile Südamerikas sowie karibische und pazifische Inseln.
Gaspar Yanga und seine Anhänger feiern ihre Freiheit. Das Gemälde hängt in einem Museum in Yanga, ehemals San Lorenzo de los Negros*, der von Gaspar Yanga gegründeten freien Stadt.
Mit der Ankunft des Schiffes von Hernán Cortés im Jahr 1519 in Veracruz, dem wichtigsten Hafen an der Golfküste, begann der spanische Transport von versklavten Afrikanern nach Mexiko. Im Zuge der kolonialen Entwicklung des Bergbaus und der Zuckerrohrplantagen stieg die Nachfrage nach versklavten Arbeitern stark an und erreichte zwischen 1580 und 1650 ihren Höhepunkt. Karl I. setzte sich zunächst für eine humane Behandlung der Versklavten ein. Einige konnten sich freikaufen, und es wurde die Befreiung der Versklavten durch schriftliche oder testamentarische Verfügung angeregt. Versklavte Afrikaner durften zudem einheimische Frauen heiraten, wodurch die Freiheit ihrer Kinder garantiert wurde. Die Kirche setzte sich ebenfalls dafür ein, dass auch die Beziehungen zwischen Spaniern und schwarzen Sklavinnen legitimiert wurden. Ihre Nachkommen waren zwar freie Bürger, wurden aber als »Mulatten« bezeichnet – wohl hervorgehend aus einer abfälliger Anspielung auf Maultiere (Kreuzungen aus Pferd und Esel).
Die Zahl der Menschen afrikanischer Abstammung – sowohl freie als auch versklavte – stieg schnell an. Die Bedingungen der Zwangsarbeit in den Minen und auf den Plantagen waren trotz allem unerträglich, und die Todesrate unter den Versklavten war in beiden Bereichen besonders hoch. Die Sklavenhalter ignorierten jegliche humane Vorschriften. Afrikanische Frauen wurden vergewaltigt, Familien auseinandergerissen und Versklavte regelmäßig ausgepeitscht.
Die steigende Zahl der Versklavten und deren wachsender Groll führten zu organisierten Aufständen in ganz Mexiko. Im Jahr 1537 wurde die erste größere Revolte vereitelt, als der Vizekönig der Kolonie, Antonio de Mendoza, davon erfuhr, dass in Mexiko-Stadt und den umliegenden Minen Afrikaner unter der Führung eines auserwählten Königs und mit Unterstützung der indigenen Bevölkerung die Befreiung aller Versklavten geschworen hatten. Der Vizekönig ließ die Verantwortlichen verhaften und vor Gericht stellen. Nachdem sie gestanden hatten, wurden sie als öffentliche Warnung gehängt und gevierteilt. Die anhaltenden Spannungen und mindestens zwei weitere Verschwörungen in den 1540er-Jahren veranlassten den Vizekönig, zahlreiche Beschränkungen sowohl für freie als auch für versklavte Schwarze einzuführen. Dazu gehörten Ausgangssperren und Ähnliches mehr.
Die afromexikanische Bevölkerung |
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Jahr |
Ereignis |
Menschen afrikanischer Herkunft |
1580–1650 |
Die Einfuhr versklavter Afrikaner nach Mexiko ist auf dem Höhepunkt. |
Etwa 45 000 im Jahr 1580 |
1810 |
Der Mexikanische Unabhängigkeitskrieg beginnt und die Sklaverei wird weitgehend abgeschafft. |
Etwa |
2020 |
Erstmals umfasst die mexikanische Volkszählung eine Kategorie für Menschen afromexikanischer Abstammung. |
2 576 213 |
»Yanga führte die Rebellen in die Berge, wo sie einen unzugänglichen Ort fanden, an dem sie sich ansiedeln konnten … Mehr als dreißig Jahre lang lebten sie in Freiheit.«
Pérez de Ribas
Spanischer Missionar und Historiker (1576–1655)
In den 1550er-Jahren verschärfte der neue Vizekönig Luís de Velasco die Restriktionen und gründete eine zivile Miliz (die Santa Hermandad) für die Sicherheit in der Region.
Ein Aufstand, der um 1570 auf der Zuckerrohrplantage Nuestra Señora de la Concepción in der Region Veracruz im Landesinneren der Golfküste stattfand, schrieb Geschichte. Angeführt wurde er von Gaspar Yanga, der ein afrikanischer Prinz aus Gabun gewesen sein soll. Er und seine Mitstreiter töteten 23 Spanier, bevor sie in die Berge flüchteten, wo sie ein palenque gründeten – eins von mehreren solcher Dörfer der Maroons, wie die Freiheitskämpfer genannt wurden. Yangas Siedlung war besonders erfolgreich, groß und beständig. Er und seine Gefolgsleute bewaffneten sich mit Macheten, Pfeil und Bogen und mit gestohlenen Waffen. Von ihrem sicheren Versteck aus planten sie gewaltsame Überfälle auf Straßen, Farmen und Plantagen in der Umgebung, erbeuteten, was sie für ihren Lebensunterhalt benötigten, und befreiten – wo immer möglich – andere Versklavte. Das raue Terrain wirkte sich günstig auf ihre Guerilla-Aktivitäten aus.
Mehr als 30 Jahre lang hielten die Angriffe an, und Yanga errichtete weitere palenques. Die Siedlungen wurden für die spanischen Gouverneure der Kolonie zur Blamage und zu einer Terrorquelle in der Region Veracruz.
Mit der Zunahme an versklavten Afrikanern, die als Arbeitskräfte auf den expandierenden Plantagen und in den Minen eingesetzt wurden, verstärkten sich die Unruhen. Im Norden verbündeten sich die Geflüchteten mit den Ureinwohnern gegen die Spanier. Die Behörden standen diesem Ansturm scheinbar hilflos gegenüber und verhängten immer härtere Strafen, die wenig Wirkung zeigten. Ende der 1570er-Jahre war der Großteil der Kolonie außerhalb von Mexiko City von Aufständen beherrscht.
Der Karneval von Coyolillo, der das Erbe der Afromexikaner feiert, entstand, als versklavte Afrikaner einen einzigen Tag freibekamen und sich an diesem mit Masken kostümierten.
In den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts verstärkten sich die Guerilla-Aktivitäten der Maroons in der Region Veracruz. Sie befreiten immer mehr Sklaven und stürmten sogar Haushalte der Spanier, um die Angestellten zu befreien. Auch die Hauptstraße zwischen dem Hafen von Veracruz und Mexiko City galt als unsicher, da die Maroons häufig Wagen mit Waren von der Golfküste überfielen.
Im Jahr 1609 rüstete Vizekönig Luís de Velasco den Kommandanten Pedro González de Herrera mit einer kleinen Armee aus, um die Oberhand in der Region zu gewinnen. Yanga schickte daraufhin eine Maroon-Truppe aus, um die sich nähernden spanischen Kräfte zu bedrohen, sowie einen gefangenen Spanier, um die Friedensbedingungen zu überbringen: Selbstverwaltung und Freiheit als Gegenleistung für ihre Kooperation in der Region und dafür, dass die Maroons alle afrikanischen Versklavten, die zukünftig in ihre Gebiete fliehen sollten, zurückweisen würden. Als Herrera dies ablehnte, kam es zu einer für beide Seiten verlustreichen Schlacht. Yanga und seine Anhänger gaben ihr Dorf auf, das die Spanier niederbrannten, errichteten jedoch ein neues palenque in den Bergen und setzten ihre lokalen Raubzüge fort. Neun Jahre später, 1618, stimmten beide Seiten schließlich den Bedingungen von Yanga zu. Das Abkommen führte zur Gründung der freien Stadt San Lorenzo de los Negros*, die im Jahr 1932 in Yanga umbenannt wurde. Es war die erste offizielle Ortschaft befreiter Sklaven in Zentralamerika.
Während des gesamten 17. und 18. Jahrhunderts kam es in der Kolonie dennoch immer wieder zu lokalen Aufständen und ständigen Fluchtversuchen aus der Kolonie, die für viele einen prekären, aber effektiven Weg in die Freiheit bot. Ende des 18. Jahrhunderts waren die meisten Menschen afrikanischer Herkunft zwar angestellt, jedoch meist unter schlechten Bedingungen und für wenig Geld. Von 1810 bis 1821 kämpften Afroamerikaner gemeinsam mit ihren Landsleuten im Mexikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die spanische Herrschaft und wurden Teil der neuen, kulturell vielfältigen Nation: Die Republik Mexiko schaffte 1829 die Sklaverei ab und war damit die zweite Nation in Amerika, nach Haiti im Jahr 1804.
Posthum erhielt Yanga 1871 als Nationalheld den Titel El Primer Libertador de las Américas (»Der erste Befreier Amerikas«). Die meisten Historiker konzentrierten sich lange Zeit eher auf die Geschichte der Weißen und der Menschen indigener Abstammung. Erst vor relativ kurzer Zeit haben die Mexikaner begonnen, ihre afrikanischen Wurzeln zu erforschen und zu feiern. Bei der Volkszählung im Jahr 2020 konnten die Mexikaner zum ersten Mal ihre afrikanische Abstammung angeben.
»Ich bin eine Mulattin* und stolz darauf, dass in meinen Adern das Blut der Schwarzen fließt.«
Toña la Negra*
Mexikanische Sängerin (1912–1982)
*Sprachgebrauch im Jahr 1945 (siehe S. 4)
Afrikanische Wurzeln
Die Bronzestatue von Gaspar Yanga des Mexikaners Erasmo Vásquez Lendechy wurde im August 1976 in Yanga, Veracruz, enthüllt.
Die 1618 von Yanga gegründete freie Stadt, in der heute mehr als 20 000 Menschen leben, liegt im Landesinneren des östlichen Küstenstaates Veracruz. Die afromexikanische Bevölkerung von Veracruz ist größer als in vielen anderen Teilen Mexikos, und mehrere Dörfer tragen nach wie vor afrikanische Namen.
Der Anthropologe Gonzálo Aguirre Beltrán (1908–1996), der in Veracruz aufgewachsen war, hat als Erster umfangreiche Forschungsarbeiten über die Geschichte der Schwarzen in Mexiko veröffentlicht. Die in Veracruz geborene Sängerin Toña La Negra (1912–1982) trug zur Bekanntheit von Afromexikanern bei, da sie während ihrer langen Karriere stets stolz auf ihre Wurzeln hinwies. Beim Karneval in Mexiko wird Musik im Stil des Son Jarocho gespielt, der seinen Ursprung in Veracruz hat und spanische, indigene und afrikanische Elemente miteinander verbindet. Das gilt auch für das Festival of Blackness in Yanga, das den Gründer der Stadt und seine Herkunft feiert.