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WEM GEHÖRT HEREROLAND?

DER VÖLKERMORD AN DEN HERERO UND NAMA (1904–1908)

IM KONTEXT

SCHAUPLATZ

Namibia

FRÜHER

1486 Der Portugiese Diego Cão erreicht als erster Europäer das namibische Kap Cross auf dem Seeweg.

1683 Ankunft von Kommandeur Major Otto Friedrich von der Groeben und Aufbau von Groß Friedrichsburg an der Goldküste von Ghana.

SPÄTER

1918 Die südafrikanische Verwaltung veröffentlicht den Bericht zur Behandlung der einheimischen Bevölkerung in den kolonialen Besitzungen in Deutsch-Südwestafrika.

1948 Die Vereinten Nationen beschließen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.

1995 Bundeskanzler Helmut Kohl besucht Namibia als erster deutscher Kanzler nach 1904.

Auf Initiative und Einladung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck fanden sich 1884/85 die Gesandten der europäischen Mächte auf der Berliner Konferenz ein, um über die Aufteilung der Kolonialgebiete zu verhandeln. Im Zuge dessen erhob das Deutsche Reich Anspruch auf »Schutzgebiete« in Südwest- und Ostafrika – dem heutigen Namibia, Tansania, Sansibar, Burundi und Ruanda – und erklärte diese zu deutschen Protektoraten.

Handelsinteressen und Missionsarbeit waren allerdings schon in früherer Zeit Wegbereiter des Kolonialismus gewesen. Bereits 200 Jahre vor dem Beginn des »Wettlaufs um Afrika« hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg Schiffe an die afrikanische Goldküste geschickt, um Handel mit versklavten Menschen zu betreiben, und in den 1830er-Jahren entsandte die Rheinische Missionsgesellschaft Missionare nach Südwestafrika.

Der erste Genozid des 20. Jahrhunderts

Am 1. Mai 1883 erwarb der Bremer Tabakhändler Adolf Lüderitz über einen Mittelsmann die Bucht von Angra Pequena von den Nama in Bethanien. Lüderitz überzeugte die deutsche Regierung von der wirtschaftlichen Bedeutung seiner Niederlassung in Südwestafrika, woraufhin Reichskommissar Heinrich Göring weitere Schutzverträge mit den Einheimischen abschloss.

Die Maßnahmen der deutschen Kolonialverwaltung veränderten das Leben der Bevölkerung tiefgreifend. Die eingesetzte Regierung beschlagnahmte 70 Prozent des Landes und gab es im Laufe weniger Jahre an deutsche Einwanderer ab. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs lebten etwa 14 000 europäische Siedler in Südwestafrika, davon waren um die 12 000 Deutsche. Ihre Besitzansprüche und ihre zunehmende Ausbreitung bedrohten vor allem die Lebensgrundlage der halbnomadischen Hirtengemeinschaften der Herero, denen kaum noch Weideflächen für ihre Tiere zur Verfügung standen und deren Zugang zu Wasserstellen zunehmend verwehrt wurde.

Als 1897 eine Rinderpest die Viehbestände vernichtete und wenige Jahre später eine Heuschreckenplage die Region überzog, spitzte sich die Lage zu. Die Herero begannen am 12. Januar 1904 unter Samuel Maharero mit Angriffen auf koloniale Einrichtungen, um gegen ihre Unterdrückung zu rebellieren. Sie belagerten Militärstationen, blockierten Bahnlinien und überfielen Handelsniederlassungen. Ihren Schlachtruf riefen die Rebellen auf Deutsch: »Wem gehört Hereroland? Uns gehört Hereroland!« Etwa 8000 Herero standen einer anfänglich nur gut 2000 Mann starken Schutztruppe gegenüber. Generalleutnant Lothar von Trotha verstärkte die Truppen auf 14 000 Soldaten und ging mit brutaler Härte gegen die Aufständischen vor.

»Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen.«

Lothar von Trotha

Preußischer General (1848–1920)

Die Schlacht am Waterberg

Am 11. und 12. August 1904 versuchte Trotha die Herero auf dem Plateau des Waterbergs einzukesseln und zu vernichten. Unter schweren Verlusten floh ein Großteil von ihnen in die fast wasserlose Omaheke-Wüste, woraufhin diese von den deutschen Soldaten abgeriegelt wurde und die Herero am Zugang zu Wasser und Nahrung gehindert wurden. Trotha nahm den Tod der Herero in Kauf. Nur wenigen gelang die Flucht, die meisten verdursteten und verhungerten in der kargen Wüste.

Angesichts dieses brutalen Vorgehens erhoben sich im Oktober 1904 die Nama unter ihren Kapteinen Hendrik Witbooi und Jakob Morenga. Witbooi kündigte seinen Schutzvertrag mit dem Deutschen Reich und rief zum allgemeinen Aufstand auf. Neben Witboois und Morengas Leuten erhoben sich die Clans der »Fransman-Nama« unter Kaptein Simon Kooper, die »Rote Nation« unter Manasse Noreseb, die »Feldschuhträger« unter Hans Hendrik, die »Bondelswart« unter Johannes Christian sowie ein Teil der »Bethanier« unter Cornelius Frederiks. Sie führten einen Guerillakrieg, der mit dem Tod der führenden Kapteinen Witbooi und Morenga zu einem schnellen Ende kam. Schließlich fügten sich fast alle Aufständischen den deutschen Kapitulationsverträgen und der Krieg wurde am 31. März 1907 von den Deutschen für beendet erklärt.

Dennoch ging deren koloniale Vernichtungspolitik weiter. Die überlebenden Herero und Nama wurden in Konzentrationslagern interniert, in denen annähernd jeder zweite Insasse starb. Der Völkermord in Deutsch-Südwestafrika kostete 40 000 bis 60 000 Herero sowie etwa 10 000 Nama das Leben. Historiker stufen den Vernichtungskrieg heute mehrheitlich als Genozid ein.

Im Mai 2021, nach 113 Jahren, wurde das Massaker an den Herero und Nama offiziell von der deutschen Bundesregierung als Völkermord anerkannt. Sie hat sich verpflichtet, die politisch-moralische Verantwortung für die Gräueltaten deutscher Kolonialtruppen zu übernehmen und finanzielle Wiederaufbau- und Entwicklungshilfen in Milliardenhöhe an den Staat Namibia und die Nachkommen der Opfer zu zahlen. image

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Hendrik Witbooi, Anführer der Nama, mit weiteren Kapteinen in Deutsch-Südwestafrika, um 1888/1905.