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SIE ERZÄHLEN DIR, ES SEI DAS MUTTERLAND

DIE WINDRUSH-MIGRATION (1948)

IM KONTEXT

SCHAUPLÄTZE

Karibik, Großbritannien

FRÜHER

1939–1945 Etwa 16 000 Männer und Frauen aus der Karibik kämpfen für Großbritannien im Zweiten Weltkrieg.

1948 Mit dem Nationality Act erhalten alle britischen Untertanen im Commonwealth und in den britischen Kolonien die volle britische Staatsbürgerschaft und das Recht, nach Großbritannien einzuwandern.

SPÄTER

1962 Der Commonwealth Immigration Act beendet das Recht, sich im Vereinigten Königreich niederzulassen.

1971 Das neue Einwanderungsgesetz erlaubt nur einen vorübergehenden Aufenthalt, wenn Commonwealth-Bürger keine engen Beziehungen zu Großbritannien haben. Es tritt 1973 in Kraft.

Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Großbritannien ein Mangel an Arbeitskräften für den Wiederaufbau des Landes. Die Regierung forderte Bürger der Commonwealth-Kolonien auf, in das »Mutterland« zu kommen. Sie versprach ihnen Arbeit und das Recht, sich in Großbritannien niederzulassen. Tausende von Menschen aus der Karibik sahen in dem Angebot, in Großbritannien zu arbeiten und zu leben, eine potenziell positiv lebensverändernde Chance. Oft legten Familien Geld zusammen, um wenigstens für ein Familienmitglied die Reise bezahlen zu können.

Die ersten Schiffe mit den neuen Arbeitsmigranten kamen 1947 an, doch es war die HMT Empire Windrush aus Jamaika, die 1948 in Tilbury, Essex, anlegte und über 1000 Passagiere an Bord hatte, deren Name den karibischen Migranten den Namen Windrush-Generation einbrachte.

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Passagiere aus der Karibik gehen in England von Bord der Empire Windrush. Unter den 1027 offiziellen Passagieren befanden sich 539 aus Jamaika, 139 aus Bermuda und 73 aus Trinidad.

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Arbeit und Entbehrungen

Obwohl die meisten Menschen aus der Karibik eine Beschäftigung fanden, war ihr Leben nicht einfach. Die Arbeit wurde schlecht bezahlt, sodass der Nachzug von Familienangehörigen für viele schwer finanzierbar war. Die strengen britischen Winter, lange Arbeitszeiten, schlechte Arbeitsbedingungen und die kulturellen Unterschiede waren ein Schock. Viele waren auch von dem Schmutz und der Armut in ihrem Lebensumfeld enttäuscht.

Die Neuankömmlinge aus der Karibik sahen sich zunehmend Anfeindungen sowohl seitens der Weißen Kollegen als auch der Öffentlichkeit ausgesetzt. Im Jahr 1958 kam es zu Unruhen in Notting Hill, London, und ähnlich in Nottingham, als Weiße Arbeiter westindische Bewohner angriffen, die daraufhin mit Gewalt zurückschlugen. 1959 schürte der Mord an dem britischen Antiguaner Kelso Cochrane durch Weiße Londoner Jugendliche die rassistischen Spannungen weiter.

Die karibische Community schloss sich angesichts des offenen Rassismus zusammen und erreichte 1965 die Einführung des Race* Relations Act, der Diskriminierung aufgrund von »Hautfarbe, Rasse oder ethnischer oder nationaler Herkunft« verbot.

Deportationsskandal

Ab 1962 traten Gesetze zur Begrenzung der Einwanderung aus dem Commonwealth in Kraft, sodass die Zuzüge aus der Karibik bis Anfang der 1970er-Jahre stark abnahmen. Mehr als 50 Jahre später geriet der Name Windrush jedoch erneut in die Schlagzeilen. Im Jahr 2018 gab die britische Regierung zu, dass viele Menschen aus der Karibik, sowohl aus der Windrush- als auch aus späteren Generationen aufgrund von administrativen Fehlern zu Unrecht inhaftiert, ihrer Rechte beraubt, mit Abschiebung bedroht oder sogar abgeschoben worden waren.

Im März 2020 erklärte ein unabhängiger Untersuchungsausschuss, dass die Behandlung der Windrush-Generation und ihrer Nachfahren ein tiefgreifendes institutionelles Versagen offenbart habe. Den Anspruchsberechtigten wurde daraufhin eine Entschädigung zugesagt. image

Notting Hill Carnival

Um angesichts zunehmender rassistischer Spannungen die Moral zu stärken und Solidarität zu zeigen, organisierte die in Trinidad geborene Aktivistin Claudia Jones im Januar 1959 den ersten karibischen Karneval in der Londoner St. Pancras Town Hall.

Der heutige Notting Hill Carnival entstand 1966. Die Gemeindeaktivisten Rhaune Laslett und Andre Shervington initiierten die Straßenveranstaltung im August und luden den beliebten trinidadischen Musiker Russell Henderson und seine Steelband ein, an einem Umzug durch Notting Hill teilzunehmen. Schon 1974 zog der Karneval mit seiner karibischen Musik und seinen farbenfrohen Kostümen mehr als 100 000 Menschen an und bot bald auch jamaikanischen Reggae, Dub und Ska sowie Soca und traditionellen Calypso. Die zweitägige Veranstaltung hat sich zu einer kulturellen Institution entwickelt, die in den letzten Jahren mehr als 2 Mio. Besucher angezogen hat, und ist nach wie vor ein Ort des Zusammenhalts und des gemeinsamen Feierns.