Willkommen im Hotel Stillerhof

Die ganze Fahrt lang konnte Albi nicht aufhören zu grinsen. Seine linke Hand hielt er in der Bauchtasche seines Sweatshirts, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumte. Doch es war kein Traum: In der Tasche hockte sein bester Freund Egon und umarmte zärtlich Albis Daumen.

Frau Artich lächelte ihren Sohn durch den Rückspiegel an.

„Na siehst du, jetzt freust du dich auch auf unseren Urlaub in den Bergen, nicht wahr, Albispatz!“

Albi strahlte. „Oh ja! Ich freue mich sogar wie ein extragroßes Tofu-Schnitzel!“

Am späten Nachmittag fuhr Herr Artich von der Autobahn ab. Er lenkte den Wagen über eine kurvige Straße durch lichte Laubwälder, an Kuhweiden und Apfelbaumwiesen vorbei. Bald schon waren sie an ihrem Ziel, einem großen Haus, mit vielen Balkons und grünen Fensterläden angelangt. Mit Egon in der Tasche sah Albi erst, wie wunderschön das alles war!

An der Rezeption begrüßte sie Frau Hubertus, eine rundliche Dame im rosa Dirndl, die so appetitlich aussah wie ein Krapfen mit Himbeerglasur.

„Willkommen im Hotel Stillerhof!“ Die Hoteldirektorin kniff Albi sanft in die Wange und musterte ihn von oben bis unten. „Schön, dich zu sehen, Albert. Viel hören werden wir ja erfahrungsgemäß nicht von dir!“

„Das will ich hoffen“, maulte ein Mann vor sich hin, der kurz nach den Artichs an die Theke getreten war. Er hatte die Figur einer überreifen Birne, aber Haare wie ein Barbie-Mann. „Mutti und ich hassen Kindergeschrei! Ist ,Das Alpenblatt‘ für uns angekommen?“

„Keine Sorge, Herr Doktor Stecher!“, beruhigte ihn Frau Hubertus und reichte ihm einen Brief aus einem Fach. „Dieser Junge hier ist ein richtiges Engerl. Für ihn würde ich meine Hand ins Feuer legen!“

Herr Doktor Stecher betrachtete missmutig ihre Hände.

„Falls wir auch nur einen einzigen Piepser von diesem Gör hören, dann zahle ich Ihnen keinen Cent für unseren Aufenthalt.“

Mit zusammengekniffenen Lippen rauschte er davon.

„Wenn doch nur alle Gäste so reizend wären wie Sie“, sagte Frau Hubertus seufzend zu Artichs.

„Nun ja, er kennt unseren Albert halt noch nicht“, tröstete sie Frau Artich.

Frau Hubertus schickte Hoteldiener Alois nach dem Gepäck und übergab Frau Artich die Zimmerschlüssel zur Suite „Waldesruh“, die aus einem Schlaf- und einem Wohnzimmer mit Zusatzbett bestand. Auf ein Zeichen von ihr hatte eine Kellnerin inzwischen zwei Gläser Sekt und hausgemachte Holunder-Limonade gebracht. Albi fand allerdings, dass sein Freund Egon auch angemessen begrüßt werden sollte. Also hielt er sein Glas auf Höhe der Tasche und schob unauffällig das Ende des Strohhalms hinein. Zum Glück waren die Erwachsenen durch ihr übliches Geplapper abgelenkt. Aber hätten sie genauer geschaut, dann wäre ihnen aufgefallen, dass nun die ganze Limonade auf mysteriöse Weise verschwand. Und dann angelte auch noch eine puppenkleine grüne Hand nach der Zitronenscheibe, die am Glasrand steckte! Egon stopfte sich die saure Köstlichkeit ins Maul, schluckte sie mitsamt der Schale und rülpste laut. Die drei Erwachsenen starrten Albi an. Der wurde holunderbeerendunkelrot.

Herr Artich gab Albi einen Stups. „Albert! Wir heißen Artich und sind ... “

Egon rülpste ein zweites Mal wie ein Berggorilla.

„Ich nehm schon mal die Treppe!“, rief Albi und rannte los.