Wenn Albi und Egon gewusst hätten, was für ein Krumpflingsgewitter sich da über ihnen zusammenbraute! Aber woher hätten die beiden Freunde auch nur eine Ahnung haben sollen? Wären Albi und Egon sehr, sehr wachsam gewesen, hätte ihnen beim Essen natürlich auffallen können, dass über die weißen Trüffeltörtchen eine Spur aus Bratensauce führte. Die Spur von jemandem, der sehr kleine Pfoten hatte und seltsamerweise nur einen Pantoffel trug. Aber Frau Artich hatte die interessante Geschmackskombination und die originelle Deko über alle Maßen gelobt, sodass sie keinen Verdacht schöpften. Später dann hatten sich die beiden Freunde in Albis Bett gekuschelt und auf dem großen Fernseher heimlich einen Actionfilm angeschaut.
Am nächsten Tag, gleich nach dem Frühstück, wollte Albi dem kleinen Krumpfling das Schwimmbad zeigen. Da traf es sich gut, dass sich seine Eltern lieber in die Saunalandschaft zurückzogen. Weil Albi bereits das Jugendschwimmabzeichen in Gold geschafft hatte, durfte er nebenan alleine zu den Becken gehen. Nun ja, „alleine“ war er sowieso nicht! Egon blinzelte gut versteckt aus der Handtuchrolle, die Albi unter dem Arm trug. Der Krumpfling hätte nie zugelassen, dass seinem Freund etwas passierte!
In der Halle waren nur wenige Gäste unterwegs. Eine Oma lag wie eine gedörrte Aprikose auf einem Liegestuhl am Beckenrand und las in einem Taschenbuch. Im Hauptbecken kraulte ein Mann auf dem Rücken die Bahn entlang. Und nebenan im heißen Sprudelbassin genoss eine Frau mit einer lustigen Kartoffelnase und Pudellöckchen die Wasserwirbel.
„Ich denke, wir gehen kein Risiko ein, wenn wir zusammen schwimmen gehen“, überlegte Albi leise. „Die sind alle beschäftigt. Und vor den flaschengrünen Kacheln wirst du eh kaum auffallen.“
Er ließ Egon vorsichtig ins Wasser und legte sein Handtuch ab. Aber gerade, als er selbst seine Zehen auf die Leiter setzen wollte, rief der Mann im Becken empört: „Du bleibst gefälligst draußen, solange ich hier schwimme, du ungezogener Mistlauser!“
Erst jetzt erkannte Albi diesen Doktor Stecher, den er am Vortag an der Rezeption kennengelernt hatte, wieder. Unter der Badekappe konnte man seine Helmfrisur nämlich nicht sehen. Albi zog den Fuß wieder zurück. Er wusste nicht recht, ob er sich dem Befehl eines Hotelgastes widersetzen durfte.
„Also wirklich, Herr Stecher, der Junge wird sie schon nicht in den Allerwertesten beißen!“, meinte die Dame im Sprudelbecken.
„DOKTOR Stecher. Er wird kreischen und mich anspritzen, Frau Meierling-Gänseklein. Es ist schließlich ein unkontrollierbares Kind!“
Dr. Stecher betonte „Kind“ so, als würde er „Kakerlake“ sagen.
„Sie sind doch schon nass“, erwiderte Frau Meierling-Gänseklein trocken und lächelte Albi zu. „Geh ruhig ins Wasser, mein Junge! Ich erlaube es dir.“
Albi grinste zurück und setzte den Fuß wieder auf die Sprosse.
„Wölfchen, lass dir von dieser Person mit dem schrecklichen Doppelnamen nicht dreinreden“, mischte sich nun die Alte auf dem Liegestuhl ein. „Das kleine Aasgebein hat im Wasser nichts zu suchen. Es hat hier im Hotel überhaupt nichts zu suchen. Wenn mein Krimi auch nur einen Tropfen Wasser abbekommt, gibt es Saures!“
Albi zog den Fuß wieder zurück und setzte sich an den Beckenrand.
„Komm, Egon, wir gehen lieber“, flüsterte er verzagt.
Doch Egon, der hinter der Leiter unauffällig im Wasser paddelte, wollte noch nicht gehen. Niemand durfte seinen Freund Albi so unfreundlich ansprechen! Nicht einmal, wenn er dazu schmackhafte Schimpfwörter verwendete.
Obwohl Egon bei den anderen Krumpflingen als mitfühlendes Weichei galt, das zu keinem bösen Trick fähig war, beschloss er nun, es diesem Doktor Stecher heimzuzahlen. Er atmete tief ein und tauchte unter ...
Krumpflinge können über zehn Minuten die Luft anhalten. Aber Egon brauchte nicht einmal 60 Sekunden, um anzugreifen. Elegant wie ein Pinguin schoss er unter Doktor Stecher, der nun sehr langsam Brust schwamm und Albi am Beckenrand nicht aus den Augen ließ. Mit seiner spitzen Zeigekralle kitzelte Egon ihn dann leicht am Bauchnabel.
„Hihi!“ Doktor Stecher versuchte, ein Kichern zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht ganz. Egon popelte ein bisschen fester, Doktor Stecher kicherte lauter und fing an zu strampeln.
„Hihihihaha!“
„Was soll das denn jetzt? Willst du dich etwa vor dem Frauenzimmer aufspielen? Nimm dich zusammen, Wölfchen“, schalt ihn seine Mutter.
„Hihihi, das will ich nicht, Mutti! Haha! Doch will ich ja!“
Egon jubelte, soweit man das unter Wasser kann. Dieser Stecher war kitzelig wie ein Katzenbaby. Er krabbelte an seinem Bauch entlang und zwickte ihn sanft unter Achseln und Kinn.
Kreischend und gackernd fing sein Opfer an zu strampeln und zu zappeln. Das Wasser spritzte hoch in alle Richtungen, bis hin zu Frau Stecher und auf ihren Krimi. Jetzt brauchte Egon gar nichts mehr tun. Den Rest übernahm nämlich Wölfchens Mutti persönlich: Sie hüpfte an den Beckenrand und packte ihren Sohn am Ohr.
„Jetzt hab ich aber genug, Wolfgang!“
Stecher kreischte wie eine schlecht geölte Kreissäge, als sie ihn am Ohr aus dem Wasser zog.
„Ab in dein Zimmer. Zur Strafe gibt es heute keine Nachspeise!“
Unter dem schallenden Gelächter von Frau Meierling-Gänseklein, dem Kichern von Albi und dem lautlosen Glucksen von Egon verließen Mutter und Sohn die Schwimmhalle.