Die Initiation bei den Tunguten und Mandschu
Auf die ekstatische Auserwählung folgt in Nordasien wie überall sonst im allgemeinen eine Unterrichtszeit, während welcher der Neo-phyt durch einen alten Meister gebührend eingeweiht wird. In dieser Zeit soll der künftige Schamane seine mystischen Techniken beherrschen lernen und sich die religiöse Überlieferung und Mythologie des Stammes aneignen. Oft, aber nicht immer, wird die Vorbereitungszeit durch eine Reihe von Zeremonien gekrönt, die man die Initiation des neuen Schamanen zu nennen pflegt. Doch kann, wie Shirokogorov bezüglich der Tungusen und Mandschu mit Recht bemerkt, nicht von einer Initiation im eigentlichen Sinn die Rede sein, da die Kandidaten in Wirklichkeit lang vor ihrer formellen Anerkennung durch die Schamanenmeister und die Gemeinschaft «eingeweiht» sind {Psychomental Complex of the Tungus, S. 350). Dies bestätigt sich übrigens fast überall in Sibirien und Zentralasien; selbst dort, wo es sich um eine öffentliche Zeremonie handelt (z. B. bei den Buriäten), ist diese nur eine Bekräftigung und Gültigerklärung der wahren ekstatischen, geheimen Initiation, die, wie wir gesehen haben, das Werk der Geister ist (Krankheiten, Träume usw.) und durch die Lehrzeit bei einem Schamanenmeister vollendet wird 1.
Nichtsdestoweniger existiert eine formelle Anerkennung durch die Schamanenmeister. Bei den transbaikalischen Tungusen wird ein Kind für das Schamanentum ausgesucht und erzogen. Nach einer gewissen Vorbereitungszeit kommen die ersten Proben: es muß Träume deuten, seine Wahrsagerfähigkeiten beweisen usw. Am dramatischsten ist der folgende Augenblick: Der Kandidat, der sich in Ekstase befindet, beschreibt mit äußerster Genauigkeit die Tiere, die ihm die Geister schik-1 Vgl. t. B. E, J. Lindgren, Notes on the Reindeer Tungus of Manchuria (Journal of the Royal Central Asian Society, 22. Bd., 1935, S. 218 ff.), S. 221 ff.; Chadwick, Poetry and Prophecy, S. 53.
ken werden, damit er sich aus ihren Häuten eine Tracht macht. Lange Zeit darnach, wenn die Tiere erlegt sind und die Tracht schon genäht ist, legt der Kandidat sie an und schamanisiert in «großer Sitzung» (Shiro-kogorov, a. a. O., S. 350).
Bei den mandschurischen Tungusen geht die Initiation ein wenig anders vor sich. Das Kind wird ausgesucht und unterrichtet, doch hängt seine Laufbahn von seinen ekstatischen Fähigkeiten ab (s. o. S. 27). Nach der Vorbereitungsperiode, auf die wir schon hingewiesen haben, folgt die eigentliche «Initiations »Zeremonie.
Man richtet vor einem Haus zwei turö auf (Bäume, denen man die dicken Äste abgeschnitten, die Wipfel aber belassen hat). Diese beiden turö sind durch Querbalken verbunden, die ungefähr 90 bis 100 cm lang und in ungerader Zahl sind - 5, 7 oder 9. Man stellt einen dritten turö gegen Süden im Abstand von einigen Metern auf und verbindet ihn mit den östlichen turö durch eine Schnur oder einen dünnen Riemen (sijim, «Seil»), der ungefähr alle 30 cm mit Bändern und Federn verschiedener Vögel geschmückt ist. Man kann rote chinesische Seide oder rot gefärbte Sehnen verwenden. Das ist der «Weg», an dem die Geister sich niedersetzen werden. Auf der Schnur läßt man einen Holzring laufen, der von einem turö zum andern gleiten kann. In dem Augenblick, wo der Meister ihn schickt, befindet sich der Geist in der Fläche des Rings (jtildu). Drei menschengestaltige Holzfiguren (an'nakan), ziemlich groß (30 cm), befinden sich neben jedem turö.
«Der Kandidat setzt sich zwischen die beiden turö und schlägt die Trommel. Der alte Schamane ruft die Geister einen nach dem andern und schickt sie mit dem Ring dem Kandidaten. Der Meister nimmt den Ring jedesmal wieder, bevor er einen neuen Geist abschickt; wenn er das nicht täte, würden die Geister so stark in den Kandidaten ein-dringen, daß sie nie mehr herausgingen... Sobald er von den Geistern besessen ist, wird der Kandidat von den Alten befragt und muß die ganze Geschichte (die ,Biographie') des Geistes in allen Einzelheiten erzählen, namentlich wer er vorher war, wo er gelebt hat, was er getan hat, mit welchem Schamanen er zusammen war und wann dieser gestorben ist... ; all dies, um die Zuschauer davon zu überzeugen, daß der Geist wirklich den Kandidaten besucht... Nach dieser Vorführung klettert der Schamane jeden Abend auf den höchsten Querbalken und bleibt dort eine gewisse Zeit. Man hängt seine Tracht an dem Querbalken des turö auf...» (Shirokogorov, a.a.O., S. 352). Die Zeremonie dauert 3, 5, 7 oder 9 Tage. Wenn der Kandidat Erfolg hat, opfert man den Geistern des Clans.
Übergehen wir für den Augenblick die Rolle der «Geister» bei der Weihe des künftigen Schamanen - der tungusische Schamanismus scheint tatsächlich von Führergeistern beherrscht zu sein - und halten wir nur zwei Einzelheiten fest: 1. das Seil, das den Namen «Weg» hat, 2. den Ritus des Hinaufsteigens. Die Wichtigkeit dieser Riten ist sofort ersichtlich. Das Seil ist das Symbol des «Weges», der die Erde mit dem Himmel verbindet (obgleich bei den heutigen Tungusen der «Weg» vielmehr zur Verbindung mit den Geistern dient); das Besteigen des Baumes bedeutete ursprünglich den Aufstieg des Schamanen zum Himmel. Wenn, wie zu vermuten, die Tungusen diese Initiationsriten von den Buriäten überkommen haben, ist es durchaus möglich, daß sie sie ihrer eigenen Ideologie anpaßten und dabei ihrer ursprünglichen Bedeutung entleerten; dieser Bedeutungsverlust könnte in jüngster Zeit unter dem Einfluß anderer Ideologien (z. B. des Lamaismus) stattgefunden haben. Wie dem auch sei, selbst wenn dieser Initiationsritus entliehen sein sollte, fügt er sich doch irgendwie der allgemeinen Konzeption des tungusischen Schamanismus ein, denn wie wir schon gesehen haben und noch deutlicher sehen werden, teilen die Tungusen mit allen anderen nordasiatischen und arktischen Völkern den Glauben an die Himmelfahrt des Schamanen.
Bei den Mandschu gehörte es ehemals zu der öffentlichen Initiationszeremonie, daß der Kandidat über glühende Kohlen ging; verfügte er wirklich über die Geister, wie er es vorgab, so konnte er ungestraft über das Feuer gehen. Heute ist die Zeremonie ziemlich selten geworden; man sagt, daß die Kräfte der Schamanen abgenommen haben (Shirokogorov, S. 353), was der allgemein nordasiatischen Vorstellung von dem gegenwärtigen Niedergang des Schamanismus entspricht.
Die Mandschu kennen noch eine andere Initiationsprobe: Während des Winters schlägt man neun Löcher ins Eis, und der Kandidat muß durch eines dieser Löcher untertauchen und, unter dem Eis schwimmend, durch das zweite wieder herauskommen und so weiter bis zum neunten Loch. Die Mandschu behaupten, die außerordentliche Härte dieser Probe gehe auf chinesischen Einfluß zurück (Shirokogorov, S. 352). In Wirklichkeit gleicht sie gewissen yogi-tantrischen Proben in Tibet, bei denen man in einer Winternacht voller Schnee mit nacktem Körper eine bestimmte Anzahl von nassen Tüchern trocknen muß. Der Yogi-Lehrling legt damit die Probe von der «psychischen Wärme» ab, die er in seinem Körper hervorbringen kann. Wir erinnern uns, daß bei den Eskimos eine ähnliche Probe ertragener Kälte als das sichere Zeichen für die schamanische Auserwählung betrachtet wird. In der Tat ist das absichtliche Hervorbringen von Wärme eine der wesentlichen Künste des primitiven Zauberers und Medizinmanns; wir haben darauf noch zurückzukommen.
Initiation bei den Jakuten, Samojeden und Ostjaken
Über die Initiationszeremonien der Jakuten, Samojeden und Ostjaken haben wir nur unsichere und veraltete Nachrichten. Sehr wahrscheinlich sind die mitgeteilten Beschreibungen oberflächlich und ungenau, denn die Beobachter und Ethnographen des 19. Jahrhunderts sahen oft im Schamanismus ein Teufelswerk; für sie konnte der künftige Schamane sich nur dem «Teufel» verschreiben. So stellt Pripuzov die jakutische Initiationszeremonie dar: Nach der «Auserwählung» durch die Geister (s. oben S. 26) führt der alte Schamane seinen Schüler auf einen Hügel oder auf eine Ebene, übergibt ihm die Schamanentracht, investiert ihn mit Trommel und Stock und stellt zu seiner Rechten neun Jünglinge und zu seiner Linken neun Jungfrauen auf. Darauf legt er seine Tracht an, stellt sich hinter den Neophyten und läßt ihn bestimmte Formeln wiederholen. Zuerst fordert er ihn auf, Gott und allem, was er liebt, abzusagen und läßt ihn versprechen, sein ganzes Leben dem Teufel zu weihen, wofür ihm dieser alle Wünsche erfüllen werde. Darauf bezeichnet ihm der Schamanenmeister die Örtlichkeiten, wo der Dämon haust, die Krankheiten, die er heilt, und die Art, wie man ihn beruhigen kann. Zuletzt schlachtet der Kandidat das Tier, das zum Opfer bestimmt ist; seine Tracht wird mit Blut besprengt und das Fleisch von den Teilnehmern verzehrt2.» (Man hat es hier wahrscheinlich mit einer Initiation von «schwarzen Schamanen» zu tun, die ausschließlich den unterweltlichen Geistern und Gottheiten geweiht sind, 2 N. V. Pripuzov, Svedenija dlja izutchenija shamanstia u Jakutov, S. 64—65; Mi-khailowski, Shamanism, S. 85-86; Harva, Religiöse Vorstellungen, S. 485-486.
wie man sie auch bei den anderen sibirischen Völkern antrifft; vgl. Harva, Rel. Vonteil., S. 482 ff.).
Nach Tretjakov gehen die Samojeden und die Ostjaken in der Gegend von Turuschansk bei der Initiation des neuen Schamanen auf folgende Weise vor: Der Kandidat wendet sich nach Westen und der Meister bittet den Geist der Finsternis, dem Novizen zu helfen und ihm einen Führer zu geben. Darauf stimmt er einen Hymnus an den Geist der Finsternis an, den der Kandidat wiederholt. Zum Schluß spielen sich die Proben ab, die der Geist dem Novizen auferlegt; dabei verlangt er seine Frau, seinen Sohn und seinen Besitz von ihm3.
Bei den Golden findet die Initiation wie bei den Tungusen und Bu-riäten in der Öffentlichkeit statt; die Familie des Kandidaten und viele Geladene nehmen daran teil. Man singt, tanzt (es müssen mindestens neun Tänzer sein) und opfert neun Schweine; die Schamanen trinken ihr Blut, fallen in Ekstase und schamanisieren lang. Das Fest dauert mehrere Tage4 und entwickelt sich gewissermaßen zu einer allgemeinen Volksbelustigung.
Ein solches Ereignis betrifft natürlich unmittelbar den ganzen Stamm, und seine Kosten können nicht immer von der Familie allein getragen werden. Insofern spielt die Initiation eine bedeutende Rolle für die Soziologie des Schamanismus.
Die Initiation bei den Buriäten
Die am reichsten gegliederte und am besten bekannte Initiationszeremonie - vor allem dank Changalov und dem «Handbuch» von Pozdnevev, das Partanen übersetzt hat - ist die der Buriäten1. Auch hier findet die wirkliche Initiation vor der öffentlichen Weihe des neuen Schamanen statt. Nach den ersten ekstatischen Erlebnissen (Träume, Visionen, Gespräche mit Geistern usw.) bereitet sich der Lehrling lange Jahre hindurch in der Einsamkeit vor und wird von alten Meistern unterrichtet, besonders von dem, der sein Initiator sein soll und «Vaterschamane» genannt wird. Während dieser ganzen Zeit schamanisiert er, ruft die Götter und die Geister an und erlernt die Geheimnisse des Handwerks. Auch bei den Burjaten ist dann die «Initiation» mehr öffentliche Demonstration der mystischen Fähigkeiten des Kandidaten und Weihe durch den Meister als eine wirkliche Enthüllung von Mysterien.
Sobald das Datum der Weihe festgelegt ist, findet eine Reinigungszeremonie statt, die sich grundsätzlich drei- bis neunmal wiederholen soll, meistens aber nur zweimal vollzogen wird. Der «Vaterschamane» und neun junge Männer, seine «Söhne» genannt, tragen Wasser von drei Quellen herbei und bringen den Geistern dieser Quellen tarasun-Libationen dar. Auf dem Rückweg reißt man junge Birken aus und nimmt sie nachhause mit. Das Wasser wird gekocht und man wirft wilden Thymian, Wacholder und Tannenrinde hinein, um es zu reinigen, Man wirft auch einige Haare hinein, die vom Ohr eines Bockes abgeschnitten sind. Darauf wird das Tier getötet und man läßt einige Tropfen von seinem Blut in den Topf fallen. Das Fleisch wird den Frauen zum Herrichten gegeben. Nun schreitet man zur Wahrsagung aus einem Schulterblatt des Hammels, und der «Vaterschamane» ruft die schamanischen Ahnen des Kandidaten an und opfert ihnen Wein und tarasun. Er taucht einen Besen aus Birkenzweigen in den Topf und berührt damit den nackten Rücken des Lehrlings. Die «Söhne des Schamanen» wiederholen diese rituelle Geste, während ihr «Vater» spricht: «Wenn ein Armer dich braucht, verlange wenig von ihm und nimm, was er dir gibt. Denke an die Armen, hilf ihnen und bitte Gott, daß er sie vor den bösen Geistern und ihrer Macht beschützt. Wenn ein Reicher dich ruft, verlange nicht viel von ihm für deine Dienste. Wenn ein Reicher und ein Armer dich zur gleichen Zeit rufen, geh zu dem Ar-
men und dann zu dem Reichen6.» Der Lehrling verspricht diese Regeln zu befolgen und wiederholt das Gebet, das der Meister gesprochen hat. Nach der Waschung bringt man den Schutzgeistern von neuem tarasun-Libationen dar und die Vorbereitungszeremonie ist abgeschlossen. Diese Reinigung durch Wasser ist für die Schamanen obligatorisch und zwar mindestens einmal im Jahr, wenn nicht jeden Monat bei Neumond. Auf dieselbe Weise reinigt sich der Schamane auch jedesmal, wenn er sich eine Befleckung zugezogen hat; ist die Befleckung besonders schwer, so geschieht die Reinigung auch durch Blut.
Einige Zeit nach der Reinigung findet die Zeremonie der ersten Konsekration statt, Khärägä-Khulkä, an deren Kosten sich die ganze Gemeinschaft beteiligt. Die Opfergaben werden vom Schamanen und seinen neun Helfern, «den Söhnen», gesammelt, die zu Pferd von einem Weiler zum anderen ziehen. Sie bestehen im allgemeinen in Taschentüchern und Bändern, seltener in Silber. Man kauft auch hölzerne Schalen, Glöckchen für die «Steckenpferde» (horse-sticks), Seide, Wein usw. In der Gegend von Balagansk ziehen sich der Kandidat, der «Vaterschamane» und die neun «Schamanensöhne» in ein Zelt zurück und fasten neun Tage lang, wobei sie nur von Tee und Mehlbrei leben. Um das Zelt zieht man dreimal ein Seil aus Pferdehaaren, an dem kleine Tierhäute befestigt sind.
Am Vorabend der Zeremonie schneiden die jungen Männer unter der Leitung des Schamanen eine genügende Anzahl starke und gerade Birken. Die Fällung geschieht in dem Wald, wo die Bewohner des Dorfes begraben werden, und zur Beruhigung des Waldgeistes bringt man Opfer von Hammel-Fleisch und larasun dar. Am Festmorgen werden die Bäume der Reihe nach aufgestellt. Man beginnt damit, in der Jurte eine starke Birke aufzustellen und zwar sind die Wurzeln im Herd, während der Wipfel zur oberen Öffnung (dem Rauchloch) hinausragt. Diese Birke heißt udeshi burkhan, «der Türhüter», denn sie öffnet dem Schamanen den Himmel. Sie bleibt immer im Zelt und dient als Kennzeichen der Schamanenwohnung.
Die anderen Birken werden außerhalb der Jurte dort aufgestellt, wo die Initiationszeremonie stattfinden soll. Sie werden in einer bestimmten Ordnung gepflanzt: 1. eine Birke, unter der man tarasun und andere Opfergaben niederlegt und an deren Zweige rote und gelbe Bänder gebunden werden, wenn es sich um einen «schwarzen Schamanen» handelt, weiße und blaue für einen «weißen Schamanen» und Bänder in allen vier Farben, wenn der neue Schamane allen Kategorien von Geistern, guten und bösen, dienen will; 2. eine zweite Birke, an der man eine Glocke und die Haut eines geopferten Pferdes aufhängt;
3. eine dritte, recht starke und gut in die Erde gesteckte, auf die der Neophyt klettern muß. Diese drei Birken, die im allgemeinen mit den Wurzeln ausgerissen werden, heißen «Pfeiler» (särgä). Weiter 4. neun Birken, die zu dreien gruppiert und alle mit einem Seil aus weißem Perdehaar zusammengebunden sind, an dem verschiedenfarbige Bänder in einer bestimmten Ordnung befestigt sind: weiß, blau, rot, gelb (die Farben bedeuten vielleicht die verschiedenen himmlischen Ebenen); auf diesen Birken sollen die Häute der neun geopferten Tiere und Speisen ausgestellt werden; 5. neun Pfosten, an denen man die zum Opfer bestimmten Tiere anbindet; 6. dicke Birken, der Reihe nach aufgestellt, an denen später die in Stroh gewickelten Knochen der Opfertiere aufgehängt werden7. Von der Hauptbirke im Inneren der Jurte zu den anderen Bäumen draußen laufen zwei Bänder, das eine rot, das andere blau; dies ist das Symbol des «Regenbogens», des Weges, auf dem der Schamane das Reich der Geister, den Himmel erreichen wird.
Wenn diese Vorbereitungen beendigt sind, schreiten der Neophyt und die «Söhne des Schamanen», alle weiß gekleidet, zur Weihe der schamanischen Instrumente; man opfert einen Hammel zu Ehren des Herrn und der Herrin des Steckenpferds und bringt tarasun dar. Zuweilen beschmiert man den Stock mit dem Blut des Opfertieres, und 7 Der von Partanen übersetzte Text gibt viele Einzelheiten über die Birken und die rituellen Pfosten (§ 10-15). «Der Baum im Norden heißt Mutterbaum. In seinem Wipfel ist mit seidenen oder baumwollnen Bändern ein Vogelnest aufgehängt, in dem auf Baumwolle oder weißer Wolle neun Eier und ein Mond liegen, der aus einem Stück weißem Samt besteht und auf eine Scheibe Birkenrinde geklebt ist. . . Der große Baum im Süden heißt Vaterbaum. An seinem Wipfel (ist ein Stück) Rinde, mit rotem Samt bedeckt (aufgehängt), das man Sonne nennt» (§ 10). «Nördlich des Mutterbaums, neben der Jurte, pflanzt man sieben Birken; auf jede von den vier Seiten der Jurte stellt man vier Bäume und unter sie eine Stufe, auf der man Wacholder und Thymian (als Weihrauch) verbrennt. Das heißt die Leiter (shita) oder Stufen (geskigür)» § 15.
sogleich belebt sich das «Steckenpferd» und verwandelt sich in ein wirkliches Pferd.
Nach dieser Weihe der schamanischen Instrumente beginnt eine lange Zeremonie mit Opferung von tarasun an die Schutzgottheiten -die westlichen Khans und ihre neun Söhne -, an die Ahnen des «Schamanenvaters», an die Lokalgeister und die Schutzherrn des neuen Schamanen, an berühmte tote Schamanen, an die burkhan und andere niedere Gottheiten8. Der «Schamanenvater» richtet nochmal ein Gebet an die verschiedenen Götter und Geister und der Kandidat wiederholt seine Worte; nach bestimmten Überlieferungen hält der Kandidat ein Schwert in der Hand und klettert damit auf die Birke im Inneren der Jurte, erreicht den Wipfel, kommt durch das Rauchloch heraus und ruft laut die Götter um Hilfe. Unterdessen werden die Menschen und Gegenstände in der Jurte fortwährend Reinigungen unterzogen. Darauf tragen vier «Schamanensöhne» den Kandidaten auf einem Filzteppich aus der Jurte hinaus und singen dazu.
Die ganze Gruppe mit dem «Schamanenvater» an der Spitze, hinter ihm der Kandidat, die neun «Söhne», die Verwandten und Zuschauer, begibt sich in Prozession zu dem Ort, wo die Birkenreihe steht. An einem bestimmten Punkt neben einer Birke macht die Prozession halt; man opfert einen Bock, und der Kandidat wird mit nacktem Oberkörper an Haupt, Augen und Ohren mit dem Blut gesalbt, während die anderen Schamanen das Tamburin schlagen. Die neun «Söhne» tauchen ihre Besen ins Wasser, schlagen damit auf den bloßen Rücken des Kandidaten und schamanisieren.
Man opfert noch neun oder mehr Tiere. Während ihr Fleisch hergerichtet wird, findet der rituelle Aufstieg zum Himmel statt. Der «Schamanenvater» steigt auf eine Birke und macht an ihrem Wipfel neun Einschnitte. Er steigt wieder herunter und nimmt auf einem Teppich Platz, den seine «Söhne» an den Fuß der Birke gebracht haben. 8 Über die Khans und das ziemlich komplizierte Pantheon der Burjaten s.Sandschejev, Weltanschauung und Schamanismus, S. 939 ff. Über die burkhan s. die ausführliche Notiz von Shirokogorov (Sramana-Shaman, S. 120 f.), gegen B. Läufer (Burkhan, Journal of the American Oriental Society, 1917, S. 390-393), welcher die Spuren von Buddhismus bei den Amur-Tungusen bestreitet. Zu den späteren Bedeutungen des Wortes burkhan bei den Türken (wo es abwechselnd auf Buddha, Mani, Zarathustra usw, angewendet wird) s. Pestallozza, II manicheisrno presso i Turchi occidentali ed orientali, S. 456, Nr. 3
Der Kandidat steigt nun seinerseits hinauf, wobei ihm die anderen Schamanen folgen. Dabei fallen sie alle in Ekstase. Bei den Buriäten von Balagansk wird der Kandidat, auf einem Filzteppich sitzend, neunmal um die Birke herumgetragen; er steigt auf jede Birke und macht an ihrem Wipfel neun Einschnitte. Während er oben ist, schamanisiert er; auf dem Boden schamanisiert der «Schamanenvater» von einem Baum zum andern. Nach Potanin werden die neun Birken eine neben der andern in den Boden gesteckt und der Kandidat springt von seinem Filzteppich, auf dem er getragen wird, vor die erste hin, klettert bis zum Wipfel und wiederholt dieses Ritual auf jedem von den neun Bäumen, die ebenso wie die neun Einschnitte die neun Himmel symbolisieren.
Inzwischen sind die Gerichte fertig; man bringt den Göttern davon Opfer dar (indem man Stücke ins Feuer und in die Luft wirft) und das Gelage beginnt. Der Schamane und seine «Söhne» ziehen sich dann in die Jurte zurück, aber die Geladenen schmausen noch lange. Die Knochen der Tiere werden in Stroh eingewickelt und an den neun Birken aufgehängt.
In der alten Zeit gab es mehrere Initiationen: Changalov und Sandschejev (S. 979) sprechen von neun, Petri (Harva. S. 495) von fünf. Nach dem von Pozdneyev veröffentlichten Text mußten nach drei bzw. sechs Jahren eine zweite und dritte Initiation stattlinden (Partanen, S. 24, § 37). Ähnliche Zeremonien sind bei den Sibo (einem mit den Tungusen verwandten Volk), den Altai-Tataren und in gewisser Hinsicht auch bei den Jakuten und Golden bezeugt (Harva, S. 498).
Doch selbst dort, wo es sich nicht um eine Initiation dieses Typus handelt, treffen wir schamanische Himmelsaufstiegrituale, die auf analoge Vorstellungen hinweisen. Über diese fundamentale Einheitlichkeit des zentral- und nordasiatischen Schamanismus werden wir uns beim Studium der Technik der Sitzungen klar werden; dann wird es nämlich möglich sein, die kosmologische Struktur all dieser schamanischen Riten herauszuarbeiten. So ist zum Beispiel evident, daß die Birke den kosmischen Baum oder die Weltachse symbolisiert und deshalb im Zentrum der Welt vorgestellt wird; wenn er sie erklettert, unternimmt der Schamane eine ekstatische Reise zum «Zentrum». Wir sind diesem wichtigen mythischen Motiv schon bei den Initiationsträumen begegnet und es wird anläßlich der altaischen Schamanensitzungen und der Trommelsymbolik noch deutlicher in Erscheinung treten.
Es wird sich übrigens zeigen, daß der Aufstieg mit Hilfe eines Baums oder eines Pfostens auch in anderen Initiationen des schamanischen Typus eine wichtige Rolle spielt; wir haben in ihm eine von den Varianten des mythisch-rituellen Themas vom Himmelsaufstieg vor uns (das auch den «magischen Flug», den Mythus von der «Pfeilkette», vom Seil, von der Brücke usw. umfaßt). Derselbe Aufstiegssymbolismus ist durch das Seil (= Brücke) bezeugt, das die Birken verbindet und auf dem Bänder von verschiedener Farbe (= die Farben des Regenbogens, die verschiedenen Himmelsregionen) aufgehängt sind. Diese mythischen und rituellen Themen sind wohl spezifisch für die sibirischen und altaischen Religionen, eignen aber nicht nur diesen Kulturen; ihr Verbreitungsgebiet geht über Zentral- und Nordostasien weit hinaus. Man fragt sich sogar, ob ein so komplexes Ritual wie die Initiation des buriätischen Schamanen eine absolute Neuschöpfung sein kann, denn wie Uno Harva schon vor einem Vierteljahrhundert bemerkte, erinnert die buriätische Initiation merkwürdig an bestimmte Zeremonien aus den Mithrasmysterien. Der Kandidat, dessen Oberkörper nackt ist, wird durch das Blut eines Bockes gereinigt, den man in manchen Fällen über seinem Kopfe opfert; an bestimmten Orten muß er sogar vom Blut des Opfertieres trinken (vgl, Harva, Der Baum des Lebens, S. 140 ff.; Relig. Vorstell., S. 492 ff.) - eine Zeremonie, die an das taurobolion, den Hauptritus der Mithrasmysterien erinnert9. Und bei denselben Mysterien benützte man eine Leiter (climax) mit sieben Sprossen, jede Sprosse aus einem anderen Metall. Nach Celsus (Origenes, C. Celsum VI, 22) war die erste Sprosse aus Blei (entsprechend dem «Himmel» des Planeten Saturn), die zweite aus Zinn (Venus), die dritte aus Bronze (Jupiter), die vierte aus Eisen (Merkur), die fünfte aus «Münzlegierung» (Mars), die sechste aus Silber (Mond), die siebte aus Gold (Sonne). Die achte Sprosse stellt nach Celsus die Fixsternsphäre dar. Indem der Eingeweihte diese Zeremonialleiter hinaufsteigt, durchläuft er in Wirklichkeit die «sieben Himmel» und erhebt sich so bis zum 9 Im 2. Jh. n. Chr. beschreibt Prudentius (Peristeph. X. S. 11 ff.) dieses Ritual in Verbindung mit den Mysterien der Magna Mater, doch besteht Grund zu der Annahme, daß das phrygische taurobolion von den Persern entlehnt ist (vgl. Fr. Cumont, Les religions orientales Jans le paganisme romain, 3. Aufl. Paris 1929, S. 63 ff., 229 ff.)
Empyreum10. Wenn man noch andere, mehr oder weniger verformte iranische Elemente in den zentralasiatischen Mythologien2 berücksichtigt und an die wichtige Vermittlerrolle der Sogder des ersten Jahrtausends zwischen China und Zentralasien und zwischen dem Iran und dem Nahen Orient denkt erscheint die Hypothese des finnischen Gelehrten als wahrscheinlich.
Diese Beispiele für iranische Einflüsse auf das buriätische Ritual mögen für den Augenblick genügen. All dies wird erst später in seiner wirklichen Bedeutung erscheinen, wenn von den süd- und westasiatischen Einlagerungen im sibirischen Schamanismus die Rede ist.
Die Initiation der araukanischen Schamanin
Es ist nicht unsere Absicht, nun alle Parallelen zu diesem buriätischen Initiationsritual beizubringen. Wir wollen nur die frappantesten davon aufführen, besonders soweit sie die Besteigung eines Baumes oder ein anderes mehr oder weniger deutliches Symbol des Himmelsaufstiegs als wesentlichen Ritus enthalten. Wir beginnen mit der Südamerikanischen Weihe der macht, der araukanischen Schamanin13. Diese Initiationszeremonie hat ihren Mittelpunkt im rituellen Besteigen eines Baumes oder vielmehr eines entrindeten Stamms, der den Namen rewe führt; er ist übrigens das Symbol des Schamanenberufes und jede macht bewahrt ihn für immer vor ihrer Hütte.
Man entrindet einen drei Meter hohen Baum, macht Einschnitte in Form einer Stiege hinein und steckt ihn vor der Behausung der künftigen Schamanin fest in die Erde, «ein wenig nach hinten geneigt, um den Aufstieg zu erleichtern». Manchmal «sind hohe Äste rund um die rewe in die Erde eingerammt und bilden eine Umzäunung von 15 auf 4 Meter» (Métraux, S. 319). Wenn diese heilige Leiter hergerichtet ist, entkleidet sich die Kandidatin und streckt sich, nur im Hemd, auf einem Lager von Hammelhäuten und Decken aus. Die alten Schamanin-nen beginnen ihren Körper mit Caneloblättern zu reiben, wobei sie fortwährend magische Striche vollführen. Inzwischen singen die Anwesenden im Chor und läuten mit den Viehglocken. Diese rituelle Massage wird mehrmals wiederholt. Dann «beugen sich die Älteren über sie und saugen an ihrer Brust, ihrem Bauch und ihrem Kopf so heftig, daß das Blut hervorspringt» (Métraux, S. 321). Nach dieser ersten Vorbereitung erhebt sich die Kandidatin, kleidet sich an und setzt sich auf einen Stuhl. Die Lieder und Tänze gehen den ganzen Tag weiter.
Am nächsten Tag ist das Fest auf seinem Höhepunkt. Es kommt eine Menge von Geladenen. Die alten macht bilden einen Kreis und trommeln und tanzen der Reihe nach. Zum Schluß begeben sich die macht und die Kandidatin zu dem Leiterbaum und beginnen eine nach der anderen den Aufstieg. (Nach Moesbachs Gewährsmann steigt die Kandidatin als erste hinauf.) Die Zeremonie endet mit einem Hammelopfer.
Das war eine Zusammenfassung der Beschreibung von Robles Rodriguez. Pater Housse gibt weitere Einzelheiten. Die Anwesenden bilden einen Kreis rund um den Altar, auf dem man Lämmer opfert, welche die Familie des Schamanen darbringt. Die alte macht wendet 13 Wir folgen der Beschreibung in A. Métraux. Le shamanisme araucan (Revista del Instituto de Antropologia de la Univcrsidad nacional de Tucuman, 2. Bd.. Nr. 10. Tucuman 1942. S. 309-362). wo alles ältere Material verarbeitet ist, bes. Robles Rodriguez, Guillaumes, cojlumbres y creenciat araucanas (Anales de la Universidad de Chile, 127. Bd., Santiago de Chile 1910, S. 1M-177) und R. P. Housse. Une épopée indienne, Les Araucanl de Chili (Paris. 1939).
sich an Gott: «O Herrscher und Vater der Menschen, ich besprenge dich mit dem Blut dieser Tiere, die du erschaffen hat. Sei uns gnädig!» usw. Das Tier wird geschlachtet und sein Herz auf einem der Canelo-zweige aufgehängt. Die Musik beginnt und alle sammeln sich um den reive. Darauf folgt Bankett und Tanz die ganze Nacht hindurch.
Beim Morgengrauen erscheint die Kandidatin wieder, und die macht beginnen von Trommeln begleitet wieder zu tanzen. Mehrere von ihnen fallen in Ekstase. Die Alte verbindet sich die Augen und macht mit einem Messer aus weißem Quarz tastend mehrere Einschnitte in die Finger und die Lippen der Kandidatin; darauf macht sie sich selbst die gleichen Einschnitte und vermischt ihr Blut mit dem der Kandidatin. Nach einem anderen Ritual steigt die junge Eingeweihte «tanzend und trommelnd auf den reive. Die Älteren folgen ihr und stützen sich auf die Stufe; die beiden Patinnen nehmen sie auf der Fläche des reute zwischen sich. Sie nehmen ihr den Halsschmuck aus Blättern und das blutige Vließ ab (mit denen sie kurz zuvor geschmückt wurde) und hängen beides an den Zweigen der Sträucher auf. Nur die Zeit darf sie nach und nach zerstören, denn sie sind heilig. Darauf steigt das Hexenkollegium wieder herunter, die Kandidatin als letzte, doch rückwärts und im Takt. Kaum berühren ihre Füße den Boden, so begrüßt sie unermeßliches Geschrei; das ist ein Triumph, ein Rasen und ein Gedränge - ein jeder will sie von der Nähe sehen, ihre Hände berühren, sie küssen» (Housse, Une épopée indienne, zitiert bei Métraux, S. 325). Es folgt das Bankett, an dem alle Anwesenden teilnehmen. Die Wunden heilen in acht Tagen.
Nach den von Moesbach gesammelten Texten scheint das Gebet der machi an den Vater-Gott («Padre dios rey anciano» usw.) gerichtet zu sein. Sie bittet ihn um die Gabe des Zweiten Gesichts (damit sie das Übel im Körper des Kranken wahrnimmt) und um die Kunst des Trommeins. Weiter bittet sie ihn um ein «Pferd», einen «Stier» um ein «Messer», die Symbole bestimmter geistiger Kräfte, und zuletzt um einen Stein, «gestreift oder farbig» (ein magischer Stein, den man in den Körper des Kranken bringen kann, um ihn zu reinigen. Kommt er blutig heraus, so ist der Kranke in Lebensgefahr. Mit diesem Stein reibt man die Kranken). Die machi versprechen den Versammelten, daß die junge Eingeweihte keine schwarze Magie treiben wird. Der Text von Rodriguez erwähnt an Stelle des «Vatergottes» vileo, den macht des Himmels, d. h. den Großen Himmelsschamanen. (Die vileo bewohnen «die Mitte des Himmels».)
Wie überall im Bereich des Initiationsaufstiegs wiederholt sich derselbe Aufstieg auch bei der schamanischen Kur (Métraux, S. 336).
Halten wir noch einmal die Hauptzüge dieser Initiation fest, die ekstatische Besteigung eines Leiterbaumes als Symbol der Himmelsreise, das Gebet auf dem rewe zum Höchsten Gott oder zum Großen Himmelsschamanen, von denen man sowohl die Verleihung der Heilkraft (Hellsehen usw. ) als der zur Kur nötigen Gegenstände (gestreifter Stein usw.) erwartet. Der göttliche oder mindestens himmlische Ursprung der ärztlichen Kräfte ist auch bei vielen anderen archaischen Völkern bezeugt, so z. B. bei den Semangpygmäen, wo der hala die Krankheiten mit Hilfe der Cenoi (Vermittler zwischen Ta Pedn, dem höchsten Gott, und den Menschen) behandelt oder mit Quarzsteinen, in denen vielfach diese himmlischen Geister wohnend gedacht sind, doch auch mit der Hilfe Gottes14. Auch der «gestreifte oder farbige Stein» ist himmlischen Ursprungs; wir fanden dafür schon eine Reihe von Beispielen aus Südamerika und anderen Ländern (S. 57 ff. ) und werden noch darauf zurückzukommen haben15.
Die rituelle Besteigung von Bäumen
Die rituelle Baumbesteigung als schamanischer Initiationsritus begegnet auch in Nordamerika. Bei den Pomo dauert der Eintritt in die Geheimbünde vier Tage; ein ganzer Tag gehört der Besteigung eines Baumpfahls von acht bis zehn Metern Höhe und fünfzehn Zentimetern
14 «Wenn Ta Pedu ihm nicht die Medizin gesagt hätte, die er anwenden muß, und den richtigen Moment sie dem Kranken zu geben und die Worte, die er dabei sprechen muß. wie könnte der hole heilen?« fragte ein Semang-Pygmäe (Schebesta, les Pygmies, S. 152).
15 Bemerkenswert ist, daß bei den Araukanern die Frauen den Schamanismus aus-üben; früher war es das Vorrecht der Homosexuellen. Eine recht ähnliche Situation begegnet bei den Tschuktschen: Die meisten Schamanen sind Homosexuelle, sie nehmen manchmal sogar Männer; doch auch im Fall der sexuellen Normalität werden sie von den Geistern, die sic leiten, gezwungen, sich als Frauen anzuziehen (vgl. V. Bogoroz. The Chukchee. The Jesup North Pacific Expedition Bd. VII, Neuyork 1904 ff.. IE S. 450 ff.). Besteht zwischen diesen beiden Arten des Schamanismus eine genetische Beziehung? Die Entscheidung scheint uns schwierig zu sein.
Durchmesser16. Wir erinnern uns, daß in Sibirien die künftigen Schamanen während oder vor ihrer Konsekration auf Bäume klettern. Wie wir sehen werden, steigt auch der vedische Opferer auf einen rituellen Pfahl, um den Himmel und die Götter zu erreichen. Der Aufstieg mittels eines Baumes, einer Liane oder eines Seils ist ein sehr verbreitetes Motiv; Beispiele dafür folgen in einem späteren Kapitel.
Auch die Initiation zum dritten und höchsten schamanischen Grad des manang von Sarawak enthält eine rituelle Besteigung: Man bringt einen großen Krug auf die Veranda, an dessen Rand man zwei kleine Leitern lehnt; eine ganze Nacht lang stehen sich die Initiationsmeister gegenüber und führen den Kandidaten auf die eine Leiter hinauf und über die andere wieder herunter. Archdeacon J. Perham, der als einer der ersten diese Initiation beobachtet hat, schrieb gegen 1885, daß er für diesen Ritus keine Erklärung bekommen könne17. Doch scheint der Sinn ziemlich klar; es kann sich nur um einen symbolischen Aufstieg zum Himmel handeln, dem der Abstieg auf die Erde folgt. Ähnliche Rituale finden sich in Malekula; ein höherer Grad der Maki-Zeremonie heißt sogar «Leiter» 18 und der Aufstieg auf eine Plattform bildet ihren wichtigsten Teil 19,
Die Himmelsreise des karibischen Schamanen
Die Initiation der karibischen Schamanen in Niederländisch Guayana ist ebenfalls um die ekstatische Himmelsreise des Neophyten zentriert, verwendet jedoch andere Mittel Man kann nur pujai werden, wenn
16 Loeb, Pomo Folkways (Univ. of California Publications in American Archaeology and Ethnology, 19. Bd., Berkeley 1926, Nr. 2, S. 149-404), S. 372-374. 17 Abgedruckt bei H. Ling Roth, Natives of Sarawak I, S. 281. Über die zwei ersten Initiationsgrade S. o. S. 66 f.
18 Über diese Zeremonie s. J. Layard, Stone Men of Malekula (London 1942), 14. Kap.
19 Vgl auch B. Deacon, Malekula. A vanishing people of the New Hebrides (Lon-don 1934), S. 379 Riesenfeld. The megalithic culture of Melanesia, S. 59 ff.. usw. 20 Wir folgen der Arbeit von Friedrich Andres, Die Himmelsreise der caraibischen Medizinmänner (Zs. f. Ethnologie. 70. Bd., Heft 3/5. 1939. S. 331-342), wo die Untersuchungen der holländischen Ethnologen F. P. Penard und A. Ph. Pénard, W. Ahl-rinck und C. H. de Gocje benützt sind. Vgl. auch W. E. Roth. An inquiry into the ni mum and Folklore of the Guianalndians (30. Annual Report of the Bureau of American Ethnology 1908-1909, Washington 1915, S. 103-386); A. Métraux, Le shamans,me chez le, Indien, de l'Amérique du Sud tropicale, S. 208 f.
es einem gelingt die Geister zu sehen und mit ihnen unmittelbare und dauerhafte Beziehungen anzuknüpfen21. Es handelt sich weniger um ein «Besessenwerden» als um eine ekstatische Vision, welche den Umgang und das Gespräch mit den Geistern ermöglicht. Diese Vision ist an einen Himmelsaufstieg geknüpft. Doch kann der Novize diese Reise erst unternehmen, wenn er einerseits in der traditionellen Ideologie unterwiesen, andererseits durch die Trance physisch und psychologisch vorbereitet worden ist. Die Lehrzeit ist, wie sich erweisen wird, von einer außerordentlichen Härte.
Gewöhnlich werden sechs junge Männer auf einmal eingeweiht. Sie leben völlig isoliert in einer Hütte, die eigens zu diesem Zweck errichtet wurde und mit Palmblättern bedeckt ist. Man verlangt von ihnen etwas körperliche Arbeit; sie kümmern sich um das Tabakfeld des Initiationsmeisters und zimmern aus einem Zedernstamm eine Bank in Form eines Kaimans, die sie vor die Hütte tragen; auf diese Bank setzen sie sich jeden Abend, um dem Meister zuzuhören und auf die Visionen zu warten. Außerdem macht sich jeder seine eigenen Glocken und einen zwei Meter langen «Zauberstab». Sechs junge Mädchen, die von einer alten Lehrerin beaufsichtigt werden, bedienen die Kandidaten. Sie beschaffen täglich den Tabaksaft, den die Neophyten in großen Mengen trinken müssen, und an den Abenden reibt jede von ihnen einen Lehrling am ganzen Körper mit einer roten Flüssigkeit ein; das soll ihn schön machen und würdig, vor den Geistern zu erscheinen. Der Initiationskurs dauert 24 Tage und 24 Nächte und ist in vier Abschnitte eingeteilt; auf drei Tage und Nächte Unterricht folgen immer drei Ruhetage Der Unterricht findet nachts in der Hütte statt. Man tanzt in der Runde, man singt und hört dann wieder auf der kaimanförmigen Bank sitzend dem Meister zu, der über die guten und bösen Geister spricht und besonders über den «Großen Vater Geier», der bei der Initiation eine wesentliche Rolle spielt. Er hat das Aussehen eines nackten Indianers und hilft dem Schamanen mittels einer Wendeltreppe zum Himmel aufzufliegen. Durch den Mund dieses Geistes spricht der «Große Indianervater», das heißt der Schöpfer, das Höchste Wesen22. Die Tänze ahmen die Bewegungen der Tiere nach, von denen der Meister beim Unterricht gesprochen hat. Tagsüber bleiben die Kandidaten in den Hängematten im Inneren der Hütte. Während der Ruhezeit liegen sie auf der Bank, haben die Augen stark mit Gewürzsaft eingerieben und denken über die Lektionen des Meisters nach oder bemühen sich die Geister zu sehen (Andres, S. 336 f.).
Während der ganzen Unterrichtszeit ist das Fasten fast vollkommen; die Lehrlinge rauchen andauernd Zigaretten, kauen Tabakblätter und trinken Tabaksaft. Nach den erschöpfenden Tänzen der Nacht samt Fasten und Vergiftung sind die Lehrlinge auf die ekstatische Reise vorbereitet. In der ersten Nacht der zweiten Periode lehrt man sie, sich in Jaguare und Fledermäuse zu verwandeln (Andres, S. 337). In der fünften Nacht, nach einem totalen Fasten (wobei sogar der Tabaksaft verboten ist), spannt der Meister mehrere Seile in verschiedener Höhe und die Lehrlinge tanzen der Reihe nach darauf oder balancieren in der Luft, indem sie sich an den Händen halten (ebd., S. 338). Nun haben sie ihr erstes ekstatisches Erlebnis: Sie begegnen einem Indianer, der in Wirklichkeit ein wohlwollender Geist ist (Tukajana). «Komm, Novize. Du wirst dich auf der Leiter des Großen Vaters Geier in den Himmel begeben. Es ist nicht weit.» Der Lehrling «erklettert eine Art Wendeltreppe und gelangt in das erste Stockwerk des Himmels, wo er durch Indianerdörfer und von Weißen bewohnte Städte kommt. Dann begegnet der Novize einem Geist der Gewässer (Amana), einer Frau von großer Schönheit, die ihn veranlaßt, mit ihr in den Fluß zu tauchen. Dort teilt sie ihm Zaubermittel und magische Formeln mit. Der Novize und sein Führer landen am anderen Ufer des Flusses und gelangen zum Kreuzweg des ,Lebens und des Todes'. Der künftige Schamane hat die Wahl zwischen dem .Land ohne Abend' und dem ,Land ohne Morgen'. Dann enthüllt ihm der Geist, der ihn begleitet, das Los der Seelen nach dem Tode. Durch eine lebhafte Schmerzempfindung wird der Kandidat jäh auf die Erde zurückversetzt. Sie rührt daher, daß der Meister eine Art Matte, das maragui, gegen seine Haut gedrückt hat, in deren Zwischenräumen dicke Giftameisen stecken23.»
wir uns auch an die Rolle des Adlers in den schamanischen Mythologien Sibiriens: Vater des ersten Schamanen, Sonnenvogel, Bote des Himmelsgottes, Vermittler zwischen dem Gott und den Menschen.
23 Métraux, Le shamanitme, S. 208, eine Zusammenfassung von F. Andres, S. 338 f.
In der zweiten Nacht des vierten Unterrichtsabschnittes stellt der Meister die Lehrlinge der Reihe nach auf «eine Plattform, die von der Decke der Hütte an mehreren zusammengedrehten Seilen herunterhängt, so daß die Seile beim Aufdrehen die Plattform sich immer schneller drehen lassen» (Métraux, S. 208). Der Novize singt: «Die Plattform des pujai wird mich in den Himmel tragen. Ich werde das Dorf Tukajanas sehen.» Und er dringt nach und nach in die verschiedenen Himmelssphären vor und sieht in einer Vision die Geister24. Man wendet auch die Vergiftung durch die takini-Pflanze an, die ein starkes Fieber hervorruft. Der Novize zittert an allen Gliedern und glaubt, daß die bösen Geister in ihn eingedrungen sind und seinen Körper zerreißen (das wohlbekannte Initiationsmotiv der Zerstückelung des Körpers durch die Dämonen). Zuletzt fühlt sich der Lehrling in die Himmel getragen und genießt himmlische Visionen (Andres, S. 341). Die karibische Folklore bewahrt die Erinnerung an eine Zeit, wo die Schamanen sehr stark waren; sie konnten angeblich die Geister mit leiblichem Auge schauen und hatten sogar die Fähigkeit der Toten-enveckung. Einmal stieg ein pujai zum Himmel auf und bedrohte Gott; dieser ergriff einen Säbel und stieß den Unverschämten zurück; seither können die Schamanen nur noch in der Ekstase in den Himmel gelangen (Andres, S. 341 f. ). Beachten wir die Ähnlichkeit zwischen diesen Legenden und den nordasiatischen Glaubensvorstellungen von der anfänglichen Größe und dem späteren Niedergang der Schamanen, der in unseren Tagen noch zugenommen hat; daraus können wir schon wie im Transparent den Mythus von einer uranfänglichen Epoche ablesen, wo die Verbindung zwischen den Schamanen und Gott unmittelbarer war und auf konkretere Weise stattfand. Infolge einer stolzen oder revoltierenden Tat hat Gott den ersten Schamanen den direkten Zugang zu den geistigen Realitäten verwehrt; sie können die Geister nicht mehr mit leiblichem Auge sehen und der Aufstieg zum Himmel geschieht nur mehr in Ekstase. Wie wir bald sehen werden, schließt dieses mythische Motiv noch mehr in sich.
A. Métraux (S. 209) erwähnt die Beobachtungen der ersten Reisenden über die Initiation der Insel-Kariben. Laborde berichtet, daß die Meister «ihm (dem Neophyten) noch den Körper mit Gummi einreiben und ihn mit Federn bekleiden, damit er zum Fliegen geschickt wird und zur Hütte der zemeen (Geister) kommt...» Diese Einzelheit überrascht uns nicht, da die Vogeltracht und die anderen Symbole des magischen Flugs einen integrierenden Bestandteil des sibirischen, nordamerikanischen und indonesischen Schamanismus bilden.
Mehrere Elemente der karibischen Initiation finden sich auch sonst in Südamerika: Die Tabakvergiftung ist ein Charakteristikum des südamerikanischen Schamanismus; die rituelle Einschließung in einer Hütte und die harten physischen Proben der Lehrlinge bilden eine wichtige Seite der Initiation bei den Feuerländern (Selk'nam und Ya-mana); die Unterweisung durch einen Meister und die «Sichtbarmachung» der Geister sind ebenfalls konstitutive Elemente des südamerikanischen Schamanismus. Doch die Technik der Vorbereitung auf die ekstatische Himmelsreise scheint nur dem karibischen pujai eigen zu sein. Wir haben es hier mit dem kompletten Szenario einer Muster-Initiation zu tun: Aufstieg, Begegnung mit einer Geisterfrau, Eintauchen ins Wasser, Enthüllung von Geheimnissen (vor allem das Schicksal des Menschen nach dem Tode betreffend), Reise in die jenseitigen Regionen. Aber der pujai will um jeden Preis ein ekstatisches Erlebnis haben, auch wenn dies nur mit nichtnormalen Mitteln zu erreichen ist. Man hat den Eindruck, daß der karibische Schamane alles ins Werk setzt, um in concreto in einer geisterhaften Verfassung zu leben, welche sich doch von Natur dem Experiment entzieht, wenigstens in dem Sinn, wie man bestimmte menschliche Situationen «herbeiexperimentieren» kann. Halten wir diese Beobachtung fest; sie soll später, anläßlich anderer schamanischer Techniken, wieder aufgegriffen und vervollständigt werden.
Aufstieg über den Regenbogen
Die Initiation des australischen Medizinmannes in der Gegend des Forrest River enthält sowohl symbolischen Tod und Auferstehung des Kandidaten als einen Aufstieg zum Himmel. Die gewöhnliche Methode ist folgende: Der Meister nimmt die Gestalt eines Skelettes an und hängt sich einen Beutel um, in den er den Kandidaten steckt, der durch seinen Zauber zu den Ausmaßen eines ganz kleinen Kindes zusammengeschrumpft ist. Darauf setzt er sich rittlings auf die Regenbogenschlange und beginnt sich mit Hilfe seiner Arme vorwärtszuziehen, wie man an einem Seil hinaufklettert. Am höchsten Punkt angekommen, wirft er den Kandidaten in den Himmel, indem er ihn «tötet». Im Himmel angelangt führt der Meister in den Körper des Lehrlings kleine Regenbogenschlangen, die brimures (kleine Süßwasserschlangen), und Quarzkristalle ein (die übrigens denselben Namen führen wie die mythische Regenbogenschlange). Nach dieser Operation wird der Kandidat auf die Erde zurückgebracht und zwar wieder auf dem Rücken des Regenbogens. Der Meister führt noch einmal magische Gegenstände durch den Nabel in ihn ein und erweckt ihn durch Berührung mit einem magischen Stein. Der Kandidat gelangt wieder zu seiner normalen Größe. Am nächsten Tag wiederholt man die Besteigung des Regenbogens auf dieselbe Weise25.
Mehrere Züge dieser australischen Initiation sind uns bereits bekannt: Tod und Auferstehung des Kandidaten, die Einführung magischer Gegenstände in seinen Körper. Bemerkenswert ist, daß der Initiationsmeister sich magisch in ein Skelett verwandelt und die Figur des Lehrlings auf die Maße eines Neugeborenen verkleinert. Beides symbolisiert das Außerkraftsetzen der profanen Zeit und die Reintegration in einer mythischen Zeit, der australischen «Traumzeit»26. Der Aufstieg geschieht mittels des Regenbogens, der mythisch in Gestalt einer riesigen Schlange vorgestellt wird, auf deren Rücken der Lehrmeister wie auf einem Seil hinaufklettert. Wir haben bereits die Himmelsaufstiege der australischen Medizinmänner erwähnt; bald werden wir noch deutlichere Beispiele dafür zeigen.
Was den Regenbogen betrifft, so sehen bekanntlich viele Völker in ihm die Brücke, die die Erde mit dem Himmel verbindet, und insbe-25 A. P. Elkin. The Rainbow-Serpent Myth in Sorti) West Australia (Oceania 1930. 1. Bd.. Nr. 3, S. 349-352), S. 349 f.; ders., The Australian Aborigines (Sydney-London 1938). S. 223 f. Das Buch desselben Verfassers Aboriginal Men of High Degree (Sydney 1946) ist unzugänglich geblieben.
26 Darüber s. Elkin. The Australian Aborigines, passim, und mit psychoanalytischer Interpretation G. Roheim, The Eternal Ones of the Dream (Neuyork 1945).
sondere die Brücke der Götter27. Deshalb wird sein Erscheinen nach dem Gewitter als Zeichen von Gottes Beruhigung betrachtet (z. B. bei den Pygmäen, s. Eliade, Die Religionen, S. 75). Die mythischen Heroen erreichen den Himmel immer auf dem Regenbogen. So besuchen z. B. in Polynesien der Maori-Heros Tawhaki mit seiner Familie und der hawaiische Heros Aukelenuiaiku regelmäßig die oberen Regionen mit Hilfe des Regenbogens oder eines Papierdrachens, um die Seelen der Toten zu befreien oder ihre Geisterfrauen wiederzufinden29. Dieselbe mythische Funktion hat der Regenbogen in Indonesien, Melanesien und Japan 30.
Diese Mythen deuten, wenn auch auf indirekte Weise, auf eine Zeit, wo die Verbindung zwischen Himmel und Erde möglich war; infolge eines bestimmten Ereignisses oder eines rituellen Fehlers wurde die Verbindung unterbrochen, aber den Heroen und den Medizinmännern gelingt es trotzdem, sie wiederherzustellen. Dieser Mythus von einer paradiesischen Zeit, welche durch den «Fall» des Menschen brutal abgebrochen wurde, wird uns im Lauf unserer Darstellung noch mehrmals beschäftigen; er ist mit bestimmten schamanischen Vorstellungen verbunden. Die australischen Medizinmänner tun, ebenso wie viele an-27 Vgl. 2. B. L. Frobenius. Die Weltanschauung der Naturvölker (Weimar 1898), 8 131 ff.; P. Ehrenreich, Die allgemeine Mythologie und ihre ethnologischen Grundlagen (Mythologische Bibliothek IV. I, Leipzig 1910), S. 141. Für den finno ugrischen und tatarischen Bereich s. Holmberg, Finno-Ugric and Siberian Mythology (Boston 1927). S. 443 ff.; für die mediterrane Welt vgl. die ein wenig enttäuschende Studie von Cb. Rene!. V Arc-en-Ciel dam la tradition religieuse de l’antiquité (Revue de l’Histoire des Religions 1902, 46. Bd., S. 38-80).
28 Ehrenreich, a, a. O., S. 133 ff.
29 Vgl. Chadwick, The Growth of Literature, 3. Bd., S. 273 ff., 298 usw.; Nora Chadwick. Noter on Polynesian Mythology (journal of the Royal Anthropological Society, 60. Bd., 1930, S. 423-446); dies.. The Kite. A study in Polynesian Tradition (ebd., 61. Bd., S. 433-491) . über den Papierdrachen in China s. B. Läufer, The prehistory of anation (Field Museum, Anthropological Series, 18. Bd., Nr. 1, Chicago 1928). S. 31-43. Die polynesischen Traditionen erwähnen im allgemeinen zehn über-einanderliegende Himmel: in Neu-Seeland spricht man von zwölf Himmeln. (Der indische Ursprung dieser Kosmologien ist mehr als wahrscheinlich.) Der Held geht von einem Himmel rum anderen, wie wir den burjatischen Schamanen sich erheben sahen. Er trifft Geisterfrauen (oft seine eigenen Ahnen), die ihm den Weg finden helfen, vgl. die Rolle der Geisterfrauen hei der Initiation des karibischen pujai, die Rolle der «Himmelsgattin» bei den sibirischen Schamanen usw.
30 H. Th. Fischer, Indonesische Paradiesmythen (Zs. f. Ethnologie. 64. Bd.. 1932, S. 204-243), S 20.8, 238 ff.: F. K. Nutnazawa. Die Weltanfänge in der japanischen Mythologie, Luzern-Paris, 1916), S. 133.
dere Schamanen und Zauberer, nichts anderes, als provisorisch und nur für sich selbst diese «Brücke» zwischen Himmel und Erde wiederherzustellen, die einstmals allen Menschen zugänglich war31.
Der Mythus vom Regenbogen als Weg der Götter und Brücke zwischen Himmel und Erde findet sich auch in japanischen Überlieferungen32 und war zweifellos auch in den religiösen Vorstellungen Mesopotamiens vorhanden33. Die sieben Regenbogenfarben wurden außerdem mit den sieben Himmeln zusammengebracht, ein Symbolismus, dem wir ebenso in Indien und Mesopotamien wie im Judentum begegnen. Auf den Fresken von Bâmiyân ist der Buddha auf einem siebenfarbigen Regenbogen sitzend dargestellt das bedeutet, er transzendiert den Kosmos, genau wie er im Mythus der Geburt die sieben Himmel transzendiert, indem er sieben Schritte gegen Norden macht und das «Zentrum der Welt», den Gipfel des Universums erreicht.
Der Thron Gottes ist von einem Regenbogen überwölbt (Apokalypse 4, 3), und dieses Symbol hält sich bis in die christliche Kunst der Renaissancezeit (Rowland, a. a. O., S. 46, Anm. 1). Die babylonische ziqqurat wurde manchmal mit sieben Farben dargestellt, welche die sieben himmlischen Regionen versinnbildeten: indem man von einem Stockwerk zum andern stieg, erreichte man den Gipfel der kosmischen Welt (s. Die Religionen, S. 139 ff.). Ähnliche Ideen begegnen in Indien (Rowland, S. 48) und, was noch wichtiger ist, in der australischen Mythologie. Der Höchste Gott der Kamilaroi, der Wiradjuri und der Euahlay wohnt im Oberhimmel, auf einem kristallenen Thron sitzend (Religionen, S. 65); Bundjil, das höchste Wesen der Kulin, hält sich über den Wolken auf (ebdS. 66). Wenn die mythischen Heroen und die Medizinmänner zu diesen himmlischen Wesen aufsteigen, benützen sie neben vielen anderen Hilfsmitteln den Regenbogen.
Die bei der buriätischen Initiation gebrauchten Bänder trugen den Namen «Regenbogen»; sie versinnbilden im allgemeinen die Himmelsreise des Schamanen35. Die Schamanentrommeln tragen Zeichnungen des Regenbogens in Gestalt einer Brücke zum Himmel36. In den türkischen Sprachen hat der Regenbogen übrigens auch die Bedeutung von Brücke (Räsänen, S. 6). Bei den Jurak-Samojeden heißt die Schamanentrommel «Bogen»; durch ihren Zauber wird der Schamane wie ein Pfeil zum Himmel geschleudert. Außerdem spricht manches dafür, daß die Türken und die Uiguren die Trommel als «Himmelsbrücke» betrachteten, auf der der Schamane seine Auffahrt ausführte37. Dieser Gedanke fügt sich in den symbolischen Komplex der Trommel und der Brücke ein, von denen jedes eine andere Formel desselben ekstatischen Erlebnisses, der Himmelfahrt, darstellt. Durch die musikalische Magie der Trommel kann der Schamane den höchsten Himmel erreichen.
Australische Initiationen
Wie wir sahen, enthielten mehrere Berichte über Initiationen australischer Medizinmänner, obwohl symbolischer Tod und Auferstehung des Kandidaten im Mittelpunkt standen, Erwähnungen einer Himmelfahrt. Doch es gibt auch andere Formen der Initiation, wo der Aufstieg die Hauptrolle spielt. Bei den Wiradjuri führt der Initiationsmeister in den Körper des Lehrlings Felskristalle ein und gibt ihm Wasser zu trinken, in das man solche Kristalle gelegt hat; darauf gelingt es dem Lehrling Geister zu sehen. Der Meister führt ihn nun in ein Grab und die Toten geben ihm ihrerseits magische Steine. Der Kandidat begegnet auch einer Schlange, die sein Totem wird und ihn ins Innere der Erde führt, wo sich viele andere Schlangen befinden; diese reiben sich an ihm und flößen ihm so magische Kräfte ein. Nach diesem symbolischen Unterweltsabstieg schickt sich der Meister an, ihn zum Lager Baiames, des Höchsten Wesens zu führen. Um dorthin zu kommen, klettern sie an sept pas du Bouddha (Pro Regno pro Sanctuar/o, Festschrift Van der Leeuw, Niikerk 1950, S. 169-175).
35 Holmberg-Harva. Baum des Lebens, S. 144 ff.; ders., Religiöse Vorstellungen, s. 489.
36 Harva, Re!. Vorstell., S. 531; Martti Rasanen. Regenbogen-Himmelsbrücke (Studia Orientalia XIV. I. 1947, Helsinki. 11 S.), S. 7 f.
37 Rasanen. S. 8. Der Verfasser bringt das urmongolische gewür «Brücke» und das urtürkische köpür mit griech. yepuoa zusammen.
einem Seil hinauf, bis sie Wombu, dem Vogel des Baiame begegnen. «Wir kamen durch die Wolken, erzählt der Lehrling, und auf der anderen Seite war der Himmel. Wir drangen durch eine Öffnung hinein, wo die Doktoren hindurchgehen, und die sich sehr schnell öffnete und wieder schloß.» Wenn man von den Türen berührt wurde, verlor man die magische Kraft und mußte sterben, sobald man wieder auf die Erde herunterkam38.
Wir haben hier ein fast vollständiges Initiationsschema vor uns: Abstieg zu den unteren Regionen und Aufstieg zum Himmel, wo das Höchste Wesen die schamanische Kraft verleiht. Der Zugang zu den oberen Regionen ist schwierig und gefährlich; es kommt wirklich darauf an, in einem Augenblick dort hinaufzudringen, bevor die Tore sich wieder schließen. (Ein spezifisches Initiationsmotiv, dem wir schon früher begegnet sind.)
In einem anderen, ebenfalls von Howitt aufgezeichneten Bericht handelt es sich um ein Seil, an dem der Kandidat mit verbundenen Augen auf einen Felsen entführt wird, wo sich dieselbe magische Pforte sehr schnell öffnet und schließt. Der Kandidat und seine Initiationsmeister dringen in den Felsen ein und dort werden ihm die Augen frei gemacht. Er findet sich in einem ganz hellen Raum, von dessen Wänden Kristalle glänzen. Er erhält mehrere solche Kristalle und man lehrt ihn ihren Gebrauch. Dann wird er, immer an dem Seil hängend, durch die Luft zum Lager zurückgebracht und auf einem Baumwipfel abgesetzt39.
Diese Initiationsriten und -mythen fügen sich der allgemeineren Vorstellung ein, daß der Medizinmann imstande ist mit einem Seil40, einer Binde41 oder einfach fliegend oder eine spiralförmige Treppe hinaufsteigend den Himmel zu erreichen. Viele Mythen und Legenden erzählen von den ersten Menschen, die sich zum Himmel erhoben, indem sie auf einen Baum kletterten; so hatten die Vorfahren der Mara die
38 A. W. Howitt, On Australian Medicine Men, S. 50 ff.; ders., The Native Tribes of South-East Australia, S. 404-413.
39 Howitt, Medicine Men, S. it f.: The Native Tribes. S.400ff.; Marcel Mauss, L'Origine des pouvoirs magiques dans les sociétés australiennes, S. 159. Dazu vergleiche oben die Initiationshöhle der Samojeden und der nord- und südamerikanischen Schamanen.
40 S. z. B. M. Mauss. a.a.O., S. 149, Anm. 1.
41 R. Pettazzoni, Miti e Leggende: I, Africa. Australia (Turin 1948), S. 413.
42 Mauss, S. 148. Die Medizinmänner verwandeln sich in Geier und fliegen (Spencer und Gillen, The Arunla, 2. Bd., S. 430).
Sitte auf einem solchen Baum bis zum Himmel und wieder herunter zu steigen43. Bei den Wiradjuri konnte der erste Mensch, der von dem Höchsten Wesen, Baiame, erschaffen war, auf einem Bergpfad zum Himmel steigen und dann auf einer Leiter bis zu Baiame hinaufklettern, genau wie es bei den Wurundjeri und den Wotjobaluk die Medizinmänner noch heute machen (Howitt, Native Tribes, S. 501 ff.). Die Yuin-Medizinmänner steigen zu Daramulun auf, der ihnen Heilmittel gibt (Pettazzoni, Miti e Leggende, S. 416).
Ein Euahlayi-Mythus erzählt, wie die Medizinmänner Baiame wiederfanden. Sie marschierten mehrere Tage gegen Nordosten, bis sie an den Fuß des großen Berges Oubi-Oubi kamen, dessen Gipfel sich in den Wolken verloren. Sie erstiegen ihn auf einer spiralenförmigen Steinstiege und erreichten am Ende des vierten Tages den Gipfel. Dort trafen sie den Botengeist Baiames; dieser rief Dienstgeister herbei, welche die Medizinmänner durch ein Loch in den Himmel transportierten (Van Gennep, Nr. 66, S. 92 ff. ).
Die Medizinmänner können also nach Belieben wiederholen, was die (mythischen) ersten Menschen einmal am Morgen der Zeiten getan haben: zum Himmel aufsteigen und wieder auf die Erde herabsteigen. Wie die Fähigkeit des Aufstiegs (oder des magischen Fluges) für die Laufbahn eines Medizinmanns wesentlich ist, so enthält die schama-nische Initiation einen Aufstiegsritus. Auch wenn nicht direkt auf einen solchen Ritus hingewiesen wird, ist er doch irgendwie mitenthalten. Die Felskristalle, die bei der Initiation des australischen Medizinmanns eine wichtige Rolle spielen, sind von himmlischem Ursprung oder stehen wenigstens in - wenn auch nur indirekter - Beziehung zum Himmel. Baiame sitzt auf einem Thron von durchsichtigem Kristall (Howitt, Native Tribes, S. 501). Bei den Euahlayi wirft Baiame selbst (= Boyerb) die Kristallstücke auf die Erde, die ohne Zweifel von seinem Thron abgebrochen sind Derselbe Glaube findet sich auch bei den Negrito von Malakka45. Es handelt sich um Steine, die vom Thron des Höchsten Wesens oder vom Himmelsgewölbe abgebrochen sind. Des-halb können sie widerspiegeln, was sich auf der Erde zuträgt: Die Meerdajak-Schamanen von Sarawak haben «Lichtsteine», die alles widerspiegeln, was der Seele des Kranken widerfährt und so auch offenbaren, wohin sie sich verirrt hat (Pettazzoni, Io and Rangi, S. 362). Bei den hala der Semang haben wir denselben Glauben und dieselbe Technik gefunden (s. auch Pettazzoni, ebd.).
Wie wir gesehen haben, verleihen die Felskristalle in enger Beziehung zur Regenbogenschlange die Fähigkeit, sich zum Himmel zu erheben. Übrigens vermitteln dieselben Steine die Kraft zu fliegen, so z, B. in einer von Boas (Indianische Sagen, Berlin, 1895, S. 152) aufgezeichneten amerikanischen Sage, wo ein junger Mann, der einen «glänzenden Berg» hinaufsteigt, sich mit Felskristallen bekleidet und unmittelbar darauf zu fliegen beginnt. Die nämliche Vorstellung von einem festen Himmelsgewölbe erklärt die Kräfte der Meteoriten und Blitzsteine; vom Himmel gefallen, sind sie durchtränkt von religiösmagischer Kraft, die man benützen, mitteilen, verbreiten kann als eine Art neues Zentrum der Himmelsheiligkeit auf Erden46.
Im Zusammenhang mit diesem Symbolismus wäre auch an das Motiv der kristalinen Berge und Paläste zu erinnern, welche die Heroen bei ihren mythischen Abenteuern treffen, ein Motiv, das sich ebenso in der europäischen Volksüberlieferung erhalten hat. Und schließlich spricht eine späte Schöpfung desselben Symbolismus von dem Stirnstein des Luzifer und der gefallenen Engel (in bestimmten Varianten schon vor dem Fall abgelöst) und von Diamanten, die sich im Kopf oder im Maul von Schlangen finden usw. Natürlich haben wir hier mit sehr komplexen Glaubensvorstellungen zu tun, die immer wieder ausgearbeitet und zu neuer Gültigkeit gebracht wurden; dennoch bleibt ihre Grundstruktur deutlich erkennbar: Es handelt sich immer um einen magischen Kristall oder Stein, der sich vom Himmel abgelöst hat und, obwohl auf die Erde gefallen, weiterhin uranische Heiligkeit - Hellsichtigkeit, Weisheit, Prophezeiungsgabe, Flugkraft - vermittelt.
Die Felskristalle spielen eine wesentliche Rolle in der australischen Magie und Religion; im übrigen ozeanischen Raum und den beiden Amerika ist ihre Bedeutung nicht geringer. Ihr manischer Ursprung ist in den betreffenden Glaubensvorstellungen nicht immer deutlich
46 Vgl. M. Eliade, Metallurgy, Magic and Alchemy (Paris-Bucarest 1938), S. 3 ff.; Die Religionen, S. 79, 258 ff.
bezeugt, doch ist das Vergessen der ursprünglichen Bedeutung in der Religionsgeschichte eine durchaus geläufige Erscheinung. Uns kam es darauf an, zu zeigen, daß die australischen Medizinmänner wie auch andere ihre Kräfte dunkel mit dem Vorhandensein dieser Felskristalle in ihrem eigenen Körper verknüpfen. Das heißt sie gründen das Gefühl ihrer Verschiedenheit von den anderen Menschen auf die Assimilation (im konkretesten Wortsinn) einer heiligen Substanz himmlischen Ursprungs.
Aufstiegsriten
Zu einem wirklichen Verständnis des Komplexes von religiösen und kosmologischen Ideen auf dem Grunde der schamanistischen Ideologie müßten wir eine ganze Reihe von Aufstiegsmythen und -riten an uns vorbeiziehen lassen. In den folgenden Kapiteln wollen wir einige von den wichtigsten studieren, doch kann das Problem in seiner Gesamtheit hier nicht zu Ende diskutiert werden, sondern muß einer späteren Arbeit überlassen bleiben. Für den Augenblick mag es genügen, die Aufstiegsmorphologie der schamanischen Initiationen durch einige neue Aspekte zu ergänzen, ohne daß deshalb auf eine erschöpfende Behandlung des Gegenstandes Anspruch erhoben wird.
Bei den Nias verschwindet der zum Propheten-Priester Bestimmte plötzlich, von den Geistern entführt (sehr wahrscheinlich wird der junge Mann in den Himmel gebracht); nach drei oder vier Tagen kommt er in das Dorf zurück. Wenn nicht, macht man sich auf die Suche und findet ihn gewöhnlich zu oberst auf einem Baum im Gespräch mit den Geistern. Er scheint den Verstand verloren zu haben und man muß Opfer darbringen, damit er ihn wiederfindet. Die Initiation enthält auch einen rituellen Gang zu den Gräbern, an einen Wasserlauf und zu einem Berg47.
Bei den Mentawei wird der künftige Schamane von den himmlischen Geistern in den Himmel mitgenommen und erhält dort einen Wunderleib wie sie. im allgemeinen wird er krank und bildet sich ein, zum Himmel aufzusteigen48. Nach diesen ersten Symptomen findet die Zeremonie der Initiation durch einen Meister statt. Zuweilen verliert der 47 E. M. Loeb. Sumatra. S. 155. 48 E. M. Loch. Shaman and Seer, S. 66; dtrrs., Sumatra, S. 195.
Schamanenlehrling während oder unmittelbar nach der Initiation das Bewußtsein, und sein Geist steigt in einem von Adlern getragenen Boot zum Himmel, um sich mit den himmlischen Geistern zu unterhalten und sie um Heilmittel zu bitten (Loeb, Shaman and Seer, S. 78).
Wie wir sogleich sehen werden, verleiht der Aufstieg bei der Initiation dem künftigen Zauberer die Fähigkeit zu fliegen, überall auf der Welt schreibt man ja den Schamanen und Hexenmeistern die Flugkraft zu, die Fähigkeit in einem Augenblick riesige Strecken zurückzulegen und unsichtbar zu werden. Es ist schwer zu entscheiden, ob alle Zauberer, die glauben, sich durch die Lüfte bewegen zu können, im Lauf ihrer Lehrzeit ein ekstatisches Erlebnis oder Aufstiegsritual erlebt haben, ob sie also die magische Kraft des Fliegens durch eine Initiation oder ein ekstatisches Erlebnis erlangt haben, in dem sich ihre schamani-sche Berufung erwies. Vermutlich hat wenigstens ein Teil von ihnen diese magische Kraft wirklich infolge und auf dem Weg einer Initiation erlangt. Viele Nachrichten, welche die Flugkraft der Schamanen und Hexer bezeugen, teilen die Art und Weise, wie sic diese Kräfte erlangt haben, nicht genau mit, doch kann es wohl sein, daß dieses Schweigen von der Unvollkommenheit unserer Quellen rührt.
Wie dem auch sei, in vielen Fällen ist die schamanische Berufung oder Initiation unmittelbar an eine Himmelfahrt gebunden. So empfing ein großer Basutoprophet, um nur einige Beispiele zu nennen, seine Berufung auf eine Ekstase hin, während welcher er das Dach seiner Hütte über seinem Kopf aufgehen sah und sich zum Himmel getragen fühlte, wo er eine Menge Geister traf49. Viele ähnliche Fälle wurden in Afrika verzeichnet (Chadwick, a.a. O., S. 94 f.). Bei den Nuba hat der künftige Schamane den Eindruck, daß «der Geist von oben her seinen Kopf faßt» oder «in seinen Kopf eingeht» (Nadel, Shamanism. S. 26). Die meisten von diesen Geistern sind himmlische (ebd., S. 27), und es ist anzunehmen, daß das «Besessenwerden» als eine Auffahrts-Trance zu verstehen ist.
In Südamerika spielt die Initiationsreise in den Himmel oder auf sehr hohe Berge eine wichtige Rolle50. Bei den Araukanern z. B. folgt auf die Krankheit, welche die Laufbahn einer macht begründet, eine ekstatische Krise, während der die künftige Schamanin zum Himmel 49 Nora Chadwick, Poetry and Prophecy, S. 50 f. 50 Ida Lublinski, Der Medizinmann bet den Naturvölkern Südamerikas, S. 248.
steigt und Gott selbst begegnet. Im Verlauf dieses Aufenthalts im Himmel zeigen ihr übernatürliche Wesen die Heilmittel, die zu den Kuren notwendig sind41. Die schamanische Zeremonie der Manasi enthält ein Niedersteigen des Gottes in die Hütte, worauf ein Aufstieg folgt; der Gott nimmt die Schamanen mit sich in den Himmel. «Sein Weggehen war mit Erschütterungen verbunden, die die Wände des Heiligtums zittern ließen. Einige Augenblicke später brachte die Gottheit den Schamanen wieder auf die Erde oder ließ ihn mit dem Kopf voraus in den Tempel fallen52.»
Zum Schluß noch ein nordamerikanisches Beispiel der Initiationsauffahrt. Ein Winnebago-Medizinmann fühlte sich getötet und nach manchem Abenteuer in den Himmel gebracht, wo er sich mit dem Höchsten Wesen unterhielt. Die himmlischen Geister stellten ihn auf die Probe: Es gelang ihm, einen für unverwundbar gehaltenen Bären zu töten und durch Anhauchen wieder aufzuerwecken. Schließlich stieg er wieder auf die Erde herab und wurde zum zweitenmal geboren.
Der Gründer der «Ghost-dance religion», und übrigens auch alle wichtigen Propheten dieser mystischen Bewegung, hatten ein ekstatisches Erlebnis, das ihre Laufbahn bestimmte. So erklomm z. B. der Gründer in Trance einen Berg und begegnete einer schönen weißgekleideten Frau, die ihm kundtat, daß der «Meister des Lebens» sich auf dem Gipfel befinde. Auf den Rat der Frau entledigte sich der Prophet seiner Kleider, tauchte in einen Fluß und stellte sich im Zustand ritueller Nacktheit dem «Meister des Lebens» vor. Dieser erteilte ihm Befehle aller Art: nicht länger die Weißen auf seinem Gebiet zu dulden, gegen die Trunksucht zu kämpfen, auf den Krieg und die Polygamie zu verzichten usw., und gab ihm darauf ein Gebet, das er den Menschen mitteilen sollte54.
Woworka, der bedeutendste Prophet der «Ghost-dance religion», hatte seine Offenbarung mit achtzehn Jahren. Er schlief mitten am Tage ein und fühlte sich ins Jenseits getragen. Gott gab ihm eine Botschaft für die Menschen und empfahl ihnen anständig, arbeitsam und wohltätig zu sein usw, (Mooney, a.n.O., S. 771 ff.). Ein anderer Prophet, John Slocum von Pujet Sound, «starb» und sah seine Seele den Körper verlassen. «Ich sah ein blendendes Licht, ein großes Licht... ich schaute und sah, daß mein Körper keine Seele mehr hatte; er war tot... Meine Seele verließ den Körper und erhob sich zu dem Ort von Gottes Gericht ... Ich habe ein großes Licht in meiner Seele gesehen, ein Licht, das aus diesem guten Land gekommen ist...55.»
Diese anfänglichen ekstatischen Erlebnisse der Propheten sollten nun allen Adepten der «Ghost-dance religion» zum Muster dienen. Auch sie fallen nach langen Tänzen und Gesängen in Trance; dann besuchen sie die Regionen des Jenseits und begegnen den Seelen der Toten, den Engeln und zuweilen Gott selbst. Die ersten Offenbarungen des Gründers und der Propheten werden so zum Muster für alle späteren Konversionen und Ekstasen.
Ebenso spezifisch sind die Himmelfahrten für die stark schamani-sierte Geheimgesellschaft der midêwiwin bei den Ojibwa. Als typisches Beispiel wäre die Vision jenes jungen Mädchens anzuführen, das eine Stimme hörte, ihr folgte, einen engen Pfad hinaufklomm und schließlich den Himmel erreichte. Dort begegnete sie dem Himmelsgott, der ihr eine Botschaft für die Menschen auftrug56. Das Ziel der midêwiwin-Gesellschaft ist die Wiederherstellung des Weges zwischen Himmel und Erde, so wie er durch die Schöpfung eingerichtet war; deshalb unternehmen die Mitglieder dieser Geheimgesellschaft regelmäßig ekstatische Reisen in den Himmel; dadurch helfen sie in gewisser Weise dem gegenwärtigen Verfall des Universums und der Menschheit ab und stellen die uranfängliche Situation wieder her, wo der Verkehr mit dem Himmel allen Menschen leicht möglich war.
Wiewohl es sich hier nicht um Schamanismus im eigentlichen Sinne handelt - «Ghost-dance religion» wie midêwiwin sind Geheimbünde, denen sich ein jeder anschließen kann, wenn er sich nur gewissen Proben unterzieht oder eine bestimmte ekstatische Disposition aufweist -, 55 J. Mooney, a.a.O., S. 752. Vgl. das Licht des Eskimoschamanen. Für den .Ort von Gottes Gericht, vgl. die Visionen von der Auffahrt da Propheten Isaias, das Ardâ Virâf usw.
56 H. R. Schoolcraft, zitiert bei Pettazzoni. Dio, I. Bd. (Rom 1922), S. 299 ff.
findet man in diesen nordamerikanischen religiösen Bewegungen viele spezifische Züge des Schamanismus: Ekstasetechniken, mystische Himmelsreise, Abstieg in die Unterwelt, Unterhaltung mit Gott, halbgöttlichen Wesen und den Seelen der Toten usw.
Wie wir gesehen haben, spielt die Himmelfahrt bei den schamani-schen Initiationen eine wesentliche Rolle. Riten mit Besteigung eines Baums oder einer Stange, Mythen von Auffahrt oder magischem Flug, ekstatische Erlebnisse mit Erhebung, Flug oder mystischer Himmelsreise - alle diese Elemente erfüllen bei der schamanischen Berufung oder Weihe eine entscheidende Aufgabe. Zuweilen scheint dieser Kreis religiöser Praktiken und Ideen mit dem Mythus von einer frühen Zeit in Beziehung zu stehen, wo der Verkehr zwischen Himmel und Erde viel leichter war. Unter diesem Gesichtswinkel betrachtet, bedeutet das schamanische Erlebnis eine Restauration dieser uranfänglichen mythischen Zeit, und der Schamane erscheint als ein Privilegierter, der für sich persönlich den glücklichen Zustand des Menschen am Morgen der Zeiten zurückgewinnt. Eine große Anzahl Mythen - einige davon sollen in den folgenden Kapiteln angeführt werden - illustrieren diesen paradiesischen Zustand eines seligen illud tempus, den die Schamanen in ihren Ekstasen wenigstens vorübergehend zurückgewinnen.
N. N. Agapitov und M. N. Changalov, Materialy dlja izutchenija shamanstra v Sihiri, S. 42-52. übersetzt und zusammengefaßt von L. Stieda. Das Schamanentum unter den Burjaten (Globus 1887. 52. Bd., S. 250 ff.; Initiation s. S. 287 f.); Mikhailowski, S. 87-90; Harva, Rel. Vorstell.. S. 487-496. Changalov, der in Irkutsk Erzieher war und selber von Buriäten abstammte, hatte Agapitov sehr reiches Material aus erster Hand an schamanischcn Riten und Glaubensvorstellungen mitgeteilt. S. auch Jorma Partanen, A description of Burial Shamanism (Journal de la Société Finno-Ougrienne, Bd. 51, 1941/42, 34 Seiten). Es handelt sich um ein Manuskript, das 1879 Pozdnevev in einem buriätischen Dorf gefunden und in seiner Chrestomathie mongole (St. Petersburg 1900,
Einige Beispiele: der Mythus vom Wunderbaum Gaokêrêna, der auf einer Insel des Vourukasha-Meeres (oder -Sees) wächst und bei dem sich die von Ahriman erschaffene Rieseneidechse befindet (Vidêvdât XX, 4; Bundahishn XXVII, 4 usw.), welcher Mythus sich auch bei den Kalmücken (ein Drache im Ozean bei dem Wunderbaum Zamba), den Buriäten (die Schlange Abyrga bei dem Baum im «Milchsee») und anderweitig findet (Holmberg-Harva, Finno-Ugric and Siberian Mythology, S. 356 ff ). Doch wäre auch die Möglichkeit eines indischen Einflusses ins Auge zu fassen; hierüber vgl. S. 255 ff.
12 S. Kai Donner, Über soghdisch nöm «Gesetz» und samojedisch nom «Himmel, Gott» (in Studia Orientalia, Helsingfors 1925, 1. Bd., S. 1-8).
Über den Regenbogen in der Folklore s. S. Thompson, Motif-Index. F. 152 (3. Bd.. S. 22).
A. Métraux, Le shamanisme araucan, S. 316. A. Métraux, Le shamanisme chez les Indiens de l'Amérique du Sud tropicale,
S. 338. 53 P. Radin, La religion primitive, S. 98 f., Wir haben es hier mit einer kompletten Initiation zu tun: Tod und Auferstehung (= Wiedergeburt), Auffahrt, Proben usw. J. Mooney. The Ghost Dance Religion and the Sioux outbreak of 1890 (14th Annual Report of the Bureau of American Ethnologie, part II. Washington 1896, S. 641-1136), S. 663 ff.